Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition
2.1 Nullsuffigierung (implizite Derivation)
2.2 Explizite Derivation
2.2.1 Suffigierung
2.2.2 Präfigierung
2.2.3 Parasynthetika
3. Klassifizierung der denominalen Verben mit terminologischer Bedeutung
3.1 Substantiv als subjektbezogenes Prädikatsnomen
3.2 Substantiv als objektbezogenes Prädikatsnomen
3.3 Ornative Verben
3.4 Instrumentale Verben
3.5 Lokative Verben
3.6 Privative Verben
3.7 Faktitive Verben
3.8 Substantiv als Objekt
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In allen indoeuropäischen Sprachen findet man eine nicht unbedeutende Kategorie von Verben, die sehr zahlreich ist. Bei dieser wichtigen Art handelt es sich um denominale Verben, das heißt, Verben, die von einer nominalen Basis (Substantiv oder Adjektiv) abgeleitet worden sind. Ohne eine gute sprachwissenschaftliche Kenntnis und ohne diachronisch-historische Untersuchungen ist es oft schwer zu bestimmen, ob das Verb oder das Substantiv die Basis gebildet haben. Nichtsdestotrotz ist die Formation der denominalen Verben immer noch sehr lebendig und quasi täglich werden neue davon gebildet.1
In den vergangenen Jahrzehnten wurde vor allem in der sowjetischen Linguistik an konkreten und allgemeinen Fragen verbaler Derivation gearbeitet, überwiegend am Material der russischen Sprache.2 Auch Untersuchungen zur deutschen und romanischen verbalen Wortbildung wurden unternommen; im Französischen allerdings noch nicht so zahlreich wie im Slawischen.
Die vorliegende Arbeit soll sich im Rahmen der französischen Wortbildung mit den denominalen Verben des Französischen beschäftigen. Dazu soll zuallererst eine Definition gegeben und Verfahren aufgezeigt werden, mit Hilfe derer denominale Verben entstehen können. Auch die Beziehung zwischen Verben und den diese Verben motivierenden Substantive bzw. Adjektive soll herausgearbeitet werden. Im Anschluss werden die denominalen Verben nach semantischen Sinngruppen klassifiziert.
2. Definition
Denominale Verben sind, wie bereits erwähnt, „ les verbes formés sur une racine nominale (substantif ou adjectif) “3 (z.B. la pêche ĺ pêcher, la télégraphie ĺ télégraphier, la forme ĺ former)4. Selbstverständlich existieren umgekehrt auch deverbale Substantive (die zur regressiven Ableitung gehören, auch Nullableitung genannt) des Typs marcher ĺ la Grundwort, aus dem b abgeleitet wird.
marche. 5 Dieser impliziert gegenüber dem Grundwort stets einen Wechsel der Wortklasse, also vom Verbum zum Substantiv. Von diesem Typ wird zwar im Folgenden nicht die Rede sein, trotzdem ist anzumerken, dass sich Bildungen wie marcher ĺ la marche und la forme ĺ former gegenseitig verlebendigen und in engem Zusammenhang stehen.6 Der morphologische Charakter französischer Verben in allen ihren Formen (abgesehen von Imperativen mit Nullmorphem) ist konstruiert. Diese Konstruktion setzt sich also mindestens aus Kern + Flexionsmorphem zusammen.7 Die Bildung dieser Verben geschieht in der überwiegenden Mehrheit der Fälle mit Hilfe der Derivation, zum Beispiel über Suffigierungen. Allgemein kann gesagt werden, so Gauger, dass Verben des Typs la forme ĺ former, content ĺ contenter zu den Affixbildungen gerechnet werden, die auf Substantive oder Adjektive gerichtet sind.8 Die verbale Derivation orientiert sich ausschließlich am Typ der 1. Konjugation auf -er oder an der zweiten auf -ir. 9 Diese lebendigen Konjugationen (conjugaisons vivantes) der Verben auf -er und -ir sind auch die einzigen, die weiterhin noch dazu dienen, neue Verben zu bilden.10 Thiele folgert aus der Tatsache, dass das französische Verbalsystem heute nur über die beiden genannten Flexionsmorpheme zur Bildung neuer Verben verfügt, dass die Suffixarmut typisch für das französische Verb sei.11 Die Konjugationsklassen mit Endungen auf - oir und - re sind in dieser Hinsicht unproduktiv. Thiele fügt hinzu, dass die genannten Infinitivmorpheme, die zur Flexion des Verbs gehören, auch als Suffixe innerhalb der Wortbildung zu betrachten sind, da mit ihrer Hilfe Verbalisierungen realisiert werden.12 Jedoch kann man Thiele an dieser Stelle widersprechen, denn die grammatischen Endungen - er und - ir sollten auch als solche angesehen und nicht als Suffixe bezeichnet werden. Vergleicht man beispielsweise grandir mit légaliser, wird deutlich, dass bei grandir die Endung - ir wegfällt, sobald man das Verb konjugiert oder in verschiedene Zeiten setzt, während das Suffix - is von légaliser stets beibehalten wird.
Im Folgenden sollen daher z.B. - is -, - ifi - etc. als Suffixe betrachtet werden und nicht, wie bei Thiele, als Infixe mit dem Suffix - er, da - er eine grammatische Endung ist. Im heutigen Französisch existieren verschiedene erweiterte Suffixe mit der grammatischen Endung - er, auf die später gesondert eingegangen werden soll.
Im Gegensatz zum Deutschen und Englischen, gibt es im Französischen keine verbalen Ableitungen vom Komposita, auch nicht von syntaktischen Gruppen, sondern nur von einfachen Substantiven.13 Im Deutschen wären Beispiele für diesen Typus beschlagnahmen, handhaben, ohrfeigen etc.
In synchronischer Sicht findet man bei der Ableitung von denominalen Verben folgendes Modell: Substantiv (S) + désinence -er (oder - ir) oder Adjektiv (A) + désinence -er (oder - ir).
Eine Vielzahl der Verben werden mach diesem morphologischen Schema konstruiert: ein unmodifizierter Nominalstamm verbindet sich mit der produktiven Verbalendung - er, seltener mit der Endung - ir.14 Dasselbe Muster dient auch zur Ableitung diverser sekundärer Verben, deren Nominalstamm bereits konstruiert ist, wie zu Beispiel réglementer, sélectionner, tirebouchoner etc. Für die Verben der ersten Konjugationsgruppe kann die Derivation unmittelbar (immédiate) sein, d.h. durch einfaches Anhängen der Verbalendung, was auch als implizite Derivation bekannt ist, oder mittelbar (médiate)15 wie in poète ĺ poétiser, fumer ĺ fumoter (deverbal!) durch Suffigierung erfolgen. Hierbei ist nochmal klarzustellen, dass - er kein Suffix ist, sondern eine grammatische Endung (Flexionsmorpheme). Die Entstehung der denominalen Verben durch bloßes Anfügen von - er oder - ir wird im Folgenden unter Nullsuffigierung geführt, da es sich um ein Nullmorphem handelt. Die explizite Derivation dagegen ist die Wortbildung mit Hilfe von Affixen nach einem bestimmten Modell: entweder tritt zu dem Basismorphem ein Suffix, ein Präfix oder beides (Parasynthese), das bedeutet, gleichzeitiges Anfügen eines Präfixes und eines Suffixes an den Stamm.
In den folgenden Kapitel sollen nun alle vier Wortbildungstypen erläutert werden, das heißt die Entstehung der denominalen Verben durch Nullsuffixe, durch Suffigierung, durch Präfigierung und schließlich durch Parasynthese. Dabei werden überwiegend die denominalen Verben des moderneren Französisch (ab 16. Jh.) betrachtet.
2.1 Nullsuffigierung (implizite Derivation)
In diese Ableitungskategorie gehört ein Verb, das von einem Substantiv oder Adjektiv abgeleitet wird, ohne Zuhilfenahme eines Ableitungsmorphems ; ein Prozess, den man auch unmittelbare Ableitung (dérivation immédiate) oder Konversion nennt.16 Bereits in ganz alten Texten, findet man neue Wortkreationen der ersten Konjugation.17 Die Derivation auf - er (nach dem Typ Typ clou- clouer) ist immer lebendig, denn auch heute werden stets moderne Verben gebildet, so zum Beispiel alerter, gazer, pédaler, tictaquer, etc. Es existieren außerdem Ableitung aus Lehnwörtern, beispielsweise boxer, bridger, cluber, interviewer, toaster, usw.18
Des Weiteren gibt es eine Vielzahl individueller Kreationen, so wie im 16. Jahrhundert zur Zeit der Pléiade alambiquer, coulevrer, montagner, etc. Bei klassischen Autoren, wie Flaubert, findet man entiérer, mamelonner, marmitonner. 19
Wichtig ist überdies anzumerken, dass neue Verben oft von Substantiven herkommen, die selbst bereits von Verben abgeleitet wurden. Neben griller (von grille) existiert grillager, das dabei hilft, Verwechslungen mit griller (von gril) zu vermeiden.20 Und neben clore (eine Diskussion abschließen; von den Puristen bevorzugt) gibt es clôturer (ebenfalls eine Diskussion beenden).
Im Folgenden soll eine Liste erstellt werden und einige Verben, die in die Kategorie dérivation immédiate durch Nullsuffix gehören, aufgezählt werden.
Darmesteter definiert die einfache Derivation, die Nyrop als dérivés simples bezeichnet, folgendermaßen:
»La dérivation simple se fait à l'aide des suffixes er, ir qui donnent des verbes de la première conjugaison quand le radical est un substantif et des verbes de la deuxième quand le radical est un adjectif: mur: murer; blanc: blanchir ».21
Auch Wandruszka schließt sich dem an und sagt, dass es bei den deadjektivischen Verben sehr viele Bildungen auf - ir gibt, aber seltener (fast ausnahmslos parasynthetisch gebildete) - er Ableitung.22
[...]
1 Vgl. Thorn (1907), S.1.
2 Vgl. Kaliuscenko (1988), S.9.
3 Reinheimer-Rîpeanu (1974), S.45.
4 Anm.: Der Pfeil aĺb bedeutet „von a zu b“, bzw. „wird zu b“. Der Buchstabe a bezeichnet hierbei das
5 Vgl. Gauger (1971), S.20f.
6 Vgl. Gauger (1971), S.21.
7 Vgl. Thiele (1993), S.136.
8 Vgl. Gauger (1971), S.19.
9 Vgl. Nyrop (1936), S.202.
10 Vgl. Thorn (1907), S.3f.
11 Vgl. Thiele (1993). S.136.
12 Ebd.
13 Vgl. Marchand (1972), S.254.
14 Vgl. Thiele (1993), S.137.
15 Anm.: Beide Begriffe wurden von Nyrop übernommen.
16 Vgl. Marchand (1963), S.164.
17 Vgl. Nyrop (1936), S.202.
18 Vgl. Nyrop (1936), S.203.
19 Ebd.
20 Ebd.
21 Thorn (1907), S.4.
22 Vgl. Wandruzska (1976), S.82f.