Leben und Werk von George Eliot


Essay, 2012

51 Seiten


Leseprobe


Der im Jahre 1773 geborene Robert Evans wurde wie sein Vater Tischler und Baumeister. Um 1799 wurde er Agent von Francis Parker, dem Squire von Kirk Hallam in Derbyshire. Er heiratete 1801. 1802 wurde der Sohn Robert, 1805 die Tochter Fanny geboren.

Sir Roger Newdigate, 5. Baronet Newdigate, unterhielt weite künstlerische Interessen. Er ließ seinen – auf ein Kloster zurückgehenden – Familiensitz Arbury Hall bei Nuneaton in Warwickshire im gotischen Stil umbauen und stiftete einen Literaturpreis. Trotz zweier Ehen starb er 1806, ohne Kinder zu hinterlassen. Der Titel erlosch. Das Anwesen erbte sein Cousin Francis Parker, der den Namen Newdigate annahm. Als Verwalter brachte er Robert Evans mit. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern bezog Evans die South Farm.

1809 starb Harriet Evans, kurz nach der Geburt eines Kindes, das sie nicht lange überlebte. 1813 heiratete Robert Evans Christiana Pearson, die Tochter ei­nes wohl­habenden Yeoman. (Yeoman waren Freibauern und kleine Grundbesitzer). 1814 wurde Christiana, genannt Chrissey, geboren, 1816 Isaac Pearson, und am 22. November 1819 Mary Anne. Es folgten 1822 noch Zwillinge, die nur zehn Tage lebten.

1820 zog die Familie in das Griff House, Chilvers Coton, ein geräumiges ziegelrotes Farmhaus an der Straße nach Coventry. Der jüngere Robert Evans ging als Vertreter seines Vaters nach Kirk Hallam. Schon mit fünf wurde Mary Anne in Miss Lathoms Boarding School gesteckt. Zu den größeren Kindern dort gehörte ihre Schwester Chrissey. Die Schule war drei Meilen von zu Hause entfernt, trotzdem durfte sie nur sonntags nach Hause.

1828 kam Mary Anne in Mrs. Wallingtons Boarding School in Nuneaton. Die wichtigste Lehrerin und Erzieherin dort war die noch nicht dreißigjährige, unattraktive, in Irland geborene Maria Lewis. Miss Lewis war eine begeisterte Anhängerin eines umstrittenen neuen evangelikalen Hilfsgeistlichen. – 1832 bis 1835 besuchte Mary Anne die Schule von Mary und Rebecca Franklin in der neuen Warwick Row in Coventry. Die beiden Misses Franklin waren Töchter eines baptistischen Predigers. Rebecca hatte bei einem in Paris absolvierten Schuljahr etwas Weltläufigkeit erworben. Mary Anne war ihren Mitschülerinnen weit voraus. Aus dieser Zeit ist ein Notizbuch mit einem Moralessay und einer Romanze aus der Zeit Crom­wells erhalten. (Zu den vielen Aufgaben ihres Vaters – Planung und Überwachung von Bauten aller Art bis hin zu Kohlenminen, Entwässerung von Feldern, Bewertung von Nutzholz – gehörte nach dem Reform Act von 1832 auch, Nachweise zu erbringen, daß treue Pächter die Voraussetzungen erfüllten und sich als Wähler eintragen lassen konnten.)

Am 3. Februar 36 starb ihre Mutter, am 30. Mai 37 heiratete ihre Schwester Chrissey Edward Clarke, den jüngeren Sohn eines Squire, der sich als Arzt in Meridan niederließ. Danach führe Mary Ann (wie sie sich jetzt schrieb) allein den Haushalt ihres Vaters. Sie las sehr viel, plante eine vergleichende Übersicht der Geschichte der Kirche, ihrer Spaltungen, Lehren und Irrlehren, und nahm bei einem italienischen Sprachlehrer Unterricht in Italienisch und Deutsch. (In einem Brief vom 23. 3. 40 teilt sie ihrer früheren Lehrerin Maria Lewis mit, wie Schiller und Goethe richtig ausgesprochen werden.) Sie schrieb Verse, die sie im Christian Observer veröffentlichte. 1839 war Elizabeth Tomlinson Evans, die Frau eines jüngeren Bruders ihres Vaters, in Griff zu Gast. In ihrer Jugend war sie zum Methodismus konvertiert und hatte als Predigerin Aufsehen erregt. – Am 8. Juni 1841 heiratete Isaac. Ein Vierteljahr zuvor hatte ihm Robert Evans seine Geschäfte übergeben und war mit seiner Tochter in ein Haus namens Bird Grove, in der Foleshill Road, Coventry, gezogen.

Coventry: Der Rosehill-Kreis (1841 – 1849)

Ihr Nachbar in der Folsehill Road war Abijah Hill Pears, 1841/42 Bürgermeister von Coventry. Mrs. Pears stellte Mary Ann ihrem Bruder, den Bänderfabrikanten, Philanthropen und Autor Charles Bray, vor. Brays Schwager Charles Hennell hatte eine Schrift Inquiry concerning the Origin of Christianity veröffentlicht, die Mary Ann bereits kannte. Charles Schwester Sara Sophia Hennell, sieben Jahre älter als Mary Ann, war Gouvernante in der Bonham Carter- Familie gewesen.

Anfang 1842 führten Mary Ann Evans Zweifel zu ihrer Weigerung, ihren Vater zur Kirche zu begleiten. Es wurden verschiedene Versuche zu ihrer Bekehrung unternommen; ihr Vater redete nicht mehr mit ihr und wollte allein in ein Cottage ziehen. Ihr Bruder Isaac und ihre Tante Elisabeth Tomlinson Evans bearbeiteten sie. Mary Ann lenkte ein, begleitete ihren Vater wieder sonntags zur Kirche und redete in seiner Gegenwart nicht mehr über religiöse Fragen. Aber damit war der „heilige Krieg“, wie die George-Eliot-Forscher das nennen, nicht vorbei. Der Plan einer Umsiedlung nach Meridan scheiterte daran, daß sich Edward Clark unaufhaltsam dem Bankrott näherte. Als Mary Ann ein paar Tage bei ihrer Halbschwester Fanny, jetzt Mrs. Houghton, zu Gast war, wurde ihr ein junger Künstler (eigentlich ein Bilder-Restaurateur) vorgestellt, der ihr auch gleich durch ihren Schwager einen Heiratsantrag machte (vgl. den Brief an Sara Hennell vom 6.4.45). – Mary Ann wurde dadurch nur noch stärker in den Rosehill-Kreis (so genannt nach dem Anwesen der Brays) hineingetrieben. Sie unternahm Reisen mit den Brays und den Hennells und besuchte Dr. Brabant, einen Arzt und Gelehrten, dessen Tochter Elisabeth Rebecca Brabant, genannt Rufa, Charles Hennell heiratete.

Rufa hatte begonnen, Das Leben Jesu von David Friedrich Strauß, einem Freund ihres Vaters, zu übersetzen. Doch nach ihrer Hochzeit war sie froh, daß Mary Ann Evans 1844 die Arbeit übernahm. John Sibree, der Sohn des Predigers der Independent Chapel (Mary Ann erteilte seiner Schwester Deutschstunden) und Wörterbücher halfen bei den griechischen und hebräischen Fußnoten des Originals. Förderer hatten Geld für das Projekt zur Verfügung gestellt. 1846 erschien das dreibändige Werk bei Chapman. Mary Ann bekam für ihre Arbeit zwanzig Pfund.

Danach suchte Mary Ann Erholung in anderer Lektüre. Der Brief vom 21.10.46 an Charles Bray ist ein frühes Beispiel ihrer Komik: „Lieber Freund, als ich Cara [Cara ist Mrs.Bray] schrieb, klagte ich, daß ich nichts Neues zu berichten hatte (…). Aber als ich am nächsten Tag im Arbeitszimmer saß, kam Mary mit einem albernen Ausdruck im Gesicht, und sagte, daß unten ein Gentleman wartet, der mich sehen möchte. Der Name auf der Karte war Professor Bücherwurm, Modrige Universität. Ich kam runter, nicht wenig erregt von der Vorstellung, daß ein leibhaftiger Professor im Haus ist (…). Und was sah ich? Einen lange, hagere Person mit großen Wangenknochen, langweiligen grauen Augen und schwarzen Zähnen. Wie die Romanautoren sagen, gebe ich Ihnen gleich, was das nach und nach hervorgeholte Ergebnis eines langen Gespräches war. Ich bat ihn, sich zu setzen, und dieser sehr schmutzige Professor begann in hinreichend gutem Englisch: >Madam, sie können sich nicht vorstellen, warum ich auf sie warte. Vor vierzehn Tagen kam ich nach London um – was ihnen ganz einmalig scheinen muß – eine Ehefrau zu suchen.< (Sicherlich ist er aus einer Irrenanstalt ausgebrochen, dachte ich, und sah abwechselnd nach der Tür und Schüreisen, und maß meine Entfernung zu beiden.) >Aber,< fuhr mein Professor fort, >es gibt gewisse Qualifikationen, die unverzichtbar sind bei der Person, mit der ich in diese Beziehung eingehe. Ich bin ein voluminöser Autor. Meine letzte Veröffent­lichung in fünf Bänden war ein Kommentar über das Buch Tobit. Ich habe auch eine lange Dissertation über das griechische Digamma, eine Abhandlung über den Buddhismus, die zeigt, daß das Christentum ganz von diesem orientalischen Aberglauben abgeleitet ist, und eine sehr genaue Untersuchung über die Daten, das Leben und den Charakter von Cheops geschrieben. An meinem Hauptwerk, mit dem ich hoffe, der Menschheit eine bleibende Wohltat zu erweisen, arbeite ich gerade. Es ist ein System der Metaphysik, das, wie ich nicht zweifle, die letzten Produkte des deutschen philosophischen Geistes übertreffen wird. Aber wie die meisten Autoren, wie unser gött­licher Schiller sagt, Bürger eines zukünftigen Zeitalters sind, sind auch meine Bücher in meinem Land nicht geschätzt. Nun wünsche ich, daß wenigstens England die Ge­legenheit hat, von ihnen zu profitieren; und da ich keine gleichgültige Person finde, die sie übersetzt, bin ich gezwungen, mir einen Übersetzer in Gestalt einer Ehefrau zu suchen. Ich habe in London sehr eifrige und ausgedehnte Nachforschungen über alle weiblichen Übersetzer des Deutschen angestellt. Ich fand sehr viele, aber ich benötige, außer der Fähigkeit zu übersetzen, eine sehr entschiedene Häßlichkeit der Person und ein Vermögen, das ausreicht, einen armen Professor mit Kaffee, Tabak und gelegentlich einem gezapften Schwarzbier zu unterstützen und auch einen Beitrag zu den Kosten der Publikation zu leisten. Nach sehr mühevollen Untersuchungen wurde ich an sie verwiesen (…).<“

Aus dem Jahr 1848 stammen die Briefe an John Sibree, der zögerte, wie sein Vater Geistlicher zu werden und schließlich (nach ihrem Rat) nach Halle ging und Hegel übersetzte: „Ich bin froh, daß Sie Mrs. Hannah Mores Briefe verabscheuen. Sie war das unangenehmste aller Ungeheuer, ein Blaustrumpf – ein Ungeheuer, das nur in diesen elenden, verlogenen Zustand der Gesellschaft existieren kann, wo eine Frau mit auch nur oberflächlicher Gelehrsamkeit und Philosophie zwischen singenden Mäusen und Karten spielenden Schweinen eingereiht wird. – Es ist schon eine Zeit her, das ich Tancred las, so daß ich keine lebhafte Erinnerung habe. Aber ich hielt es für sehr flach und in der Ausarbeitung Conigsby und Sybil unterlegen. Die Young-England-Bewegung ist, was die Form betrifft, so weit entfernt von meinen Sympathien wie die Jakobiten, auch wenn ich sie als Anstrengung zum Wohle des Volkes liebe und respektiere. D’Israeli ist zweifellos ein fähiger Mann, und ich genieße immer seine Tiraden gegen liberale Grundsätze, die populärem Grundsätzen entgegengesetzt sind. Aber seine Theorie der Rassen hat keine Grundlage und kann nur durch windige Beredsamkeit vertreten werden (…). Meine heidnische Natur sträubt sich gegen die Anmaßung der Überlegenheit der Juden. Ich verneige mich vor der Überlegenheit jüdischer Poesie, aber das meiste ihrer frühen Mythologie und fast ihre ganze Geschichte ist ziemlich abstoßend. Ihr Fond wurde von einem Moses und einem Jesus geschaffen, aber Moses war geprägt von ägyptischer Philosophie und Jesus wird von uns nur für das verehrt, womit er den Judaismus überstieg oder widerstand. (…) Denken Sie wirklich, daß Bildhauerkunst und Malerei aussterben?(…)“(11.2.) „Soll ich schreiben und sagen, daß ich Ihre Freude über die Französische Revolution teile? (…) Ich würde ein Jahr meines Lebens geben, um Zeuge einer solchen Szene zu werden, wie die, wo die Männer auf der Barrikade ein Bild von Christus, >der die Menschen als erster Brüderlichkeit gelehrt hat< trugen. (…) Ich habe wenig Geduld mit Leuten, die Louis Philippe und seine schnauzbärtigen Söhne bedauern. Unsere heruntergekommenen Monarchen sollten pensioniert werden; wir sollten ein Hospital für sie haben, oder eine Art Zoologischen Garten, wo diese verschlissenen Hampelmänner erhalten werden. Es ist nur gerecht, daß wir sie unterhalten, nachdem wir sie für jede ehrenhafte Arbeit verdorben haben. (…) Ich habe keine Hoffnung auf irgendeine Nachahmung bei uns. Unsere arbeitenden Klassen sind der Masse des französischen Volkes unterlegen. (…) Hier gibt es mehr eigennützigen Radikalismus und unbefriedigte, rohe Wollust (speziell in den länd­lichen und Minenbezirken) als Vorstellung und Verlangen nach Gerechtigkeit, so daß eine revolutionäre Bewegung bei uns einfach destruktiv wäre – nicht konstruktiv. Außerdem würde sie unterdrückt werden. Unser Militär hat keine Neigung zum fraternisieren. Sie haben dieselbe Hartnäckigkeit wie Hunde gegen die schlecht­gekleidete Kanaille. (…) Unser little humbug von Queen ist erträglicher als der Rest ihrer Art, weil sie ein gewisses ritterliches Gefühl hervorruft und nichts in unserer Verfassung langsame Reformen verhindert. (…)“ (8.3.)

Im Coventry Herald and Observer erschien 1846 eine Kritik von zwei Übersetzungen französischer Historiker. In Brothers in Opinon: Edgar Quinet and Jules Michelet wird das Übersetzen fremdsprachiger Literatur verteidigt; beide Bücher haben kirchliche Gegenstände, deshalb nimmt man an, daß diese Kritik von Mary Ann Evans stammt. (Alle Beiträge für Zeitschriften waren unsigniert.) In derselben Zeitung erschien im März 1849 die Kritik J.A.Froude‘s The Nemesis of Faith. Es geht in dem besprochenen Roman um einen Studenten, der Geistlicher werden will und in Oxford seinen Glauben ver­liert. Miss Evans zitiert daraus: „>Die Menschen, die Bücher schreiben, sind heute, wie Carlyle sagt, die Priester der Welt, die geistigen Leiter der Menschheit.<“

Mary Ann mußte sich in dieser Zeit immer mehr um ihren kranken Vater kümmern. Am 31. Mai 1849 starb Robert Evans. Er hinterließ ihr (anstelle von Haushaltsgegenständen, sie hatte ja noch keinen eigenen Haushalt,) £100 in bar und die jährlichen Einkünfte aus einem Vermögen von £2000.

London, 142 Strand: Die Westminster Review (1850 – 1854)

Fünf Tage nach der Beerdigung ihres Vaters reiste Mary Ann mit den Brays nach Europa. Nach zwei Monaten trennten sie sich, Mary Ann wollte den Winter in Genf verbringen. Zuerst wohnte sie in Campagne Plongeon, einer Pension am See, im Oktober zog sie in das Stadtzentrum und wohnte bei der Familie des Portraitmalers François D’Albert Durade. M. D’Albert war nur „vier Fuß“ groß und hatte ein verkrümmtes Rückgrat. Ihren Briefen nach zu urteilen, überlegte sie, Romane zu schreiben, und beobachtete die anderen Gäste für Charakterstudien. D’Albert begleitete sie im März 1850 nach England. Am 26. 3. schrieb Pollian (ihre Briefe an Sara Hennell unterschrieb sie immer mit Pollian) Sara: „Könntest du mir die Adresse des Gentleman schicken, der die Sammlung von Turner-Bildern hat, die er wöchentlich der Öffentlichkeit zeigt? Ich möchte sie M. D’Albert zeigen.“ (Natürlich hat er sie auch gemalt. Sein Gemälde folgt in den George-Eliot-Biographien auf die Skizzen, die Mrs.Bray und – nach der Abnahme eines phrenologischen Abgusses – Sara Hennell von ihr fertigten.) Nach kurzen Besuchen in Griff und Meriden bei ihren Geschwistern zog sie für sieben Monate zu den Brays nach Rosehill.

John Chapman hatte das philosophisch-theologische Werk eines Rechts­anwaltes veröffentlich und schlug Miss Evans vor, eine Kritik zu schreiben. Die Besprechung R.W.Mackay‘s The Progress of Intellect erschien im Januar1851 in der Westminster Review. Zuerst fragt Miss Evans nach den Sinn eines solchen Werkes: „Wir glauben mit August Comte, daß theologische und metaphysische Spekulation ihre Grenze erreicht hat, und das die einzige Hoffnung, die Quellen des menschlichen Wissens und Glücks zu erweitern, in der positiven Wissenschaft und der universellen Anwendung ihrer Prinzipien liegt.“ Aber wenig später folgt ihre Kritik des Positivismus: „Es kann bezweifelt werden, daß ein Geist, der keine Empfänglichkeit hat für das Vergnügen den Gesichtspunkt zu wechseln, eine entlegene Form des Denkens zu meistern, Identität in verschiedenen Erscheinungen festzustellen, – für eine Wahrnehmung, die eine Erweiterung des eigenen Seins ist –, die Flexibilität, Sympathie und Toleranz besitzen kann, die eine wahrhaft philosophische Natur auszeichnen.“ Sie zitiert Mackay: „>Der Glaube ist der unabtrennbare Begleiter und Quell des Wissens, und unterliegt, wie dieses, Veränderungen und Korrekturen.(…) In seinem fort­geschrittenen Stadien ist er ein legitimes Resultat der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten; er mag die Erfahrung über­steigen, aber er kann ihr nie wiedersprechen.<“ Was Mackay dann im einzelnen zu den Griechen und dem Juden sagt, wird von Miss Evans relativiert; vieles davon „ist deutschen Denkern lange vertraut.“ Der Unterschied zwischen dem Gott des Alten und dem des Neuen Testaments zeigt den Fortschritt in der Religion. Am Schluß heißt es: „Der Geist, der denkt, daß Moral und Glauben das hellste Licht, das der Verstand auf sie werfen kann, nicht ertragen, ist die schlimmste Form des Atheismus– auch wenn er sich selbst in heilige Roben und fromme Phrasen kleidet.“ Und, noch einmal mit Mackay: „>Die wahre religiöse Philosophie eines unvollkommenen Wesen ist kein System aus Bekenntnissen, sondern, wie Sokrates dachte, eine unendliche Suche oder Annäherung. (…) Wir haben lange gelernt, daß Wissen profitabel ist; wir beginnen, herauszufinden, daß es moralisch ist, und werden zuletzt auch ent­decken, daß es religiös ist.<“

Im Januar 1851 zog Miss Evans nach London, 142 Strand, in das Haus des Verlegers John Chapman, wo auch andere englische und amerikanische Intellektuelle logierten. Der Gegenstand ihrer nächsten Besprechung: W. R. Greg’s The Creed of Christendom, unterschied sich von Mackays Buch dadurch, daß es sich nicht auf irgendwelche Gelehrsamkeit stützte, sondern von den religiösen Bedürfnissen des Autors ausging. Gegen Ende erinnert sie an den im Vorjahr verstorbenen Charles Hennell, Gregs Buch wurde respektvoller behandelt als vor zwölf Jahren Hennells Inquiry; ein Zeichen wachsender Toleranz.

Nach zehn Wochen mußte Marian Evans (sie unterschrieb jetzt mit Marian) das Haus von John Chapman verlassen und nach Rosehill zurückkehren. Nach seinen Aufzeichnungen mußte er sie auf Druck seiner Frau und seiner Geliebten bitten, zu gehen; es gab auf dem Bahnhof eine bewegte Abschiedsszene. Doch im Mai kaufte Chap­man die Westminster Review. Er brauchte einen fähigen Heraus­geber – der nichts kostet –, fuhr nach Coventry und erklärte Miss Evans seine häus­liche Situation, er klärte die Dinge mit seinen Frauen zu Hause und im September konnte sie wieder einziehen. – Ihre Besprechung von Gregs Buch konnte dennoch nicht in der West­minster Review erscheinen, der alte Herausgeber brachte eine andere Besprechung. Sie erschien statt dessen im Leader, einem im Vorjahr von George Henry Lewes und Thornton Leigh Hunt gegründeten, wöchentlich erscheinenden Blatt.

In der ersten, von Marian Evans editierten Ausgabe der vierteljährlich erscheinenden Westminster Review erschien ihre Besprechung Thomas Carlyle’s Life of John Sterling. Dann versank sie für zwei Jahre völlig in ihrer neuen Arbeit. Sie mußte auswählen, kürzen und zusammenfügen; natürlich wußten die meisten Autoren, mit wem sie es zu tun hatten, auch wenn ihr Name nirgends erschien.

Die Bookseller’s Association hielt die Preise für Bücher künstlich hoch. Chapman hielt sich für aus Amerika eingeführte Bücher nicht an ihre Vorgaben gebunden. Als er daraufhin ausgeschlossen wurde, initiierte er ein Protestmeeting gegen ihre Praktiken. Marian schrieb am 5.5.52den Brays: „Das Meeting gestern nacht endete mit einem Triumph, und ich grüßte Mr. Chapman mit >See the Conquering hero Comes< am Piano um Mitternacht, als alle außer Herbert Spencer gegangen waren. Ich saß anfangs an der Tür, doch dann fand ich einen Platz im Raum und sah und hörte alles. Dickens nahm den Vorsitz ein – eine Position, die er bemerkenswert gut ausfüllte, indem er eine höfliche Neutralität einnahm und klar und entschieden sprach(…). Mr.Chapman las seine Erklärung sehr gut und sah in dieser Versammlung von Intellektuellen bedeutend und kultiviert aus. Babbage schlug die erste Resolution vor – ein häßlicher Mann und ein schlechter Redner, aber eine große Autorität.(…) Nebenbei habe ich ein paar Autogramme für Sara gesammelt.“ Der Vorschlag der Buchhändler, einen Schiedsrichter anzurufen, wurde abgelehnt. Wenig später löste sich die Book­seller’s Association auf.

Im Januar 52 lernte Marian Bessie Parkes kennen; die Tochter eines liberalen Unterhausabgeordneten, der die Strauß-Übersetzung finanziell gefördert hatte. Im Juni und Juli 52 besuchte Sara Hennells frühere Schülerin Hilary Bonham Carter mit einer Tante und ihrer Cousine Florence Nightingale Marian. Pollian schrieb am 16. 7. Sara: „Ich habe so ein Vertrauen in Deine Neigungen und Deine Abneigungen, daß ich sicher bin, daß jeder unvorteilhafte Eindruck von Deiner Hilary eher einem Fehler bei mir als bei ihr zeigt. Hättest Du mich nicht darauf vorbereitet, sie zu respektieren, würde ich sie für affektiert oder wenigstens ein bißchen versnobt halten. Ich war überrascht, daß ihre Freunde ganz das Gegenteil sind. Ich bin ganz angenehm beeindruckt von Barbara Smith – eine aus der tabuisierten Familie – die Bessy Parkes‘ intime Freundin ist.“ Barbaras Vater, ein Bruder von Florence‘ Mutter und von Hillarys Mutter und radikaler Unterhausabgeordneter, hatte seine Lebensgefährtin, eine fünfundzwanzig Jahre jüngere Putzmacherin, nicht geheiratet. Aus juristischen Werken und Kommentaren zu einigen Prozessen komponierte Barbara Leigh Smith A Brief Summary, in Plain Language, oft the Most Important Laws concerning Woman; together with a Few Observations thereon. Die nur 18seitige Broschüre erschien ab 1854 in mehreren Auflagen bei Chapman.

Marian verliebte sich in Herbert Spencer, der gegenüber in Räumen über der Redaktion des Economist, zu der er gehörte, wohnte. Spencer ging mit ihr ins Theater und die Oper. Sie verbrachte den außergewöhnlich heißen Sommer 1852 im Seebad Broad­stairs an der Ostspitze von Kent, und auch Spencer war zwei Wochen an der See. Spencer brach die Beziehung ab; sie blieben trotzdem Freunde. Am 10.Juli1854 schrieb Pollian Sara: „Herbert Spencers Artikel über die Entstehung der Wissenschaft ist großartig. Du mußt ihn lesen. Er wird in den Biographischen Nachschlagewerken des Jahres 1954 stehen als: >Spencer, Herbert, ein origineller und tiefgründiger philo­sophischer Autor, speziell bekannt für sein großes Werk x x x, das der Psychologie neue Impulse gab und auf das sich ihre gegenwärtige Stellung gründet. Das Leben des Philosophen gibt, wie das von Kant, dem Erzähler wenig Material. Geboren 1820etc.<“

Ende 1852 starb ihr Schwager Edward Clark. Marian fuhr Heiligabend von Rosehill nach Meridan. Am 31.12 schrieb sie den Brays aus London. „Ich bin gestern hier angekommen. Chrissey und ich meinten, daß es weiser für mich wäre, in die Stadt zurückzukehren, da es ihr nichts Gutes bringt, wenn ich noch eine Woche bleibe. Isaac, wie auch immer, war gekränkt, daß ich alles arrangierte, ohne ihn zu fragen, und geriet deshalb in Wut und sagte, daß er wünscht, daß ich >ihn nie um irgendwas bitten solle<, was, da ich das nie getan habe, so überflüssig war wie wenn ich sagen würde, daß ich keine Freundlichkeit von ihm annehmen würde. Aber er ist besser, als er sich zeigt, und ich habe keinen Zweifel, daß er freundlich zu Chrissey sein wird. Die Praxis wurde für £1200 verkauft, und wir hoffen, daß mit den Zinsen aus diesem und anderem Geld Chrissey über £100 im Jahr, unabhängig von Brüdern und Schwestern haben wird. Ich hoffe, daß ich etwas zugeben kann. Chrissey soll in einem Haus meines Bruders, das einst ihr gehörte, leben – natürlich mietfrei.“ Wenig später schreibt Marian den Brays, daß die Leute Chrissey anboten, ihre Kinder im Waisenhaus unterzubringen! – Am 16.4.53 schrieb sie Cara Bray: „Meine Hauptsorge ist Chrissey. Denk sie Dir in diesem häßlichen kleinen Haus mit sechs Kindern, die unweigerlich frech werden, wenn sie von abends bis in die Nacht so eng zusammengesperrt sind. Mit ihr in dieser gräßlichen Nachbarschaft zwischen bigotten Ignoranten zu leben ist mir unmöglich. Ich würde mich lieber umbringen und ihr mein Geld hinterlassen, das wahrscheinlich akzeptabler ist als meine Arbeit und Zu­neigung. Ich wage es nicht, die materielle Verantwortung zu übernehmen und sie von Isaacs Haus und seinen finanziellen Vorteilen wegzuholen. Ich kann krank werden und andere Dinge können passieren, die sie oder mich den Wechsel bereuen lassen.“

Chapman kämpfte ständig mit finanziellen Schwierigkeiten. In einem Brief vom 17.1.53 weist Marian Brays Angebot, die West­minster Review ihretwillen zu unterstützen, zurück. Am 18.3. 53 schrieb sie Bray: „Ich möchte mir mein Haar vor Enttäuschung über die nächste Ausgabe der W.R. ausreißen. Wir müssen das Papier bezahlen und es ins Feuer werfen. Die Englische Zeitgenössische Literatur ist schlimmer denn je, und die Artikel über Ruth und Villette sind unbefriedigend. Der eine ist halb so lang als er sein sollte. Ich bin ein schlechter Herausgeber.“ Elisabeth Gaskells Ruth und Charlotte Brontës Villette wurden von G.H. Lewes besprochen. – Den Sommer 1853 verbrachte Marian Evans in St.Leonards (heute ein Teil von Hastings). Von dort schrieb sie am 18.8. den Brays „Mr.Goethe ist einer meiner Begleiter hier“, vielleicht meint sie, daß sie Goethe las, vielleicht meinte sie Lewes, der gerade an dessen Biographie arbeitete.

Im November zog Miss Evans nach 21 Cambridge Street, wo sie Ludwig Feuerbachs Das Wesen des Christentums übersetzte. Gleichzeitig half sie Lewes bei seinem Buch über Comte. Mit Briefen an Chapman wollte sie eine ungünstige Kritik dieses Werkes verhindern: „Bitte senden Sie Huxleys Manuskript nicht an den Drucker, bevor wir uns wieder gesehen haben. Ich habe herausgefunden, daß er mit seiner Bemerkung über die embryological doctrine auf S. 33 von Lewes Werk im Irrtum ist, und daß der Spott, den er über seine Bemerkungen über die Gallionella ferruginea ausgießt, nicht gut begründet ist. (…) Die Sache ist um so wichtiger, als die Kritik von Mr.Lewes auf das ungeschmälerte Lob von Miss Martineau folgt. (…) Wie konnten Sie nur gegenüber Miss M. erwähnen, daß Sie die Druckfahnen von Mr. Lewes‘ Buch >in Miss Evans Räumen< gesehen haben? Ich denke, Sie müssen zugeben, daß ihre Bemerkung sehr unnötig war.“(15.12.) „Denken Sie wirklich, daß wenn Sie der Verleger von Mr. Lewes Buch wären und Bohn der Verleger von Miss Martineau, daß dann Mr. Huxley dasselbe geschrieben haben würde? Erzählen Sie das Ihrem Friseur!“(19.12.) Thomas Henry Huxley, der 1846 bis 1850 als zweiter Schiffsarzt an der Expedition der Rattlesnake nach Neuguinea und Nordaustralien teilgenommen hatte, bezeichnete in seinem Artikel Lewes als „einen bloßen Büchergelehrten“. – Im Jahr 1854 zogen die Chapmans nach 43 Blandford Square. Damit endete die Geschichte von 142 Strand als Treffpunkt radikaler Denker.

Der Anfang der Verbindung mit G.H. Lewes – Essays (1854 – 1856)

Vom 17. bis 26. 6. 54 war Marian das letzte Mal in Rosehill, neben Chapman war nur Charles Bray in ihre Pläne eingeweiht. Am 20. 7. reiste sie mit George Henry Lewes über Antwerpen und Frankfurt – wo sie Goethes Geburtshaus und die Judengasse besichtigten – nach Weimar. In England erhob sich sofort der Tratsch über die willenstarke Frau, die Lewes von Frau und Kindern weggelockt hatte.

Lewes hatte 1841 Agnes Jervis geheiratet. Bis 1848 wurden vier Söhne geboren; Charles Lee, Thornton Arnott, Herbert Arthur und der zweijährig verstorbene St.Vin­cent. Lewes unternahm viele Reisen nach Frankreich und Deutschland. Er schrieb historische Werke, zwei Romane und lieferte fast zwei Jahre für einen Wochen­lohn von £10 unter dem Pseudonym Slingsby Lawrence dem Lyceum Theatre Stücke, zumeist Adaptionen französischer Originale. (Die Thornton Hunts lebten mit den Glid­dons und den Samuel Laurence‘s 1845 bis 1849 im Royal Hill House, Queen’s Road, Bayswater, in, wie man ihnen glaubte oder unterstellte, einer „Phalanstère“ nach den Prinzipien des Utopisten Charles Fourier, d.h. nach dem einen Prinzip der sexuellen Freizügigkeit. Georges Eliots amerikanischer Biograph Gordon S.Haight zeigt, daß George und Agnes Lewes höchstens zu Besuch dort waren.) – Kurz nachdem 1850 die erste Nummer des Leader erschien, bekam Agnes einen Sohn, dessen Vater Thornton Hunt war. Hunt stammte aus einer alten Pflanzer­familie aus Barbados und hatte einen attraktiven dunklen Teint, den er seinen Kindern vererbte. Lewes ließ das Kind als seinen Sohn registrieren und nahm sich so die Möglichkeit, eine Scheidung zu betreiben. Als Agnes jedoch ihre Beziehung mit Thornton Hunt fortsetzte, betrachtete er seine Ehe als beendet.

Am 6. August 54 schrieb Miss Evans aus Weimar, 62a Kaufgasse, Chapman über ihren geplanten Artikel French Writers on Woman: „Sie müssen wissen, daß dieses Weimar – dieses Athen des Nordens – eher ein großes Dorf als eine Stadt ist, und wir müssen über uns selbst lachen, daß wir über diese oder jenes Buch gesagt haben: >O, wir werden es in Weimar bekommen.< Die Wahrheit ist, daß der Hof-Buchhändler einen Laden etwa so breit wie Mr. Tupling’s an der Strand hat. Ich habe Victor Cousins Buch, Saint Beuves >Douze Portraits de Femmes<, was bezaubernd sein wird, und Michelets >Femmes de la Revolution< bestellt. (…) Kingsleys Werke werde ich in Berlin bekommen. Sie wissen, daß ich kein fleißiger Schreiber bin, denn sonst könnte ich Bücher kritisieren, ohne sie gesehen zu haben.“ Am 10. 8. notiert Marian in ihrem Journal: „Eine halbe Stunde nach zehn kam Liszt, und nach einer angenehmen Plauderei lud er uns in sein Haus zum Frühstück ein.“ Liszt scherzte über den Roman, den seine frühere Geliebte Marie d'Agoult über ihn veröffentlicht hatte.

Im Oktober erschien in der Westmister Review Woman in France: Madame de Sablé, die in französische Salons des siebzehnten Jahrhunderts verlegte Utopie einer Gesellschaft, wo „weibliche Charaktere im Gespräch auf Gegenstände trafen, die Geister wie Richelieu, Corneille, dem Großen Condé, Balzac und Bossuet erfüllten. Diese berühmten Besucher des Hôtel de Rambouillet unterhielten nicht zuerst die Damen mit einem gestellten >small-talk<, um sich dann am Faustriemen zu nehmen und Dinge von wirklichen Interesse in einer Ecke zu bereden, sondern wollten ihre besten Ideen in einer sehr annehmbaren Art intelligenten und gebildeten Frauen präsentieren. (…) So wie die alten Postkutschwege durch den Bau der Eisenbahnen ihre Bedeutung verloren, so leitet der Journalismus Information aus dem Kanal der Konversation in den Kanal der Presse. Niemand ist mit einem begrenzteren Publikum als der sehr unbestimmten Öffentlichkeit zufrieden, und die Menschen äußern ihre Meinung nicht im Gespräch, sondern im Druck. Wir lesen das Athenaeum seitlich am Teetisch, machen uns bei einer Soirée Notizen aus dem Philosophical Journal, wir laden unsere Freunde ein, daß wir ihnen ein Buch anvertrauen dürfen, und wir unterstellen den Frauen ein Verlangen ihre eigenen Dinge zu besprechen, damit wir nach Belieben mit der Times rascheln können. Die offensichtliche Tendenz, persönliche Kommunikation immer weiter zu beschränken, läßt uns befürchten, daß die weitere Entwicklung des elektrischen Telegrafen uns zu einer stummen Gesellschaft reduziert, oder zu einer Art von Insekten, die mit raffinierten selbsterfundenen Antennen kommuniziert.“ Von Madame de Sablé kommt Miss Evans in ihrem Essay auf Pascal, Descartes, die Fronde und die Janseniten.

In Dover machte später Marian aus ihren Erinnerungen an Weimar einen Artikel, der in zwei Teilen im Juni und Juli 1855 in Fraser’s Magazine erschien. Three Months in Weimar enthält ihre ersten Eindrücke von der Dichterstadt. Sie beschreibt die Dichterzimmer im Schloß (der geschmackvolle kleine Wielandraum befriedigt mehr als die Säle, deren Wände mit Freskos nach Goethes und Schillers Werken geschmückt sind) und kommt zur Bibliothek. „Der von einer breiten Galerie umfaßte Hauptsaal ist geschmückt mit einigen sehr guten Büsten und einigen sehr schlechten Portraits. Die bemerkenswerteste Büste ist die von Gluck, von Houdon – ein erstaunliches Beispiel des Realismus in der Kunst. Der Bildhauer hat jede Pockennarbe wiedergegeben, er hat die Nase so knollig und unscheinbar, die Mund so gewöhnlich gemacht wie die Natur; aber er machte, was zweifellos die Natur auch machte – er läßt uns in diesen grobgeschnittenen Zügen die Gegenwart des Genius fühlen.“ Von dort kommt sie über Danneckers idealisierende Schillerbüste zu der makabren Geschichte von Schillers Totenschädel. – Liszt, Wagner, and Weimar stellt Liszt, den man in England nur als Virtuosen und Gesellschaftslöwen kannte, als Schriftsteller und Propagandisten von Wagners neuer Musik vor. Wagner will Opern, die mehr sind als ein Mosaik von Melodien: ein organisches Ganzes. Der Fliegende Holländer und Tannhäuser sind noch Werke des Überganges, hier gibt es noch Melodien. Aber Lohengrin „scheint uns gewöhnlichen Sterblichen wie das Pfeifen des Windes durch die Schlüssellöcher einer Kathedrale, das eine Weile einen träumerischen Reiz hat, aber nach und nach verlangt man selbst nach dem Klang einer Drehorgel, um die Monotonie zu durchbrechen.“ Bei der folgenden seitenlangen Wiedergabe der Handlungen dieser drei Opern wurde (wie sie in einer Fußnote angibt) ihre „Erinnerung durch Liszt‘ charmante Analyse oder eher Paraphrase“ unterstützt. – „Es ist charmant zu sehen, was für ein wirkliches Vergnügen der Theater­besuch für die Leute in Weimar ist. Es gibt kein Getue um Kleidung und Begleitung. Die Damen kommen alleine und nehmen ihre Plätze ein, ohne daß sie protection brauchen – ein Zeichen von Zivilisation, wahrscheinlich mehr als gleichwertig unserer Vorherrschaft in Patentschlössern und Wagenfedern – und wenn die Vorstellung vorbei ist, sieht man die­selben Damen ihren Dienern folgen, mit Laternen, durch Straßen unschuldig jeder Gasbeleuchtung, in denen gelegentlich eine Öllampe an einem von Haus zu Haus gespannten Seil die Spuren eines Wagens aufdeckt, in denen man bequem laufen kann.“ Zuletzt die Beschreibung der Umgebung von Weimar, darunter Tiefurt und der von Pückler entworfene Park auf dem Ettersberg.

Anfang November zogen sie nach Berlin, Dorotheenstraße 62. Sie sahen in der Oper Fidelio und Glucks Orpheus und Euridice. Marian arbeitete an der Übersetzung von Spinozas Ethik und der Prosa-Zitate für Lewes‘ Goethe. Das kalte Wetter verhinderte weitere Ausflüge. In ihrer letzten Woche besuchten sie unter anderem das noch un­fertige Neue Museum.

Während Lewes bei ihrer Rückkehr gleich nach London weiterfuhr, um mit Agnes die Dinge zu klären und seinen Goethe zu verkaufen, bleib Marian erst mal (vom 14. 3. bis 18. 4. 1855) in Dover. Für den Spinoza konnte Lewes keinen neuen Verleger finden. (Bohn war von dem Projekt abgesprungen.)Nach einem kurzen Aufenthalt in London zogen sie als Mr.und Mrs.Lewes nach East Sheen. Rufa Hennell und Bessie Parkes waren die ersten, die Marian nach ihrer Rückkehr besuchten. Chapman kam öfter nach East Sheen. Am 24. Juni bat er Marian, ihm bei der Korrektur seines langen Artikels The Position of Woman in Barbarism and among the Ancients zu helfen.– Mrs.Lewes übernahm für ein vierteljähr­liches Honorar von £12, 12s die Belles Lettres in der Westminster Review, später kam noch die Sektion Art hinzu. Sie schrieb auch für den Leader. (Thornton Leigh Hunt war dort inzwischen ausgeschieden, um Herausgeber des neugegründeten Daily Telegraph zu werden.) – Nach einem zwei­wöchigen Urlaub in Worthing zogen die Lewes‘ Anfang Oktober nach Rich­mond. Charles Bray besuchte sie dort. Ansonsten lebten die Lewes‘ in Richmond sehr isoliert. Auch enge Freunde wie Cara Bray miß­billigten die Verbindung. Am 1.Januar 1856 schrieb Marian Charles Bray: „Ein glückliches neues Jahr! Ich habe den Brief, wo Sie mich einluden, auf dem Weg zu meiner Schwester Sie zu besuchen, nicht beantwortet. Ich bin sicher, daß er mit den freundlichsten Absichten geschrieben wurde, aber wenn Sie zweimal nachgedacht hätten, würden Sie sehen, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß ich eine doppelt so lange Reise mache und durch ganz Coventry laufe, um ein Haus zu besuchen, wo ich nur die Einladung vom Herrn des Hauses hatte. Ich fuhr mit dem Expreß in zwei Stunden von London nach Nuneaton und kehrte auf demselben Wege zurück. In dieser Saison möchte man Eisenbahn­reisen so viel wie möglich abkürzen.“ – Der Hauptteil von Lewes‘ Einkünften ging für den Unterhalt seiner Kinder und die Bezahlung von Agnes‘ Schulden drauf. Es wurde daran gedacht, sie nach Strout zu schicken, wo Marians alter Freund John Sibree als Tutor arbeitete. Sara schickte ein Prospekt einer Schule in Hofwyl bei Bern. Die Depression und der Krimkrieg hatten Brays Einkünfte so reduziert, daß er Rosehill verkaufen und zu Sara und ihrer Mutter nach Ivy Cottage ziehen mußte.(Vgl. den Brief an Sara vom 6. 4.56)

In Charles Kingsley‘ Westward Ho! freut sich die Rezensentin, nach vielen psycho­logischen Romanen, in denen das Leben ganz aus Reden und Tagebüchern zu bestehen scheint, endlich wieder eine erregende historische Romanze zu lesen. „Wir sehen aus Prinzip davon ab, die Romanhandlung mitzuteilen. Das scheint uns, wie Geranien aus dem Blumentopf des Nachbarn zu stehlen, um sie in unser Knopfloch zu stecken.“ Der Roman spielt zur Zeit Elisabeth I, der Held segelt mit Francis Drake nach Südamerika und kämpft gegen die spanische Armada. Bei Kingsley sind alle Spanier und Katholiken schwachsinnige Verbrecher. In einem Exkurs wendet er sich gegen eine „kuriose Passage“ bei Humboldt: Die Indianer sind nicht, wie Humboldt entgegen der Bibel behauptet, Zeugen eines Naturzustandes, aus den wir uns alle erhoben haben, sondern gefallen und verdammt, „>eine Theorie, die vielleicht traurig ist, aber dennoch ehrenvoller, als die Theorie, daß wir alle als eine Art zweihändiger Affen begannen.<“ Mrs. Lewes weist ihn zurecht; laut der Bibel kam die Verdammnis zu Adams Zeiten und vor der Entstehung der Völker! – C.W.S. Brooke’s Aspen Court „wurde aus diversen Nummern von Bentley’s Miscellany in drei Bände gesammelt. Wie alle Literatur, die für Periodika geschrieben wurde, trägt der Roman den Stempel der Forderung periodischer Effekte, die der natürlichen Entwicklung der Charaktere und der Ereignisse entgegengesetzt ist. (…) Das große Verdienst des Buches sind Lebendigkeit, witzige Reden und Humor. Zum Beispiel: zwischen den clerks in einem Anwaltsbüro ist Mr. Maunder, der >eine gute Handschrift hatte, Geld von jedem neuen clerk borgte und als Atheist galt, weil er nie schwor, und weil er entdeckt wurde, als er Voltaires Geschichte von KarlXII. las.<“ – Die Rezension von Robert Browning’s Men and Women besteht zu zwei Dritteln aus Zitaten; darunter das Poem Fra Lippo Lippi. Mrs. Lewes war von dem inhaltsreichen, dramatischen Kunstwerk angeregt. Zuletzt schreibt sie jedoch: „Wir verehren seine Kraft, aber wir sind nicht überwältigt. (…) Er hat Verse als sein Medium gewählt, aber bei unseren größten Dichtern fühlen wir, daß sie keine Wahl hatten. Die Verse wählten sie. Trotzdem sind wir Browning dankbar, daß er diese Medium wählte. Wir haben lieber Fra Lippo Lippi als ein Essay über Realismus in der Kunst.“

Neben der Belles Lettres-Sektion der Westminster Review schrieb Mrs. Lewes für fast jede Ausgabe ein gesondert honoriertes Essay: Memoirs of the Court of Austria ist die mit vielen Zitaten ausgeweitete Besprechung von Eduard Vehses zig-bändiger Geschichte der deutschen Höfe. In den Souvenirshops der Schloßmuseen werden heute Auszüge aus diesem Werk verkauft; damals waren sie in vielen deutschen Ländern verboten und Vehse galt als Liberaler. – In Evangelical Teaching: DrCumming nimmt Mrs.Lewes einen populären Prediger und Autor diverser theologischer Bücher auseinander. „Gegeben ein Mann mit einem gemäßigten Intellekt, einem moralischen Standard nicht höher als der Durchschnitt, einiger rhetorische Fülle und Zungenfertigkeit. Wo ist das gelobte Land der Mittelmäßigkeit, wo bruchstückhaftes Wissen als profunde Gelehrsamkeit gilt, wo man Platitüden für Weisheit hält, Bigotterie für heiligen Eifer, salbungsvollen Egoismus für Gott-gegebene Frömmigkeit. Laßt solch einen Mann evangelikaler Prediger werden (…)! Laßt ihn praktische Extreme scheuen und nur in der reinen Theorie ein Ultra sein; laßt ihn streng über Prädestination, aber liberal beim Fasten sein; unerschrocken auf die Ewigkeit der Verdammnis bestehen, aber zurückhaltend bei der Beschneidung der Zeit für häus­liche Bequemlichkeiten; dringlich und phantasievoll bei der Wiederkunft von Christi, aber kühl und vorsichtig zu jeder anderen Verletzung des Status quo. Laßt ihn weniger von Christus als vom Antichrist predigen(…). Auf diese Weise bekommt er eine Kanzel in der Hauptstadt, die Wege zu seiner Kirche werden so voll sein wie die Passagen an der Oper, er gibt seine prophetischen Predigten in Druck und läßt sie in Lila und Gold binden, und sie werden auf den Wohnzimmertischen evangelikaler Damen als eine Art frommer >leichter Lektüre< betrachtet werden, und der Beweis der Prophezeiung der Heuschrecken, deren Stachel in ihrer Taille ist, ist dadurch erbracht, daß der Türkische Befehlshaber einen Pferdeschweif als Standarte führt, und die Franzosen sind die Frösche, die in der Offen­barung vorausgesagt werden.“ – „Der einzige Typ eines Ungläubigen, dessen Existenz Dr. Cumming erkennt, ist die fossile Gestalt, die die Bibel eine Lüge und Fälschung nennt. Er scheint unwissend – oder ignoriert die Tatsache –, daß es eine große Menge ernster und gebildeter Leute gibt, die die hebräischen und christlichen Schriften als Serie historischer Dokumente betrachten, die ent­sprechend der Regeln historischer Kritik behandelt werden sollten; und daß es eine ebenso große Anzahl von Menschen gibt (…), die das dogmatische Schema, daß man auf der Schrift aufgebaut hat, ihren tiefsten moralischen Überzeugungen entgegen­gesetzt finden. Dr.Cummings Ungläubiger ist ein Mensch, der, weil sein Leben sünd­haft ist, andere zu überzeugen sucht, daß es keinen Gott gibt.“ Der Text schließt: „Sein Glauben verpflichtet ihn oft, das Schlimmste von einem Menschen anzunehmen, und in dem Beweis, daß das Schlimmste wahr ist, seine Kraft zu zeigen. Wir sind darin glücklicher als er. Wir haben keine Theorie, die es erfordert, Dr.Cumming niedrige Motive zu unterstellen, keine Meinungen, aufgrund derer es eine Befriedigung wäre, Vergehen bei ihm zu finden. Im Gegenteil, je besser wir von ihm als Menschen denken, um so stärker ist der Beweis für unsere Überzeugung, daß das Streben zum Guten im Menschen so stark ist, daß keine Überzeugung dagegenhalten kann, und daß der letztendliche Triumph dieses Strebens über alle dogmatische Perversion sicher ist.“ (Am 15.10.55 schrieb Marian Bray: „Da Sie den Cumming entdeckt haben, schreibe ich Ihnen, um Ihnen zu sagen, daß er von mir ist, aber ich bitte Sie, es niemanden zu verraten. […] Der Artikel scheint einen starken Eindruck gemacht zu haben, und diesem Eindruck wird ein wenig entgegengewirkt, wenn bekannt würde, daß der Artikel von einer Frau ist. Ich erhalte Briefe, adressiert an >den Autor des Artikels Nr, 4<, die mich >zum Wohle der Menschheit im All­gemeinen< um einen Separatdruck bitten.“) – German Wit: Heinrich Heine und The Natural History of German Life zeigen, wie Mrs.Lewes versuchte das Land, von dem sie in ihrem achtmonatigen Aufenthalt nur wenig sah, besser kennen zu lernen. Die Grundlage von The Natural History sind die Werke des Volkskundlers Wilhelm Heinrich Riehl.

Im Leader veröffentlichte Mrs. Lewes: The Morality of Wilhelm Meister, ein Nebenprodukt von Lewes‘ Goethebuch. In Lord Brougham’s Literatur verspottet sie einen grade beschäftigungslosen Politiker, der meint, Bücher schreiben zu können. – „Ein kleines Bändchen, aber ein großes Buch!“, beginnt The Antigone and its Moral. „Es ist eine sehr oberflächliche Kritik, die Kreon als falschen Tyrannen und Antigone als unschuldiges Opfer interpretiert. So grobe Kontraste sind nicht der Stoff großer Dramatiker. Die Kunst von Sophokles zeigt sich darin, daß er uns fühlen läßt, daß sowohl Kreon als auch Antigone, während sie tun, was sie für richtig halten, sich bewußt sind, daß sie, während sie einem Prinzip folgen, ein anderes verletzen; und es ist dieses Bewußtsein, das die Erbitterung von Kreon und den Trotz Antigones wachsen läßt. (…) Aber ist tatsächlich der Gegensatz gültiger Prinzipien eine Besonderheit des Poly­theismus? Ist es nicht eher so, daß der Kampf zwischen Kreon und Antigone den Kampf zwischen elementaren Streben und etablierten Gesetzen zeigt, durch den das äußere Leben der Menschen schrittweise und schmerzhaft in Harmonie mit seinen inneren Bedürfnissen gebracht wird? Bis diese Harmonie erreicht ist, werden wir niemals ein großes Recht erlangen, ohne Unrecht zu tun. Reformer, Märtyrer, Revolutionäre kämpfen nie nur gegen das Böse; sie bringen sich auch immer in Gegensatz zu einem Guten, einem gültigen Prinzip, das nicht ohne Schaden ver­letzt werden kann. Wer eine unrecht­mäßige Steuer nicht zahlt, riskiert einen Bürger­krieg; wer gegen falsche Doktrinen predigt, stört schwache Geister und läßt sie auf einem Meer des Zweifels irren; wer neue Straßen baut, zerstört angestammte Ansprüche; wer eine neue Region kultiviert, rottet alte Völker aus. Wo immer die Kraft des menschlichen Geistes, oder seine Moral, oder seine Neigung, ihn in Gegensatz zu Regeln bringt, die die Gesellschaft sanktioniert hat, da erneuert sich der Konflikt zwischen Antigone und Kreon.“

In der Arts-Sektion der Westmister Review besprach sie im April 1856 John Ruskin’s ModernPainters,Vol.III. Das Buch – mit dem Untertitel „Of Many Things“ läßt sich auch mit Gewinn lesen, wenn man die ersten beiden Bände nicht kennt. Es geht um allgemeine Prinzipien der Malerei, später spezieller der Landschaftsmalerei (darin aber auch ein Diskussion der Darstellung von Landschaften in der Literatur), der letzte Abschnitt heißt: Teachers of Turner. Die Wahrheit, die Ruskin lehrt, ist Realismus; „Die Akzeptanz dieser Lehre würde unser Leben erneuern, und wer ihre Anwendung in allen Bereichen des menschlichen Lebens mit solcher Gewalt wie Mr.Ruskin lehrt, ist ein Prophet seiner Generation.“

Die Geburt von George Eliot (1856 – 1858)

Lewes wandte sich nach seinem Goethebuch der Naturwissenschaft zu, borgte sich von einem Nachbarn ein Mikroskop und reiste mit Marian am 8. Mai 1856 nach Ifra­combe an die Nordküste von Devon. Sie schrieb an der Natural History of German Life und den Belles Lettres für die Juliausgabe, er begann seine Seaside Studies; gemeinsam kratzten sie Anemonen von den Felsen ab und untersuchten Seegurken. In ihrem Ifracombe Journal schrieb Marian: „Es gibt kaum eine häßlichere Stadt – eine häßlichere Ansammlung menschlicher Nester zwischen wunderschönen Bergen, als Ifracombe. Die Farbe der Häuser ist vom blassesten, düstersten Grau und die Straßen sind rechtwinklig und gewöhnlich. Übertroffen wird das Ganze in Häßlichkeit und Höhe von zwei >Terraces<, zwei Linien fabrikähnlicher Gebäude auf den Hängen des grünen Berges. Von unseren Fenstern hatten wir einen Blick auf den oberen Teil der Stadt, und im allgemeinen war er uninteressant. Aber was gibt es, das Licht nicht in Schönheit verwandeln kann? Eines Abends, nach einem Schauer, ging die Sonne über der See hinter uns unter und die Anordnung der Wolken warf ein köstliches Abendlicht auf das unregelmäßige Muster der Häuser und verschmolz die Häßlichkeit ihrer Formen in eine exquisite Farbenflut. (…) Lantern Hill ist ein pittoreske Masse von grün und grau, auf der sich ein altes Gebäude befindet, das aussieht, als wäre es die Behausung einer Molluske, die seine Schale aus dem Material des Felsens gewonnen hat. In bergigen Distrikten, wo Häuser und Ansammlungen von Häusern so klein vor den großen Gliedern von Mutter Erde wirken, kann man sich nicht dagegen wehren, im Menschen ein parasitäres Tier zu sehen – ein epizoon, das auf der Haut des planetarischen Organismus wohnt.(…) Fast jeder Yard des Wegesrand ist ein >Hunt<-Bild [nach William Holman Hunt] – ein köstliches Gedränge von Moos und Klee und wilden Erdbeeren, und kleinen und großen Farnen. (…) Ich sehnte mich nie so sehr, die Namen aller Dinge zu kennen, wie während unseres Besuches in Ifracombe.“

Nach sieben Wochen reisten sie nach Tenby an der walisischen Küste, wo sie weitere fünf Wochen blieben. Dort besuchte sie für vier Tage Barbara Smith, die ihr von ihrer Affäre mit Chapman erzählte und malte. – Marian hatte ihre Beiträge an die West­minster Review abgeschickt, und Lewes drängte sie in Tenby, einen Roman zu beginnen. Doch nach ihrer Rückkehr nach Richmond erfüllte sie zunächst weiter ihre Verpflichtungen für die Zeitschrift. Lewes nahm am 25. August an der London Bridge Station von Agnes seine beiden ältesten Söhne in Empfang und brachte sie nach Hofwyl. (Ein Jahr später brachte er auch Bertie nach Hofwyl.)

In den Belles Lettres besprach Mrs. Lewes Harriet Beecher Stowe’s Dread. Daß die Autorin nach Onkel Toms Hütte bei ihren Thema des Neger- und Pflanzer­lebens blieb, kann sie ihr nicht vorwerfen; auch Walter Scott blieb bei demselben Thema. „Aber Mrs. Stowes Romane haben nicht nur das eine Thema – den Konflikt der Rassen, sie haben ein gleichwichtiges Element, daß sie auch mit Scott teilt, und in dem sie ihn in mancher Hinsicht übertrifft: Das ist die Darstellung von Menschen, die die theokratischen Vorstellungen des Alten Testaments buchstabengenau in ihrem täg­lichen Leben befolgen. Die Gestalt von Dread und die religiösen Versammlungen [der geflohenen Sklaven] in dem Camp im Sumpf halten jeden Vergleich mit Old Mortality stand.“ Aber die Autorin idealisiert ihre Helden: „Abgesehen von dem argumentativen Selbstmord, den eine solche Einseitigkeit herbeiführt: Mrs. Stowe ver­liert dabei das tragischste Element in der Beziehung der beiden Rassen – die Nemesis, die in den Sünden der Unterdrückten lauert. Sie weist auf die Demoralisierung zwischen den Sklaven hin, aber sie zeigt sie nicht.“ – Charles Reade’s Is Never To Late to Mend zeigt die Grausamkeiten des Zuchthausleben; dann läßt er seinen Helden als Goldgräber in Australien zu einem Vermögen kommen. „In allem mißtraut Mr. Reade dem Effekt der Einfachheit und Mäßigung.“

Silly Novels by Lady Novelist sind eine Art mit vielen Unterarten, bestimmt durch die spezielle Dummheit, die in ihnen vorherrscht – die schäumende, trockene, fromme oder pedantische. Aber die Mischung aus allen – eine Zusammenstellung weiblicher Albernheiten, produziert die größte Klasse solcher Romane, die wir mind-and-millinery spezies nennen wollen. Die Heldin ist üblicherweise eine Erbin, wahrscheinlich eine Adlige, mit einen sündigen Baronet, einen wahrhaftigen Herzog und einem unwiderstehlichen jüngeren Sohn als Verehrer im Vordergrund, einen Geist­lichen und einem Dichter, der für sie singt, in mittlerer Entfernung, und einer Menge undefinierte Anbeter dahinter. Ihre Augen und ihr Witz sind beide blendend, ihre Nase und ihre Lebensweise beide frei von jeder Neigung zur Unregelmäßigkeit, sie hat einen wunderbaren Kontraalt und einen wunderbaren Intellekt; sie ist perfekt gekleidet und perfekt religiös, sie tanzt wie eine Nymphe und liest die Bibel in den Originalsprachen. Oder vielleicht ist die Heldin auch keine Erbin – dann sind Wohlstand und Rang die einzigen Dinge, die ihr fehlen. Aber sie gelangt unfehlbar in die High-Society, sie hat den Triumph, viele Anträge abzulehnen und sich den Besten zu sichern, und sie trägt irgendwelche Familienjuwelen oder eine andere Art Krone am Ende. Flotte Männer beißen sich angesichts ihrer Schlagfertigkeit entweder in impotenter Verwirrung auf die Lippen, oder spüren Gewissensbisse nach ihren Antworten, die sich bei passender Gelegenheit zur flüssigen Rhetorik steigern. (…) Und trotzdem heiratet sie so gut wie nie die falsche Person, um [einen Roman] anzufangen. Sie leidet schrecklich unter den Sünden und Intrigen des sündhaften Baronets; aber sogar der Tod hat eine weiche Stelle im Herz für so ein Musterbild und beseitigt alle Fehler genau im richtigen Moment. Der sündige Baronet wird sicher im Duell getötet, und der langweilige Ehemann stirbt im Bett, bittet aber zuvor noch seine Frau zu sich, und als besondere Gunst für sich verlangt er, daß sie den Mann heiratet, den sie liebt, und hat bereits eine Note an den Liebhaber abgeschickt, die ihn über dieses komfortable Arrangement informiert. (…) Wir möchten nebenbei bemerken, daß wir von ernsten Skrupeln erlöst wurden, als wir entdeckten, daß uns Silly Novels by Lady Novelist in keine andere als die erhabenste und angesagteste Gesellschaft führt. Wir hatten uns vorgestellt, daß mittellose Frauen Romanautoren werden, so wie sie Gouvernanten werden, weil sie keine andere lady-like Möglichkeit haben, ihr Brot zu verdienen. Nach dieser Annahme hatten schwankende Syntax und unwahrscheinliche Ereignisse ein gewisses Pathos für uns, wie die extrem unförmigen Nadelkissen und schlecht­gemachten Nachtmützen, die von Blinden zum Verkauf angeboten werden. (…) Leeres Schreiben war durch einen leeren Magen entschuldigt, und Quatsch war durch Tränen geheiligt. Aber Nein! Diese Theorie hielt, wie viele andere hübsche Theorien, nicht der Überprüfung stand.“ – Nach zweieinhalb Beispielen wird die oracular spezies behandelt, „Romane, die die religiösen, philosophischen und moralischen Theorien des Autors darlegen sollen.“ Hier wird ein Vertreter betrachte. Mrs. Lewes kommentiert: „Die schädlichste Form weiblicher Dummheit ist die literarische Form, weil sie das populäre Vorurteil gegen eine bessere Bildung für Frauen zu bestätigen scheint.(…) Eine wirklich gebildete Frau ist, wie ein wirklich gebildeter Mann, aufgrund ihres Wissens nur einfacher und weniger hinderlich. Es läßt sie sich und ihre Meinungen in den richtigen Proportionen sehen, sie macht daraus kein Podest, von dem sie sich einbildet, eine vollständige Sicht auf Frauen und Männer zu haben, sondern einen Beobachtungspunkt, um eine richtige Schätzung ihrer selbst zu bilden. Sie verstrahlt keine Poesie und zitiert nicht beim kleinsten Anlaß Cicero (…). Im Gespräch ist sie die am wenigsten beeindruckende der Frauen, weil sie dich versteht, ohne daß sie dir zeigen muß, daß du sie nicht verstehst. Sie gibt dir keine Information, die das Rohmaterial der Kultur ist, – sie gibt dir Sympathie, die ihr feinster Gehalt ist.– Eine zahlreichere Art dummer Romane als die oracular (die im allgemeinen von irgendeiner Art High Church oder transzendentalen Christentum inspiriert sind,) ist das, was wir white-neckcloth spezies nennen möchten, und die den Ton und die Gedanken der evangelikalen Partei repräsentiert.(…) Diese Art Romane ist für die jungen Low Church Ladys ein Ersatz für den modischen Roman, so wie die Meetings ein Ersatz für die Oper sind.“ Hier klagt Mrs.Lewes: „Warum haben wir keine Bilder des religiösen Lebens der industriellen Klassen in England, die so interessant sind, wie Mrs. Stowes Bilder vom religiösen Leben bei den Negern?“ – Zuletzt „die am wenigsten lesbare Art dummer Romane“, die modern-antique spezies, deren Autorinnen „ihre geistige Mittelmäßigkeit nur verdächtiger machen, indem sie sie in eine antike Maskerade kleiden.“

Ein paar Tage, nachdem sie beides an die Westminster Review abgeschickt hatte, am 23. September 1856, begann sie The Sad Fortunes of the Reverend Amos Barton. Am 8.November schickte Lewes die Geschichte als das Manuskript eines Freundes und als erste einer Serie von Clerical Scenes an John Blackwood nach Edinburgh, der sie auch gleich in Blackwood‘s Magazine veröffentlichte. (Dort war Lewes‘ lange Geschichte Meta­morphosis, die Umarbeitung eines seiner Theaterstücke, erschienen, danach begannen dort seine Seaside Studies.) – Jetzt drängte die Januarausgabe der Westminster Review. Laut Haight stammt fast ein Drittel des dicken Heftes von Mrs.Lewes.

In Worldliness and Other-Worldliness: The Poet Young behandelt sie den 1765 verstorbenen Dichter. In Oxford, wenn nicht schon vorher in Winchester, schmeichelte er sich bei einflußreichen (oder später einfluß­reichen) Personen ein, er erhielt auch seinen Lohn; zuletzt eine kirchliche Pfründe. Er pries dann Gott wie zuvor King George. In einem von ihr zitierten Gedicht schreibt Young: „>Wer die Unsterblichkeit seiner Seele leugnet, /und damit prahlt, hat mir gesagt, daß er ein Schurke ist. /Und seine Pflicht ist‘s, sich allein zu lieben /und sich nicht darum zu scheren, ob die Menschheit vergeht, wenn er lächelt.<“ Darauf läßt sie den Mann, >der die Unsterblichkeit seiner Seele leugnet<, antworten: „>Ich habe ein Mit­gefühl mit anderen Menschen (…) Tatsache ist, daß ich mich nicht allein liebe, was immer für eine logische Notwendigkeit dafür in deinen Verstand sein mag. Ich habe eine zärt­liche Liebe für meine Frau, meine Kinder und Freunde, und durch diese Liebe sym­pathisiere ich mit ähnlichen Neigungen in anderen Menschen.<“ Sie vergleicht die Dichter Young und Cowper: „Young ist erstaunt, daß Menschen miteinander Krieg führen können – daß jemand >seines Bruders Kehle greifen< kann, während: >Die Planeten schreien: Laß es.< Cowper weint weil: >Da ist kein Fleisch in eines Mannes störrischen Herz, / das nicht fühlt für einen Menschen.<“

Weihnachten begann Marian Lewes Mr Gilfil’s Love-Story. Am 8. Februar 1857 ant­worte sie auf einen Brief, in dem Blackwood über die Aufnahme von Amos Barton bei seinen Freunden berichtete, und unterschieb mit George Eliot. – Am 15. März brachen die Lewes‘ nach den Scilly-Inseln auf, wo Lewes die Sea-Side Studies fortsetzte. Nach sieben Wochen reisten sie nach Jersey.

In St.Mary’s auf den Scilly-Inseln begann Marian Janet’s Repentance. – Nachdem sie nicht mehr für Chapman schrieb, konnte sie ihn auch nicht mehr als Postadresse für ihre Geschwister nutzen. Am 26.Mai schrieb sie aus Gorey, Jersey, Isaac: „Mein lieber Bruder. Du wirst überrascht sein, aber es hoffentlich nicht bedauern, zu erfahren, daß ich meinen Namen geändert habe, und daß ich jemand habe, der sich um mich sorgt. Das ist kein plötzliches Ereignis, obwohl diese Mitteilung Dir plötzlich erscheinen wird. Mein Ehemann ist mir seit vielen Jahren bekannt, und ich kenne seinen Geist und Charakter gut. Er ist ganz mit wissenschaftlichen und gelehrten Dingen beschäftigt, einige Jahre älter als ich, und hat drei Söhne, von denen zwei in der Schweiz in der Schule sind, und einer in England.(…) Ich wäre Dir sehr verbunden, wenn Du mich informierst, wie es Chrissey geht, und ob sie stark genug ist, daß ich ihr schreiben kann. (…) Der eingelegte Brief ist für Fanny. Ich wäre froh, wenn Du ihn weiterleiten könntest (…). Wir sind keine reichen Leute, aber wir sind beide Arbeiter, und wir werden genug für unsere Bedürfnisse haben.“ Fanny antwortet sofort, der nicht erhaltene Brief enthielt den neusten Tratsch, auf den Marian gleich antwortete: „Du bist im Irrtum über Mr. Liggins, oder besser Deine Informanten liegen falsch. Wir wurden auch von den >Clerical Sketches< getroffen, und ich habe einige Figuren und Erzählungen erkannt, die mit unserer alten Nachbarschaft verbunden sind. Aber Blackwood informierte Mr. Lewes, daß der Autor Mr. Eliot ist, ein Geistlicher, nehme ich an. Hast Du Currer Bells Leben von Mrs. Gaskell gelesen? Tu es, es wird Dich interessieren.“ Soweit die Komödie und Maskerade. Dann die Bombe: Statt Isaac antwortet sein Anwalt, Mr. Holbeche, und auf dessen Nachfrage teilte Marian Lewes mit: „Mr. Lewes ist ein bekannter Schriftsteller, Autor, neben anderer Sachen, von The Life of Goethe und der Biographical History of Philosophy. Unsere Ehe ist keine gesetzliche, auch wenn sie von uns beiden als heiliger Bund betrachtet wird. Er ist gegenwärtig nicht in der Lage, zu heiraten, weil, auch wenn er lange durch ihr Fehlverhalten seiner ersten Frau beraubt ist, er nicht gesetzlich geschieden ist. Ich bin seine Frau und trage seinen Namen seit fast drei Jahren; eine Tatsache, die alle meine persönlichen Freunde wissen, außer den Mitgliedern meiner eigenen Familie, vor denen ich es verborgen habe, weil ich weiß, daß ihre Ansichten vom Leben sich in vielen Dingen von meinen unterscheiden, und ich ihnen unnötigen Schmerz ersparen wollte.“ Mr. Holbeche leitete den Brief an Isaac weiter. Der antworte nicht, sondern bestimmte Fanny und die todkranke Chrissey Briefe zu schicken, in denen sie jeden Verkehr mit Marian abbrachen.

Blackwood war ein vorsichtiger Verleger, seine ständigen Bedenken und Kritiken bestimmten Mrs. Lewes, die Clerical Scenes nicht fortzusetzen und statt dessen (am 22.10.57) einen Roman zu beginnen. Am 4. Januar 1858 erschienen die Scenes als Buch. Die Times brachte eine sehr lange, positive Kritik. Dickens schickte einen lobenden Brief. Bei einem Besuch in Richmond erfuhr Blackwood, daß Mrs. Lewes George Eliot ist, was er ohnehin vermutet hatte. Auch in Ivy Cottage vermutete man, daß Marian einen Roman schreibt – einfach weil man nichts mehr von ihr in der Westminster Review las. Marian schrieb am 29.3.Bray, mit einem Scherz („Apropos, wann bringen sie ihr neues Poem raus? Ich bin sicher, sie sind schon im Sechsten Gesang…“) und der Bitte, solchen Gerüchten zu widersprechen.

Als er in den ersten Kapiteln von Adam Bede von Hetty und Arthur las, wurde Black­wood Angst und Bange. Er bat um eine Skizze der weiteren Handlung. George Eliot (sie unterschieb die Briefe an ihren Verleger weiter mit George Eliot) antwortete „Wenn ein Dramatiker seinem Manager sagen würde, er arbeite an einer Tragödie über einen Mann mit einem wunden Fuß auf einer verlassenen Insel, würde der Manager nicht allzu hoffnungsvoll sein. Und doch ist Philoktet eines der der besten Dramen der Welt. Es ist wahr, daß mein Thema nicht so mager ist wie ein wunder Fuß, ich bin auch kein Sophokles, aber das einfache Skelett meiner Geschichte würde vermutlich bei Ihnen Einwände hervorrufen, die von der Behandlung desselben Gegenstandes bei anderen Autoren eingegeben sind – Einwände, die auf meine Behandlung nicht passen.“ (1.4.) Trotzdem wurde Adam Bede nicht in Fortsetzungen in Blackwood‘s Magazine veröffentlicht.

Am 7.April reisten die Lewes‘ über Köln, Frankfurt und Nürnberg nach München. Marian schrieb ihren Roman, George die Physiology of Common Life. Im Juni machte George einen Abstecher nach Hofwyl. Vom 7. bis 17. Juli reisten sie über Salzburg, Wien und Prag nach Dresden. Dort gingen sie dreimal die Woche mittags in die Gemäldegalerie. Am 30. September reisten sie über Leipzig – wo sie Tauchnitz, den Verleger englische Bücher für den Vertrieb auf dem Kontinent, besuchten– zurück nach Rich­mond. Adam Bede war so gut wie fertig.

Marian hatte Herbert Spencer anvertraut, daß die Clerical Scenes von ihr sind. Bei einem Diner mit den Lewes‘ am 5. November 1858 erzählte Spencer, daß Chapman ihn geradezu gefragt hat, ob die Marian die Clerical Scenes geschrieben habe. Sie schrieb noch am selben Tag einen wütenden Brief an Chapman, auf den dieser erst nach zwei Monaten antwortete. (Damit endete eine achtjährige Zusammenarbeit. John Chapman hatte – wie Lewes – in seiner Jugend Medizin studiert. Im Herbst 1855 setzte er dieses Studium am St.Georges’s Hospital, Hanover Square, fort. Er war jeden Morgen bei einer Sektion und besuchte täglich zwei Anatomievorlesungen, wie er am 10.11.55 Harriet Martineau schrieb. Im Mai 57 legte er in St. Andrews seine Prüfung ab. Die Zustände sowohl im Hospital als auch bei der Prüfung waren skandalös. Chapman beschrieb sie in der Westminster Review und beeinflußt damit das Medical Reform Bill. Er protestiert gegen Frauenärzte, die unter Verweis auf die Bibel die Verwendung schmerzstillender Mittel bei der Geburt ablehnten und erfand ein hydrotherapeutisches Behandlungsgerät.)

Am 1. 12. schrieb George Eliot an Blackwood: „Ich bin sehr nervös wegen der Erhaltung meine Inkognitos (…). Deshalb möchte ich, daß die Publikation von >Adam< nicht länger als nötig verschoben wird. Ich möchte, daß das Buch unabhängig von seinem Autor beurteilt wird.“

Scenes of Clerical Life (1858)

The Sad Fortunes of the Reverend Amos Barton beginnt mit der Beschreibung der Kirche von Shepperton, die in den letzten fünfundzwanzig Jahren alles Malerische, Altgewachsene verlor und zu einem Zweckbau wurde. Und dann sehen wir ein Kränzchen im „flackernden Licht von Mrs.Pattens Kamin, reflektiert vom kupfernen Teekessel,“ Neuigkeiten austauschen. Der Hilfsgeistliche Amos Baron lebt mit seiner Frau und fünf kleinen Kindern in großer Not. Er hat eine mangelhafte Bildung und neue Gedanken aus Dissenter­kreisen. Im zweiten Kapitel sehen wir ihn im Armenhaus Gebete lesen und lernen dabei alle Bewohner dieser Einrichtung kennen.– In der Camp Villa wohnen seit kurzen Mr.Bridman, ein ehemaliger Teilhaber einer Seidenmanufaktur, und seine verwitwete Halbschwester, Countess Czerlaski. Als die Bartons in die Villa zum Dinner geladen werden, hat Milli Barton große Mühe, ihre Kleider in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen.Doch wenig später sucht die Countess im Pfarrhaus Asyl: Ihr Bruder hat beschlossen, ihre Zofe zu heiraten! Die schöne Countess bleibt einige Monate, bis sie sich ihrem Bruder wieder unterwirft. Während dieser Zeit wird die Not der Bartons immer größer, es gibt Verdächtigungen und wenig Sympathie. – Kurz nach dem Auszug der Countess erleidet Milli Barton eine Frühgeburt, das Kind und die Mutter sterben. Mr. Oldinport und benachbarte Geist­liche unterstützen den Witwer. Doch dann will der Inhaber der Pfründe das Pfarrhaus von Shepperton selbst beziehen und vertreibt Amos Barton vom Grab seiner Frau! Als er gehen muß, herrscht in der Gemeinde allgemeine Trauer, „Amos hat es nicht geschafft, sie mit seinen Predigten zu berühren, aber er berührte sie mit seinen Leiden.“

Mr. Gilfil ist der vor dreißig Jahren verstorbene Vorgänger von Amos Barton als Prediger in Shepperton. Im Gegensatz zu diesem griff er immer wahllos in einen Stapel alter Predigten. Im ersten Kapitel von Mr Gilfil’s Love-Story erfahren wir einige Anekdoten aus seinen letzten Jahren. Mit Mr. Oldinport, dem Vater des gegenwärtigen Squire, vertrug er sich lange sehr gut. Doch als in der Zeitung stand, daß ein anderer Grundherr wegen der fallenden Preise die Pachten senkte, nannte er Mr.Oldinport mit seinen Wohltaten sarkastisch wenig besser als den Mann, der nach­dem er die Gans gestohlen hat, die Innereien spendet. Dabei übersah er die Motive des anderen Grundherrn: „Tat­sache ist, daß Mr.Oldinport nicht die geringste Intension hatte, für das Parlament zu kandidieren.“ – Viele hielten Mr. Gilfil für einen Junggesellen, doch im Pfarrhaus gibt es einen mit Erinnerungen gefüllten Raum, der nur vierteljährlich zum Lüften geöffnet wird, und die alte Mrs. Patten erinnert sich noch an die Frau an seiner Seite, als er das erste Mal die Kirche von Shepperton betrat. – Dann gehen wir zurück bis zum 21. Juni 1788. Eine Lady wandelt, begleite von Caterina, einem südländisch aussehenden jungen Mädchen, durch den Park von Cheverel Manor, während sich im Haus Sir Christopher mit zwei jungen Männern unterhält. Der eine ist mit übertriebener Eleganz gekleidet, aber „das Gesicht war, schwierig zu sagen warum, nicht erfreulich.“ Das ist der junge Mr.Gilfil. Der andere, ein hübscher junger Mann, ist Captain Wybrow, Sir Christophers Erbe. Später geht Mr. Gilfil mit Tina durch den Park, er ist in sie verliebt. Aber am Abend trifft sich Tina heimlich mit Captain Wybrow. – Dann geht die Erzählung noch weiter zurück. Während ihr Mann in Mailand den Dom studierte, interessiert sich Lady Cheverel für Musik. Maestro Albani schickte ihr Sarti, einen ehemaligen Opernsänger, der „dem großen Jean Jacques [Rousseau] darin glich, daß er seinen Lebensunterhalt mit den Kopieren von Noten verdiente“. Sarti bringt die Noten nicht, Lady Cheverel findet ihn tot in seiner elenden Unterkunft und neben seiner Leiche ein Kind. Im Herbst1773 besprechen Dienstboten im hübschen Raum der Haushälterin die Rückkehr ihrer Herrschaft nach zweijährigem Aufenthalt in Italien. Sie bringen nicht nur die Pläne für den Umbau des Hauses im gotischen Stil mit, sondern auch ein Kind, das sie jedoch nicht adoptieren. MissSarti wächst als Liebling aller im Haus auf, sie hat eine schöne Stimme. Sir Christopher nennt sie little monkey. Er will sie mit Mr.Gilfil verheiraten, während sein Erbe eine standesgemäße Ehe mit der Tochter von Mrs. Asher, einer alten Freundin, schließen soll. Die Ashers kommen zu Besuch, Tina muß jeden Abend für sie singen, und Captain Wybrow verrät ihre Liebe, die er zuvor in verantwortungsloser Weise er­mutigt hatte. – Captain Wybrow stirbt. Zuletzt heiratet Tina Mr. Gilfil und stirbt an gebrochenen Herzen.

An der Bar des Red Lion in Milby schwingt Mr.Dempster große Reden: Er wird es nicht zulassen, daß sich metho­distische Doktrinen in dieser Gemeinde verbreiten. Alles Heuchelei und Verlogenheit! Diese Evangelikalen sind nicht besser als Presbyterianer. Was sind eigentlich Presbyterianer, fragt Mr. Tomlinson. „>Presbyterianer sind eine Sekte, die in der Zeit von Charles I. von einen gewissen John Presbyter ge­gründet wurde, der diese ganze Dissenterbrut zusammentrieb(…).< >Nein, Demp­ster, widersprach Luke Byles, >Pres­byterianer kommt von presbyteros, der Ältere.<“ Doch im Red Lyon hält man Dempster für nahezu allwissend. Er soll die Abordnung anführen, die Mr. Prendergast, den Rektor, bitten soll, seinem Hilfsgeistlichen Mr.Tryan die Abhaltung von Sonntagsschulen zu verbieten. Im zweiten Kapitel von Janet’s Repentance werden wir gewarnt, das damalige Milby nicht mit der heutigen Stadt mit ihren hübschen Bahnhof und dem glänzenden Gaslicht zu verwechseln. Wir lernen die hauptsächlich weiblichen Tryanites kennen. Sie bedauern Janet Dempster… Dempster kehrt triumphierend von Mr. Prendergast zurück und feiert im Red Lion. Spätabends geht er schwankend nach Hause. Erst nach mehrfachen Klopfen öffnet ihm seine Frau „>Ich werde dich lehren, mich in der Dunkelheit warten zu lassen. Du hast schon wieder getrunken! Ich werde dich schlagen, bis du wieder bei Sinnen bist.< (Kap.4) – Janet Dempster ist in ihrer ständigen fiebrigen Erregung, mit ihren durchdringenden schwarzen Augen immer noch schön. Ihre Ehe blieb kinderlos. Sie kümmert sich um die fast taube Frau des alten Rev.Crewe, der sehr beliebt ist, trotzdem man bei seinen heruntergeleierten Predigten nichts versteht. Sie besucht auch andere Hilfsbedürftige. Zu Sally Martin kommt sie, als Mr. Tryan bei ihr ist. Sie lauscht, was er zu der Schwindsüchtigen sagt: „>Es ist schwer(…). Gott scheint dir wundervoll zu helfen. Bete für mich, daß ich dieselbe Kraft habe, wenn für mich die Stunde kommt. Mein größte Schwäche ist die Angst vor körper­lichen Schmerz, und ich denke, die Zeit ist nicht mehr weit, wenn ich zu leiden habe was du jetzt leidest.<“(Kap.12) – Aufgrund seines Kampfes gegen Mr.Tryan verliert Mr.Dempster einige Klienten, er trinkt mehr und läßt seine Wut betrunken an seiner Frau aus. Janet flüchtet zu einer alten Nachbarin und schickt nach Mr.Tryan. Ihm erzählt sie: „>Ich liebte meinen Mann sehr, als wir heirateten und ich wollte ihn glücklich machen. Aber er begann bei kleinen Dingen ärgerlich zu werden und… Ich will ihn nicht anklagen… Aber er trank und wurde immer grausamer… (…) Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich hatte nie etwas anderes als Wasser getrunken. Ich haßte Wein und Schnaps weil Robert so trank, aber eines Tages war ich so unglücklich, und der Wein stand auf dem Tisch… Ich goß ihn in ein großes Glas und trank. Es betäubte meine Gefühle und machte mich gleich­gültig.<(Kap.17) Mr.Tryan erwidert ihr Vertrauen mit seiner Geschichte. Der Tod eines Mädchens, das gegen den Willen ihrer Eltern geliebt hat, brachte ihn zur Umkehr. –Dempster verunglückt und stirbt im Delirium. Mr. Tryan stirbt ein Jahr später – von ganz Milby verehrt – an der Schwindsucht.

Adam Bede (1859)

Am Nachmittag des 18. Juni 1799 spotten einige der Arbeiter in der Tischlerei von Mr. Burge angesichts einer Tür, bei der eine Leiste vergessen wurde: „Das Werk von Seth Bede, dem Methodisten.“ Seth hatte andere Dinge im Kopf. Sein Bruder Adam verteidigt ihn. Bei Sonnenuntergang lauscht eine neugierige Menge einer Predigt, die eine junge Frau hält! Seth liebt diese Frau. – Zur selben Zeit fertigt Adam zuhause einen Sarg. Sein Vater hatte den Auftrag über­nommen, doch jetzt ist er im Waggin Overthrow und trinkt. Nachdem sie am nächsten Morgen den Sarg auslieferten, machen sich Adam und Seth auf die Suche nach ihm. Sie finden ihn tot in einem Graben. – In Broxton Rectory verliert Rev.Adolphus Irwine, Inhaber gleich mehrerer Pfründen, gegen seine Mutter im Schach, während oben seine kranke Schwester gepflegt wird. Er hört von der Predigt und dem Tod des alten Bede. Arthur Donnithorne, der Enkel und Erbe des alten Squire kommt, gemeinsam reiten sie zur Hall Farm. – Die pittoreske Hall Farm war früher ein Herrenhaus. Sie wird von ihrem Pächter, Mr. Poyser, musterhaft geführt. Der junge Arthur geht in die Meierei. Hier bietet sich ihm ein wundervolles Bild, Hetty Sorrel, die hübsche Nichte der Poysers, beim Butter machen. Sie muß unbedingt bei seinem Geburtstagsfest am 30. Juli mit ihm tanzen! Der Geistliche ist währenddessen auf andere Weise fasziniert. Er spricht mit Dinah Morris, der Predigerin, die auch eine Waise und eine Nichte der Poysers ist. Im Gegensatz zu Hetty ist sie auf Hall Farm aber nur zu Gast. Sie arbeitet in Snowfield in einer Baumwoll­spinnerei. Sie antwortet ihm, daß sie keine Angst hat, als Frau vor Männer zu treten. Sie weiß sich in sicherer Führung. Nachdem Dinah vom Tod des alten Bede hört, geht sie zu dessen Haus, um Lisbeth Bede beizustehen. Ihre ruhige Stimme und ihre Hände, die Spuren der Fabrikarbeit zeigen, wecken das Ver­trauen der alten Frau. Am nächsten Morgen hört Adam Bede, als er sich um halb fünf das kalte Wasser ins Gesicht schlägt, Geräusche. Ach wäre es Hetty! Doch es ist Dinah, die das Frühstück macht.

[...]

Ende der Leseprobe aus 51 Seiten

Details

Titel
Leben und Werk von George Eliot
Veranstaltung
-
Autor
Jahr
2012
Seiten
51
Katalognummer
V194370
ISBN (eBook)
9783656203551
ISBN (Buch)
9783656204626
Dateigröße
724 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Englische Literatur, Viktorianische Literatur, Biografie
Arbeit zitieren
Hans Belde (Autor:in), 2012, Leben und Werk von George Eliot, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194370

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