Historische Siedlungselemente an der Küste


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

42 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Physische Grundlagen der Besiedlung des Nordseeküstenraumes
2.1 Küstenentwicklung
2.2 Moore

3. Wurtensiedlungen
3.1 Diachroner Überblick
3.2 Wirtschaftsformen auf den Halligen
3.3 Langwurten

4. Deiche
4.1 Die Anfänge der Bedeichung
4.2 Herrschaftliche Kolonisation und Deichreihensiedlungen
4.3 Deichbau und Deichschutz
4.4 Deichstrichsiedlungen

5. Elemente der Entwässerung
5.1 Siele
5.2 Sielhafenorte

6. Formen der Erschließung der Moorgebiete
6.1 Aufstrecksiedlungen des Mittelalters
6.2 Fehnkolonisation der Frühen Neuzeit
6.3 Moorbrandkultur und Deutsche Hochmoorkultur

7. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Konfrontation der Bewohner mit dem ständig vordringenden Meer und die Erschließung der Ungunsträume an der Küste und im Hinterland ließen das Küstengebiet zu einem besonders gearteten Siedlungsraum werden. Nachdem zunächst ein Überblick über die physischen Grundlagen im Nordseeküstengebiet erfolgen soll, wird im Anschluss auf einzelne Elemente eingegangen, die das Verhältnis des Menschen zum Meer und den zu erschließenden Neulandgebieten in der Marsch und im Moor ausdrücken. Hierbei werden nicht nur die Siedlungen selbst behandelt, sondern auch Elemente des Hochwasserschutzes, der Entwässerung etc., die zum Verständnis des Siedlungsraumes notwendig sind.[1]

Viele Elemente tauchen in den meisten mitteleuropäischen Küstenregionen auf, beispielsweise Deiche und Entwässerungsbauten – in einzelnen Regionen allerdings zeitlich stark versetzt. Aufgrund der großen vor allem vom Naturraum abhängigen regionalen Besonderheiten beschränke ich mich in dieser Arbeit aber auf den deutschen (vor allem niedersächsischen) Nordseeküstenbereich, da eine erweiterte Betrachtung den Rahmen sprengen würde. Hier prägen bis heute die behandelten Elemente wie Wurten, Deiche und Siele, aber auch die Formen der Marschen- und Moorkolonisation die gegenwärtige Kulturlandschaft.

2. Physische Grundlagen der Besiedlung des Nordseeküstenraumes

2.1. Küstenentwicklung

Im Rahmen des nacheiszeitlichen eustatischen Meeresspiegelanstiegs hat sich die Küstenlinie der Nordsee in den letzten 15.000 Jahren enorm verändert. Verlief sie vor 10.000 Jahren von Mittelengland nach Nordjütland, so hat sich seitdem durch einen weiteren Meeresspiegelanstieg von ca. 50 m die Deutsche Bucht ausgebildet. Um etwa 3000 v. Chr. schließlich erreichte die Küstenlinie das heutige Küstengebiet. à Abb. 1 zeigt die Entwicklung der nordfriesischen Küstenlandschaft seitdem; gekennzeichnet ist sie besonders durch zwei große Einschnitte: Die Flut von 1362, durch die im wesentlichen die nordfriesische Inselwelt entstand, und die Flut von 1634, der ein Großteil der Insel Strand zum Opfer fiel und die die Inseln Pellworm und Nordstrand hinterließ (à Titelblatt: einzige kartographische Aufnahme, die den Zustand vor 1634 dokumentiert).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Entwicklung der schleswig-holsteinischen Westküstenlinie.

Quelle: Riecken (1982), S. 17.

Die Grundlagen der Besiedlung wurden durch die Entstehung der Marsch und die Zonierung in die hohe Alte Marsch (Küstenwälle), die niedrige Alte Marsch (Sietland) und die Geest geschaffen. Mit der Transgression drang das Meer in die nacheiszeitlichen Schmelzwassertäler der Geest ein. Im Vorland der Geest lagerte sich das von den Fluten transportierte Material (Sand, Schlick) ab, aus dem schließlich der Marschboden hervorging: Im Uferbereich wurden die schwersten Bestandteile (Schlicksand) sedimentiert, so dass die Uferwälle der Alten Marsch entstanden; zum Geestrand hin (Sietland) wird die Korngröße und Mächtigkeit des Marschbodens geringer, der Tonanteil nimmt zu. In diesem Tiefland entstanden durch Süßwasserzufuhr aus der Geest Schilfsümpfe, Bruchwälder und Moore – während der hochgelegene Rand der Alten Marsch Ausgangspunkt der Besiedlung des Küstenraumes war, wurde das tiefer gelegene Sietland erst zur Zeit des hochmittelalterlichen Landesausbaus erschlossen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Zeit-Tiefendiagramm mit Kurve des Mitteltidehochwassers (MThw). Anstieg im Bereich der südlichen Nordseeküste.

Quelle: Müller-Wille (1984), S. 13.

Trotz der allgemeinen Tendenz des Anstiegs des mittleren Tidehochwassers wechselten sich Transgressionen (in neuerer Zeit: D[ünkirchen] I a/b, II, III a/b/c) mit Regressionen, die für die Torf- und Moorbildung eine Rolle spielen, ab (à Abb. 2).[2]

Dieser Wechsel von Transgressionen und Regressionen wird anhand eines Bodenprofils deutlich, in dem marine Sedimente (Ton, Schluff) eine Transgression und Torfbildungsprozesse ein Zurückweichen des Meeres anzeigen (à Abb. 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Schema des Bodenaufbaus im Küstengebiet bei Wilhelmshaven.

2.2. Moore

Einen bedeutenden Einfluss vor allem auf die neuzeitliche Siedlungsentwicklung hatten die Moore, deren Torf den Siedlern als Brennmaterial diente. In der Geologie ist von einem Moor die Rede, wenn eine mindestens 30 cm starke Torfschicht vorhanden ist; Torf sind geschichtete Pflanzenreste, die durch Feuchtigkeit und Luftmangel nicht vollständig verrottet sind.[3] Diese Torfproduktion läuft aber nicht überall gleich ab; zu unterscheiden sind hier vor allem Hoch- und Niedermoore. Niedermoore stehen unter Einfluss des nährstoffreichen Grundwassers und weisen somit eine üppige Vegetation auf. Durch den Sauerstoffreichtum des Grundwassers können die abgestorbenen Pflanzen schnell zersetzt werden, so dass die Torfproduktion gering ist. Hochmoore dagegen sind über der Mineralbodenoberfläche aufgewölbt, so dass sie ausschließlich vom Regenwasser gespeist werden (spärliche Vegetation, anspruchslose Pflanzen). Sauerstoffmangel und Feuchtigkeit lassen die Pflanzenreste, z.B. Torfmoose (sphagnum), nur unvollständig zersetzen; es kann eine mächtige Torfschicht entstehen.[4] Während die obere Schicht von schwach zersetztem Weißtorf gebildet wird, ist darunter der von den Siedlern als Brennmaterial erkannte stark zersetzte Schwarztorf anzutreffen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Moorflächen der Bundesrepublik Deutschland.

Quelle: Göttlich (1976), S. 31.

Aufgrund der physischen Voraussetzungen sind Hochmoore in Deutschland vorwiegend in den niederschlagsreichen Küstengebieten Nordwestdeutschlands anzutreffen (à Abb. 4).

3. Wurtensiedlungen

3.1. Diachroner Überblick

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Die Aufschlickung der Marsch mit dem Anseigen des Meeresspiegels in 3.000 Jahren und der Besiedlungsgang von den ältesten Flachsiedlungen über die Erhöhung der bewohnten Wurten bis zur Eindeichung.

Quelle: Seedorf & Meyer (1996), S. 115.

Bereits in der älteren Eisenzeit gab es an der südlichen Nordseeküste Flachsiedlungen (Bsp. Jemgum an der Emsmündung), die zumeist Einzelhofsiedlungen, aber auch bereits geschlossene bäuerliche Ansiedlungen waren.[5] Um Christi Geburt kam es nach Abklingen der D-I-Transgression zur großräumigen Landnahme entlang der Küste; auf dem Rücken des Brandungswalles der Alten Marsch wurden Flachsiedlungen angelegt, von denen viele in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten im Zuge eines erneuten Meeresvorstoßes (D-II-Transgression) aufgrund der nun erhöhten Überflutungsgefahr zu Wurten, also zu einigen Metern hohen Erdhügeln zum Hochwasserschutz, aufgehöht wurden (à Abb. 5).[6] Solche vor- und frühgeschichtlichen Wurtensiedlungen sind v.a. in den Niederlanden, aber auch an der deutschen Nordseeküste (mit Ausnahme von Nordfriesland) nachgewiesen; aufgrund der bevorzugten Lage auf dem Brandungswall gibt eine Verteilungskarte der Wurten Aufschluss über den Verlauf der alten Küstenlinie und die Existenz verlandeter Meeresbuchten (à Abb. 6).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Wurten überwiegend vor- und frühgeschichtlicher Zeitstellung in den Nordseemarschen.

Quelle: Müller-Wille (1984), S. 16.

Das durch langjährige Grabungen am gründlichsten erforschte Beispiel für eine frühgeschichtliche Wurt ist Feddersen Wierde, Teil einer aus acht Wurten bestehenden Siedlungsreihe auf dem ca. 1 m hohen und damit im Vergleich zum dahinterliegenden Sietland siedlungsgünstigen Uferwall nördlich der Wesermündung (im Land Wursten) (à Abb. 7 a).[7] Feddersen Wierde ist im 3. Jahrhundert n. Chr. aus mehreren Kernwurten zu einer länglich-ovalen Gesamtwurt mit einer Fläche von 3,5 ha zusammengewachsen. Bis zu 40 Bauernhöfen, dreischiffige Wohnstallhäuser, in denen eine Bevölkerung von bis zu 500 Einwohnern lebte, waren radial um einen zentralen Platz angeordnet (à Abb. 7 b) – ein Siedlungsmuster, wie es auf den Wurten noch bis in die Gegenwart fortbesteht.[8] Durch stets neues Aufschütten der Wurt erfolgte eine verzögerte Anpassung an selten erreichte Überflutungshöchststände.[9]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7 a: Siedlungsgebiete im Land Wursten. Quelle: Urkvitz (1997), S. 258.

Abb. 7 b: Feddersen Wierde. Dorfmodell (Siedlungshorizont 5: 3. Jahrhundert n. Chr.). Quelle: Kossack, Behre & Schmid (1984).

Feddersen Wierde, wie auch den anderen Wurten der Siedlungsreihe, stand eine Wirtschaftsfläche von ca. 300 ha (zumeist Weideland, aber auch Ackerland) zur Verfügung.[10] Im weiteren Verlauf der D-II-Transgression wurde jedoch aufgrund der vermehrten Überflutung und damit der Versalzung des Wirtschaftslandes den Bewohnern die Lebensgrundlage entzogen, so dass ein reiner Siedlungsschutz durch weitere Erhöhungen sinnlos war und somit auch im Küstenbereich ein Siedlungsabbruch im 4./5. Jahrhundert zu verzeichnen war. Erst im Frühmittelalter (7./8. Jahrhundert, in den Niederlanden schon früher) wurden diese alten Dorfwurten wiederbesiedelt bzw. neue Wurten entlang der Küste angelegt, womit seinen Anfang nahm, was in der Literatur auch als „Zweite deutsche Wurtenperiode“ bezeichnet wurde.[11] Auch dieser Prozess ist räumlich differenziert zu betrachten, so genügte in Nordfriesland noch ein „Hochsiedeln“ auf die hohe Alte Marsch; hier wurden die Siedlungsplätze erst im Hochmittelalter zu Wurten aufgehöht.

Auffällig auch bei diesen neueren Wurten ist die bereits erwähnte Persistenz der Siedlungsform, so besteht die radiale Anordnung von Höfen und Straßen um einen zentralen Platz, auf dem sich der Fething (eine Zisterne zum Aufsammeln des Regenwassers, da das Umland nur Brackwasser lieferte, sowie als Salzwasserabfluss bei Sturmfluten) und seit der christlichen Missionierung eine Kirche befindet, bis heute fort; deutlich wird dies am Plan der Wurt Rysum in Ostfriesland (à Abb. 8).[12]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8: Grundriss des Wurtendorfes Rysum 1872.

Quelle: Seedorf & Meyer (1996), S. 115.

Mit dem mittelalterlichen Landesausbau ab dem 9. Jahrhundert und der Erschließung von Neulandbereichen kam es auch an der Küste zu einem Ausbau von den Wurten in die Marschflur, in Form von kleineren Gehöftwurten oder von Flachsiedlungen. Mit der Fertigstellung einer geschlossenen Seedeichlinie im südlichen Nordseegebiet im 13. Jahrhundert kam es zur weiteren Aussiedlung und Wüstfallen vieler Wurten um 1200.[13] Aber nicht nur die Wurtensiedlungen, auch die Erdhügel überdauerten nur in wenigen Fällen bis in die Gegenwart, da der phosphatreiche Untergrund im 19. Jahrhundert als Düngemittel begehrt war und somit viele Hügel abgetragen wurden.[14]

[...]


Karte auf der Titelseite: Ausschnitt aus der „Landtcarte Vom Sudertheil des Hertzogthumbes Schleswieg, Anno 1650“ von Joh. Mejer. Ungefährer Maßstab 1 : 300.000

[2] Müller-Wille (1984), S. 9f.

[3] Göttlich (1976), S. 2.

[4] Göttlich (1976), S. 3ff.

[5] Haarnagel (1971), S. 91ff.

[6] Wurten befanden sich in den Niederlanden bereits während der D-I-Transgression, während die Entwicklung in Deutschland, v.a. in Nordfriesland, um einige Jahrhunderte verzögert verlief (Urkvitz 1997, S. 261ff.).

[7] Vgl. dazu auch Haarnagel (1971), S. 98ff.

[8] Seedorf & Meyer (1996), S. 114.

[9] Urkvitz (1997), S. 254.

[10] Schmid (1994), S. 249ff.

[11] Urkvitz (1997), S. 269.

[12] Haarnagel (1971), S. 107f.

[13] Nitz (1984), S. 56ff.

[14] Verhaeghe (1998), S. 375, Waterbolk (1996), S. 53.

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Historische Siedlungselemente an der Küste
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Geographisches Institut)
Veranstaltung
Historische Landschaftselemente und -strukturen
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
42
Katalognummer
V19435
ISBN (eBook)
9783638235686
Dateigröße
4401 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Historische, Siedlungselemente, Küste, Historische, Landschaftselemente
Arbeit zitieren
Björn Schreier (Autor:in), 2003, Historische Siedlungselemente an der Küste, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19435

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