Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ein Zugang zur Thematik der Biographieforschung
3. Das Leben des Freiherrn vom Stein im Kontext der frühen Sozialisationsbedingungen
3.1. Der Anfang in Nassau
3.2. Die Familie Stein und der Adel
3.3. Die Erziehung und Bildung im Hause Steins
3.4. Das Studium in Göttingen und die Kavalierstour
3.5. Der preußische Staatsdienst und die Heirat
4. Eine zusammenfassende Analyse der Sozialisationsbedingungen
5. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die niederschmetternde militärische Niederlage von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 öffnete das Tor zu den bedeutsamen Reformgesetzen im preußischen Staat. [1] Der Friede von Tilsit im Juli 1807 enthüllte das Ergebnis dieser Niederlage, „indem er das preußische Königreich des Ancien Régime förmlich deklassierte“ [2] . Der preußische Staat verlor die Hälfte seines Gebiets mit fast der Hälfte seiner Bevölkerung. Nach Wehler (2008) blieb von der Großmachtstellung Preußens in Europa nur die „Kümmerexistenz eines ostdeutschen Kleinstaats übrig“ [3] . Die Eroberung Deutschlands durch Napoleon hat nach Nipperdey (1986) einen Teil der partikularistischen Welt der kleinen Territorien, der Immunitäten und Autonomien und der feudalen Privilegien zerstört. Sie hat dadurch eine rationale Souveränität der Staaten und eine rechtliche Homogenisierung der Gesellschaft durchgesetzt und im Hinblick auf die ungeheure finanzielle Ausbeutung durch Frankreich den Anstoß zu den Reformen gegeben. Das Ziel, sich von Napoleon zu befreien hat die Modernisierung von Staat und Gesellschaft entscheidend vorangetrieben. Diese Modernisierung erfolgte durch die bekannten Reformen.[4] Die Träger dieser Reformen konnten jedoch nicht in der Masse ausfindig gemacht werden und sie waren auch nicht Teil einer bürgerlichen Gesellschaft, sondern es waren Beamte und Protagonisten der Modernität.[5] Im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts an der Helmut-Schmidt-Universität wurde sich mit den Trägern und Akteuren der preußischen Reformen näher beschäftigt. Das zentrale Ziel war die Rekonstruktion der Lebenswelten und Umweltbedingungen der einzelnen Reformer, um ein Netzwerk der preußischen Reformer definieren zu können. Es ging dabei um eine sozialisationstheoretische Analyse, die sich mit den gesellschaftlichen Bedingungen beschäftigt, welche für die Entfaltung der Biographien sorgten.[6] Im Prozess der Sozialisation erhält das Individuum unter dem Bedingungsgefüge von familialen Milieus, spezifischen Handlungen der Erziehung und gesellschaftlichen Kontextbedingungen seinen konkreten Zugang zu dem für ihn relevanten sozialen Raum, in den er eingreift und mitgestaltet.[7] Das Lehrforschungsprojekt hatte ein biographisches Erkenntnisinteresse, welches auf die Rekonstruktion vergangener Bedingungen der Sozialisation, Praktiken der Erziehung, Einrichtungen der Bildung und Verlaufsformen des Erwachsenenwerdens abzielte, um daran anschließend eine Kollektivbiographie für die preußischen Reformer aufzustellen. Eine Kollektivbiographie ist die Erforschung unter theoretisch und methodisch reflektierten, empirischen und vor allem auch quantitativ gestützten Aspekten eines historischen Personenkollektivs in seinem jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhang anhand einer vergleichenden Analyse der individuellen Lebensläufe der Mitglieder des Kollektivs.[8] Aus dem Kreis der preußischen Reformer ragten zwei führende Persönlichkeiten hervor. Dies war zum einen der Freiherr Karl vom und zum Stein (1757 - 1831) und der Fürst Karl August von Hardenberg (1750 - 1822). [9] Karl vom und zum Stein war 1807/08 leitender Minister und Initiator der Reformen. Für ihn bildeten die ständische Orientierung, die Tradition des Reichsritters und der Rückgriff auf alte Institutionen des Reichs den Schwerpunkt seines reformerischen Denkens. Er war Antiabsolutist, misstraute der Bürokratie und setzte sich für die Dezentralisierung und Kollegialität ein. Freiherr vom Stein war ein konservativer Reformer, da er an Traditionen, Stände und korporative Freiheiten festhielt.[10]
Im Zusammenhang mit der Absicht des Lehrforschungsprojekts beschäftigt sich diese Arbeit somit mit dem preußischen Reformer vom Stein. Ziel soll es sein, eine biographische Fallstudie zum Freiherrn vom Stein zu erstellen. Dabei geht es vor allem um die frühen Sozialisationsbedingungen im gesellschaftlichen Zusammenhang mit dem Schwerpunkt des familialen Milieus, der Erziehungspraktiken und der Bildung, welche den Freiherrn in der frühen Phase seines Lebens geprägt haben. Es soll herausgestellt werden, wie es zu der Ambivalenz zwischen modernen liberalen Gedanken gegenüber den Vorstellung von altständischen Verheerungen und traditionellen Denkmustern kam, welche Karl vom Stein in seiner Rolle als Reformer verkörperte.
Am Anfang dieser Arbeit steht zunächst ein Zugang zur Thematik der Biographieforschung. Dabei soll aufgezeigt werden, dass eine Biographie nicht nur eine Darstellung des Lebenslaufs eines Individuums ist, sondern dass die Person in gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie beispielsweise Familie, Beruf, Klassenschicht, soziale Bewegung sowie lokale und regionale Gegebenheiten eingebunden war. [11] Weiterhin soll die Herausforderung beleuchtet werden, dass Autoren von Biographien einerseits den wissenschaftlichen Anspruch der Objektivität verfolgen, jedoch andererseits Biographien zumeist Konstruktionen darstellen, welche im Diskurs ihrer Zeit entstanden sind. [12] Somit wird sich der Thematik der Biographie unter kritischen Aspekten genähert wird, um eine Sensibilisierung für die Problematik mit der Arbeit von wissenschaftlichen Biographie herbeizuführen. Im darauf folgenden Abschnitt wird das Leben des Freiherm vom Stein im Kontext der frühen Sozialisationsbedingungen näher betrachtet. Dabei geht es um die Darstellung einzelner Lebenskontexte wie beispielsweise der Familie des Freiherrn und seine Erziehungs- und Bildungsbedingungen. Es soll herausgestellt werden, mit welchen Werten und Verhaltensnormen und den damit verbundenen Mentalitäten der Freiherr von Stein aufgewachsen und somit geprägt worden ist und welche zentrale Rolle dabei die Idee eines standesspezifischen Ehrgefühls des Adels für die Entwicklung der jungen Persönlichkeit gespielt hat. Es werden exemplarisch verschiedene Kontexte und Stationen seines Lebens beleuchtet, um anschließend eine zusammenfassende Analyse darzustellen, warum er als „altständisch-romantisierend denkende[r], reformkonservative[r] Beamte[r]“ [13] preußischer Staatsmann wurde. Mit einer inhaltlichen Zusammenfassung sowie der persönlichen Meinung im Hinblick auf die Thematik soll diese Arbeit beendet werden.
2. Ein Zugang zur Thematik der Biographieforschung
Biographien stehen nach Klein (2002) stets im Theoriediskurs ihrer Zeit. Bewusst oder unbewusst sind Biographien immer in Verbindung mit den theoretischen Konzepten entstanden, welche zu ihrer Zeit en vogue waren. [14] Damit hängt eng die Beobachtung zusammen, dass die Beschreibung des Lebens einer Person stets den Stand der Diskussion spiegelt, welche zur Zeit ihres Erscheinens über Individualität und deren Konzeption geführt werden.[15] In der Wissenschaft ist Subjektivität verpönt und Objektivität geboten. Jedoch gehen in Biographien auch private Lebenserfahrungen ihres Autors ein, welche teils verstreckt und teils offen sind. Eine Biographie kann in einem vorsichtig auktorialen Erzählstil geschrieben sein, welche persönliche Kommentare erlaubt.[16] Obwohl die Biographie als Darstellung der Lebensgeschichte einer tatsächlichen Person einen Bezug zur Wirklichkeit aufweiset, Anspruch auf historiographische Wahrheit erhebt und somit zu den nicht-fiktionalen Erzählgenres zu rechnen ist, changiert sie zwischen Historiographie und Literatur als auch zwischen Fiktionalität und Faktizität. Auf der einen Seite definieren sich Biographien durch eindeutige Wirklichkeitsbezüge, denn indem sie die individuelle Geschichte der Persönlichkeit wiedergeben, erzählen sie von realen Ereignissen bzw. Tatsachen. Auf der anderen Seite greift eine Biographie ebenso wie Historiker bei der Darstellung von Lebensgeschichten auf Erzählverfahren zurück, welche sich auch in literarischen Gattungen finden. Dies rückt eine Biographie in die Nähe der fiktionalen Erzählgenres. [17] Die Aufgabe des Biographen darf es nicht sein, Kriterien für die Unterscheidung zwischen vermeintlich authentischem und inszeniertem Verhalten zu entwickeln. Es geht darum, die Beweggründe für diese oder jene Handlung oder Entwicklung zu rekonstruieren, Parallelitäten herzustellen, Einflüsse aufzudecken, Traditionslinien nachzuahmen. Im Rahmen dessen kann die Biographik auch wichtige Beiträge bei der Herausarbeitung und Erklärung von individuellen Verhaltensmustern als auch überindividueller, gruppen- oder gesellschaftstypischer Entwicklungen beisteuern. [18] Im Rahmen der Biographieforschung ist die fallre- konstruktive Vorgehensweise geeignet, um das Ineinandergreifen von individuellen, kollektiven und institutionellen Aspekten sozialer Wirklichkeit in konkreten Lebensgeschichten und Handlungskontexten zu analysieren. [19] Biographieforschung muss sich ihrem Gegenstand im Idealfall somit von verschiedenen Seiten nähern, welche in ihrer jeweils gegenseitigen Abhängigkeit gesehen werden müssen. Auf der einen Seite ist es die Primärgruppe und ihrer Sozialisationsformen und andererseits der Sekundärgruppen bzw. der Gesamtgesellschaft und ihrer materiellen, institutionellen und ideologischen Rahmenbedingungen. [20] Der historische Sozialisationsprozess als individualgeschichtlich aber auch als gruppen- und generationsspezifisch umfasst nach Groppe (2004) die Geschichte der Sozialisationsinstanzen, der spezifischen Erziehungspraxis in den gesellschaftlichen Ständen und Klassen als auch die Idee- und Kulturgeschichte der Bildung und Erziehung. Die Bildung der Persönlichkeit erfolgt innerhalb von Lebenswelten und Lebensformen. Dabei wird die Lebenswelt als Ganzheit von Umweltbedingungen definiert, in denen sich Gruppen und Individuen befinden und in denen sie ihre konkreten Lebensformen ausbilden. [21]
3. Das Leben des Freiherrn vom Stein im Kontext der frühen Sozialisationsbedingungen
Über die Verdienste um die unwiderrufliche Aufhebung der alten aristokratischen Ordnung mit dem Ziel, der Bevölkerung aller Stände einen tätigen Anteil am Staatsleben zu sichern, existieren viele wissenschaftliche Arbeiten. Vom jungen Sturm und Drang geprägten vom Stein gibt es jedoch nach Pfläging (1999) wenige Berichte. [22] Im folgenden Abschnitt erfolgt die Betrachtung der jungen Jahre des Freiherrn im Kontext des familialen Milieus, der Bedingungen der Erziehung und Bildung und dessen lokalen und regionalen Gegebenheiten.
3.1. Der Anfang in Nassau
Am 25. Oktober 1757 wurde Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein in Nassau an der Lahn als zweitjüngstes Kind in einem reichsritterschaftlichen Adelsgeschlecht geboren. [23] Zu diesem Zeitpunkt war Goethe acht Jahre alt, Schiller wurde zwei Jahre später geboren und Mozart war ein Jahr auf der Welt. [24] Scharnhorst wurde 1755 geboren und Gneisenau war drei Jahre jünger als Stein. Wilhelm von Humboldt erblickte 1767 die Welt und Napoleon wurde erst 14 Jahre nach Stein geboren. [25] Im Hinblick auf Hardenberg betrug der Altersunterschied sieben Jahre. Dieser Abstand hatte beispielsweise 1772 ein beträchtliches Gewicht, als der 15-jährige Stein noch im elterlichen Haushalt lebte und der 22-jährige Hardenberg auf seiner Kavaliersreise in Nassau zu Gast war. [26] Zur Geburt von Stein war der Siebenjährige Krieg. Zwar hatte im Herbst 1757 der kontinentale Teil des Krieges die Region um Nassau verschont, jedoch gingen Unsicherheit und ungewisse Perspektiven damit einher. [27] Im 18. Jahrhundert war Nassau ein Markt- und Amtsstädtchen mit kaum mehr als 300 Einwohnern. Die Lage von Nassau zeichnete sich durch regen Reiseverkehr aus, da die vielbefahrene Landstraße von Koblenz nach Wiesebaden über Nassau führte. [28] In diesem Zusammenhangen waren beispielsweise Sophie von Laroche ebenso der Schweizer Theologe Lavater oft bei der Familie Stein zu Besuch und zählten zu den engsten Freunden der Familie. Weiterhin besuchten Goethe, Basedow und Georg Melchior Kraus die Familie Stein in Nassau. [29] Auch Hardenberg kehrte im Hause ein. Neben diesen Personen verband die Familie eine enge Freundschaft zum preußischen Minister Friedrich Anton von Heinitz. Seine Frau war mit der Mutter von Stein befreundet. Diese Verbindung ebnete Karl vom Stein später die Wege in den preußischen Dienst. [30]
3.2. Die Familie Stein und der Adel
Adel muss als ein universalgeschichtliches Phänomen begriffen werden, welches durch das Verhältnis von Haus und Herrschaft, Geblüt und Besitz, Standesethos und Lebensform bestimmt wird. [31] Die Grundlage der Macht der Adligen waren in der frühen Neuzeit fast in ganz Europa der Besitz von Land und die damit einhergehenden Herrschaftsrechte. [32] Im 18. Jahrhundert konnte sich der Adel in Hoch- und Niederadel unterscheiden, obwohl er sich darüber hinaus auch in eine Vielzahl von Teil- und Rangklassen untergliedern konnte. Die Heterogenität des Niederadels wurde beispielsweise verstärkt durch den Aspekt, dass manche adelige Familien im Hinblick auf ihr Reichtum Reichsfürsten und Reichsritter weit übertreffen konnten, andere jedoch ärmer als Bauern lebten. [33] Nach Wehler (2008) verkörperte der deutsche Adel trotz interner Differenzierungen in seiner Außenansicht die Merkmale ständischer Lage, vor allem die Standeseigenschaften traditionaler Gebundenheit, korporativer Kohäsion und sozialer Ehre an der Spitze einer rechtlich festgelegten gültigen Skala des Ranges. Der Adel hatte eine Eliteposition inne, welche ihm in der feudal-patrimonialen Gesellschaft vielzählige juristische und sozio-politische Vorrechte einschließlich ökonomischer Chancen des Monopols einräumte. Weiterhin gab dies dem Adel in seinen Leitbildern der Lebensführung und seinem konventionalen Ehrenkodex vor den Ansprüchen aller anderen Stände Kraft. [34] In der frühen Neuzeit konnte somit derjenige als adlig gelten, dem es mit Erfolg gelang, spezifische Privilegien, welche als bestimmte Vorrechte des Adels galten, für sich in Anspruch zu nehmen, unabhängig davon, ob er sich diesbezüglich auf seine Herkunft und das Herkommen, das unbestreitbare soziale Ansehen seiner Familie oder eine vom jeweiligen Souverän in der jüngeren oder ferneren Vergangenheit vorgenommene Nobilitierung oder Bestätigung des Adelsstatus berief. [35] Der Adelsstatus bzw. Adelstitel ist die Bezeichnung der in den einzelnen Staaten verschiedenen Rangstufen des Adels. Beispielsweise vollzog sich diese Rangstufen in Preußen von Herzog zu Fürst, Graf, Freiherr und dem bloßen Namenszusatz ,von‘. Der Freiherr ist der letzte, rangniedrigste titulierte Adelige, die ihm nachstehenden Ränge sind untituliert.[36] Der Begriff des Freiherrn, weiblich Freifrau, ist ursprünglich dem Geburtstand des mittelalterlichen Freien Herrn entsprechend. Später ist es die Adelsbezeichnung für die durch kaiserliches oder landesfürstliches Diplom in den (Reich-)Freiherrenstand Erhobenen. Seitdem bezeichnet Freiherr eine Stufe des niederen Adels im Rang hinter den Grafen. Reichsfreiherren sind ausgestattet mit Hoheitsrechten der Gesetzgebung, Besteuerung und Gerichtbarkeit. [37] Sie sind dem Kaiser untertan, wie die anderen Reichsstände, Fürsten und Städte, jedoch ohne Sitz im Reichstag. [38] Der Reichsfreiherrenstand stellte im 17. und 18. Jahrhundert eine große Zahl von Männern für den soldatischen und politischen Dienst bei zahlreichen Fürstenhäusern. [39]
Adel muss als ein universalgeschichtliches Phänomen begriffen werden, welches durch das Verhältnis von Haus und Herrschaft, Geblüt und Besitz, Standesethos und Lebensform bestimmt wird. Die Grundlage der Macht der Adligen waren in der frühen Neuzeit fast in ganz Europa der Besitz von Land und die damit einhergehenden Herrschaftsrechte. Im 18. Jahrhundert konnte sich der Adel in Hoch- und Niederadel unterscheiden, obwohl er sich darüber hinaus auch in eine Vielzahl von Teil- und Rangklassen untergliedern konnte. Die Heterogenität des Niederadels wurde beispielsweise verstärkt durch den Aspekt, dass manche adelige Familien im Hinblick auf ihr Reichtum Reichsfürsten und Reichsritter weit übertreffen konnten, andere jedoch ärmer als Bauern lebten. Nach Wehler (2008) verkörperte der deutsche Adel trotz interner Differenzierungen in seiner Außenansicht die Merkmale ständischer Lage, vor allem die Standeseigenschaften traditionaler Gebundenheit, korporativer Kohäsion und sozialer Ehre an der Spitze einer rechtlich festgelegten gültigen Skala des Ranges. Der Adel hatte eine Eliteposition inne, welche ihm in der feudal-patrimonialen Gesellschaft vielzählige juristische und sozio-politische Vorrechte einschließlich ökonomischer Chancen des Monopols einräumte. Weiterhin gab dies dem Adel in seinen Leitbildern der Lebensführung und seinem konventionalen Ehrenkodex vor den Ansprüchen aller anderen Stände Kraft. In der frühen Neuzeit konnte somit derjenige als adlig gelten, dem es mit Erfolg gelang, spezifische Privilegien, welche als bestimmte Vorrechte des Adels galten, für sich in Anspruch zu nehmen, unabhängig davon, ob er sich diesbezüglich auf seine Herkunft und das Herkommen, das unbestreitbare soziale Ansehen seiner Familie oder eine vom jeweiligen Souverän in der jüngeren oder ferneren Vergangenheit vorgenommene Nobilitierung oder Bestätigung des Adelsstatus berief. Der Adelsstatus bzw. Adelstitel ist die Bezeichnung der in den einzelnen Staaten verschiedenen Rangstufen des Adels. Beispielsweise vollzog sich diese Rangstufen in Preußen von Herzog zu Fürst, Graf, Freiherr und dem bloßen Namenszusatz ,von‘. Der Freiherr ist der letzte, rangniedrigste titulierte Adelige, die ihm nachstehenden Ränge sind untituliert. Der Begriff des Freiherrn, weiblich Freifrau, ist ursprünglich dem Geburtstand des mittelalterlichen Freien Herrn entsprechend. Später ist es die Adelsbezeichnung für die durch kaiserliches oder landesfürstliches Diplom in den (Reich-)Freiherrenstand Erhobenen. Seitdem bezeichnet Freiherr eine Stufe des niederen Adels im Rang hinter den Grafen. Reichsfreiherren sind ausgestattet mit Hoheitsrechten der Gesetzgebung, Besteuerung und Gerichtbarkeit. Sie sind dem Kaiser untertan, wie die anderen Reichsstände, Fürsten und Städte, jedoch ohne Sitz im Reichstag. Der Reichsfreiherrenstand stellte im 17. und 18. Jahrhundert eine große Zahl von Männern für den soldatischen und politischen Dienst bei zahlreichen Fürstenhäusern.
Die Familie Stein war eines der ältesten Burgmannengeschlechter der Grafen von Nassau und seit dem 13. Jahrhundert aufgetreten. Sie wurde nach dem ,Stein‘, dem Burghaus vor der Stammburg Nassau benannt. [40] Die Burg Nassau war in niederadligem Besetz der Steins. Nach Gensicke (1965) unterschieden sich diese Burgen des niederen Adels in Größe und Bedeutung keineswegs von den Burgen der Landesherren.[41] Jedoch entschlossen sich die Steins im 17. Jahrhundert die Burg zu verlassen und sich in der Stadt Nassau ein Schloss einzurichten. [42] Im Laufe der Jahrhunderte hatte die Familie Stein die anderen Burgmannen beerbt und Besitzstück an Besitz gefügt. Im Jahr 1427 hatten sie das Dorf Schweighausen und 1613 das Dorf Frücht erworben und dazu eine Vielzahl verschiedenster Güter und Rechte in mehr als 50 Ortschaften zwischen Taunus, Westerwald und Mittelrhein.[43] Sie besaßen einige tausend Nassauer Morgen und ihr Besitz definierte sich durch einen Streubesitz.[44] Den Territorialfürsten war die Reichsunmittelbaren der Steins ein Dorn im Auge, deren Privilegien und Sonderstellung sie zu beseitigen versuchten.[45] Die Fürsten von Nassau empfanden die Steinschen Besitzungen als Splitter in ihrem Territorium und sie zu entfernen, war nach Herre (1973) das Ziel eines immerwährenden Kleinkrieges, welcher nicht mehr mit Schwert und Lanze, sondern in juristischen Gefechten und bürokratischen Angelegenheiten geführt wurde.[46] Der Hausherr der Familie Stein war zu dieser Zeit Karl Philipp vom und zum Stein. Er war protestantischer Beamter des Kurfürst-Erstbischofs von Mainz und hatte dort am Hof zunächst eine unbesoldete, später besoldete Kammerherrenstelle und war dann im Geheimrat tätig. [47] Er heiratete erst im Alter von 38 Jahren eine Verwandte, welche Witwe geworden war und deren Angelegenheiten er verwaltete. Henriette Karoline, geborene Langwerth von Simmern, verwitwete von Löw war eine standesgemäße Partie. [48] Nach Bach (1957) zeichnete sich sie sich durch ihren scharfen Verstand aus und ihr inniges Gemüt bestimmte die geistige Höhenlage des Hauses.[49] Die Rolle des Mannes und der Frau im 18. Jahrhundert standen im Zeichnen der Erfüllung der Familienzwecke. Der Zweck des Mannes bestand in Verwaltungs- und Repräsentationsaufgaben, in der Wahrung des Ansehens und der Reichtum der Familie. Die Frau sollte die Kinder gebären und die Beaufsichtigung des Hauswesens übernehmen.[50] Grundsätzlich wurde von einer adligen Frau erwartet, dass sie sich ihrem Mann unterordnete und ihre Pflichten vorranging dadurch erfüllt, dass sie viele Kinder gebar, unter denen sich eine große Zahl von Söhnen befinden musste, welche die Kontinuität des Geschlechts sicherten. Blieb die Frau kinderlos, war sie in ihrer sozialen Rolle faktisch gescheitert.[51] Aus der Ehe der Steins gingen zehn Kinder hervor, von denen sieben das Erwachsenenalter erreichten. [52] Die drei Brüder von Stein traten in den militärischen Dienst ein. Seine Schwester Marie Charlotte heiratete einen hannoverschen Edelmann und Johanna Luise einen Grafen von Werthern. Die andere Schwester Marianne war Oberin des evangelischen Stiftes Wallenstein. [53] Um den Familienbesitz zusammenzuhalten, fertigten die Eltern früh ein Familienfideikommiss, welches Karl das Gesamterbe zusprach. Nach Durchhardt (2010) ist jedoch unklar, warum dies auf den Zweitjüngsten viel.[54] Dennoch musste Karl vom Stein nach dem Tod seines Vaters bereits im Oktober 1788 den Familienbesitz übernehmen und verwalten.[55]
3.3. Die Erziehung und Bildung im Hause Steins
Auf die Erziehung der Kinder wurde gemäß der sozialen Schicht in der Familie Stein große Sorgfalt verwendet.[56] Zu den Besonderheiten der adligen Erziehung zählte bereits die Tatsache, dass viele Familien die finanzielle Möglichkeit hatten, dafür eigenes Personal zu beschäftigen. Somit machten sich bereits damit die materiellen Ressourcen geltend, welche mit dem privilegierten Stand verbunden waren. [57] Die Bezugspersonen der adligen Kinder waren hauptsächlich ihre Ammen, Kindermädchen, Hauslehrer und/oder Gouvernanten, sowie nicht zuletzt die (älteren) Geschwister. Die Söhne und Töchter des Adels wurden von eigens dazu bestelltem Personal erzogen und unterrichtet: die Söhne durch einen bürgerlichen Hauslehrer bzw. Hofmeister und die Töchter durch eine Gouvernante. Die unterrichteten Fächer für die Söhne waren beispielsweise Lesen, Schreiben, Rechnen, deutsche und französische Sprache, Religion, Zeichnen, Musik, Geschichte, Geographie, Naturwissenschaften und Mathematik. [58]
[...]
[1] vgl. Wehler 2008, S. 398
[2] Wehler 2008, S. 398
[3] Wehler 2008, S. 398
[4] vgl. Nipperdey 1986, S. 49-50; vgl. auch Burg 1995, S. 496
[5] vgl. Nipperdey 1994, S. 32
[6] vgl. Fuchs 2009, S. 391
[7] vgl. Groppe 2004, S. 30
[8] vgl. Schröder/Weege/Zech 2000, S. 69
[9] vgl. Wehler 2008, S. 399
[10] vgl. Nipperdey 1994, S. 35-36
[11] Engelberg/Schleier 1990, S. 204
[12] vgl. Hanuschek 2009, S. 15
[13] Wehler 2008, S. 399
[14] vgl. Klein 2002, S. 5
[15] vgl. Scheuer 1994, Sp. 30
[16] vgl. Kurzke 2002, S. 173
[17] vgl. Nünning 2009, S. 21
[18] vgl. Klein 2002, S. 15
[19] vgl. Dausin 2002, S. 79/81
[20] vgl. Gestrich 1988, S. 21
[21] vgl. Groppe 2004, S. 19-20/22
[22] vgl. Pfläging 1999, S. 9
[23] vgl. Durchhardt 2010, S. 11
[24] vgl. Laux 1982, S. 5
[25] vgl. Botzenhart 1963, S. XXXVII
[26] vgl. Stamm-Kuhlmann 2007, S. 99
[27] vgl. Durchhardt 2010, S. 11
[28] vgl. Bach 1957, S. 18
[29] vgl. Durchhardt 2010, S. 12
[30] vgl. Durchhardt 2007a, S. 23, vgl. auch Bach 1957, S. 53
[31] vgl. Heimann 2000, S. 9
[32] vgl. Asch 2008, S. 52; vgl. auch Wehler 2008, S. 142
[33] vgl. Wehler 2008, S. 140-141
[34] vgl. Wehler 2008, S. 140; vgl. auch Sikora 2009, S. 3-6; Demel 2005, S. 54-55
[35] vgl. Asch 2008, S. 18
[36] vgl. Conze 2005, S. 42; vgl. auch Demel 2005, S. 53
[37] vgl. Conze 2005, S. 95
[38] vgl. Herre 1973, S. 10
[39] vgl. Hubatsch 1975, S. 25
[40] vgl. Rößler 1964, S. 11
[41] vgl. Gensicke 1965, S. 134-135
[42] vgl. Bach 1957, S. 18
[43] vgl. Rößler 1964, S. 11; vgl. auch Durchhardt 2007a, S. 17; Bach 1957, S. 22-23
[44] vgl. Herre 1973, S. 9
[45] vgl. Bach 1957, S. 35
[46] vgl. Herre 1973, S. 9
[47] vgl. Durchhardt 2007a, S. 16
[48] vgl. Herre 1973, S. 11
[49] vgl. Bach 1927, S. 14
[50] vgl. Herrmann 2005, S. 77
[51] vgl. Asch 2008, S. 102; vgl. auch Hufschmidt 2001, S. 233-234
[52] vgl. Durchhardt 2007a, S. 18; vgl. auch Bach 1957, S. 27
[53] vgl. Herre 1973, S. 12-13; vgl. auch Bach 1957, S. 41
[54] vgl. Durchhardt 2010, S. 13
[55] vgl. Botzenhart 1963, S. XXXIX
[56] vgl. Durchhardt 2010, S. 12
[57] vgl. Sikora 2009, S. 107
[58] vgl. Herrmann 2005, S. 78; vgl. auch Demel 2005, S. 64-65