Die Afrikanische Union als Regional Security Complex

Regionale Sicherheit und die Umsetzung der Responsibility to Protect


Essay, 2011

30 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Gliederung

1. Einleitung

2. Die Regional Security Complex Theorie

3. Das Sicherheitsverständnis der Regional Security Complex Theorie und die Responsibility to Protect

4. Die Responsibility to Protect als Regime in einem Regional Security Complex
4.1. Die Afrikanische Union als Regional Security Complex
4.2. Die Sub Regionalorganisationen der Afrikanischen Union als Sub Complexe und tragende Säulen der afrikanischen Friedens und Sicherheitspolitik

5. Einschränkungen der Anwendbarkeit der Theorie

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Mit dem Zusammenbruch der Union der Sowjetischen Sowjetrepubliken 1991 fand die Bipolarität im internationalen System endgültig ein Ende. Die damit einhergehende Beendigung der bis dahin auf regionalen und nationalen Ebenen ausgetragenen Rivalitäten zwischen den Supermächten hinterließen einen machtfreien Raum in den ehemaligen verbündeten Staaten, den in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend lokale Akteure für sich erschlossen haben. Die verbliebene Supermacht USA und die vier Großmächte zeigen seither nur wenig allgemeine Bereitschaft[1], global zu intervenieren, wie es eines der kennzeichnenden Merkmale des Kalten Krieges war.[2]

Dadurch ist es für die Nationalstaaten und auch nicht-staatliche Akteure möglich geworden, sich um die militärisch-politischen Beziehungen und lokalen Gewaltdynamiken eigenständig und ohne externe Einflussnahme einer Supermacht zu kümmern. Als Antwort auf die Prozesse der Globalisierung[3] und der damit einhergehenden Überwindung bisheriger territorialer Grenzen haben sich regionale Organisationen und Zusammenschlüsse gebildet. Dieser, auch als neuer Regionalismus[4] gekennzeichnete Prozess folgt der Prämisse, dass die globalen wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Dynamiken nicht unabhängig von anderen gesellschaftlichen Themen wie Gerechtigkeit, Sicherheit, Kultur oder Identität betrachtet werden können und verfolgen deshalb einen multidimensionalen Ansatz, der sich durch eine wirtschaftliche und politische Verflechtung, starke supranationale Rahmenbedingungen, Mehrebenenregierung und enge Kooperationen auszeichnet.[5]

Insbesondere in Afrika sind diese Auswirkungen der Globalisierung zu beobachten, indem die Staaten grenzübschreitenden Bedrohungen durch Zusammenschlüsse auf regionaler Ebene reagieren, um die staatliche Souveränität zu sichern.[6]

In dieser Ausarbeitung werde ich die Möglichkeiten der Afrikanischen Union bezüglich ihrer Kapazitäten und Potenziale zur Eindämmung regionaler Konflikte untersuchen. Speziell gehe ich der Frage nach, ob sich die Afrikanische Union (AU) mittels der die Region umfassenden Friedens- und Sicherheitsarchitektur (AFSA) zu einem Regional Security Complex (RSC) entwickelt. Dabei folge ich der Regional Security Complex Theory von Buzan und Wæver, wie sie in deren Buch „Regions and Powers“ aus dem Jahr 2003 dargestellt wurde. Um diese breite Thematik dem Umfang einer Hausarbeit anzupassen, werde ich mich dabei auf das Regime der Responsibility to Protect (R2P) und deren Umsetzung in der Afrikanischen Union beschränken. Ich verfolge die These, dass die AU ein institutionalisierter Proto-Complex ist, der zur Umsetzung der R2P ein den Kontinent überspannendes Institutionsgefüge etabliert hat, durch welches alle afrikanischen Staaten[7] eine gemeinsame Sicherheitsregion bilden.

Zunächst werde ich dafür den theoretischen Kontext erläutern und die Grundannahmen der RSC Theorie vorstellen. Anschließend umreiße ich im dritten Kapitel das Sicherheitsverständnis, das einem RSC zugrunde liegt und zeige auf, inwieweit diese Grundsätze auf die R2P anwendbar sind. Danach erläutere ich die Strukturen der AFSA, welche die AU als ein RSC, unter besonderer Berücksichtigung der R2P, ausweist. Die schon seit Jahrzehnten existierenden Regional Economic Communities (REC), die sich seit ihrer Gründung zu stark institutionalisierten Sub-Regionalstrukturen innerhalb der AU entwickelt haben und bei der Umsetzung der AFSA eine zentrale Rolle spielen, bilden im RSC AU zentrale Sub-Complexe, weshalb sie in einem eigenen Abschnitt dargestellt werden.

Kapitel fünf widme ich den noch offenen Fragen und Kritikpunkten bei der Anwendung der RSC Theorie im Allgemeinen und der Anwendung auf die AU im Besonderen. Abschließen werde ich mit der Erkenntnis, dass die AU bisher nicht ohne Einschränkungen als institutioneller Proto- Complex bezeichnet werden kann, da sich die AU in Fragen der Sicherheitspolitik noch in einer relativ frühen Umsetzungsphase befindet. Die Kriterien für einen institutionalisierten Complex sind jedoch erfüllt, der Präfix `Proto` zeugt lediglich von der Wichtigkeit, die bisherigen Anstrengungen auf dem afrikanischen Kontinent fortzuführen, da die bisherigen Erfahrungen in Afrika gezeigt haben, dass nur gemeinsam Lösungen für die zahlreichen Konflikte gefunden werden können.

2. Die Regional Security Complex Theorie

Gesehen aus der Perspektive der Sicherheitspolitik nach Buzan und Wæver[8] ist der Globus umspannt von vier übereinanderliegenden Ebenen, die unterschiedliche Akteursebenen bilden und jeweils eigene Dynamiken und Eigenschaften aufweisen. Die oberste ist die globale Ebene, darunter befindet sich die interregionale Ebene, darunter die regionale Ebene und darunter die staatliche Ebene[9]. Sie sind alle eng miteinander verwoben und abhängig von dem speziell zu untersuchendem Sicherheitsthema und vom zu untersuchenden Zeitpunkt bilden sie spezielle Mächteverhältnisse und -dynamiken heraus. Es ist hervorzuheben, dass, obwohl der Name der Theorie gegenteilige Erwartungen hervorrufen mag, die regionale Ebene bei der Untersuchung von Sicherheitspolitiken nach der RSCT nicht die dominante sein muss, sondern allenfalls einem besonderen Fokus unterliegt. Dieser begründet sich in der Feststellung, dass bisherige Untersuchungen sich oftmals schwerpunktmäßig entweder auf die nationale oder die globale Ebene konzentrieren und dabei wesentliche Erscheinungen auf der regionalen Ebene zu stark vernachlässigen.

Akteure agieren vor allem auf einer der Akteursebenen, und ihre Zuordnung wird, dem konstruktivistischem Ansatz der RSC Theorie folgend, zum einen von den wirklichen Kapazitäten und zum anderen von der Einschätzung dieser durch die anderen im System befindlichen Akteure bestimmt.

Auf der globalen Ebene sind die `Superpowers` aktiv. Sie zeichnen sich durch enorme politisch-militärische Kapazitäten aus und müssen einerseits die Bereitwilligkeit haben, sich überall auf der Welt aktiv in den Prozessen der Ver- und Entsicherheitlichung zu beteiligen. Andererseits muss diese Position auch von den anderen Akteuren des internationalen Systems anerkannt werden. Die einzige Supermacht im derzeitigen System sind die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die interregionale Ebene wird von den `Great Powers` bestimmt. Sie unterscheiden sich von den Supermächten, da sie nicht im gesamten globalen System aktiv sind, sondern sich, aufgrund ihrer geringeren Kapazitäten, in der Sicherheitspolitik nur in einer beschränkten Zahl von Regionen im internationalen System einbringen. Jedoch sind die aktuellen Ressourcen eines Akteurs allein nicht für ihre Zuordnung zur interregionalen Ebene ausschlaggebend, sondern vor allem die Erwartungen der anderen Akteure im internationalen System über die Macht des Akteurs in der Zukunft. Es gibt vier Großmächte: Japan, China, Russland und die EU.

In der regionalen Ebene sind `Regional Powers` dominierend, welche die Polarität innerhalb einer Region festlegen. Beispiele hierfür sind Nigeria, Brasilien oder Südafrika. Die für die Analyse der internationalen Sicherheitsdynamiken mittels der RSC Theorie wichtigsten Einheit, die Region, wird wie folgt definiert:

„A set of units whose major processes of securitisation, desecuritisation, or both are

so interlinked that their security problems cannot reasonably be analysed or resolved

apart from one another.”[10]

Die Grundstruktur einer Region zeichnet sich dementsprechend durch mehrere Variablen aus, von denen insbesondere eine klare Grenze zu anderen Regionen entscheidend ist. Sie muss aus mehreren staatlichen oder nicht-staatlichen Einheiten bestehen und durch einen Grad an Polarität gekennzeichnet sein, der die Verteilung von Macht unter den Einheiten einer Region bestimmt. Als viertes wird das Vorhandensein eines Systems sozialer Interaktionen genannt, das die Freundschaften und Konkurrenzverhältnisse der unterschiedlichen Einheiten in der Region beschreibt.

Die zentralen Akteure einer Region und damit auch in den darüberliegenden Ebenen des internationalen Systems sind immer noch die Nationalstaaten[11]. Sie legen die Art der RSC fest. Während ein Standard RSC von einer Regionalmacht bestimmt wird, wie zum Beispiel die Southern African Development Community (SADC) von Südafrika, werden Centered RSC s unipolar durch eine Supermacht, wie zum Beispiel die nordamerikanische RSC durch die USA, oder Großmacht, wie zum Beispiel die Commonwealth of Independent States (CIS) durch Russland, dominiert. Auch eine unipolare Ausrichtung einer Region durch eine Regionalmacht ist vorstellbar, jedoch gibt es diese Konstellation bisher nicht. Eine besondere Gruppe stellen die institutionalisierten RSC s dar, welche aufgrund einer ausgeprägten Institutionalisierung der Sicherheitspolitiken der einzelnen Einheiten eigenständige Akteursqualitäten ausbilden. Daduch erhalten sie das Potential, auch als Region eine Großmacht zu werden. Bisher gibt es das aber nur in der EU, als Proto- Complex bei der AU. Verschmelzen die Sicherheitspolitken mehrerer aneinandergrenzender RSCs und bilden sich überregionale Zusammenschlüsse, so entsteht eine Supercomplex.

Auf der staatlichen Ebene wirken entsprechend Nationalstaaten und vergleichbare, auf der nationalen Ebene agierenden, nicht-staatlichen Akteure. Um die Polarität und Mächteverhältnisse innerhalb eines RSCs besser analysieren zu können, empfehlen Buzan und Wæver eine Kategorisierung der Nationalstaaten in schwache und starke Staaten, entsprechend dem Grad ihrer soziopolitischen Kohäsion zwischen der Zivilgesellschaft und den staatlichen Institutionen. Staaten mit einer stärkeren Verstrickung von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen tendieren eher dazu, sicherheitspolitische Bedrohungen außerhalb ihrer Grenzen zu sehen. Schwache Staaten hingegen sind insbesondere durch Konflikte innerhalb der Nationalgrenzen geprägt.

Außerdem von Bedeutung bei der Untersuchung der inneren Dynamiken eines RSCs ist die Einteilung der Staaten in post-modern, modern und prä-modern[12]. Prä-moderne Staaten sind gekennzeichnet durch einen schwachen soziopolitischen Zusammenhalt und schwache staatliche Strukturen. Moderne Staaten entsprechen dem klassischen westfälischen Idealtypus mit einer starken Kontrolle der Bevölkerung durch die Regierung und festen nationalen Grenzen und Kulturen. Der Post-moderne Staat stützt sich weiterhin auf die modernen staatlichen Merkmale Grenzen, Souveränität und nationale Identität, ist jedoch wesentlich offener und toleranter Grenzüberschreitungen und nicht-staatlichen Akteuren gegenüber, ist von den klassischen sicherheitspolitischen Themen abgerückt und konzentriert sich eher auf Probleme der Stabilität von ökonomischen und ökologischen Systemen.

Auch wenn der Großteil der Erde in entsprechende RSCs eingeteilt werden kann, so gibt es doch noch immer Regionen ohne einen sicherheitspolitischen Zusammenschluss. So entstehen aufgrund anhaltender Feindschaften oder zu starker Differenzen zwischen den Akteuren einer geographischen Region eine unstrukturierte Region. Oder es ergibt sich, dass Akteure unter einem starken hegemonialen Einfluss einer Groß- oder Supermacht unterliegen, wodurch die Region als überlagert gilt und an der Herausbildung zwischeneinheitlicher Abhängigkeiten gehindert wird. Akteure, die sich aus unterschiedlichen Gründen keiner bestimmten RSC anschließen können und als Buffer zwischen zwei RSC fungieren, werden Insulators genannt. Geschieht dies innerhalb eines RSC, aufgrund von einer ausgeprägten Bi- oder Multipolarität zwischen mehrere Regionalmächte, werden diese Einheiten als Buffer bezeichnet.

Hervorzuheben ist, dass in den vorangegangenen Beschreibungen die territorial festgelegten Nationalstaaten eine zentrale Rolle eingenommen haben, die sie in der Theorie der RSC und der sicherheitspolitischen Praxis, vor allem in Afrika, nicht zwangsweise einnehmen[13]. Ohne feste Kategorisierung und Variablenbestimmung und deshalb bisher nur unzureichend beschrieben sind die zahlreichen nicht-staatlichen Akteure, welche die Charakteristika einer RSC ebenso prägen können wie die Staaten. Suprastaatliche Organisationen, von bewaffneten Rebellengruppen über wirtschaftliche Zusammenschlüsse bis hin zu kulturellen Austauschorganisationen, sind ein wesentliches Element bei der Herausbildung regionaler Sicherheitspolitiken und müssen entsprechend in den Analysen Beachtung finden. Auf die besondere Bedeutung nicht-staatlicher Akteure für die Afrikanische Union als RSC und den dadurch entstehenden Besonderheiten für die Anwendung dieser Theorie werde ich im sechsten Kapitel ausführlicher eingehen.

3. Das Sicherheitsverständnis der Regional Security Complex Theorie und die Responsibility to Protect

Das Sicherheitsverständnis der RSCT unterliegt keiner festen Definition, sondern unterliegt den spezifischen Ansichten und dem aktuellen Bedrohungsempfinden der im zu untersuchenden RSC aktiven Akteure. Diese werden von der Region und der jeweiligen Zuordnung im internationalen System bestimmt.

In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass das die Beschränkung bei der Beschreibung des Konzeptes von Sicherheit mit traditionell militärisch-politischen Themen unzureichend ist und andere Bestandteile hinzugefügt werden müssen, um eine praxisrelevante Beschreibung und Analyse zu ermöglichen. Vor allem Staaten mit einer ausgeprägten Staatlichkeit in einem zu einer Sicherheitsgemeinschaft formierten RSC heben die Bedeutung sozialer, kultureller, ökonomischer und ökologischer Sicherheit vor externen Bedrohungen hervor, zum Beispiel die Herausforderungen bezüglich Migration, Umweltkatastrophen oder dem Umgang mit spekulativen Marktbeeinflussungen. Staaten mit schwacher Staatlichkeit hingegen betonen vor allem interne Bedrohungen, die die innerstaatliche Stabilität gefährden, und konzentrieren sich auf militärisch-politische Sicherheitsmaßnahmen. Nicht-staatliche Akteure wiederum verfolgen zumeist Varianten militärisch-politischer oder ökonomischer Sicherheitsinteressen gegenüber staatlichen oder nicht-staatlichen Akteuren.

Um die Vielfalt von sicherheitsrelevanten Thematiken zu unterstreichen und den komplexen Beziehungen der unterschiedlichen Akteure gerecht zu werden, unterscheiden Buzan und Wæver zusätzlich zwischen den versicherheitlichenden Akteuren und den diese Maßnahmen empfangenden / betreffenden Objekten. Damit wird die Problematik gelöst, dass oftmals Staaten als versicherheitlichende, also handelnde Objekte betrachtet werden und demnach zum Beispiel gesellschaftliche Sicherheit bedeuten würde, dass ein Staat die Sicherheit gegen die Gesellschaft durchsetzt, wodurch die gesellschaftliche Sicherheit hoch sein kann, während die Gesellschaft selber aber großen Unsicherheiten unterworfen ist. Durch diese Konzeptualisierung wird es ermöglicht, dass auch nicht-staatliche Akteure als versicherheitlichend handelnd wahrgenommen werden können.

Wie die Ausführungen zeigen, sind der Umfang und die Festlegung sicherheitsrelevanter Thematiken stark von dem Sicherheitsverständnis der Akteure abhängig. Wie auch bei der Einschätzung der Mächteverhältnisse innerhalb einer Region (vgl. vorherige Seite) sind bisher Nationalstaaten die hauptsächlichen Akteure bei der Besetzung der sicherheitspolitischen Agenda, vor allem in Afrika haben sich aber einige nicht-staatliche Akteure bereits zu ernsthaften Konkurrenten von Staaten herausgebildet.

Der Sicherheitsbegriff in der RSCT ist demzufolge sehr breit angelegt und kann eigentlich alle Themen betreffen. In Abhängigkeit von der jeweiligen sicherheits-politischen Situation, dem zu sicherndes Objekt und den zu versicherheitlichen Akteuren können die unterschiedlichsten Schwerpunkte bei dem Prozess der Versicherheitlichung[14] gesetzt werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Sicherheitsempfinden eines Akteurs einer stänigen Neubewertung unterliegt und daher neue oder veränderte Bedrohungen und entsprechend neue oder veränderte Lösungsstrategien formuliert und umgesetzt werden. Um diese Strategien erfolgreich zu implementieren, bedarf es eines neuen Sicherheits-Diskurses, der die Bedrohung als solche darstellt und dadurch als neues Referenzobjekt für Sicherheit etabliert.[15] Durch die sich global verändernde Konfliktsituation seit den frühen 1990ern und den zahlreich ausbrechenden, weltweit mit Aufmerksamkeit verfolgten Krisen rund um den Globus (z.B. in Ex-Jugoslawien, Ruanda, Somalia, Sri Lanka, Kolumbien), wurde eine Neubewertung des Sicherheitsbegriffes notwendig.[16] Die Krisen und gewaltsamen Konflikte wurden und werden zunehmend auf regionaler Ebene ausgetragen, wodurch nicht-staatliche Akteure wie Rebellengruppierungen und die Folgen wie grenzüberschreitende Flüchtlingsströme, weiter in den Fokus rückten. Für die Befriedung von Konflikten war daher ein rein staatszentrierter Ansatz von Sicherheit nicht mehr angemessen. 1998 formulierte Kofi Annan die zentrale Idee der Responsibility to Protect, damals noch nicht unter diesem Namen bekannt, als „State frontiers [..] should no longer be seen as a watertight protection for war criminals or mass murderers”[17]. Diese Aussage beinhaltet bereits ein Sicherheits-verständnisses, dass das Individuum als zentrale Akteure von Sicherheit bestimmt und die Souveränität der Staaten nicht länger als Recht der eigenen Bevölkerung gegenüber bestimmt, sondern vor allem die diesem Prinzip zugrunde liegenden Pflichten hervorhebt. Die international besetzte Kommission unter der Führung von Kanada International Commission On Intervention And State Sovereignty griff die global als verändert wahrgenommene Sicherheitssituation im internationalen Umfeld, zahlreiche bis dahin gemachte Erfahrungen sowie die Diskussionen um humanitäre Sicherheit auf und formulierte die Responsibility to Protect.[18]

Dabei wird die Schutzverantwortung eines jeden Staates gegenüber der Bevölkerung in drei einzelne Verantwortungsbereiche untergliedert: In die Verantwortung zur Prävention („prevent“) von Konflikten, bestehend aus der Unterstützung beim Aufbau gewaltfreier Konfliktaustragungsmechanismen, beim Demokratieaufbau und durch die Bereitstellung finanzieller Hilfen. Zum zweiten besteht sie aus der Verantwortung zum Reagieren („react“), definiert als ein zeitnahes Aktiv-werden der internationalen Gemeinschaft unter Ausschöpfung aller in der UN Charta in den Kapiteln VI und VII zu Verfügung stehenden Maßnahmen, um eine etwaige Ausbreitung eines Konfliktes zu verhindern und den Friedensprozess einzuleiten. Die dritte Verantwortung der R2P ist die Verantwortung zum Wiederaufbau („rebuild“) nach einem Konflikt, welche, neben der Wiederherstellung der zerstörten physischen Infrastrukturen, insbesondere den Schwerpunkt auf die Unterstützung bei der Schaffung einer nachhaltig friedlichen und ausgesöhnten Gesellschaft abzielt.

Mit diesem Schritt wurde das bisher international geltende Konzept der ‚Non-Interference‘ durch das Konzept der ‚Non-Indifference‘ abgelöst. Das bedeutet, dass die Geschehnisse in anderen Staaten, auch wenn sie als ‚intern‘ beschrieben werden, nicht weiter gleichgültig von der internationalen Gemeinschaft hingenommen werden, sondern den betroffenen Staaten Unterstützung zur Beilegung von Konflikten gegeben werden muss. Dieses Prinzip ist ein wesentlicher Teil der Normentwicklung von der OAU zur AU. Sollte sich ein Staat uneinsichtig oder nicht fähig zeigen, seinen Aufgaben der Bevölkerung gegenüber gerecht zu werden, so hat die Staatengemeinschaft die Verpflichtung, die Souveränitätsrechte des betroffenen Staates einzuschränken und aktiv einzugreifen.

[...]


[1] Eine Ausnahme dazu scheint der `Global War on Terror` seit 2001 zu sein, der jedoch sehr themenspezifisch und regional begrenzt geführt wird, so dass sich dadurch noch keine allgemeine Bereitschaft abzeichnet, weltumspannend Einflussnahme ausüben zu wollen.

[2] Die vier Großmächte sind China, EU, Japan und Russland. Für eine Beschreibung von Supermacht und Großmacht vgl. Seite 5 dieser Arbeit.

[3] Die Prozesse der Globalisierung beschreiben „intensivierte Interaktionskapazitäten im Transport und der Kommunikation, die Schrumpfung der Variablen Zeit und Raum, sehr enge Verknüpfungen von Handel, Finanzen, Produktion und Umwelt und die zunehmende Vermischung der Systemebene mit dem lokalen Raum“, nach Buzan und Wæver (2003),eigene Übersetzung.

[4] In Abgrenzung zum alten Regionalismus, der alleinig eine Vereinheitlichung der Wirtschaftspolitiken verschiedener Staaten einer Region zum Ziel hatte, um damit Entwicklungsanreize zu geben.

[5] Vgl. Thakur und Langenhoven (2008), S. 30.

[6] Vgl. Gnanguenon (2009), S. 1.

[7] Zu beachten ist, dass als einziges afrikanisches Land Marokko nicht Mitglied der AU ist und somit in die Betrachtungen dieser Arbeit nicht mit einbezogen wird. Grund dafür ist die Mitgliedschaft der Arabischen Saharauischen Demokratischen Republik in der AU, welche seit 1979 von Marokko besetzt ist.

[8] Die Definitionen, Theorieansätze und deren Anwendung in diesem, wie auch in den folgenden Kapiteln stützen sich auf Buzan und Wæver (2003). Soweit nicht anderweitig gekennzeichnet, stammen die theoretischen Beschreibungen, wie auch die praktischen Erläuterungen in den folgenden Kapiteln dem oben erwähnten Buch.

[9] Aufgrund einer fehlenden adequaten Übersetzung des Begriffes `domestic`, wie in die Autoren der RSCT benutzen, bleibe ich bei der Benutzung des Begriffes staatlich, der in diesem Zusammenhang aber keinesfalls als staatszentriert verstanden werden darf, da auch nicht-staatliche Akteure in dieser Ebene wesentlich sein können.

[10] Buzan und Wæver (2003), S. 44.

[11] Diese Einschätzung wird in der Zukunft jedoch zunehmend herausgefordert werden, da vor allem in schwachen Staaten die nicht-staatlichen Akteure das Beziehungsgeflecht der Sicherheitspolitik an Bedeutung gewinnen. Als Beispiel kann Somalia angeführt werden, in dessen Grenzen nicht-staatliche und pseudo-staatliche Gruppierungen große Teile des Territoriums kontrollieren und die Sicherheitsdynamiken der Region wesentlich mit beeinflussen.

[12] Diese Einteilung bezieht sich auf bestimmte Merkmale bei exemplarischen Staaten vornehmlich auf dem Territorium der heutigen industrialisierten Welt, die sich im Verlauf der unterschiedlichen historischen Epochen ausbildeten. Davon leitet sichl jedoch keine historische Notwendigkeit damit ab, nach welcher Staaten bestimmte Stufen bei ihrer Entwicklung durchlaufen.

[13] Grund hierfür ist die sehr schwierige Einteilung und Beschreibung nicht-staatlicher Akteure, da diese die unterschiedlichsten Ausprägungen annehmen können, wohingegen Staaten noch immer relativ leicht anhand ihrer Territorialität und dem Grad der Staatlichkeit bestimmt werden können. Dadurch entwickelt sich leider bei der Beschreibung der RSCT schnell eine scheinbare Dominanz der Staaten, die nicht unbedingt gegeben sein muss und weshalb ich entsprechende Hinweise für notwenig erachte.

[14] Vgl. Buzan und Wæver und de Wilde (1998), S. 23 ff.

[15] Ibid., S. 24.

[16] Vgl. Daase (2010) oder Buzan und Wæver und de Wilde (1998), S. 53 ff.

[17] Vgl. Annan, K. (1998).

[18] Willans (2007), S. 7f..

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Afrikanische Union als Regional Security Complex
Untertitel
Regionale Sicherheit und die Umsetzung der Responsibility to Protect
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Völkerrechtsentwicklung aus der Perspektive der Friedensforschung
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
30
Katalognummer
V194583
ISBN (eBook)
9783656215400
ISBN (Buch)
9783656218043
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
RtP, Responsibility to Protect, R2P, Afrikanische Union, AU, African Union, Regionale Sicherheit, Regionalisierung, Regionalism, Regional Security Complex Theory, Regional Security Complex, Buzan, Waever, ECOWAS, SADC, IGAD, ECCAS, APSA, AFSA, Afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur, humanitarion security, erweiterter sicherheitsbegriff, erweiterte sicherheit
Arbeit zitieren
Hannes Krüger (Autor:in), 2011, Die Afrikanische Union als Regional Security Complex, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194583

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