Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Entstehung der westlichen Wohlfahrtsstaaten
2.1 Ursprünge und erste Ansätze der Sozialpolitik des Abendlandes
2.2 Institutionelle Entwicklungen der modernen Wohlfahrtsstaaten
2.3 Modelle der Wohlfahrtsstaaten
3 Wohlfahrtsverständnis im Islam
3.1 Die sozialpolitischen Regelungen nach dem Islam
3.1.1 Soziale Institutionen nach den Vorgaben des Islams
3.1.2 Der Zakat als islamische (Almosen-) Steuer
3.2 Probleme bei der Anwendung der islamischen Gesetze im Mittleren Osten
4 Motive für das staatliche Engagement in der sozialen Wohlfahrt
4.1 Politische Systeme und deren Motivation zur Durchführung der Sozialpolitik
4.2 Die wirtschaftliche Situation als Basis zur Finanzierung der Sozialpolitik
4.3 Sozialpolitische Maßnahmen im Mittleren Osten
5 Vergleich sozialpolitischer Systeme anhand einiger Staaten des Mittleren Ostens
5.1 Die islamische Republik Iran
5.2 Das Königreich Saudi Arabien
5.3 Die Republik Türkei
6 Fazit
7 Quellen- und Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Sozialpolitik kann in den westlichen Staaten Europas und den USA auf eine mehr als einhundert Jahre alte geschichtliche Entwicklung zurückblicken und ist inzwischen in unterschiedlichen Formen in den Ländern präsent. So ist die Sozialpolitik in den meisten Verfassungen der abendländischen Staaten gesetzlich verankert und bestimmt die politische Ausrichtung der jeweiligen Länder, die dementsprechend als Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaaten bezeichnet werden. Die verschiedenen Phasen der Entstehung und Weiterentwicklung der westlichen Wohlfahrtsstaaten, als auch die gesellschaftlichen und politischen Einflüsse, die diese Vorgänge beeinflusst haben, sind sehr ausführlich erforscht worden. Hierbei spielen die christlichen Werte und die Ideen der Aufklärung, sowie die wirtschaftlichen Umbrüche der Industrialisierung eine wichtige Rolle beim Verständnis der sozialpolitischen Entwicklungen in den abendländischen Staaten. Die Demokratisierung der Gesellschaften war ebenfalls ein entscheidender Aspekt. Des Weiteren sind die verschiedenen Sozialsysteme der westlichen Länder in den Sozial- und Politikwissenschaften analysiert worden und anhand ihrer gesellschaftlichen, politischen und sozialen Eigenschaften in ländertypische Wohlfahrtsregime eingeteilt worden.
All diese wissenschaftlichen Arbeiten haben zu einer umfangreichen und nahezu lückenlosen Wissensbasis zum Thema der westlichen Sozialpolitik und Sozialstaaten geführt. Auf der Basis dieser Erkenntnisse, über die westlichen Sozial- und Wohlfahrtsstaaten, stellt sich unweigerlich die Frage, wie die Sozialpolitik in Staaten außerhalb des abendländischen Kulturkreises gestaltet wird. Welche kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignisse haben diese Staaten beeinflusst? Der Mittlere Osten ist aus politischer Sicht eine sehr wichtige Region, die für die Weltpolitik von großer Bedeutung ist. Diese Staaten sind fast ausschließlich islamische Länder. Das stellt einen wichtigen Unterschied zu den christlich geprägten westlichen Staaten dar. Die islamischen Kulturen sind nicht in den Maße von den oben erwähnten Einflüssen der Aufklärung, Demokratisierung und Industrialisierung geprägt worden, wie diese entscheidend zur Entstehung der abendländischen Sozialstaaten beigetragen haben. Hierbei ist interessant zu analysieren, ob und wie die Sozialpolitik im Mittleren Osten ausgestaltet wird. Dem Islam, der nahezu alle Bereiche der Gesellschaft dieser Länder durchdringt, soll hier eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, um zu erfahren, inwiefern er die sozialpolitischen Maßnahmen der relevanten Staaten beeinflusst. Zudem wird untersucht, wie die politischen Systeme, die in nahezu allen Ländern nicht demokratisch, sondern eher autoritär oder totalitär sind, die Sozialpolitik handhaben.
Die Arbeit zur Untersuchung der sozialpolitischen Begebenheiten im Mittleren Osten ist wie folgt aufgebaut. Es wird einführend auf die Sozialpolitik und Sozialstaaten nach westlichem Vorbild eingegangen. Hierbei wird die Entstehung der westlichen Wohlfahrtsstaaten kurz erläutert. Als nächstes werden sowohl die unterschiedlichen Institutionen, die im Laufe der Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten entstanden sind, als auch die verschiedenen Formen der Wohlfahrtsstaaten selbst, vorgestellt. Im dritten Kapitel wird auf den Islam eingegangen und versucht das Wohlfahrtsverständnis dieser Religion offenzulegen. Hierdurch soll eine erste Vorstellung von den kulturellen und religiösen Einflüssen des Islams auf die Sozialpolitik in den islamischen Ländern entstehen. Dadurch werden die sozialpolitischen Regelungen, die nach den Gesetzen und Werten des Islams vorgeschrieben sind, kurz erklärt. Auch hier wird zuerst auf die sozialen Institutionen des Islams und anschließend auf die Staaten des Mittleren Ostens eingegangen. Hierbei werden die politischen Systeme und deren Motive zur Durchführung sozialpolitischer Maßnahmen untersucht und die wirtschaftlichen und finanziellen Situationen der Staaten dargestellt, da diese die Grundlage der Finanzierung jeglicher sozialpolitischer Maßnahmen darstellen. Anschließend werden drei islamische Länder des Mittleren Ostens, nämlich der Iran, Saudi Arabien und die Türkei exemplarisch auf die oben dargestellten Merkmale islamischer Staaten hingehend erforscht. Hier stellt sich die Frage, wie die Sozialpolitik in diesen Ländern gestaltet wird und inwiefern diese Länder ihre sozialpolitischen Maßnahmen vom Islam leiten lassen. Des Weiteren ist es wichtig zu untersuchen, ob andere Einflüsse die sozialpolitischen Maßnahmen dieser Staaten beeinflussen. Abschließend wird im Fazit auf die anfangs gestellte Frage, inwiefern der Islam die Sozialpolitik der Länder des Mittleren Ostens beeinflusst, eine Antwort gegeben, um anhand dessen eine möglichst allgemeine Aussage über die Sozialpolitik der islamischen Staaten im Mittleren Osten machen zu können.
2 Entstehung der westlichen Wohlfahrtsstaaten
Um sich im Folgenden mit der Sozialpolitik in den Staaten des Mittleren Ostens beschäftigen und diese auch verstehen zu können, bedarf es einer genaueren Betrachtung der westlichen Staaten, insbesondere die Europas und der Vereinigten Staaten. Diese Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaaten haben eine lange und zum Teil auch gemeinsame Entwicklung vollzogen (vgl. Kaufmann 1997: 22ff.). Hierbei ist es wichtig einige Merkmale, der für den Westen typischen Sozialpolitik, herauszuarbeiten und zu hinterfragen, welche die Ursprünge und ersten Ansätze dieser Sozialpolitik waren. Des Weiteren ist es von Belang, welche Ziele sie verfolgten und auf welchen Werten diese aufgebaut waren. Danach soll dargestellt werden, welche Akteure und Institutionen für die sozialpolitischen Maßnahmen in diesen Staaten verantwortlich sind. Abschließend wird gezeigt, anhand welcher Merkmale die verschiedenen Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaaten voneinander unterschieden werden können.
2.1 Ursprünge und erste Ansätze der Sozialpolitik des Abendlandes
Aus geschichtlicher Sicht hat die Sozialpolitik der westlichen Staaten ihre Wurzeln im Mittelalter Europas. Sie basiert dementsprechend auf christlichen Werten, die die kulturellen Wurzeln dieser Entwicklung sind. So führten die kirchlichen und karitativen Einrichtungen in den Bereichen der Armenfürsorge die ersten Hilfen für die armen Bevölkerungsschichten durch (vgl. Ullrich 2005: 17). Die ersten Aktivitäten, die von Seiten der Staaten bzw. Regierungen Europas im Bereich der Sozialpolitik durchgeführt wurden, können unter anderem auf das 16. Jahrhundert in England, durch die Festlegung der Armengesetze, zurückgeführt werden. Im 19. Jahrhundert wurde der Staat in Deutschland, durch die Einführung von Sozialversicherungen, offiziell als Zuständige Instanz tätig. Es ist wichtig anzumerken, dass die Staaten hierbei erstmals ihre eigene Verantwortung und Pflicht, hinsichtlich der sozialpolitischen Belange der Bürger, anerkannten (vgl. Ullrich 2005: 19ff.). Diese historischen Entwicklungen können auch als die Anfänge der ersten Sozial- oder Wohlfahrtsstaaten gesehen werden.
Ausschlaggebend für die Genese dieser ersten Versuche der Einführung der Sozialstaatlichkeit waren die christlichen Werte der abendländischen Tradition und die Aufklärung. So beruhten die auf dem Christentum basierenden Überzeugungen auf humanitären Werten, die das Prinzip der Fürsorge, Solidarität und Gerechtigkeit zum Kern hatten (vgl. Jawad 2007: 27). Somit war auch die Kirche über die letzten Jahrhunderte stets bestrebt, das Denken und Handeln der Bürger mit diesen Werten zu beeinflussen und prägte das Verständnis des sozialen Wohlfahrtsstaates in den westlichen Ländern (vgl. Jawad 2007: 41ff.). Die Aufklärung verfolgte ebenfalls die Ziele, wie das Recht eines jeden auf Gleichheit und Freiheit in einem Staat (Kaufmann 1997: 41ff.). Es wurde versucht den Bürgern einen Anreiz zur Eigenverantwortung und Engagement zu geben, der sie aktiv zur Gestaltung der Gesellschaft animieren sollte. Dies wiederum sollte in der Summe durch den Staat zum Ausdruck kommen (Ullrich 2005: 23).
Des Weiteren hatten die sich verändernden Lebensumstände in den westlichen Ländern, die im Zuge der Industrialisierung auftraten, einen Einfluss auf das immer stärker werdende Verlangen der Bürger nach sozialpolitischen Maßnahmen (vgl. Bentz 2004: 16). Die Großfamilienverbände lösten sich durch die Verstädterung immer mehr auf und fielen als soziale Stütze weg. Die Gruppe derer, die von der Wohlfahrt bzw. der sozialen Unterstützung anderer abhängig waren, verlagerte sich in Richtung der immer größer und ärmer werdenden Arbeiterklasse (vgl. Ullrich 2005: 21). Somit waren es nun die Arbeiter, die nach sozialer Gerechtigkeit verlangten und dies mit Hilfe der Arbeitgeberverbände kundtaten. Die neu entstandene Arbeiterklasse organisierte sich vermehrt in Vereinen und Verbänden und propagierte offen die Missstände in der Gesellschaft. Die Regierungen wurden dadurch unter Druck gesetzt und somit zum Handeln gedrängt.
2.2 Institutionelle Entwicklungen der modernen Wohlfahrtsstaaten
Die kontinuierliche Veränderung der Lebensumstände und der Umwelt durch die Industrialisierung, Verstädterung und Modernisierung waren, neben dem Christentum und der Aufklärung, die Hauptantriebe der Herausbildung von Demokratien und Wohlfahrtsstaaten. Die Bürger versuchten, mit Hilfe von Gewerkschaften und sozialistischen Parteien, ihre Forderungen nach ausgleichender sozialer Gerechtigkeit durchzusetzen. Dieser Prozess war die Ursache der Herausbildung der ersten Interessensgruppen, nämlich der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die notwendig wurden, um zu friedlichen Konfliktlösungen zu gelangen. Auch der Staat war immer mehr daran interessiert, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten und ihre Legitimation zu sichern, was zur Gründung der ersten bürokratisch organisierten Institutionen führte, welche auf der Basis der ersten sozialpolitischen Gesetze arbeiteten. Die sukzessive Einführung verschiedener Sozialversicherungssysteme in den Achtzigern des 19. Jahrhunderts hatte die Inklusion immer größerer Teile der Bevölkerung zur Folge. Aber auch immer breitere Felder der Sozialpolitik wurden dem Zuständigkeitsbereich des Staates zugeordnet (vgl. Ullrich 2005: 23ff.). Kaufmann (1997: 40ff.) bezeichnet diesen Prozess als ein wichtiges Merkmal der Demokratisierung, Pazifizierung der Klassengegensätze und der politischen Stabilisierung.
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