Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Verständnis von Differenz in der Sozialen Arbeit
3. Akzeptanz von Differenzen und die Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit
4. Das Konzept des "Diversity-Managements" in Unternehmen - Abgrenzung, Gemeinsamkeiten und Bedeutung für die Soziale Arbeit
5. Fazit - Die Repolitisierung der Sozialen Arbeit in Praxis und Lehre als Voraussetzung für die Umsetzung von diversity politics
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Soziale Arbeit muss sich nicht zwangsweise vorwerfen lassen, dass sie den Umgang mit Differenzen, also Verschiedenheiten, in ihren Arbeitsfeldern nicht beachten würde. Sie begeht bisher aber auch den Fehler, dass das Thema Vielfalt zwar aufgenommen, aber "organisatorisch wie inhaltlich mit jeweils isolierten Ansätzen beantwortet wird" (Schröer 2006, S.1), wenn überhaupt. Der Sozialen Arbeit fehlt bisher schlicht die ganzheitliche Sichtweise bei Problemkonstellationen, zu dem diversity ja einen Beitrag leisten will und die auch eine zentrale Forderung des "Diversity-Management" in Unternehmen ist: Ganzheitliche Sichtweise und die Verankerung in allen Bereichen einer Firma als Selbstverständlichkeit (ebd., S. 2).
Auch muss die Soziale Arbeit in dieser Frage immer wachsam sein, denn nicht alle Verschiedenheiten in einer Gesellschaft sind grundsätzlich positiv, ganz im Gegenteil. Akzeptanz von Differenzen ist beispielsweise dort nicht angezeigt, wo sich Machtverhältnisse reproduzieren, wo Diskriminierung unter dem Deckmantel von "diversity" stattfindet, wo sich antidemokratische Einstellungen manifestieren (beispielsweise in bestimmten migrantisch geprägten Milieus, siehe u.a. Bozay: "..ich bin stolz, Türke zu sein", 2005, zur Problematik des türkischen Faschismus der MHP bzw. der "Grauen Wölfe" in Deutschland). Auch dort sind die Akteure/innen Sozialer Arbeit gefragt, damit Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft wirklich eine Zukunft haben kann, und nicht mit der Bildung von Gesellschaften innerhalb der Gesellschaft verwechselt wird. Dazu muss sie aber auch zuerst die Bereitschaft zeigen, sich der Thematik "diversity" ernsthaft anzunehmen und diese Vorstellung in ihr eigenes Handeln integrieren.
"Die innergesellschaftliche Differenzbildung wird besonders dann zum Problem, wenn sie als Gefahr bewertet wird, nämlich als Gefahr, die den Fortbestand der Gesellschaft infrage stellt" (Kleve 2003, S. 37). Auch diese Ängste gilt es seitens der Sozialen Arbeit zu kanalisieren und nicht zu bagatellisieren oder gar als Meinung einer unwichtigen, "ahnungslosen" Minderheit zu verstehen, die noch nicht in einer "modernen Gesellschaft" angekommen ist, wie auch immer diese definiert sein mag. Hierzu ist bei Sozialarbeitern/innen aber auch diversity-Kompetenz zwingend notwendig, sofern diese allein dazu überhaupt ausreicht.
"Was wir dafür allerdings brauchen - vor allem auch um die Differenzangst zu überwinden -, ist eine neue, eine postmoderne Geisteshaltung, für die Differenz nicht mehr als Aufforderung der Aneignung, der Assimilation, der Integration steht. Wir brauchen eine Differenzreflektion, die sich vom Negativbild der Differenz befreit, die Differenz als Motor, als Generator und nicht als Zerstörer von Gesellschaftlichkeit betrachtet" (ebd.).
In wie weit die Soziale Arbeit - innerhalb ihres gesellschaftlichen Beitrags - dazu von "Diversity-Konzepten" lernen kann und ob sich Verbindungen herstellen lassen können, obwohl z.B. das Konzept des "Diversity-Management" aus einem ganz anderen Bereich stammt, soll versucht werden in dieser Arbeit zu klären, denn "Modernisierung der Sozialen Arbeit bedeutet [...] auch die Institutionalisierung eines selbstreflexiven Diskurses über die adäquaten Konzepte, Methoden sowie über die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit" (Chassé 2008, S. 9).
Ausgehend von dem lange Zeit vorherrschenden Verständnis der Differenzminimierung als Aufgabe der Sozialen Arbeit, soll über den Grundsatz der Differenzakzeptanz und das Konzept der Lebensweltorientierung der Bogen zum bertriebswirtschaftlichen "Diversity-Management" gespannt werden. Es soll versucht werden zu klären, wo sich die Soziale Arbeit von diesem Verständnis von diversity abgrenzen muss und wo Anknüpfungspunkte vorhanden sind. Abschließend soll geklärt werden, wo sich die Profession unter Umständen sogar weiterentwickeln muss, um dem ganzheitlichen Anspruch von diversity politics gerecht werden zu können, denn "es bedarf der kritischen Reflexion des eigenen Selbstverständnisses und einer bewussten Gegensteuerung gegen das Fortschreiben der Normalität, will man die Dominanzverhältnisse nicht einfach reproduzieren"(Rommelspacher 2003, S. 79).
2. Das Verständnis von Differenz in der Sozialen Arbeit
Schon immer ging es in der Sozialen Arbeit um Differenzen und den Umgang mit diesen. Es ging darum, wie die Soziale Arbeit im Hinblick auf ihr Mandat, ihr Berufsbild und nicht zuletzt ihrer zu Grunde liegenden Berufsethik mit unterschiedlichsten Differenzen professionell umgehen soll. In Interaktionsprozessen zwischen Kollegen/innen, zwischen Sozialarbeiter/in und Vorgesetztem/r und natürlich mit den Klienten/innen.
"Denn die Sozialarbeit unterstützt Menschen, die unter erschwerten individuellen und sozialen Bedingungen leben, dabei, ihr Leben zu bewältigen [...] In dieser Hinsicht ist es zunächst plausibel, Soziale Arbeit als Strategie der Differenzminimierung zu verstehen"(Kleve 2003, S.39).
Das heißt, in Bezug auf die Klienten/innen ging es lange Zeit einzig um Differenzminimierung, also ihr von Normen der Gesellschaft abweichendes Verhalten wieder an die geltenden normativen Wert- und Lebensvorstellungen anzupassen, um ihnen dadurch ein "funktionierendes" Leben zu ermöglichen und dies in nahezu jedem Arbeitsfeld - von der Jugendarbeit bis zur Arbeit mit Drogenabhängigen. Auch heute sind Sozialarbeiter/innen nicht davor geschützt, in eine solche Arbeitsvorstellung abzudriften, sei es durch fragwürdige Leitbilder ihrer Arbeitgeber/innen (insbesondere in sog. "Tendenzbetrieben") oder ein grundsätzliches falsches bzw. fehlerhaftes Verständnis von Sozialer Arbeit. Dies begründet sich oftmals durch Defizite in der Ausbildung, zumindest wird dieser Eindruck in Diskussionen mit Studierenden und Praktizierenden der Sozialen Arbeit oft geweckt und hat mehr mit Fürsorge, denn mit moderner Sozialer Arbeit zu tun.
Kritik an diesem Differenzen minimierenden Verständnis von Sozialer Arbeit kam auch weniger von der Profession selbst, also beispielsweise im Zuge eines selbstreflexiven Diskurses, sondern von außerhalb. Es war die Frauenbewegung, die Anti-Psychatriebewegung oder auch die Behindertenbewegung, die die Soziale Arbeit auf strukturelle bzw. Kompetenzmängel in diesen Fragen aufmerksam machte (Rommelspacher 2003, S. 70). Im Hinblick auf die Kategorie "Geschlecht" als ein Aspekt von diversity, musste die Soziale Arbeit beispielsweise erkennen "dass, viele ihrer Einrichtungen und Methoden nicht auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen ausgerichtet sind und dass damit die patriarchale Normalität fortgeschrieben wird" (ebd., S. 71). Heute wird "Geschlecht" nicht mehr nur auf Mann und Frau beschränkt, gleichwohl bleiben die Probleme bestehen, die natürlich auch oft auf weitere Teilbereiche von diversity zutreffen. Das Konzept der Differenzminimierung stößt also insbesondere dort an seine Grenzen, wo Klienten/innen sich nicht anpassen können oder wollen.
"Der Sozialarbeit wurde diesbezüglich vorgeworfen, dass sie Wächterin einer gesellschaftlichen Norm sei, nämlich der Norm der Herschenden, der Mächtigen [...]. Sozialarbeit kontrolliere im Sinne der staatlichen und ökonomischen Macht abweichendes Verhalten, abweichende Lebensformen, [...] sie sei, [...] systemerhaltend" (Kleve 2003, S.40).
Auch heute muss sich Soziale Arbeit nach wie vor diesen Vorwurf gefallen lassen (Aschenbrenner-Wellmann 2009, S.62), obwohl Teile der Profession in den 70er und 80er Jahren inhaltlich auch schon fortschrittlicher dachten. Es muss deshalb festgehalten werden, dass "es bisher kaum Veränderungen in den Institutionen und im Selbstverständnis der Sozialarbeit gab" und Ideen, die auch dem Konzept von diversity weitaus gerechter werden würden, zu schnell wieder verworfen wurden - ohne hier näher auf die Gründe eingehen zu können. Ausnahme ist einzig die Theorie der "Sozialarbeit als Menschenrechtsprofession" (Arnegger 2008), die in meinen Augen aber auch oft sehr abstrakt bleibt und damit wenig konkret, wenngleich in ihrer Intention ausdrücklich zu begrüßen ist.
Hans Thiersch (1986) erkannte im Alltag von Klienten/innen beispielsweise bereits Protestpotential, das sich Sozialarbeiter/innen nutzbar machen sollten, um Veränderung in der Gesellschaft und im System zu erreichen - letztendlich Machtverhältnisse in Frage zu stellen. Karam Khella (1982) entwarf gar ein weit fortgeschrittenes Punkteprogramm ("Sozialarbeit von Unten"), in dem die Arbeit mit Klienten/innen nicht bei der individuellen Konfliktlösung endet, sondern ihre Situation ganzheitlicher analysiert wird und viel weitreichendere Konsequenzen gezogen werden, als dies in der Sozialen Arbeit heute getan wird. Walther Hollstein (1973) stellte die Frage, ob Sozialarbeit unter kapitalistischen Verhältnissen im Sinne der Klienten/innen überhaupt möglich ist und wenn ja, wie? Insofern kann Sozialer Arbeit aktuell vorgeworfen werden, in der Diskussion um ihr Selbstverständnis teilweise rückwärts zu gehen. "Bei Fortschreibung der gegenwärtigen Entwicklung würde Sozialer Arbeit zunehmend die Aufgabe des Managements von ausgeschlossenen Personen und Milieus zufallen - eine keineswegs abseitige Schreckensvision" (Chassé 2008, S. 11).
Ob nun - wie in den meisten Fällen - versucht wurde (und teilweise auch heute noch wird), die Lebensrealität von Klienten/innen an eine Normvorstellung anzugleichen oder - eher weniger häufig - umgekehrt bzw. eine wechselseitige Angleichung versucht wurde, ändert wenig an der Tatsache, dass diese Strategie bei den bereits erwähnten "nicht Anpassungsfähigen bzw. insbesondere auch -willigen" Klienten/innen einfach nicht funktional ist, in diesem Bezug also auch schlicht unprofessionell ist (Kleve 2003, S.41-42). Es ist also in der Folge nötig, zu einem anderen Umgang mit Differenz zu kommen, da "die Menschen im Rahmen des rechtlich Möglichen zunehmend eigenständige Vorstellungen darüber ausbilden, was sie selbst als ein gelingendes Leben bewerten" (ebd., S.44).
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