Das Kajkawische als natürlicher Übergang vom Slawonischen zum Slowenischen


Seminararbeit, 2008

20 Seiten, Note: 1


Leseprobe


1.) Das Kajkavische als natürlicher Übergang vom Slawonischen zum Slowenischen:

Mijo Loncˇaric´ blickte 1996 auf die Erforschung des kajkavischen Dialekts zurück und nannte sie sein Lebensthema. 1905 schrieb der Ukrainer Lukjanenko die erste unfangreiche Schrift über das Kajkavische, wobei er Vorläufer wie Vatroslav Jagic´ hatte. Als Standardwerk gilt Ivsˇic´s 1937 erschienene Publikation “Jezik Hrvata kajkavaca”. Später haben Junkovic´, Hraste, Brozovic´, Tezˇak und Peco über dieses Thema geschrieben.

Schon im 12. Jahrhundert tauchen slawische Texte auf, die typische Elemente des Kajkavischen zeigen. Der Protestantismus führt im 16. Jhdt. zu slowenischen und kajkavischen Drucken. Juraj Habdelic´ war einer der ersten, der über Unterschiede zwischen den kroatischen Dialektgruppen reflektierte. Er gab 1670 ein kajkavisch-lateinisches Wörterbuch heraus, das neben den anderen barocken Lexika wie dem Wörterbuch Gazofilacij des Pauliners Ivan Belostenec eine Fundgrube für Dialektmaterial ist und in Richtung einer Standardsprache weist. Erst im 18. Jahrhundert wurden cˇakavische und sˇtokavische Wörter in die Neuausagaben der Wörterbücher einbezogen, wobei man sich des heute noch existierenden Problems bewusst war, dass der kajkavische Vokalismus zwischen den Ortschaften variiert und eine orthographische Lösung dafür suchte. Dieses Problem existiert auch in Slowenien und wird dort durch das Sprichwort “Vsaka vas ima svoj glas” beschönigend beschrieben. Im späten 18. Jahrhundert entstehen erste Grammatiken des Kajkavischen, die dessen Sprachstrukturen darstellen analog zu den frühen slowenischen Grammatiken (Marko Pohlin etc.) und eine kajkavische Schriftsprache kodifizieren wollen. Diese Grammatiken waren allerdings vorwissenschaftlich, so dass die linguistische Analyse des Kajkavischen erst mit Dobrovsky beginnt. Der tschechische Pfarrer hielt Slowenen und Kajkaver für ein Volk mit einer Sprache, worin ihm Kopitar folgt, wobei der Name dieses Volkes (Slowenen, Kroaten?) umstritten bleibt. Sµafarˇík bezeichnete Serben und Kroaten als nur ein Volk, Cµakavisch und Sµtokavisch als dieselbe Sprache. Für Miklosˇicˇ sind deshalb nur die Cµakaver eigentliche Kroaten, weil Danicˇic´ und Karadzˇic´ Serbisch und Sµtokavisch identifizieren. Diese These hat die schwer verständlichen Verballhornungen der slowenischen Bauernsprache übersehen. Außerdem haben die Gebildeten unter den Kajkavern, ausgehend von der Nationalidentität der Sprecher, ihre Sprache für Kroatisch gehalten, so Gaj und Mihanovic´.[1]

Die neue Slawistik und die neue sˇtokavische Schriftsprache führten nach 1850 zur ersten bewussten Aufzeichnung von Dialektmaterial und zur Sammlung von Volksliedern durch Ivan Kukuljevic´ und Matija Valjavec. Rozˇic´ stellte fest, dass eine Variante des Kajkavischen mehr dem Slowenischen und eine zweite mehr dem Sµtokavischen ähnelt. Daher stellt Resˇetar 1891 fest, dass Kajkavisch ein Mischdialekt ist.

Lukjanenko beweist, dass das Kajkavische Kroatisch ist, und stellt die Theorie auf, es basiere auf dem Slowenischen, Cµa- und Sµtokavischen. Jagic´ glaubt, das Kajkavische aufgrund seines “Totaleindrucks” zum Kroatischen zählen zu müssen, was viele Übereinstimmungen mit dem Slowenischen in einzelnen sprachlichen Merkmalen nicht ausschließt. Ich verweise auf das Fehlen der im Slowenischen häufigen Diphthonge und Halblaute. Jagic´ glaubte nicht, dass das Kajkavische durch Mischung entstand, das kann aber sehr wohl im Frühmittelalter passiert sein.

In Kroatien und Slowenien wurde Dialektmaterial im Zuge ethnographischer Feldforschungen gesichert. Franjo Fancev leitete 1905 die zweite Etappe der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Kajkavischen ein, wobei er die Akzentstelle und die Wortmelodie erforschte, aber auch Literatur und Lexikographie behandelte. Ramovsˇ stellte zutreffend fest, dass das Kajkavische ursprünglich Slowenisch war, aber aus politischen Gründen unter kroatischen Einfluss kam und nach dem 10. Jhdt. rasch Kroatisch wurde. Er führte auch offenkundige Gemeinsamkeiten zwischen Slowenisch und Kajkavisch an, wie die Entwicklung der palatalen Laute t’ und d’ zu cˇ bzw. j. Ursprünglich war das nasale o des Altslawischen überall zu einem o geworden, erst mit dem 14. Jhdt. setzte sich bei den Kajkavern die Lautung u als Reflex für den hinteren Nasal des Altslawischen durch. Slowenen und Kajkaver bilden die Zukunft mit der vollendeten Form von biti (bo(n)dem etc.) und dem L-Partizp, den Genitiv Plural der Maskulina mit den Endungen –ov und –ev, während die slowenische Instrumentalendung der Einzahl der Feminina (-o) bei den Kajkavern nur sekundär ist. Ramovsˇ entdeckte Ähnlichkeiten zwischen ostslowenischen und westkajkavischen Mundarten: das l am Silbenende hat ähnliche Reflexe, das vokalische l wird im Pannonisch-Slowenischen wie im Kroatischen zu u, in Westslowenien hingegen zu ou. Im Prekmurje hört man die kroatisch wirkenden Instrumentalformen z lepotoum bzw. z lepotov und ein o vor der Kasusendung der Adjektive. Weiters haben das Slowenische und das Kajkavische ein prothetisches v vor anlautendem u gemeinsam, im Steirischen und Westkajkavischen gibt es die Endung –oj im Instrumental Einzahl Femininum. Nj geht im Nordostslowenischen und Westkajkavischen zu j über. Einige Nordkajkaver sprechen wie die Untersteirer nur steigende Akzente.

Trotz all dieser Gemeinsamkeiten stellte der Linguist Ivic´ die zwei Hauptunterschiede fest, dass der Dual und das im Slowenischen häufige Springen des Zirkumflexes von der vorletzten auf die letzte Silbe dem Kajkavischen ganz fremd sind. Ein Zitat soll der langen Rede kurzen Sinn deutlich machen: “Ovakva sprega pojava daje hrvatskoj kajkavsˇtini geneticˇku specificˇnost, obelezˇavajuc´i je u isti mah kao most izme∂u ostalih srpskohrvatskih dijalekata i slovenacˇkog jezika.[2]

Diesbezüglich stellt Ivan Popovic´ die interessante Hypothese auf, dass sich Cµakavisch, Kajkavisch und Slowenisch aus einem urkajkavischen Idiom entwickelt haben, wofür die gemeinsame Lexik, Morphologie und Prosodie sprechen. Laut Bozˇidar Tinka beruht insbesondere die Mundart des Gorski Kotar auf dem Slowenischen. Junkovic´ nahm an, Kajkavisch sei immer schon Kroatisch gewesen, das Erbe des pannonischen Slawisch und die Ursprache der slawonischen Mundarten sowie der slowenischen Dialekte von Prlekija, Prekmurje und einiger ostuntersteirischer Dialekte. Der Slowene Rigler wollte Junkovic´ falsifizieren, ohne die Ähnlichkeiten zwischen Prlesˇki und Kajkavisch zu bestreiten. Was diesen Streit betrifft, bei dem es auch um posttonale Längen im Ostslowenischen geht, lässt sich vermittelnd sagen, dass man im Frühmittelalter nicht von Slowenisch und Kroatisch, sondern von Pannonisch und Karantanisch sprechen soll.[3]

Zahllose neuere Arbeiten beschäftigen sich mit dem Kajkavischen: Vesna Zecˇevic´ mit Kontakten zwischen Dialekten, Neweklowsky mit den ungarischen Kajkavern, March mit der Morphologie etc. Die Anstalt für kroatische Sprache gibt ein Wörterbuch des Kajkavischen heraus, außerdem sind der allgemeinslawische und der serbokroatische dialektologische Atlas Resultat der bisherigen Forschung.

Was die Sprachgeschichte betrifft, soll man sich Loncˇaric´ anschließen, der davon ausgeht, dass das Kontinuum der primitiven ursüdslawischen Sprache durch Isoglossen bzw. lokale Lautungsunterschiede in viele Dialektterritorien zerfallen ist, was auch die Vielfalt der slowenischen Mundarten erklärt.[4]

Solche Isoglossen waren, dass die palatalen Laute t’ und d’ bei den Bulgaren sˇt und zˇd ergaben, weiter westlich eher sˇc´, dass das nasale o bei den Slowenen und Kajkavern ursprünglich o ergab und bei den Kajkavern später zu u wurde, was es weiter südlich immer schon war. Obwohl lexikalische Unterschiede zwischen den Stämmen in die Urgeschichte zurückreichen, hat die Slawistik interessante lexikalische Ähnlichkeiten des Südslawischen einerseits und des Ostslawischen, Tschechischen und Slowakischen andererseits festgestellt, frappierend sind weiters die Übereinstimmungen zwischen nordwestcˇakavischen, südwestkajkavischen und südostslowenischen Mundarten.

Da das Slowakische vor der ungarischen Landnahme im Schnittpunkt von Süd- Ost- und Westslawisch lag, lässt sich erklären, warum einige seiner Mundarten mit Varianten des Kajkavischen die Endung –me für die erste Person Plural gemeinsam haben, die die im Südslawischen übliche Endung –mo bzw. die entsprechende russische Endung –m’ vertritt.[5]

Bei Slowenen und vielen Kroaten wird zˇ zwischen Vokalen zu r (mozˇesˇ vs. moresˇ), nur im Norden wird im Altslawischen palatales r zu rj (zora vs. zorja). Durch diese zwei Lautungen reicht typisch slowenisches Sprachmaterial weit in den Süden. Prozesse wie die Denasalisierung beweisen, dass das Ostslowenische dem Kajkavischen ähnlicher ist als das Westslowenische, was man auch daran sieht, dass das Übermurgebiet wie die Kajkaver dobroga statt dem Krainer dobrega sagt. Typisch slowenisch war schon im Mittelalter die Endbetonung bei Neutra wie okô, welche im Weißkrainerischen z. T. fehlt. Der kajkavische Akut (~) kann eine Längung einer Kürze sein. Seinetwegen sind lexikalische Parallelen zw. Slowenisch und Kajkavisch wie “hrusˇka” oder “zajci” doch anders betont. Das Slowenische verliert im Unterschied zum Kajkavischen prätonale und posttonale Längen, kennt aber dafür zweifach betonte Wörter. Die slowenische Sprache hat im Mittelalter viele betonte Silben gelängt. Die ostslowenischen Mundarten beweisen ihren nichtkroatischen Charakter durch die Lautverschiebungen von u zu ü sowie von o und e zu ou und ei. Steirische und pannonische Sprecher des Slowenischen haben den Halblaut in allen Positionen vokalisiert, so dass sie nicht “møglà”, sondern megla sagen, worin sie den Kajkavern ähneln, bei denen sogar das ü vereinzelt auftritt, was aber laut Loncaric nichts mit den slowenischen Verhältnissen zu tun hat. Außerdem bewahren Slowenen und Kajkaver neben dem Futurum mit budem das Supinum, während sie Vokativ, Imperfekt und Aorist verlieren. Nur das Slowenische hat Dualendungen in der Konjugation. Als Spezifikum beachte man die kajkavische Bewahrung des –l am Silbenende, die der slowenischen und kroatischen Standardsprache fremd ist. Die kajkavischen Dörfer unterscheiden sich wegen ihres Akzentsystems, was mehrere dialektgeographische Einteilungen erlaubt. Die meisten Kajkaver sprechen wie die Slowenen ein e anstelle des altslawischen Jats, aber auch ei und ie sind als Jatreflexe vertreten.

Westsˇtokavische Mundarten heißen in der Linguistik Sµc´akavisch, welches dem Kajkavischen ähnlicher ist als das östliche Sµtokavisch. Nur Pannonisch, Weißkrainerisch und die Mundart von Prlekija sind dem Kajkavischen sichtlich ähnlich, was auf der räumlichen Nachbarschaft beruht. Dem Slowenischen, dem Kajkavischen und dem Cµakavischen ist der Genitiv Plural mit den Endungen -ov bzw. –ev bei den Maskulina und dem Nullmorphem bei den zwei anderen grammatikalischen Geschlechtern gemeinsam. Die Diachronie des kajkavischen Konsonantismus beruht auf dem Abbau der palatalisierten Mitlaute und daher ist c´ wie im Slowenischen zurückgedrängt worden. Das Kajkavische hat in der Regel nur drei (in einigen Dörfern auch vier) Akzente “ (kurz), ~ (= ´; lang steigend) und ^ (lang fallend), obgleich es in der Neuzeit durch Konvergenz aufhörte sich zu einer eigenen Sprache zu entwickeln, so dass seine Prosodie beweist, dass es ein Teil des Kroatischen ist.[6]

Jede phonetische Veränderung des Urslawischen hatte ihre Folge in der Lautung des kajkavischen Dialekts. Typisch für diesen ist der Akut, der in Wörtern wie séla eine posttonale Länge des Stokavischen vertritt und wie im Slowenischen oft auf der letzten oder vorletzten Silbe auftritt (z. B. lovíla, zˇelísˇ). Sprachgeschichtlich neue Zirkumflexe und Akute wie im Wort kôza machen das Kajkavische einzigartig. Archaisch ist die prätonale Länge in einigen, nicht allen kajkavischen Mundarten. Aus all dem folgt, dass hauptsächlich die Wortbetonung, Vokallänge und Intonation der langen Vokale von phonologischer Bedeutung sind.

Dem Slowenischen am ähnlichsten sind Mundarten im westlichen Gorski kotar, die uns mit Endbetonungen wie golóp, kakôsˇ, devêt und mesô überraschen, wobei die Betonung der letzten Silbe zurückgegangen ist und viele ältere o-Laute zu u geworden sind (kùst aus kost, ùku aus oko). Gelegentlich erinnern Einzelheiten des Kajkavischen ans Slowakische, so wie manches aus slowenischen Mundarten ans Tschechische, Slowakische und Sorbische erinnert. Intonation und Länge der Vokale spielen nicht in allen kajkavischen Mundarten eine Rolle, wenige Mundarten haben posttonale Längen, manche keine Endbetonung, in einem Ort hört man prätonale und posttonale Längen. Die Unterschiede gehen so weit, dass man für ein und dasselbe Wort otàc, otèc und òtec hört. Was die große Vielfalt der slowenischen und kajkavischen Dialekte betrifft, lässt sie sich durch den früheren großen Einfluss der feudalen Territorien und Grundherrschaften erklären.[7]

Der kajkavische Vokalismus wirkt gleich wie der standardkroatische: Sprachgeschichtlich gesehen, wurden jer und jor zuerst zu schwa und dann zu Vokalen, silbenbildendes l zu u, nasales o über o zu u, nasales e zu e und jat großteils zu e, aber auch zu i und ie. Am südslawischen Wort für Hölle kann man sehen, dass die kajkavischen Lautungen pekal und pakel der slowenischen “pøkøu” und der serbischen “pakao” gegenüberstehen, weil die Halblaute regional unterschiedliche Reflexe zeigen. Ein typisch kajkavisches Vokalinventar ist das slowenische Vokaldreieck ohne Schwa, aber es gibt auch Mundarten mit Schwa oder ohne geschlossene Vokale oder gar mit nur fünf vokalischen Phonemen. Der Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Vokalen könnte im Kajkavischen auf der Sprachgeschichte, vor allem auf einer Umphonologisierung von Vokalquantitäten beruhen. Ü, ö und die Diphthonge ie und ou treten gelegentlich auf, ja in der Ortschaft Bednja haben sich nahezu alle vokalischen Lautwerte geändert.

[...]


[1] Loncˇaric´, Mijo (1996): Kajkavsko narjecˇje. Zagreb: Sµkolska knjiga. S. VII, 1, 3/4.

[2] Ebenda. S. 9/10.

[3] Ebenda. S. 1-12.

[4] Ebenda. S. 15.

[5] Loncˇaric´, Mijo (2005): Kajkaviana & Alia: Ogledi o kajkavskim i drugim hrvatskim govorima. Cµakovec: Zrinski; Zagreb: Institut za hrvatski jezik i jezikoslovlje. (= Biblioteka znanstveno popularna djela; knj. 53) S. 1-9.

[6] Loncˇaric´, Mijo (1996): Kajkavsko narjecˇje. Zagreb: Sµkolska knjiga. S. 16-38.

[7] Ebenda. S. 39-65.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Das Kajkawische als natürlicher Übergang vom Slawonischen zum Slowenischen
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz  (Slawistik)
Veranstaltung
Sprachwissenschaftliches Seminar zur Dialektologie des Slowenischen
Note
1
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V195247
ISBN (eBook)
9783656211631
ISBN (Buch)
9783656212829
Dateigröße
469 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kajkawische, übergang, slawonischen, slowenischen
Arbeit zitieren
Ivo Marinsek (Autor:in), 2008, Das Kajkawische als natürlicher Übergang vom Slawonischen zum Slowenischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195247

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