I. Einleitung
Der Genfer Schriftsteller, Philosoph und Zivilisationskritiker Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) lebte in der Epoche der „Aufklärung“, die auch noch als „siècle des lumières“ oder „enlightment“ bezeichnet wird. Dabei handelte es sich um eine gesamteuropäische Strömung, die endgültig mit den Strukturen des Mittelalters brach (vgl. Wolfrum). Eine der Konsequenzen bestand darin, dass das 18. Jahrhundert von beständigen sozialen und politischen Spannungen geprägt war. Da Rousseau einen Großteil seines Lebens in Frankreich verbrachte, nahm er die katastrophalen Zustände der Gesellschaft und des Staatswesens im „Ancien Régime“ bewusst zur Kenntnis. Während dieser Zeit blühte das Geschäft mit dem Verkauf von Adelstiteln und Ämtern, zur Befreiung von steuerlichen Abgaben. Die Landbevölkerung war der Willkürherrschaft der Landesherren immer noch schutzlos ausgesetzt und die Erziehungsmethoden erinnerten eher an Disziplinierungsmaßnahmen und Drill. Besonders die hohe Staatsverschuldung und die unverhältnismäßige Verteilung der Steuergelder trugen wesentlich zur Krisenanfälligkeit der feudalen Herrschaft bei (vgl. Hecht 1998, S. 22-23)....
Auf der Grundlage seiner Werke-Diskurs über die Ungleichheit (1755), Der Gesellschaftsvertrag oder die Grundsätze des Staatsrechtes (1762) und Emil oder über die Erziehung (1762) – wird diese Arbeit zunächst untersuchen, wo genau nach Rousseau die Gründe für den fatalen Widerspruch und somit auch die Bedingungen für die Entfremdung des Menschen anzusiedeln sind. In diesem Zusammenhang wird versucht, die Entwicklung von Rousseaus Naturzustand hin zum Gesellschaftszustand nachzuzeichnen und die Differenzen zwischen den einzelnen Stadien aufzuzeigen. Des Weiteren wird der Versuch unternommen, herauszustellen was Jean-Jacques Rousseau unter den Kategorien Mensch und Bürger versteht und ob diese als alternative Existenzen zu dem gegenwärtigen, entfremdeten und modernen Menschen überhaupt denkbar sind. Dabei wird der Fokus der Analyse über den Bürger jedoch nicht primär auf die politische Dimension gerichtet, sondern vor allem auf die Metamorphose die die Individuen im Staat durchlaufen. Im Kapitel über den Menschen sollen vorwiegend die Inhalte der natürlichen Erziehung fokussiert werden. Außerdem soll die Entwicklung Emils an den Gesetzen der Notwendigkeit, Nützlichkeit und Sittlichkeit verdeutlicht werden. Schließlich soll geprüft werden ob diese beiden theoretischen Entwürfe auch praktisch umsetzbar sind.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Rekonstruktion der Entstehung des Übels
- II. a) Der Naturzustand: Stadium der ursprünglichen Güte
- II. b) Die Möglichkeit zur Transzendenz des Naturzustandes
- II. c) Der Gesellschaftszustand: Stadium der Selbstentfremdung
- II. d) Die Ambivalenz des Fortschritts
- III. Ansätze zur Lösung des gesellschaftlichen Widerspruchs: Mensch und Bürger
- III. a) Der Bürger im Staat der Tugend
- III. b) Der humane Mensch in der entarteten Gesellschaft
- IV. Kritischer Rückblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Bachelorarbeit untersucht Jean-Jacques Rousseaus Auseinandersetzung mit dem Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Existenz des modernen Menschen und seiner natürlichen Anlagen. Das Werk zeichnet die Entstehung des Übels und der Entfremdung des Menschen nach Rousseaus Theorie nach und beleuchtet die Diskrepanz zwischen dem "homme" und dem "citoyen" als mögliche Lösungen.
- Rousseaus Kritik am "Ancien Régime" und am Fortschrittsoptimismus der Aufklärung
- Der Naturzustand als Ausgangspunkt der Menschheitsgeschichte und seine Bedeutung für das Verständnis der menschlichen Natur
- Die Entstehung des Gesellschaftszustandes und die Folgen der Selbstentfremdung des Menschen
- Rousseaus Konzept des "homme" als Gegenentwurf zum "citoyen" und seine Bedeutung für die pädagogische Praxis
- Die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit von Rousseaus Modellen im heutigen Kontext
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den historischen und gesellschaftlichen Kontext von Rousseaus Werk vor. Sie beleuchtet die Kritik am „Ancien Régime“ und die Bedeutung der Aufklärung für die Entstehung der modernen Zeit.
Kapitel II rekonstruiert die Entstehung des Übels aus der Sicht Rousseaus, indem es den Naturzustand als Stadium der ursprünglichen Güte und den Gesellschaftszustand als Stadium der Selbstentfremdung beschreibt. Es werden die Gründe für den fatalen Widerspruch zwischen Mensch und Gesellschaft sowie die Bedingungen für die Entfremdung des Menschen beleuchtet.
Kapitel III präsentiert zwei Ansätze zur Lösung des gesellschaftlichen Widerspruchs: den Bürger im Staat der Tugend und den humanen Menschen in der entarteten Gesellschaft. Hier werden die Konzepte von "homme" und "citoyen" näher beleuchtet und ihre Bedeutung für die pädagogische Praxis diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit zentralen Themen wie Rousseaus Zivilisationskritik, der Entstehung der Ungleichheit, dem Naturzustand, dem Gesellschaftszustand, der Selbstentfremdung, der Diskrepanz zwischen Mensch und Bürger, der Pädagogik, der Erziehung und der Kritik am Fortschrittsoptimismus der Aufklärung. Weitere wichtige Begriffe sind "homme", "citoyen", "Diskur über die Ungleichheit", "Der Gesellschaftsvertrag" und "Emil oder über die Erziehung".
- Arbeit zitieren
- Catalina Kirsch (Autor:in), 2012, Mensch oder Bürger? Jean-Jacques Rousseaus alternative Ansätze als Gegenpol zum gesellschaftlichen Phänomen der Selbstentfremdung beim modernen Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194353