Authentizitätsverlust? Neupositionierung eines Künstlers und damit einhergehende Reaktionen der Rezipienten - am Beispiel Atreyu


Seminararbeit, 2011

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2. Der Begriff der Authentizität
2.1 Authentizität in der populären Musik
2.2 Authentizität in der Rockmusik

3 Die Band Atreyu
3.1 Die Anfänge
3.2 Die Neupositionierung und Reaktionen der Rezipienten

4 Diskussion der Zuschreibung von Authentizität

5 Resümee.

6 Verzeichnis der verwendeten Literatur

1 Einleitung

Im Jahr 2007 veröffentlichte die Metalcore-Band Atreyu ein Album, welches die Geister scheiden sollte. Offensichtlich hatten Atreyu, wie viele andere Musiker heutzutage, eine Veränderung ihres musikalischen Stils vollzogen. Ich, selbst ein großer Fan dieser Band, erwarb ein Exemplar, bemerkte, dass es anders klang und befand es dennoch für gut. Doch nicht jeder Rezipient schien meiner Meinung zu sein. Auf verschiedensten Internetseiten las ich in Rezensionen die unterschiedlichsten Äußerungen. Einigen Rezipienten schien der neue Klang ebenso zu gefallen, anderen missfiel er. Die, denen er missfiel, äußerten sich teilweise sehr kritisch. Sie betitelten den stilistischen Wandel, weg vom Genre Metalcore, als kommerziellen Schritt. Sie empfanden, dass Atreyu sich selbst nicht treu blieben und nahmen sie als unecht und inauthentisch war.

Atreyu hingegen erwähnten in Interviews mit auf Metal spezialisierten Online-Portalen, die kurz nach der Veröffentlichung des Albums geführt wurden, dass ihnen zwar klar sei, dass sie viele Fans vor den Kopf stoßen würden, dennoch sei der Stilwechsel bewusst vollzogen worden. Intentionen seien der Drang nach Veränderung, Selbstverwirklichung, Kreativität und Vielfalt ihres musikalischen Materials gewesen.

Sie betonten in diesen Interviews des Öfteren, dass sie vor Veröffentlichung dieses neuen Albums sehr unzufrieden mit ihrer Musik waren und ihnen vor allem die Zuordnung zum Genre Metalcore zu schaffen machte. Dementsprechend gingen sie diesen Schritt, um sich selbst wieder treu zu sein und ihre eigenen Ziele und Vorstellungen zu verwirklichen.

Ausgehend von diesem Beispiel möchte ich im Folgenden untersuchen, welche Attribute einer Person oder ihrer Musik Authentizität bescheinigen können, wie unterschiedlich diese zugeschrieben werden können und inwiefern die Wahrnehmung dieser Attribute zwischen Rezipient und Musiker konvergieren oder divergieren kann. Ich möchte also herausstellen, ob und wie es zu einem Spannungsverhältnis zwischen Rezipienten und Künstlern kommen kann und welche Handlungen des Künstler und der ihn umgebenden Institutionen dazu beitragen können. So gilt es zum einen, die Zuschreibung von Authentizität seitens der Rezipienten zu betrachten, zum anderen jedoch auch inwiefern der Künstler sich selbst als authentisch wahrnimmt.

Die zentrale Fragestellung ist hier, ob ein Verlust von Authentizität, hier im Zuge einer Neupositionierung, überhaupt möglich ist.

Zunächst möchte ich den Begriff Authentizität allgemein erläutern, anschließend seine Bedeutung in der populären Musik analysieren und außerdem auf seine, in diesem Zusammenhang, besondere Stellung in der Rockmusik eingehen.

Darauffolgend gebe ich einen Überblick über den Verlauf der Karriere Atreyus und diskutiere anhand dieses Fallbeispiels die vorher erarbeiteten, theoretischen Grundlagen. Notwendige Aussagen von Rezipienten und der Band selbst erlange ich aus Album-Rezensionen und Interviews mit der Band.

2 Der Begriff der Authentizität

Um Musik zu bewerten, bedienen wir uns bestimmter Begriffe, die in gewisser Weise allgemein bekannt sind und häufig Verwendung finden, jedoch von jedem Menschen anders gebraucht und gewichtet werden. Auch Authentizität ist ein solcher Begriff. Er findet in verschiedensten Kontexten, in denen Personen, Handlungen und Situationen beurteilt werden, Verwendung.

Wie auch alle anderen Werte, ist er nicht als allgemeingültig anzusehen, sondern fungiert als Urteilskriterium für Personen und deren Handlungen und meint in jedem Zusammenhang etwas anderes. Er ist also lediglich als Richtwert anzusehen, welcher in jedem Kontext differenziert betrachtet werden muss (Vgl. Coyle/Dolan 1999: S. 29). Im Rahmen der populären Musik kann die Zuschreibung von Authentizität sowohl durch den Rezipienten, als auch durch den Künstler selbst und ihn umgebende Institutionen, wie z.B. die Musikindustrie, erfolgen.

Im Folgenden soll der Authentizitätsbegriff im Rahmen des Verhältnisses zwischen Künstler und Rezipienten untersucht werden. Hier werden der Künstler und seine Musik als Objekte der Zuschreibung und die Rezipienten, wie z.B. Fans oder Kritiker, als zuschreibende Subjekte betrachtet. Auch die Selbstwahrnehmung eines Künstlers bezüglich seiner Authentizität soll thematisiert werden (Vgl. Keightley 2001: 132).

Der Begriff Authentizität wird in unterschiedlichsten Kontexten oft mit denselben oder ähnlichen Attributen assoziiert. Zu diesen Attributen zählen unter anderem Echtheit, Originalität, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Kreativität und Innovation (Vgl. Menrath). Des Weiteren grenzt sich das Authentische häufig von Korruption, Manipulation, Unaufrichtigkeit, Trends und Kommerzialisierung ab (Vgl. Keightley 2001: 131).

Es ist jedoch festzuhalten, dass Authentizität dennoch von jedem Individuum anders aufgefasst werden kann und es natürlich zahlreiche andere Interpretationsmöglichkeiten gibt. Ebenso ist es ein stark veränderlicher Begriff. So können wir etwas, das wir vor einigen Jahren als authentisch empfunden haben, heute als weniger oder sogar gar nicht mehr authentisch empfinden. Andersherum können wir heute Personen oder Situationen Authentizität bescheinigen, die wir vor einiger Zeit als unecht empfunden haben (Vgl. Menrath, und Keightley: 131).

2.1 Authentizität in der populären Musik

Besonders im Bereich der populären Musik ist der Begriff Authentizität einer ständigen Diskussion unterworfen, da hier kommerzielle Interessen im Vordergrund zu stehen scheinen, von denen sich das Authentische abgrenzt (Vgl. Shuker 2008: 4). Der Begriff „Popularität“ wird in der heutigen Gesellschaft zumeist als inauthentisch wahrgenommen (Vgl. Keightley 2001: 132). Dies rührt daher, dass zeitgenössische, populäre Musik im Allgemeinen als kommerzielle Musik betrachtet wird. So besteht ihre wichtigste Funktion darin, verkauft zu werden und somit kommerziell zu sein (Vgl. Frith 1997). Der eigentliche Wert der Musik, als künstlerisches Gebilde, rückt hier also in den Hintergrund.

Da Rezipienten, im Speziellen Fans, in der Regel davon ausgehen, dass Musiker ihre Musik komponieren und spielen, weil sie ihnen selbst gefällt, entsteht im Kontext der populären Musik ein Zwiespalt, in dem Ökonomie und Kunst aufeinander prallen (Vgl. Frith 1997).

Musik, welche nicht um ihrer selbst willen komponiert und produziert wurde, gilt als kommerziell und der Künstler somit als künstlich und unecht. Auf dieser Grundlage wird in der populären Musik Authentizität oft als Gegenpol zum Kommerz und Mainstream konstituiert. Hierbei ist wiederum wichtig, zu definieren, was Kommerz und Mainstream im individuellen Kontext bedeuten. In diesem Zusammenhang wird Kommerz als Streben nach Profit gedeutet. Mit dem Begriff Mainstream ist Musik gemeint, die ein Massenpublikum bedient. In der Regel soll ein Musiker sich nicht von Kommerz, Trends und Inspirationslosigkeit leiten lassen (Vgl. Keightley 2001: 131).

Laut Keightley bedeutet der Begriff Authentizität ursprünglich „selbstgemacht“. Um von Fans als authentisch wahrgenommen zu werden, sollte der Musiker also selbst musizieren, womit er die Bezeichnung „Musiker“ auch erst verdient, Texte schreiben, produzieren und vor allem die Nähe zu seinen Fans bewahren (Vgl. Keightley 2001: 134)

Der Musiker soll Musik also nicht des Geldes wegen machen, sondern der Musik selbst wegen. Sie soll durch aufrichtige Gefühle entstehen und diese ausdrücken. Außerdem ist der Gemeinschaftssinn eines Musikers treibendes Element der authentischen Wahrnehmung, da nur ein Rezipient, der sich dem Musiker in irgendeiner Form nahe fühlt, zum Fan wird und ihm somit Authentizität bescheinigt (Vgl. Keightley 2001: 131).

Es ist also festzuhalten, dass wir Authentizität nicht in der Musik finden können, sondern dass sie immer den Beziehungen zwischen Musik, Musiker, sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Praktiken und den Rezipienten zugeschrieben werden muss (Vgl. Keightley 2001: 131).

Dennoch involviert der Begriff mehr, als nur persönliche Präferenzen. Authentizität wird ebenso durch die externen Zusammenhänge mit der Musik bedingt, hierzu zählen zum Beispiel die Persönlichkeit des Künstlers und die Facetten der jeweiligen Subkultur. Somit muss sich der Rezipient ein Urteil über die äußeren, objektiven Effekte auf die Musik, z.B. Marketingstrategien oder Technologien des Musikmachens, bilden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Berücksichtigung musikalisch stilistischer Veränderungen, wie sie z.B. bei einer Neupositionierung von statten gehen können (Vgl. Keightley 2001: 131).

2.2 Authentizität in der Rockmusik

Rock’s wide range of styles and genres, scenes and communities, are called ‘rock‘ because they are all invested in the overarching value of the authenticity. The individual gestures of ‘making music seriously’ may vary, the particular formulations of authenticity may differ; conflicts between them may drive rock forward. (Keightley 2001: 139)

Ebenso wie der Begriff „Authentizität”, hat auch der Begriff „Rock“ keine allgemeingültige Bedeutung. Rockmusik hat sich seit ihrem Aufkommen in den 1950er Jahren stetig verändert, weiterentwickelt und erweitert. Jeder Rezipient hat ein eigenes Verständnis davon, was für ihn „really rock“ ist (Vgl: Keightley 2001: 109 f.). Dieses Verständnis hängt vor allem von Einflüssen aus dem sozialen Umfeld und von Subkulturen ab.

Doch auch hier werden viele der verschiedenen Subgenres mit bestimmten Begriffen assoziiert. So werden dem Rock Eigenschaften wie Rebellion, Ernsthaftigkeit, Gegensätzlichkeit, Einzigartigkeit und Authentizität zugeschrieben (Vgl. Keightley 2001: 109 und 129). Selbst führende Rockkritiker, wie Jon Landau, Dave Marsh und Robert Christgau, schreiben der Rockmusik Eigenschaften, wie Authentizität, Kreativität und romantische kulturelle Tradition, zu (Vgl. Shuker 2008: 125).

Einige dieser Attribute gleichen denen des Authentizitätsbegriffs, sodass die Vermutung nahe liegt, Rock sei von Grund auf authentisch geprägt.

In der Regel wird Rock als Ganzes als authentischer wahrgenommen als Pop, da er als „handgemachter“ gilt. Rock wuchs als erste oppositionelle Form der Massenkultur heran und blieb in einem gewissen Maß dennoch Teil der populären Kultur (Vgl. Keightley 2001: 126). Jedoch muss auch dies differenziert betrachtet werden:

“As rock developed over time, it would eventually spawn styles and genres that moved away from mainstream rock and become part of true subcultures, such as hardcore punk or death metal in the 1980s. Elements of these subcultures might subsequently be incorporated into the mainstream, revitalising rock with their subcultural credibility and cachet. However, these rock-spawned subcultures contribute to a process of internal stratification that rock experiences only after it has begun to dominate the mainstream. […] At its very birth, rock is already a component of that mainstream.” (Keightley 2001: 127)

Rock ist also innerhalb des Mainstreams gewachsen, entwickelte jedoch zahlreiche Genres, die für sich sehr homogen und autonom sind und sich daher teilweise vom Mainstream Rock wegbewegen.

[Es] findet auch innerhalb von Szenen eine immer stärkere Spezialisierung und Differenzierung, z. T. sogar auch >>Radikalisierung<<, statt, die dadurch angestoßen und beschleunigt werden, dass jugendkulturelle Stile von den Medien und der Mode verbreitet werden. Hierdurch sehen sich insbesondere >>widerspenstige<< oder alternative Kulturen ihres Distinktionspotenzials bzw. des Distinktionspotenzials ihrer stilistischen Oberfläche beraubt.“ (Calmbach / Müller / Rhein: 4891)

So gilt eine musikalische Subkultur nur so lange als authentisch, wie sie nicht vom Markt oder den Medien entdeckt und vereinnahmt wird (Vgl. Calmbach 2007: 41).

Aus Sicht vieler Rockmusiker, Rezipienten und der Rockindustrie, grenzen Merkmale, wie Ernsthaftigkeit und Selbstsicherheit, den Rock vom trivialen und entfremdeten Mainstream ab (Keightley 2001: 127).

Der Mainstream und somit die Popmusik, ist z.B. insofern von ihrem eigentlichen künstlerischen Sinn entfremdet, dass hier häufig nur der Sänger als Musiker im Vordergrund steht. Instrumentalisten, Songschreiber und Produzenten rücken in den Hintergrund. Hier ist also der im Fokus der Rezipienten stehende Musiker, teilweise oder sogar vollkommen, von der kreativen Komponente der Musik losgelöst und nur noch ausführendes Element. Im Rock hingegen sind die Musiker meist in Bands aktiv und vereinen somit Sänger, Instrumentalisten, Songschreiber und häufig sogar Produzenten in einem. Rock sollte somit von Anfang an als mehr als nur Entertainment wahrgenommen werden (Vgl. Keightley 2001: 110). “Thus the distinctions made by rock culture effectively stratify the mainstream of popular music into ‘serious’ (rock) and ‘trivial’ (pop) components.” (Keightley 2001: 111)

Außerdem sei Rock im Allgemeinen tiefgründiger als Pop, selbstgesteuert und intelligent (Vgl. Shuker, 2008: S. 123). Rock habe mehr Gewicht als Pop, sei integrierter, aufrichtiger und ernsthafter und würde somit als authentischer wahrgenommen. Im Rock stellen die Musiker sich selbst dar und verbinden ihre Persönlichkeit und ihre Performance eng miteinander. Sie schlüpfen somit in keine künstliche Rolle (Vgl. Shuker, 2008: S. 124). Im Pop hingehen werden Images konstruiert und Künstlern als Marketingstrategie auf den Leib geschneidert. Sicherlich mag es auch im Rock, z.B. im Heavy Metal, zahlreiche Selbstdarstellungen geben, die von der eigentlichen Identität des Musikers abweichen. Jedoch handelt es sich hierbei meist um eine offensichtlich inszenierte Show, in der offengelegt wird, dass diese nicht allzu ernst zu nehmen ist. Im Pop hingegen werden Images, die nicht mit der Persönlichkeit des Künstlers übereinstimmen, dennoch als echt vermarktet, sodass der Rezipient hier getäuscht wird (Vgl. Borgstedt 2008: 35).

Authentizität steht somit zwar der Manipulierung von außen gegenüber, es ist jedoch nicht gänzlich auszuschließen, dass ein Künstler, oder Institutionen, die ihn umgeben, seine authentische Wirkung selbst nur konstruiert haben (Vgl. Menrath).

Doch Rock ist nicht gleich Rock. Die Vielzahl an Genres, Subgenres, Bands und Musikern ruft hier eine Diversität des Authentizitätsbegriffs hervor. Somit wird der Begriff in jedem Kontext individuell verwendet und interpretiert.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Authentizitätsverlust? Neupositionierung eines Künstlers und damit einhergehende Reaktionen der Rezipienten - am Beispiel Atreyu
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
20
Katalognummer
V193847
ISBN (eBook)
9783656191018
ISBN (Buch)
9783656191643
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Authentizizät, authentisch, inauthentisch, Metalcore, Atreyu, Rezipienten, Rockmusik, Genre, Popmusik, populäre Musik, Kommerz, Mainstream, kommerziell, Konvention, Genrekonvention, Neupositionierung, Diskussion, Zuschreibung, Debatte, Klang, Musik, Kultur, Metal, Selbstverwirklichung, Künstler, Band, Wahrnehmung, Echtheit, Aufrichtigkeit, Originalität, Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Innovation, Kreativität, Trend, Kommerzialisierung, Manipulation, Marketing, Marketingstrategie, Subkultur, Ästhetik, Label, Musiklabel, Vertrag, Major, Independent, Fan, Authentizitätsverlust, Glaubwürdigkeit, Musiker
Arbeit zitieren
Ariane Petschow (Autor:in), 2011, Authentizitätsverlust? Neupositionierung eines Künstlers und damit einhergehende Reaktionen der Rezipienten - am Beispiel Atreyu, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/193847

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