'Symbolice investigare' – diese Worte charakterisieren in gedrängtester Form das methodische Verfahren eines Denkens, das das Unfassbare mittels Bild und Gleichnis gerade in seiner Unfassbarkeit erfahrbar machen will.
In besonderer Weise nachvollziehbar wird dieses Verfahren einer Annäherung an das Intelligible über den Weg des Sinnlichen in der Schrift 'De visione Dei', in deren Zentrum ein Christus-Gemälde, das Bildnis eines 'Alles-Sehenden', steht.
Indem dieses dem Betrachter - dank einer besonderen, illusionistischen Maltechnik - seinen eigenen Blick in der Überschreitung des Bildraums gleichsam zurückwirft, macht das Bild des Alles-Sehenden die unhintergehbare Dynamik von Sehen und Gesehen-Werden – und damit Sichtbarkeit selbst – zum Gegenstand seiner Darstellung: Was wir sehen, blickt uns an.
Die vorliegende Arbeit unternimmt - am Leitfaden der cusanischen Bildbetrachtung - den Versuch, die Prozessualität des Verhältnisses von Schöpfung, Schaffen und Schöpfer in besonderem Hinblick auf die Konzeption einer Teilhabe aller Perspektiven am Einen zu rekonstruieren.
Es soll gezeigt werden, auf welche Weise Cusanus die notwendige Endlichkeit und Standpunktgebundenheit jedes nicht-göttlichen Sehens anerkennt, um jedoch die aus diesen Bedingungen folgende und von ihm ausdrücklich bejahte Relativität jedes Wahrheitsanspruchs im selben Moment in der göttlichen Absolutheit 'aufzuheben'. Derart prägt Cusanus einen Relativismus im Absoluten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Betrachtung der icona Dei
- Menschlicher und göttlicher Blick
- Einheit und Vielheit
- Gottes Angesicht als forma formarum
- Urbild und Abbild
- Das absolute Sehen - das Absolute sehen
- Teilhabe in der Andersheit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Schrift De visione Dei von Nikolaus von Kues, die eine entscheidende Rolle im cusanischen Denken einnimmt. Der Text, verfasst als Anleitung für Mönche, konzentriert sich auf die Betrachtung der icona Dei, einem Christusbildnis, und zielt darauf ab, die mystische Schau Gottes durch sinnliche Erfahrungen und intellektuelle Reflexion zu erschließen.
- Das Verhältnis von menschlichem und göttlichem Blick
- Die Rolle der icona Dei als Brücke zwischen der Sichtbaren und der Unsichtbaren
- Die Konzeption der Teilhabe (participatio) an der Einheit Gottes
- Die Bedeutung der Perspektivität und der Relativität von Wahrheitsansprüchen im Kontext des absoluten Sehens
- Die Methode der „Sprengmetaphorik“ bei Cusanus
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung skizziert die methodische Vorgehensweise des Denkens von Nikolaus von Kues, das das Unfassbare durch Bilder und Gleichnisse erfahrbar machen möchte. Der Text De visione Dei wird als Schlüsselwerk für die cusanische Denkweise vorgestellt.
- Die Betrachtung der icona Dei: Das Kapitel analysiert die Praefatio von De visione Dei als Anleitung zur mystischen Schau Gottes. Es wird betont, wie die sinnliche Erfahrung des Christusbildnisses den Weg in das „heilige Dunkel“ erschließen soll.
- Menschlicher und göttlicher Blick: Die Kapitel untersucht die Dynamik des Sehens und Gesehen-Werdens im Kontext der icona Dei. Es zeigt auf, wie das Bild den Betrachter unabhängig von seiner Position direkt anblickt, wodurch die unhintergehbare Verbindung von Sehen und Gesehen-Werden betont wird.
- Einheit und Vielheit: Dieses Kapitel befasst sich mit der Koinzidenz von Sehen und Gesehen-Werden in der mystischen Schau Gottes. Es wird argumentiert, dass alle Perspektiven Teil am göttlichen Sehen haben und dieses Sehen zugleich ein Sich-selber-Sehen Gottes im Angesehen-Werden darstellt.
- Gottes Angesicht als forma formarum: Das Kapitel analysiert die Bedeutung des göttlichen Angesichts als „Form aller Formen“. Es untersucht, wie Cusanus die Endlichkeit und Standpunktgebundenheit jedes nicht-göttlichen Sehens anerkennt, gleichzeitig aber die Relativität jedes Wahrheitsanspruchs in der göttlichen Absolutheit „aufhebt“.
- Urbild und Abbild: Das Kapitel erörtert die Rolle des Bildnisses als Vermittler zwischen der Sichtbaren und der Unsichtbaren Welt. Es wird untersucht, wie die icona Dei als „verschränktes Schattenbild“ die Wahrheit des göttlichen Antlitzes symbolisiert.
- Das absolute Sehen - das Absolute sehen: Dieses Kapitel befasst sich mit der Konzeption des absoluten Sehens bei Cusanus. Es untersucht, wie die mystische Schau Gottes die Vereinigung von Aktivität und Passivität, von kreatürlichem und kreativem Sehen voraussetzt.
Schlüsselwörter
Die zentrale Thematik der Arbeit liegt im cusanischen Denken, insbesondere in der Schrift De visione Dei. Schlüsselbegriffe sind dabei icona Dei, participatio, visio Dei, Sprengmetaphorik, forma formarum, Relativismus im Absoluten, mystische Theologie und sensibili apparentia. Die Arbeit beleuchtet die Verbindung von sinnlicher Erfahrung und intellektueller Erkenntnis in der Suche nach der mystischen Schau Gottes.
- Arbeit zitieren
- Maximilian Gilleßen (Autor:in), 2012, Teilhabe in der Andersheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/194803