Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Die ethnische Gruppe der Sorben
2.1 Zur Bezeichnung der ethnischen Gruppe der Sorben
2.2 Die historische Entwicklung der Sorben
2.3 Die Sprache der Sorben
2.4 Die Bräuche der Sorben
2.4.1 Die Osterreiter
2.4.2 Die Vogelhochzeit
2.5 Die Situation der Sorben heute
3. Der ethnografische Film
3.1 Definition des ethnografischen Films
3.2 Mögliche Rollen des Wissenschaftlers im Filmprozess
4. Die Analyse des Films „Sorbe sein, Sorbe bleiben“
4.1 Allgemeine Informationen
4.2 Der Inhalt des Films
4.3 Die Struktur und die gestalterischen Mittel des Films
4.4 Szenenanalyse
4.4.1 Anfangsszene: Der Brauch des Osterreitens
4.4.2 Szene: Sorbisches Dorffest (Schluss-Szene)
4.5 Das Interview mit den Filmproduzenten
5. Bewertung der filmischen Umsetzung des Themas
6. Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
Die ethnische Gruppe der Sorben ist eine der wenigen slawischen Gruppen, die ihre Bräuche, ihre Sprache und ihre kulturelle Identität bis heute zu einem großen Teil erhalten konnte. Ihre jahrhundertelange Geschichte ist von Ausgrenzung, Assimilation und Fremdbestimmung geprägt. In der ethnologischen Forschung wurden viele Werke zu diesem Thema verfasst. Seit dem Beginn des letzten Jahrhunderts steht der Volkskundenforschung allerdings auch ein weiteres Mittel zur Verfügung, um die Erkenntnisse über die verschiedenen Merkmale und die Entwicklungen des Brauchtums sowie der Traditionen von ethnischen Gruppen zu dokumentieren – der ethnografische Film. Sybille Roderer hat zusammen mit Martin Müller im Rahmen ihrer Magisterarbeit „Diskurse sorbischer Ethnizität“ einen Filmbeitrag zu den Sorben erstellt, welcher 1999 produziert und 2007 unter dem Titel „Sorbe sein, Sorbe bleiben“ von publiziert worden ist.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, den eben genannten Film unter der Fragestellung genauer zu betrachten, ob es sich dabei um einen ethnografischen Film mit all seinen Merkmalen handelt und mit welcher Intention der Film erstellt wurde. Daran anschließend wird untersucht werden, mit welchen filmischen Mitteln die Intention versucht wurde umzusetzen und inwiefern die Intention erfolgreich gewesen ist.
Um die genannten Ziele zu erfüllen, werde ich zunächst einen kurzen historischen Abriss zur Geschichte der Sorben, ihren Bräuchen und der Entwicklung ihrer Sprache erarbeiten. Es folgt eine kurze Charakterisierung des ethnografischen Films und seiner Merkmale. Zum Abschluss der Arbeit erfolgt die genaue Analyse des Filmbeitrages, welche eine Betrachtung der Struktur, der Intention sowie der filmischen Instrumente enthält.
2. Die ethnische Gruppe der Sorben
2.1 Zur Bezeichnung der ethnischen Gruppe der Sorben
Der Begriff „Sorben“ bezeichnet eine Gruppe von Westslawen, die vermutlich niemals politisch selbstständig waren.[1] Von dem 6. Jahrhundert nach der Zeitrechnung an bis 1933 war diese ethnische Gruppe in Deutschland als die Gruppe der „Wenden“ bekannt. Der Begriff der „Wenden“ geht wiederum auf die römische Geschichtsschreibung zurück und stellt einen Sammelbegriff für die slawischen Völker, welche im germanischen Raum lebten, dar.[2] Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die zuvor als „Wenden“ bezeichneten Slawen in der Oberlausitz nun als Sorben bezeichnet. Auch sie selbst haben diese Bezeichnung übernommen. Der Begriff entstammt aus dem obersorbischen „serbja“. In Abgrenzung zu den Obersorben bezeichnen sich die Niedersorben als „serby“ und auf Deutsch als „Wenden“.[3] Die unterschiedliche Bezeichnung gibt bereits einen ersten Hinweis auf die Separierung der Sorben untereinander. Inzwischen wurde der Begriff der „Wenden“ und „Wendisch“ für die gesamte Gruppe der Sorben, ihrer Kultur, Bräuche und Traditionen sowie ihrer Sprache neu belebt.[4]
2.2 Die historische Entwicklung der Sorben
Im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung bevölkerten slawische Stämme die Gebiete zwischen den Flüssen Oder und Neiße sowie den Fläming und dem Erzgebirgsvorland. In jener Ostkolonisation konnten sich die Sorben vor allem in der Lausitz eine eigenständige kulturelle Identität aufbauen. Bis zum 12. Jahrhundert konnten sich die sorbische Kultur mit ihren Bräuchen und Traditionen trotz der Christianisierung im 10. Jahrhunder[5] weitestgehend ungehindert entfalten. Dann begann allerdings bereits im 12. und 13. Jahrhundert die Ausgrenzung der Sorben: Zunächst wurde die sorbische Sprache verboten, dann folgte der Ausschluss der Sorben aus den Zünften. Bis zum 15. Jahrhundert wurde den Sorben der soziale Status von Leibeigenen aufgezwängt.[6] Erst im 16. Jahrhundert konnte sich die sorbische Kultur und die sorbische Sprache in der Lausitz weiterentwickeln. So wurde beispielsweise 1574 das erste Buch in sorbischer Sprache gedruckt.[7] Viele Sorben leisteten Widerstand gegen die Reformation. Dies hatte zur Folge, dass ein „katholisches Dreieck“ zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda entstand. Die fortwährende Diskriminierung und Assimilation der Sorben führte dazu, dass sich der Lebensraum der Sorben auf die Ober- und Niederlausitz zu konzentrieren begann. Seit diesem Zeitpunkt ist die sorbische Geschichte nur von diesen Gebieten aufgezeichnet worden.[8] Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts blieben die sorbischen Dörfer in der Lausitz ein einheitliches ethnisches Gefüge.[9] 1871 lebten in den Gebieten der Ober- und Niederlausitz 130 000 Sorben.[10] Nachdem die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Sorben bereits im 18. Jahrhundert begonnen hatte,[11] wurde mit der Gründung der „Domowina“ im Jahre 1912 eine der ersten Maßnahmen zum Erhalt der sorbischen Kultur getroffen.[12]
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde versucht, die Assimilation von Sorben zu den Deutschen massiv voranzutragen. Um dies zu erreichen, wurden 1937 sorbische Zeitungen und der Gebrauch der sorbischen Sprache verboten.[13]
Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte auch die politische Führung der DDR eine Einbindung der Sorben in den sozialistischen Staat zu erwirken. So wurde der sorbische Verein „Domowina“ in die SED mit eingebunden. Die Politik der DDR gegenüber den Sorben war dennoch zwiespältig und widersprüchlich: Zwar wurden den Sorben finanzielle Mittel für die Einrichtung eines eigenen Rundfunks, eines eigenen Verlags- und Lehrerbildungswesens übertragen, gleichzeitig wurde jedoch jedes dieser Institute staatlich überwacht und durch eben jene staatliche Kontrollen auf den sozialistischen Staat abgestimmt. So erfuhren die Bräuche der Sorben durch den Eingriff der SED in die Kulturpolitik zum Teil Ergänzungen und Veränderungen, während der Gebrauch der Bräuche wie auch der Sprache gefördert wurde.[14] Seit der Wiedervereinigung Deutschlands streben die Sorben nach einer Abgrenzung zur DDR.[15]
2.3 Die Sprache der Sorben
Der Sprachraum in den von den Sorben bewohnten Gebieten ist zweigeteilt. So wie es eine kulturelle Grenze zwischen den Ober- und Niedersorben gibt, so gibt es auch eine sprachliche Abgrenzung zwischen dem Obersorbischen und dem Niedersorbischen. Eine Übergangszone besteht in den Gebieten dazwischen. Von Muskau bis Senftenberg und von Hoyerswerda bis Weißwasser existiert eine Überlappung beider Sprachen. Diese Überlappung findet sich in ober- und niedersorbischen Dialekten und Mundarten wieder.[16] Seit dem Sprachverbot von 1938 sind alle Sorben zweisprachig geprägt. Neben dem Ober- bzw. Niedersorbischen beherrschen alle Sorben auch die deutsche Sprache.[17] Obgleich die Zahl der Sorbisch-Sprechenden stetig abnimmt, ist das Obersorbische nicht akut bedroht. Das Niedersorbische dagegen ist inzwischen eine akut bedrohte Minderheitensprache.[18] Bei den Sorben wird die Sprache als ein wesentliches Merkmal ihrer Kultur begriffen. Für sie ist deshalb der Verfall der sorbischen Sprache auch gleichzeitig ein Verfall der sorbischen Kultur.
2.4 Die Bräuche der Sorben
Die Bräuche und die Traditionen der Sorben sind aufgrund der von Beginn an bäuerlichen Kultur, der damit verknüpften Naturverbundenheit und tiefen Verwurzelung des katholischen Glaubens bei einem Teil der Sorben zu einem großen Teil Natur- bzw. Ernte- und religiöse Bräuche. Einige der Bräuche werden auch heute noch regelmäßig begangen. Beispiele für diese Bräuche sind das Hahnrupfen, das Hahnschlagen, das Maibaumstellen, das Maibaumwerfen, das Johannisreiten, die Fastnacht, das sogenannte Zampern, der Zapust, das Hexenbrennen sowie die Osterreiter und die Vogelhochzeit, wobei letztere im Folgenden exemplarisch erläutert werden sollen.
2.4.1 Die Osterreiter
Der Brauch des Osterreitens hat seinen Ursprung in den Flurumgängen für das Erbitten günstiger Bedingungen zugunsten des Aufgehens der Saat sowie der Bewahrung der Ernte vor Naturkatastrophen. Das Osterreiten ist der bekannteste Brauch der katholischen Sorben und wird seit 1540 jährlich zwischen den Gebieten Wittichenau und Ralbitz begangen.[19] Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Osterreiten 1490.[20] Im Verlauf des Osterreitens reiten 1000 männliche Sorben von ihrer Heimatkirche zu dem nächsten benachbarten Kirchspiel, um dort die Auferstehung Christi mit dem Tragen von traditionellen Trachten, traditionellen Gebeten und Gesängen in sorbischer Sprache zu verkünden. Der Festumzug besteht aus neun Prozessionen und ist beendet, wenn die Osterreiter zu ihrer Heimatkirche zurückgekehrt sind. Während des Umzuges werden die Kirchenfahne, das Kreuz und eine Statue des Auferstandenen mitgeführt. Die Durchführung des Brauches erfordert viel Vorbereitung und bedeutet einen hohen Aufwand für die Organisation der 1000 Pferde, festlichen Trachten und die Ermöglichung des Umzuges von einer Kirche zur nächsten. Der Grund, warum auch heute noch die aufwendige und kontinuierliche Durchführung des Brauches praktiziert wird, liegt in der engen Bindung der Sorben an ihren Glauben und in dem sorbischen Selbstbewusstsein.[21]
2.4.2 Die Vogelhochzeit
Bei dem Brauch der Vogelhochzeit handelt es sich um einen sorbischen Kinderbrauch. Er wird jährlich am 25. Januar begangen. Ab Vorabend des 25. Januars stellen dabei die Kinder einen leeren Teller auf das Fensterbrett, der am nächsten Morgen mit Süßigkeiten gefüllt an derselben Stelle steht. Der Brauch symbolisiert den Dank für das Füttern der Vögel im Winter. Der Dank kommt den Kindern dann in der Form von Teig- und Zuckerwaren zuteil. Dann folgt der eigentliche Inhalt der Vogelhochzeit. Dabei verkleiden sich die Kinder. Die Braut wird als Elster und der Bräutigam als Rabe verkleidet.[22] Es folgt ein Festumzug, bei welchem die traditionellen Trachten der Sorben getragen werden und ein Hochzeitsschmaus. Auch dieser Kinderbrauch hat seinen Ursprung in der Naturverbundenheit der Sorben, welche wiederum aus der bäuerlichen Kultur hervorging.[23]
2.5 Die Situation der Sorben heute
Die Sorben leben heute überwiegend in Brandenburg und in den sächsischen Gebieten um die Oberlausitz, Bautzen und die umliegenden Gebiete.[24] Sie leben aufgrund ihrer kulturellen Identität häufig in Dörfern. Zur Zeit gibt es noch ungefähr 60 000 in Deutschland lebende Sorben, von welchen circa 15 000 die sorbische Sprache sprechen. Seit dem 22.07.1997 gehören die Sorben nach dem „Gesetz zu dem Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten“ zu den schutz- und förderungswürdigen Minderheiten innerhalb der EU.[25] Seit der deutschen Wiedervereinigung versuchen sich die Sorben von ihrer DDR-Vergangenheit zu distanzieren und suchen nach einer „Brücke zum Osten“ zu ihren slawischen Nachbarn.[26] Sorbische Aktivisten versuchen dagegen die sorbische Identität zu modernisieren, die Anzahl der Sorben zu erhöhen und sich gegen den Stereotyp der rückständigen ländlichen Sorben zu wenden.[27] Trotz dieser Bestrebungen besteht auch heute noch ein Konflikt zwischen den Ober- und den Niedersorben. So weigerten sich beide Parteien, eine gemeinsame Region zu gründen.[28] Ein gemeinsames Problem haben allerdings alle Sorben: Die zunehmende Assimilation und Abwanderung sowie der drohende allmähliche Verlust der sorbischen Sprache und Kultur
[...]
[1] vgl.: Toivanen, Reetta: Minderheitenrechte als Identitätsressource. Die Sorben in Deutschland und die Saamen in Finnland. Hamburg 2001. S. 31.
[2] vgl.: ebd. S. 29f.
[3] vgl.: ebd.
[4] vgl.: ebd.
[5] vgl.: ebd. S. 45.
[6] vgl.: ebd. S. 32.
[7] vgl.: ebd.
[8] vgl.: Toivanen, Reetta: Minderheitenrechte als Identitätsressource. Die Sorben in Deutschland und die Saamen in Finnland. Hamburg 2001. S. 32.
[9] vgl.: ebd. S. 33.
[10] vgl.: ebd. S. 30.
[11] vgl.: ebd. S. 32.
[12] vgl.: ebd. S. 33.
[13] vgl.: ebd.
[14] vgl.: ebd. S. 35f.
[15] vgl.: ebd. S. 38.
[16] vgl.: „Serbja. Die Sorben in Deutschland. Serby.“ Hrsg. Von Stiftung für das sorbische Volk. 3. Auflage 1999. S. 12.
[17] vgl.: Toivanen, Reetta: Minderheitenrechte als Identitätsressource. Die Sorben in Deutschland und die Saamen in Finnland. Hamburg 2001. S. 43.
[18] vgl.: ebd. S. 44.
[19] vgl.: Fascyna, Hanka: Sorbische Bräuche. 2. Auflage. Bautzen 1996. S. 35.
[20] vgl.: Fascyna, Hanka: Sorbische Bräuche. 2. Auflage. Bautzen 1996. S. 35.
[21] vgl.: ebd. S. 31.
[22] vgl.: ebd. S. 7.
[23] vgl.: ebd. S. 8.
[24] vgl.: Toivanen, Reetta: Minderheitenrechte als Identitätsressource. Die Sorben in Deutschland und die Saamen in Finnland. Hamburg 2001. S. 29
[25] vgl.: Serbja. Die Sorben in Deutschland. Serby. Hrsg. Von Stiftung für das sorbische Volk. 3. Auflage 1999. S. 10.
[26] vgl.: Toivanen, Reetta: Minderheitenrechte als Identitätsressource. Die Sorben in Deutschland und die Saamen in Finnland. Hamburg 2001.S. 39.
[27] vgl.: ebd. S. 40.
[28] vgl.: ebd. S. 38.