Leseprobe
Inhalt
1. Einführung
1.1. Minnesang
1.2. Mädchenlieder
2. Walther von der Vogelweide
2.1. Walthers Werk und Minneverständnis
2.2. Walthers Frauenbild
3. Walthers Mädchenlieder
3.1. Under der linden (L39,11)
3.2. Herzeliebez frowelîn (L49,25)
4. Schlussbetrachtung
1. Einführung
Diese Arbeit entsteht im Rahmen eines von Herrn Prof. Dr. Friedrich gehaltenen Hauptseminars zum Thema Minnesang an der EMAU Greifswald im Wintersemester 2005/2006. Im Verlauf des Seminars referierten zwei Mitstudentinnen und ich zu den Mädchenliedern Walthers von der Vogelweide. In den folgenden Ausführungen möchte ich mich auf die eindeutigen seiner Mädchenlieder beschränken. Näher erläutert wird das Frauenbild Walthers anhand der Lieder Under der linden (L39,11) und Herzeliebez frowelîn (L49,25) . Aufgrund der umfangreichen Textarbeit an L39,11 und L49,25 verzichte ich auf die Bearbeitung des Tanzliedes Nemt, frowe, disen kranz (L74,20). In der Forschung gelten die Text-Editionen Lachmann-Kraus’ zu Walthers Werk als richtungweisend. Im Laufe der Jahre wurden viele der Fakten widerlegt. Ich stütze mich in dieser Arbeit auf gängige Literatur dreier Mediävisten: mit Günther Schweikle allgemein zum Minnesang, Gerhard Hahn und Hugo Kuhn speziell zu Walther von der Vogelweide. Zur näheren Betrachtung der einzelnen Mädchenlieder ziehe ich verschiedenste wissenschaftliche Aufsätze von unterschiedlicher Aktualität hinzu. Ich orientiere mich dabei stark an einer wissenschaftlichen Arbeit von Martina Böseneilers zu den Mädchenliedern in der Minnekonzeption Walthers von der Vogelweide aus dem Jahre 1988. Als kritisches Gegenstück gängiger Forschungen steht Achim Massers Aufsatz von 1989 „Zu den sogenannten ‚Mädchenliedern’ Walthers von der Vogelweide“.
1.1. Minnesang
Der Minnesang im deutschsprachigen Raum ist laut Schweikle eine Form mittelhochdeutscher Liebeslyrik. Er entwickelt sich seit der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts vornehmlich an den Machtzentren, wie z.B. dem Stauferhof und Wiener Hof. Der Minnesang ist höfische Dichtung und ein Spiegel der adligen Gesellschaft. Die Vortragsform war mündlich. Hauptsächlich waren Verfasser und Interpret ein und dieselbe Person. Gegenstand der Minnedichtung ist die Anbetung einer höfischen Dame höheren Standes, der Herrin und die zumeist unerfüllte Liebe zu ihr. Zu bemerken sei, dass Minnesang keine Erlebnislyrik ist. Sein Vorbild findet der mittelhochdeutsche Minnesang in der französischen Trobadorlyrik. Im Laufe des 13. Jahrhunderts finden sich auch schriftliche Aufzeichnungen zum Minnesang, wie die ältesten erhaltenen Handschriften bekunden. Am bekanntesten hierbei wohl Codex Manesse aus dem 14. Jahrhundert, auch Große Heidelberger Liederhandschrift genannt, deren Sammlung bis 1160 zurückreicht. Günther Schweikle[1] unterteilt den Minnesang zeitlich in sechs Phasen. Dabei versucht er die verschiedenen Minnesänger zu kategorisieren, was inzwischen als überholt gilt, da der Variantenreichtum eine solche Dimension erreicht, dass diese Kategorisierung dem Minnesang nicht gerecht wird. Thematisch ist es möglich, den Minnesang zu unterteilen. Davon ausgenommen ist die Spruchdichtung, die zwar auch zur mittelhochdeutschen Lyrik zählt, aber hauptsächlich religiöse und politische Themen beinhaltet. Minnesang impliziert Hofzugehörigkeit, Sangspruchdichtung ist „das Metier der fahrenden Literaten“ (Hahn). Der Minnesang unterscheidet primär Minneklage, Frauenpreis- und Werbelieder, also die verschiedenen Minnehaltungen. Daneben auch mit fortschreitender Entwicklung der höfischen Dichtung besondere Gattungen wie Wechsel, Kreuzlieder, Tagelieder, Tanzlieder, Herbstlieder, Traumlieder, Pastourelle, natürlich Mädchenlieder und den kunstvollen Leich. Bekanntester Vertreter dieser Gattung ist mit Sicherheit Walther von der Vogelweide. Als weitere exemplarische Vertreter seien Dietmar von Aist, Kürenberger, von Morungen, Reinmar, Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Neidhardt und Tannhäuser zu nennen.
1.2. Mädchenlieder
Der Begriff des Mädchenliedes taucht eigentlich immer im Zusammenhang mit dem Minnesang auf und dort stets in Verbindung mit Walther von der Vogelweide. Thematisch grenzt sich das Mädchenlied dabei von den anderen Liedern ab, da es im Gegensatz zum herkömmlichen Herrin – Ritter – Verhältnis von Beziehungen zu Frauen niederen Standes handelt. Besungen wird eine maget, also ein unverheiratetes Mädchen. Dieses Mädchen ist frei und ungebunden. Die Liebe zu ihr könnte erfüllt werden. Diese von Walther von der Vogelweide statuierte Form des Minnesangs gilt in der Forschung (laut Kraus) als niedere Minne, da sich der Minner nicht mit einer Frau seines Standes abgibt. Speziell auf die Minnekonzeption Walthers komme ich später zurück.
2. Walther von der Vogelweide
Als bedeutendster Vertreter der mittelhochdeutschen Lyrik gilt Walther von der Vogelweide. Ob es nun sein umfangreiches Oeuvre oder die Einzigartigkeit seines Werkes war, die ihn zum bedeutendsten Lyriker des Mittelalters machten, ist unklar. Unschlüssig ist die Forschung auch bei seinen biographischen Angaben. Wenige Zeugnisse geben Aufschluss über einige Eckdaten seines Lebens. So soll er um 1170 geboren sein. Genannt wird in der Forschung an erster Stelle immer die berühmte Rechnung über einen Pelz von 1203, die belegt, dass Walther auch als reisender Minnesänger unter Mäzen verkehrte[2]. Seinem Werk entnimmt man, dass er am Wiener Hofe tätig war. Unklar bleiben indes seine Herkunft und seine soziale Stellung. Peter Wapnewski bemerkt in seinem Aufsatz, dass Walther ein „Berufsdichter ohne festen Wohnsitz“[3] war. Gelebt hat er wohl durch Unterstützung von Gönnern und Mäzen. Eindeutig belegt anhand der Hofwechselstrophe (19,29) ist, dass Walther nach dem Tode Friedrich I. von Österreich 1198 vom Wiener Hofe zum Stauferhof und wechselt. Damit ist Philipp von Schwaben sein neuer „Dienstherr“. Befreit vom Konkurrenzkampf mit Reinmar, ändert sich die Art seines Werkes. Walther wird politischer und prägt die spätmittelalterliche Literaturform der politisch-didaktischen Spruchlyrik. Lange bleibt Walther nicht am Stauferhof. In den folgenden Jahren zieht es ihn abwechselnd vom Thüringer Hof und wieder zurück zum Wiener Hof. Im Jahre 1220 erhält er sein lang ersehntes Lehen von Friedrich II. Da sich nach 1228 keine datierbaren Texte mehr finden, geht die Literatur davon aus, dass er um 1230 verstorben ist. Zeitlebens galt er wohl als „Außenseiter der höfischen Gesellschaft“ (Schweikle).
2.1. Walthers Werk und Minneverständnis
Wie Schweikle sagt, verstand sich Walther in erster Linie als Minnesänger. Er war einer der wenigen, die trotz starken thematischen Differenzen sowohl den Minnesang als auch die Spruchdichtung praktizierten. Neben 70 Liedern sind 110 Sprüche, davon ein großer Leich erhalten. Nach seinem 2. Aufenthalt am Wiener Hofe spitzt sich die Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Lehrmeister und jetzigem Konkurrenten Reinmar so sehr zu, dass sich Walther von üblichen Konventionen abwendet. Er definiert typisch ethische Grundsätze der Minne neu und konzipiert einen neuen Minnebegriff. Bis dato war Minne geprägt von Unterwürfigkeit zu einer Dame von höherem Stand, der so genannten frouwe. Diese ist geprägt von höfischen Tugenden liebe, schoene und guot. Walther konzeptionalisiert erstmals die Minne. Die hohe Minne ist geprägt durch Zivilisierung und Sozialdisziplinierung, eine illegitime Werbung um eine verheiratete Dame, die anonym bleibt. Hohe Minne steigert den Wert und das Ansehen des Dienstmanns und auch der Minnedame. Erfolgloses oder besser gesagt von Unerfüllung geprägtes Werben um die Dame bildet als „Nebenprodukt“ Tugenden aus. Ritterliche Tugenden wie triuwe, staete, zuht und mâze werden geübt und bewiesen (Hahn) und als „Läuterung“ empfunden. Das Minnen ist eine Art Dienst (dienst) und das Entgegenkommen der Dame ist der Lohn (lôn). Hohe Minne ist also in erster Linie ein Dienstverhältnis. Dem entgegen setzt er die Möglichkeit der erfüllten Liebe. Er revolutioniert damit nicht die bisherige Minneauffassung, sondern wertet die bis dahin in ihr enthaltenen Begriffe neu. Die Tugenden liebe, schoene und guot erfahren eine andere Deutung. Walther stellt die inneren Werte über die äußere Schönheit. Bis dato war die Persönlichkeit der Dame von den Tugenden geprägt. Sie waren ihr von vornherein gegeben. Die Zuspitzung der Hohen Minne gipfelt für ihn in Oberflächlichkeit, da nur vom Idealbild ausgegangen wird. In Walthers Minnekonzeption hat die Lyrik Reinmars einen festen Platz. Reinmar hat sich der Hohen Minne verschrieben und sein Schaffen steigert sich letztlich in Minneklage. Walther greift diese Klagen provokatorisch in seinen Liedern auf. Die so genannte Reinmar-Fehde wurde ausgiebig untersucht und ist Voraussetzung für Walthers neue Minnekonzeption. Sie soll aber an dieser Stelle nicht näher erläutert werden. Walther differenziert die Begriffe minne und liebe. Dabei ändert sich auch das bisherige Frauenbild. Die Frau muss sich die Tugenden ebenso wie der werbende Ritter erst „verdienen“. Eine wesentliche Rolle in der Hohe-Minne-Konzeption Walthers spielt auch die Gesellschaft. Diese bildet ja das Publikum für den vorgetragenen Minnesang. Bei Walther wird sie zudem „zunehmend thematisiert“ (Hahn). Er beschreibt teilweise selbst die schwierige Rolle des vortragenden Minnesängers vor der höfischen Gesellschaft. Dazu Hahn:
„Der entscheidende Punkt: Walther erklärt den ermittelten Zustand der höfischen Gesellschaft zur Bedingung seines Minnesangs; […]“[4].
Im Vergleich zu Reinmar war die höfische Gesellschaft bis dahin eine definierte Rolle im Minnesang. Es wurden keinerlei Angaben über die Realität gemacht. Laut Hahn erweitert Walther den Minnesang um eine neuartige Aussagedimension: kritische Qualität:
„[…] – jede dieser Äußerungen, sei es auf Inhaltsebene, sei es auf institutioneller Ebene, wird zum Gradmesser der Realisierung eines Menschenbildes, das die höfische Gesellschaft literarisch, in der Gattung Minnesang, von sich entworfen hat.“[5]
Somit hat Walther nicht nur den Minnesang verändert, sondern auch der Minne ein neues Programm gegeben. Dazu mehr im folgenden Kapitel.
2.2. Walthers Frauenbild
Wie schon vorhergehend erwähnt, bezieht sich das bisherige Frauenbild auf eine Idealvorstellung. Gerichtet auf die Vollkommenheit der frouwe, die sich durch ihre Schönheit, Sittlichkeit und Tugenden auszeichnet, kann sich der Ritter in seinen Tugenden „üben“. Hahn charakterisiert die frouwe folgendermaßen:
„Sie ist als Dame von gesellschaftlichem Rang vorgestellt, und zugleich ist für sie innerhalb der Spielregeln des Minnesangs festgesetzt, dass sie den höfischen Verhaltenskodex in Vollkommenheit repräsentiert.“[6]
Die besungene Dame im hohen Minnelied wird nie näher individualisiert. Erstmals konkret besingt Walther seine Forderung nach einer neuen, gegenseitigen Minne in „Saget mir ieman, waz ist minne?“[7].
Wie schon erwähnt, deutet Walther bestimmte Begriffe anders. Dazu Martina Böseneilers in ihrem Aufsatz:
„[…] Walther terminologisch schärfer differenzierte als Reinmar, indem er „ wîp “ klar von „ frouwe “ unterschied, was Reinmar nicht tat.“[8]
Walther erhebt das wîp zur vollkommenen Einheit von Leib und Seele. Dieses Idealbild muss ein wîp erfüllen, indem sie stets „minne- und preiswürdig sein will“ (Böseneilers). In Hahns Sinne wird die weibliche Minnerolle zu einem Leitbild erklärt, das erst im personalen Einsatz verwirklicht werden muss[9]. Die Begrifflichkeit von wîp übersteigt also die der frouwe um ein vielfaches. Ganz entgegen dem heutigen Verständnis von „Frau“ und „Weib“. Mit dem Begriff wîp führt Walther ein weibliches Wesen ohne soziale Einschränkung in den Minnesang ein und ebnet damit, meiner Meinung nach, den Weg für seine Mädchenlieder.
Auch der weibliche Minnepartner verpflichtet sich auf „Gegenseitigkeit“. Dies ist dann laut Walther die wahre Minne. Zitat Hahn:
„[…], daß die der Minne zugeschriebenen Werte freigesetzt werden können aus dem wol, der Beglückung zweiseitig bejahter Beziehung und nicht dem wê, dem trûren, der swaere einseitigen, unbelohnten Dienstes als ein Trotzdem abgerungen werden müssen.“[10]
Walther benutzt die Begriffe liebe und herzeliebe. Dabei herzeliebe als „innerste Beglückung“ (Hahn) meint. Walther „verstößt“ somit ganz klar gegen die Regeln der Hohen Minne. Er spricht von Realisierung des Wunschdenkens in den Werbeliedern und beendet das „erotisch-ethische Spiel“ (Hahn). Nicht nur von gegenseitiger Liebe ist die Rede, auch von gegenseitiger Pflichterfüllung. Der Frauenpreis als Grundbedingung des Minnesangs wird von Walther nicht mehr bedingungslos gewährt. Abschließend dazu Hahn:
„Den Merkmalen des neuen Minnekonzepts, Beglückungsbereitschaft, Gegenseitigkeit, Unterscheidung, ist gemeinsam, daß mit ihnen die V e r w i r k l i c h u n g der Verhaltensweisen, Normen und Werte gefordert ist, die die Minnebeziehungen ausmachen – gerade auch von der Minnepartnerin.“[11]
In Anmerkung sei zu erwähnen, dass in der neueren Forschung Interpretationsansätze behandelt werden, die von variierten Strophenanordnungen in den Handschriften und Editionen[12] ausgehen. Dazu sagt Jan-Dirk Müller kritisch:
„Die überlieferten Texte lassen sie nämlich als weit problematischer erscheinen als die glättenden Neuausgaben, so dass in der Überlieferung sich aus Auswahl und Anordnung der Strophen unterschiedliche Perspektiven für das Verhältnis von Ich und frouwe, von Ich und den anderen, von Ich und der Kunstübung des Minnesangs ergeben.“[13]
[...]
[1] vgl. Schweikle: Minnesang, 1995.
[2] Anlässlich des 800.Jahrestages dieser Rechnung fand 2003 ein Symposium in Zeiselmauer / Niederösterreich statt. Zusammengefasst vom Organisator Helmut Birkhahn erschienen die gehaltenen Vorträge 2005 in dem Band „Der achthundert jährige Pelzrock“.
[3] vgl. Wapnewski
[4] vgl. Hahn: Zum sozialen Gehalt von Walthers Minnesang, S. 124.
[5] ebd. S. 126.
[6] ebd. S. 126.
[7] L 69,1
[8] vgl. Böseneilers, S. 58.
[9] vgl. Hahn: Zum sozialen Gehalt von Walthers Minnesang, S. 127.
[10] ebd. S. 128.
[11] vgl. Hahn: WvdV, S. 63.
[12] hierbei Lachmann, Kraus, Maurer
[13] vgl. Müller: Die frouwe und die anderen, S. 83f.