Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
A. Einleitung
B. Minderheitenschutz
I. Historische Entwicklung des Minderheitenschutz
II. Der Minderheitenbegriff
1. Definition
2. Religiose Minderheiten
3. Sprachliche Minderheiten
4. Ethnische Minderheiten
5. Indigene Volker
III. Minderheitenschutz durch Menschenrechtsschutz
IV. Der Internationale Pakt uber burgerliche und politische Rechte und das
Fakultativprotokoll
V. Anwendungsbereich und Schutzgehalt des Art. 27 IPbpR
1. Staatsangehorigkeit
2. Rechtspflichten aus Art. 27 IPburg
a) Art. 27 IPburg als Abwehrrecht („respect“ und „protect“)
aa) Abwehrrecht gegenuber dem Staat
bb) Abwehrrecht gegenuber Privatpersonen
b) Art. 27 IPbpR als Leistungsrecht („fulfil“)
aa) Verpflichtung zur staatlichen Leistungspflicht
bb) Umfang der MaBnahmen zum Erhalt und zur Forderung der
Minderheitenkultur
3. Art. 27 IPbpR als Individual- oder Kollektivrecht
a) Anwendung
b) Kollision
VI. Durchsetzung des Art. 27 IPbpR in der Praxis des UN-
Menschenrechtskomitees
1. Staatenberichtsverfahren
2. Zwischenstaatliches Beschwerdeverfahren
3. Individualbeschwerdeverfahren
C. Fazit
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Gutachten
A. Einleitung
Gegenwartig gibt es auf der Welt 193 vollstandig von den Vereinten Natio- nen anerkannte souverane Staaten.[1] In fast jedem dieser Staaten leben Men- schen, die sich durch ihre ethnische, sprachliche oder religiose Identitat von der Mehrheit der Bevolkerung unterscheiden.[2] Das Staatsvolk, im Sinne der „Gesamtheit der Personen, die durch Staatsangehorigkeit einem Staate zu- gehoren“[3], ist in den wenigsten Staaten deckungsgleich mit einer Nation im Sinne einer sozialen Gruppe, die sich aufgrund kollektiver Handlungsfahig- keit,[4] vielfaltiger, historisch gewachsener Beziehungen sprachlicher, kultu- reller, religioser oder politischer Art ihrer Zusammengehorigkeit und beson- derer Interessen bewusst ist. Die meisten Staaten umfassen somit Bevolkerungsgruppen, deren nationale Identitat von der der Mehrheitsbe- volkerung abweicht.[5]
Gewalt gegen diese Personen hat seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als 10 Millionen Menschenleben gekostet.[6] Friedliche Beziehungen zwischen Minderheiten und zwischen Minderheit und Mehrheit auf der Grundlage gegenseitigen Respekts bedeuten eine Anerkennung der Wurde und Gleich- heit der Menschen, auf der die Charta der Vereinten Nationen gegrundet ist. Der weitere Beitrag des Minderheitenschutzes zur Wahrung des Weltfrie- dens als einem der Ziele der Vereinten Nationen ergibt sich aus der Tatsa- che, dass die Mehrheit aller bewaffneter Auseinandersetzungen seit dem Zweiten Weltkrieg durch Spannungen ausgelost wurden, die ihren Ursprung in Minderheitenfragen hatten.
Die Vereinten Nationen haben sich lange schwer getan eine Regelung zum Schutz von Minderheiten zu erlassen. Die bisher konkreteste Grundlage zum Thema Minderheitenschutz findet sich in Art. 27 des Internationalen Paktes uber burgerliche und politische Rechte. Fraglich ist wie weit dieser Artikel reicht und inwiefern er durchgesetzt wird und ob ein ausreichender Minderheitenschutz auf internationaler Ebene tatsachlich existiert.
Diese Fragen und solche nach den Ursachen fur die langsame Entwicklung des internationalen Minderheitenschutzes versucht die vorliegende Arbeit zu ergrunden, beginnend mit der historischen Entwicklung des Minderheitenschutzes, der Suche nach einer Definition des Minderheitenbegriffs, sowie der Entstehung und Natur des internationalen Pakts uber burgerliche und politische Rechte. Im Anschluss daran werden die Anwendung und die Durchsetzung des Art. 27 IPbpR uberpruft, wobei es weniger darum gehen soll die genauen Gegebenheiten in den einzelnen Vertragsstaaten aufzuzah- len, sondern einen globalen Uberblick uber den Minderheitenschutz der Vereinten Nationen zu verschaffen.
B. Minderheitenschutz
I. Historische Entwicklung des Minderheitenschutz
Um die Minderheitenproblematik verstehen zu konnen, muss man zunachst einmal auf den Umgang mit Minderheiten in der Vergangenheit blicken. Erste Ansatze einer Art von Minderheitenschutz gab es schon vor ca. 500 Jahren. Erst fremdenrechtlichen, spater auch minderheitenrechtlichen Cha- rakter hatten die Schutzbestimmungen zugunsten der Christen in den turki- schen Landern in den Kapitulationen zwischen dem turkischen Sultan und christlichen Staaten seit 1535.[7] Internationale Vorgaben fur den Schutz reli- gioser, ethnischer und sprachlicher Minderheiten gab es erstmals in den Vertragen zum religiosen Frieden von Augsburg (1555) und Westfalen (1648).[8] Auch die Schutzbestimmungen zugunsten der Christen in den turkischen Landern in den russisch-turkischen Friedensvertragen von Kutschuk Kainardschi von 1774 und Adrianopel von 1829 hatten minderheitenrechtlichen Charakter.[9] Die Berliner Kongressakte von 1878 verbriefte das Prinzip der religiosen Freiheit und Gleichberechtigung fur alle Untertanen des Sultans und umgekehrt fur die nichtchristlichen Minderheiten in den neu ent- standenen Staaten Bulgarien, Montenegro, Serbien, Rumanien. Im Verhalt- nis christlicher Staaten zueinander wurden Vorschriften zugunsten der reli- giosen Minderheiten im 17. und 18. Jahrhundert bei den Gebietsabtretungen in Friedensschlussen zwischen Frankreich und den Niederlanden und bei der ersten polnischen Teilung aufgenommen.[10] Die Wiener Schlussakte von 1815 versuchte polnischen Burgern einen Schutz ihrer Nationalitat zu si- chern, der Berliner Vertrag von 1978 bot ahnlichen Schutz fur Armenier in der Turkei und Turken, Rumanen und Griechen in Bulgarien.[11] Ein systematischer Schutz nationaler und sprachlicher Minderheiten setzte aber erst nach dem Ersten Weltkrieg ein.[12] Ausgehend von den Vorstellun- gen des amerikanischen Prasidenten Wilson, wollte man nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen nach dem so genannten Nationalitatengrundsatz ziehen, d.h. nach dem Prinzip „eine Nation, ein Staat“. Die Verwirklichung scheiterte unter anderem daran,[13] dass die Definition des Begriffes „Nation“ an sich uneindeutig ist. (“Nation und Nationalismus gehoren zu den 1001 Themen, auf die sich keine zwei Gelehrten je einigen konnen.”[14] ) Die von Prasident Wilson geforderte Aufnahme eines allgemeinen Minderheiten- schutzes in die Satzung des Volkerbundes scheiterte am Widerspruch der Siegerstaaten.[15]
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde von den Vereinten Nationen zunachst keine nennenswerte Anstrengung unternommen, den volkerrechtlichen Schutz von Minderheiten zu sichern. Ausschlaggebend dafur, war die Auf- fassung, dass ein volkerrechtlicher Minderheitenschutz, verstanden als ein Schutz von Gruppenrechten, durch einen effektiven, auf das Individuum bezogenen Schutz der Menschenrechte ersetzt werden konnte.[16] Das Min- derheitenrecht wurde praktisch ignoriert.[17] So findet sich in der UN-Charta kein Hinweis auf Minderheiten und auch die Allgemeine Erklarung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 enthalt in ihrem Art. 2 nur ein allgemeines Diskriminierungsverbot.[18] Die Alliierten glaubten auf einen Minderheitenschutz in den Friedensvertragen verzichten zu konnen, da der Vernichtung von Minderheiten mit der Volkermordkonvention von 1948 zu begegnen versucht wurde. Die sozialistische Staatenwelt hingegen vertraute in der Theorie der wirtschaftlichen Gleichbehandlung der Volker. Auf international Ebene wurde auch die Allgemeine Erklarung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948 nach langwierigen Verhandlungen ohne Minderheiten- schutzbestimmung geschlossen. Allerdings bekundete die Generalversamm- lung der Vereinten Nationen in ihrer Resolution 217C (III) vom 10. Dezem- ber 1948 ihr Interesse an den Fragen des Minderheitenschutzes, indem sie eine Unterkommission fur die Verhinderung von Diskriminierungen und fur den Schutz von Minderheiten mit eingehenden Untersuchungen uber die Minderheitenproblematik beauftragte.[19]
Diese Resolution leitete die „Gesetzgebungspolitik“[20] der Vereinten Natio- nen auf dem Gebiet des Menschenrechtschutzes ein[21]. 1966 wurde der Minderheitenschutz mit Art. 27 in den internationalen Pakt uber burgerliche und politische Rechte aufgenommen welcher zusammen mit dem Pakt uber wirt- schaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Auftrag der UNO- Generalversammlung ausgearbeitet wurde.[22]
1977 nahm die Unterkommission zur Verhutung von Diskriminierungen und fur Minderheitenschutz der Menschenrechtskommission einen Vor- schlag des Sonderberichterstatters an und empfahl der Menschenrechts- kommission, die Gelegenheit fur eine Deklaration der Generalversammlung zu den in Art. 27 des Paktes enthaltenen Prinzipien zu prufen.[23] Diese folgte der Empfehlung mit der Resolution 47/135 uber die Rechte der Angehorigen nationaler, ethnischer, religioser und sprachlicher Minderhei- ten vom 18. Dezember 1992.
Seit 1995 befasst sich eine von der Menschenrechtskommission eingesetzte Arbeitsgruppe mit der praktischen Umsetzung der Erklarung.[24]
II. Der Minderheitenbegriff
Des Weiteren ist zu prufen was genau der Begriff „Minderheiten“ bedeutet und wer oder was als Minderheit gilt.
Der Begriff Minderheit charakterisiert eine Personengruppe, die „minder“ ist. Bei dem Wort minder handelt es sich um eine Komparativform des im germanischen Sprachgebrauch untergegangenen indogermanischen Adjek- tivs „minus“, das die gleiche Bedeutung wie das deutsche Adjektiv „klein“ hatte.[25] Das entspricht auch der Bedeutung des lateinischen Wortes „mi- nor“[26], auf dem die englischen und franzosischen Begriffe („minority“/ „mi- norite“) beruhen.[27] Dass es sich um einen zahlenmaBig unterlegenen Teil der Bevolkerung handelt,[28] ist daher zunachst noch relativ unbestritten. Schwieriger wird es bereits die genauen Kriterien festzulegen, welche die Minderheiten kennzeichnen.[29]
1. Definition
Eine eindeutige von allen Staaten akzeptierte Definition des Begriffes Minderheiten existierte uber einen weiten Zeitraum nicht und ist auch heute nicht ganz unumstritten. Es hat in der Vergangenheit etliche Definitionsvor- schlage geben. Die vermutlich bedeutendsten entstanden in Bezug auf die Einfuhrung des Art. 27 in den Internationalen Pakt uber burgerliche und politische Rechte.
Den bedeutendsten Definitionsvorschlag lieferte der Sonderberichterstatter der Unterkommission zur Menschenrechtskommission Francesco Capotor- ti[30].
Er definiert Minderheiten in seiner Studie uber die Rechte von Personen, die ethnischen, religiosen oder sprachlichen Minderheiten angehoren als: „Groups that are numerically inferior to the rest of the population of a state; that are in a non-dominant position; whose members - national of the State of residence posses ethnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population; and that show - if only implicitly - a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religion or language.”[31]
Ins Deutsche ubersetzt werden kann diese Definition folgendermaBen:
“Eine Minderheit ist eine der ubrigen Bevolkerung des St aates zahlenmaBig unterlegene Gruppe, die keine herrschende Stellung einnimmt, deren Ange- horige - Burger dieses Staates - ethnischer, religioser und sprachlicher Hin- sicht Merkmale aufweisen, die sie von der ubrigen Bevolkerung unterschei- den, und die zumindest implizit ein Gefuhl der Solidaritat bezeigen, das auf die Bewahrung der eigenen Kultur, der eigenen Traditionen, der eigenen Religion oder der eigenen Sprache gerichtet ist.”[32]
Diese Definition fand weitestgehende Zustimmung und wurde von den Mit- gliedern der Unterkommission angenommen. Bis heute hat dieser Definiti- onsversuch eine beachtliche Autoritat erlangt.[33]
GemaB des General Comment zu Art. 27 IPbpR sind Personen als Angeho- rige einer Minderheit zu schutzen, welche „zu einer Gruppe gehoren und welche eine gemeinsame Kultur, Religion und/oder Sprache teilen“[34].
Sowohl in der Definition von Capotorti als auch in Art. 27 IPbpR lautet die Formulierung „ethnische, religiose und sprachlichen Minderheiten“. Festzu- stellen ist wer unter diese Begriffe gefasst werden kann.
2. Religiose Minderheiten
Religiose Minderheiten sind solche Gruppen, welche eine Religion ausuben welche von der Religion der Mehrheit abweicht. Es ist irrelevant ob oder welche Religion die Mehrheit ausubt.[35] Religion ist gemaB dem gewohnli- chen Wortlaut dieses Begriffs eine Weltanschauung, der transzendentale Vorstellungen und Erklarungen zugrunde liegen.[36] Die funf groBen Religio- nen sind Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Judentum und Islam.
3. Sprachliche Minderheiten
Die Formulierung sprachliche Minderheiten bezieht sich auf jene Volks- gruppen, welche eine Sprache, untereinander und im offentlichen Leben, nutzen, die eindeutig von der Sprache, welche von der Mehrheit genutzt wird, abweicht. Dies muss allerdings keine geschriebene Sprache sein. Dia- lekte, die sich nur leicht in der Aussprache von der Mehrheitssprache unter- scheiden, fallen nicht in diesen Bereich und begrunden keine Stellung als Minderheit.[37]
4. Ethnische Minderheiten
Der Begriff der ethnischen Minderheit ist etwas schwerer einzuordnen als die vorhergehenden. Zu definieren ist der Begriff der Ethnie.
Schon Max Weber empfand den Begriff ethnisch „als einen, fur jede wirk- lich exakte Untersuchung ganz unbrauchbaren Sammelnamen.”[38] Im Lexikon findet man die Erklarung „die Kultur einer Volksgruppe betref- fend“, dies ist entlehnt aus dem griechischem ethnikos, welches „zum frem- den Volke gehorend“[39] bedeutet. Eine ethnische Gleichartigkeit von Men- schen muss immer Elemente von Herkunfts- und Kulturgemeinschaft aufweisen.[40] Ethnische Minderheiten zeichnen sich generell dadurch aus, dass sie sich in kultureller Hinsicht[41], aufgrund einer unabhangigen Ge- schichte unabhangig von biologischen Unterschieden von der sonstigen Be- volkerung unterscheiden.[42]
Ethnizitat bezeichnet die fur individuelles und kollektives Handeln bedeut- same Tatsache, dass eine relativ groBe Gruppe von Menschen durch den Glauben an eine gemeinsame Herkunft, durch Gemeinsamkeiten von Kultur, Geschichte und aktuellen Erfahrungen verbunden sind und ein bestimmtes Identitats- und Solidaritatsbewusstsein besitzen.[43]
5. Indigene Volker
Eine groBere Problematik ergibt sich bei der Einordnung indigener Volker unter den Minderheitenbegriff.
Art. 1 des ILO-Ubereinkommens Nr. 169 definiert indigene Volker als in Stammen lebende Volker in unabhangigen Landern, die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhaltnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Brauche oder Uberlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist, sowie Volker in unabhangigen Landern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevolkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehort, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegen- wartigen Staatsgrenzen ansassig waren und die einige oder alle ihrer traditi- onellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten.[44]
Dazu zahlen die Indianer Nord-, Mittel- und Sudamerikas, die Aborigines in Australien, die Maori in Neuseeland, aber auch die Eskimos (Inuit) und die Lappen (Samen).[45] Sie alle lehnen die Bezeichnung „Minderheit“ fur sich zumeist vehement ab.[46]
Wahrend der Formulierung des Art. 27 IPbpR, waren einige Delegierte des Menschenrechtskomitees der Ansicht, dass so genannte indigene Volker wie die Indianer Nord und Mittelamerikas, sowie die Aborigines Australiens keine Minderheiten seien.[47] Sie begrundeten dies damit, dass die Kultur die- ser Volker auf einem solch primitiven Level sei, dass sie keinen speziellen Schutz benotigten. Die Vertragsstaaten sollten ihrer Meinung nach eher ver- suchen die indigenen Volker zu assimilieren.[48] Der australische Deligierte Witlam war zum Beispiel der Auffassung, dass es in seinem Land keine Minderheiten gebe: “There were, of course, the aborigines, but they had no separate competing culture of their own, for as a group they had only reached the level of foodgatherers”[49]
[...]
[1] Auswartiges Amt, S.13.
[2] Volger, S. 388.
[3] Ermacora, Staatslehre, S.272.
[4] Wieland, S. 46.
[5] Bartsch, S. 16f.
[6] Volger, S. 388, Rehmann, S. 3.
[7] Strupp/ Schlochauer, S. 531.
[8] Thornberry, S. 25ff.; Nowak, Art. 27, Rn.1; Ermacora, Menschenrechte, S. 81 ff.
[9] Strupp/ Schlochauer, S. 531.
[10] Strupp/ Schlochauer, S. 531.
[11] Volger, S. 389.
[12] Schweisfurth, Kap. 17, Rn. 76.
[13] Scherer-Leydecker, S. 232
[14] Schlegel/ Geiss, S. 12; Wieland S. 45.
[15] Strupp/ Schlochauer, S. 532.
[16] Hofmann, S. 19; Vitzthum/ Hailbronner, 3.Abschnitt, Rn. 314.
[17] Strupp/ Schlochauer, S. 534.
[18] Hofmann, S. 19.
[19] Ermacora/ Tretter, Volksgruppen, S. 168f..
[20] Ermacora, Minderheitenschutz, S. 60.
[21] Ermacora/ Tretter, Volksgruppen, S. 169.
[22] Schoder, S. 160.
[23] Wolfrum/ Capotorti, S.598.
[24] Seidl-Hohenvelden, S. 282, Weller/Eide, S. 42.
[25] Drosdowsk/ Grebe, S. 441.
[26] Menge/ Guthling/ Menge, S. 475.
[27] Scherer-Leydecker, S. 279.
[28] Matscher/ Oeter, S. 229ff.
[29] Arnauld, S.111 (112).
[30] Nowak, Art. 27, Rn. 14.
[31] Capotorti, § 568.
[32] Kaculevski, S.125.
[33] Hilpold, „Minderheiten im Unionsrecht“, S. 432 (432).
[34] General Comment 23 (Art. 27) Lit. 5.1.
[35] Nowak, Art. 27, Rn. 23.
[36] Scherer-Leydecker, S. 307.
[37] Nowak, Art. 27, Rn. 22; Hofmann, S. 21.
[38] Weber S. 242; Wieland, S. 26.
[39] Kluge, S. 191.
[40] Wieland, S. 4; Smith, S. 49.
[41] Scherer-Leydecker, S. 296.
[42] Nowak, Art. 27, Rn. 23.
[43] Heckmann, S. 56.
[44] Art. 1 ILO-Ubereinkommen Nr. 169.
[45] Schweisfurth, S. 553, Kap. 17 Rn. 86.
[46] Seidl-Hohenfeldern/&r/, S. 280.
[47] Ermacora, 58f; Bossuyt, S. 496f.
[48] Nowak, Art. 27, Rn. 27.
[49] Scherer-Leydecker, S. 60.
- Arbeit zitieren
- Ann Kristin Brezinski (Autor), 2010, Art. 27 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194622
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