Weit über 200 Jahre sind vergangen, seit Adam Smith mit „The Wealth of Nations“ jenes Werk schrieb, das ihn zum Gründervater der Nationalökonomie machte. Daß die Diskussion um die Interpretation seiner Aussagen noch immer nicht verebbt ist, ist – so könnte man sagen – Smiths eigene Schuld. Hätte er nicht die Metapher der „unsichtbaren Hand“ verwendet und staatliche Abstinenz vom Wirtschaftsprozeß gefordert, zugleich aber Raum gelassen für staatliche Eingriffe in einer Vielzahl von Bereichen, dann ergäben sich möglicherweise aus seinem Werk weniger Widersprüche und Ungereimtheiten. “Smith was always in favour of natural order and market adjustment. Except, of course, when he was not.” (David A. Reisman).
„The Wealth of Nations“ ist ohne Zweifel ein Plädoyer für ein von staatlichen Übergriffen befreites ökonomisches System, in dem die Aktivitäten der Einzelnen zur Erhöhung des allgemeinen Wohlstand führen. Aber Smith machte selbst eine Reihe von Ausnahmen von diesem Prinzip.
Diese Arbeit versucht, in Auseinandersetzung mit der Interpretation des so geläufigen Begriffs der „unsichtbaren Hand“ das Verhältnis von Laissez-faire und Regulation bei Smith zu klären und überprüft in diesem Sinne anschließend Smiths Aussagen zur Organisation des nationalen Geld- und Bankenwesen. Dabei wird deutlich, daß Smith weder von den Befürwortern einer Laissez-faire-Marktwirtschaft noch den Protagonisten staatlicher Intervention mit vollem Recht für sich vereinnahmt werden kann. Daß Smith manchmal in Widersprüche zwischen die von ihm entworfenen Idealvorstellungen und seinen aus empirischen Beobachtungen gezogenen Schlußfolgerungen geriet, zeigen sein Ausführungen zur Bankenregulation: Das von ihm geforderte, vollständig wettbewerblich organisierte Banken- und Geldsystem wird durch die von Smith selbst befürworteten zeitgenössischen Regulationen des Gesetzgebers konterkariert. Diese gesetzlichen Maßnahmen verstärkten in der Konsequenz die dominierende Stellung der Bank of England und begünstigten so die Entwicklung zu einer zentralwirtschaftlichen Bankenordnung.
Inhalt
I. Einleitung
II. Die „unsichtbare Hand“ – das Argument für nicht-regulierte Märkte?
Die „unsichtbare Hand“ und ihr Kontext in The Wealth of Nations
Was meinte Smith mit der „unsichtbaren Hand“?
III. Markt und Staat bei Adam Smith
Smiths Plädoyer für Wettbewerb und freie Märkte
Die Funktionen des Staates und Fälle staatlicher Marktintervention
IV. Adam Smith und das Banken- und Geldsystem
Die öffentlichen Banken England und Schottlands
Die gesetzliche Regulation des Banken- und Geldmarkts
Theorie und Praxis: Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten
V. Resümee
Literatur
Zitat auf Seite 2: David A. Reisman, Adam Smith on Market and State, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics 154 (1998), 357-383, hier 361.
I. Einleitung
Weit über 200 Jahre sind vergangen, seit Adam Smith mit The Wealth of Nations jenes Werk schrieb, das ihn zum „Gründervater der Nationalökonomie“[1] machte. Daß die Diskussion um die Interpretation seiner Aussagen noch immer nicht verebbt ist, ist – so könnte man sagen – Smiths eigene Schuld. Hätte er nicht die Metapher der „unsichtbaren Hand“ verwendet, hätte er nicht staatliche Abstinenz vom Wirtschaftsprozeß gefordert, zugleich aber Raum gelassen für staatliche Eingriffe und für eine Vielzahl staatlicher Aktivitäten in anderen gesellschaftlichen Bereichen, dann ergäben sich möglicherweise aus seinem Werk nicht so viele Widersprüche – ob scheinbare oder tatsächliche – die ihn einerseits als Propagandist von Laissez-faire und Minimalstaatlichkeit erscheinen lassen, andererseits aber auch staatlicher Intervention und Regulation Tür und Tor öffnen können.[2]
Diese Arbeit versucht, in Auseinandersetzung mit der Interpretation des Begriffs der „unsichtbaren Hand“ das Verhältnis von Laissez-faire und Regulation bei Smith zu klären und überprüft in diesem Sinne anschließend Smiths Aussagen zur Organisation des nationalen Geld- und Bankenwesen.
Vorangestellt sei noch, daß bei der Beschäftigung mit The Wealth of Nations der Hinweis Viners nicht außer Acht gelassen werden sollte, daß Smith darin zwar generelle Prinzipien des ökonomischen Systems analysiert hat, aber daß er dieses Werk zu einem nicht unerheblichen Teil auch verfaßte als „a tract for the times, a specific attack on certain types of government activity.“ „Smith’s primary objective was to secure the termination of these activities of government. […] Everything else was to a large degree secondary.”[3]
II. Die „unsichtbare Hand“ – das Argument für nicht-regulierte Märkte?
Obwohl von Smith in The Wealth of Nations nur an einer einzigen Stelle explizit genannt, ist die „unsichtbare Hand“ zu einer der gängigsten Metaphern in der Sprache von Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftlern geworden. In einer griffigen Formel scheint sie die Überzeugung vom nicht-regulierten Markt als stärkstem Promoter der gesamtgesellschaftlichen Nutzenmaximierung zusammenzufassen.
Was sich genau dahinter verbirgt, ist jedoch Gegenstand verschiedenster Interpretationen. BLAUG zum Beispiel versteht darunter „schlicht und einfach [den] Gleichgewichtsmechanismus am Konkurrenzmarkt“, der unter den Bedingungen vollständiger Konkurrenz – worauf Smiths Prinzip der natürlichen Freiheit letztlich hinausliefe – „zu einer optimalen Allokation von Arbeit und Kapital führt“, wodurch die allgemeine Wohlfahrt befördert würde.[4] FRIEDMAN sieht ihr Wirken eher in der Koordination der Handlungen von Millionen Einzelner „through a price system without central direction“.[5]
Mitunter scheint die Idee von der „unsichtbaren Hand“„mutated from analysyis to mythology“.[6] So, wenn VAUGHN sie als ein Prinzip beschreibt, das aus den unbeabsichtigten Konsequenzen individuellen menschlichen Handels eine nützliche und wohltätige soziale Ordnung entstehen läßt oder RECKTENWALD sie letztlich mit der Vorsehung gleichsetzt.[7] Verkörpert die „unsichtbare Hand“ in VAUGHNs Augen jene Idee, die Smith erst ermöglichte, die erste umfassende Theorie des ökonomischen Systems zu schaffen, so mißt ihr Rothschild nur eine marginale Bedeutung für Smiths Vorstellungen bei und argumentiert, er selbst habe sie lediglich als „ironic, but useful joke“ angesehen.[8]
Die „unsichtbare Hand“ und ihr Kontext in The Wealth of Nations
Bevor geklärt werden kann, ob die „unsichtbare Hand“ nun ein oder gar das Argument Smiths für nicht-regulierte Märkte ist, soll zunächst ein Blick auf ihren kontextuellen Zusammenhang geworfen werden. Smith erwähnt sie im 2. Kapitel des IV. Buchs, das sich mit Importbeschränkungen ausländischer Güter, die im Inland produziert werden können, auseinandersetzt.[9] Er argumentiert, daß Zölle und Einfuhrbeschränkungen auf ausländische Waren den einheimischen Herstellern „mehr oder minder ausgeprägte Monopolstellungen“ sichern, die aber keinesfalls den gesamtwirtschaftlichen Kapitaleinsatz so regeln, daß davon der größtmögliche Vorteil für die Volkswirtschaft erzielt wird, weil sie Kapital und Erwerbstätigkeit eines Landes „von ertragreichen Wirtschaftszweigen in weniger ertragreiche“ lenken. Da Importbeschränkungen ihren Sinn nur dann erfüllten, wenn die ausländischen Waren billiger als die im Inland produzierten seien, verringere die teurere Herstellung dieser Güter im Inland den „Tauschwert des jährlichen Ertrages“ eines Landes oder mit anderen Worten das Sozialprodukt, weil man mit dem gleichen Aufwand, der in die inländische Produktion dieser Waren geflossen ist, andere Güter mit einem insgesamt höherem Tauschwert hätte erzeugen können. Die Produktionsfaktoren sind also ineffektiv genutzt worden.[10]
Wären nun unter den Bedingungen des freien Handels Kapitalbildung und Erwerbstätigkeit „ihrer natürlichen Entwicklung“ überlassen gewesen, wäre ein höheres jährliches Volkseinkommen erzielt worden und damit auch eine Nettoersparnis, die nach Smith die entscheidende Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum ist.[11] Um den Einwand zu entkräften, daß der Freihandel die Erwerbstätigkeit verringere und einen verstärkten Abfluß von Kapital ins Ausland bewirke, bringt Smith das Argument ins Spiel, daß der einzelne Kaufmann, vergleichbare Gewinnaussichten vorausgesetzt, sein Kapital bevorzugt im Binnenhandel einsetzen wird und zwar so, daß es den für ihn größtmöglichen Profit abwirft, weil der Außenhandel mit Unwägbarkeiten und größeren Risiken verbunden ist. Kapital aber, das im Binnenhandel eingesetzt wird, trägt wesentlich mehr zur Wirtschaftsbelebung bei als eine gleich hohe Investition im Außenhandel, weil der von ihm ausgehende Beschäftigungseffekt größer ist und es damit zugleich die Vermehrung des Volkseinkommen stärker befördert, während im Außenhandel ein Teil der Investition der ausländischen Wirtschaft zugute kommt.[12] So fördert also das auf diese Weise vom eigenen Gewinn- und Sicherheitsinteresse gelenkte Handeln des Einzelnen, „led by an invisible hand [...] an end which was no part of his intention“, nämlich „the publick interest“.[13]
Was meinte Smith mit der „unsichtbaren Hand“?
Geht man von der Passage aus, in der sie erwähnt wird, dann ist das Wirken der „unsichtbaren Hand“ an mehrere Voraussetzungen geknüpft. Abgesehen davon, daß sie nur unter den Wettbewerbsbedingungen funktioniert, profitiert das Allgemeinwohl vom Eigeninteresse des Einzelnen nur dann, wenn dessen Kapital im Inland verbleibt, was wiederum nur dann wahrscheinlich ist, wenn die Gewinnerwartungen im Binnen- und Außenhandel nicht zu verschieden sind.[14] Zudem ist es grundlegend, daß die Individuen ihr Eigeninteresse verfolgen, wobei Smith aber keineswegs davon ausging, daß diese Bedingung immer erfüllt sei, da der Einzelne sich über sein Eigeninteresse irren könne oder darüber, wie er es am sinnvollsten befördere, oder er ihm möglicherweise sogar zuwiderhandle.[15]
Eine stark verallgemeinernde Interpretation der Bedeutung der „unsichtbaren Hand“ als eine wie auch immer geartete Optimierungsfunktion freier Marktwirtschaft im Sinne des Allgemeinwohls wird nicht nur durch die von Smith gemachten Bedingungen eingeschränkt, sondern auch durch den Umstand, daß Smith sowohl den Preismechanismus unter Wettbewerbsbedingungen und die davon ausgehenden Wachstumseffekte an früherer Stelle auch ohne Rückgriff auf die „unsichtbare Hand“ hinreichend erklärt hat.[16]
Entscheidend erscheint die Frage, was nun genau das „publick interest“ ist. GRAMPP argumentiert, daß es Smith an dieser Stelle in erster Linie um die Sicherung und Verbesserung der nationalen Verteidigungsfähigkeit geht. Das Verdienst der „unsichtbaren Hand“ bestünde gerade darin, daß sie diese über die vom Eigeninteresse motivierten Transaktionen der einzelnen Individuen fördere, ohne daß diese sich dessen bewußt seien, noch es beabsichtigt hätten.[17] Sicher ist, daß Smith die Landesverteidigung ökonomischen Interessen überordnete, weil in seinen Augen „äußere Sicherheit wichtiger als Reichtum“ ist und in diesem Sinne auch die Anwendung wirtschaftspolitischer Maßnahmen sowie staatliche Marktinterventionen billigte.[18] Smith legte auch dar, daß die Verteidigungsfähigkeit eines Landes vorrangig vom inländischen Kapitalstock abhängt. Dennoch entfernt sich GRAMPP mit dieser Auslegung meines Erachtens zu sehr vom direkten Textzusammenhang, dessen strikte Beachtung er doch gerade für sich reklamiert.[19]
Wie von PERSKY betont, bezieht sich Smiths Argumentation in diesem Kontext explizit auf die Förderung der Erwerbstätigkeit, beginnt er sie doch mit der Erläuterung des Zusammenhangs zwischen Kapitalstock und Erwerbstätigkeit in einem Land, deren eben durch Monopole auf dem Binnenmarkt nicht absolut vergrößert, sondern nur umgelenkt werden kann.[20] Das öffentliche Interesse bezieht sich demnach an dieser Stelle eher auf die Erhöhung der Erwerbstätigkeit, und implizit auf die damit verbundene Steigerung des Sozialprodukts.
Die Metapher von der „unsichtbaren Hand“ ist insofern Teil des Plädoyers Smiths für nicht-regulierte Märkte, als er mit ihr eines der Argumente gegen den Freihandel zu entkräften versucht. Er zeigt, daß Zölle und Importverbote zu Monopolstellungen führen und diese nichts anderes bedeuteten als staatliche Eingriffe in die Entscheidung von Privatleuten darüber, wo sie ihr Kapital am gewinnbringendsten einsetzen, „was in den meisten Fällen nutzlos, ja, obendrein noch schädlich“ sei.[21] Daß Smiths „unsichtbare Hand“ jedoch nicht bedeutete, daß uneingeschränktes Laissez-faire immer und automatisch den größtmöglichen Nutzen für das Allgemeinwohl hervorbringt, erklärt sich aus den vielen Fällen, in denen Smith staatlichen Protektionismus im Sinne eines übergeordneten Zieles wie dem der Verteidigung rechtfertigt – was er im Anschluß an die Textpassage mit der „unsichtbaren Hand“ anführt – oder in denen er staatliche Regulation für notwendig hält, weil das Eigeninteresse Einzelner, auch wenn sie es frei verfolgen dürften, dem Allgemeinwohl in bestimmten Fällen auch schaden kann.[22]
[...]
[1] Vorwort der Herausgeber in: Markt, Staat und Solidarität bei Adam Smith, 10.
[2] Vgl. die Diskussion bei Gretschmann, bes. 125, der sich auf Friedman, Buchanan und Wille bezieht, und bei Reisman, 357f., mit Hinweis auf Musgrave, Rothbard und Macfie.
[3] Viner, 218, dem sich Reisman, 378, anschließt.
[4] Blaug, 120f.
[5] Friedman, 17.
[6] Persky, 196.
[7] Vaughn, 997; Recktenwald, LXXII.
[8] Rothschild, 319.
[9] Für das Folgende: WN, 368-373.
[10] „Ein Familienvater, der weitsichtig handelt, folgt dem Grundsatz, niemals etwas selbst herzustellen versuchen, was er sonstwo billiger kaufen kann. [...] Was aber für das Verhalten einer ganzen Familie vernünftig ist, kann für das eines mächtigen Königreichs kaum töricht sein.“, ebd., 371f.
[11] Skinner, 368; Recktenwald, LXf.; vgl. WN, 268ff.
[12] Ebd., 302f.
[13] Zit. nach: Grampp, 453f.; WN, 371.
[14] Persky, 197f.; Grampp, 444.
[15] Ebd.
[16] Kittsteiner, 42; Grampp, 445f.; vgl. die Erklärung des Preismechanismus: WN, I. Buch, 7. Kapitel.
[17] Grampp, 450ff.
[18] WN, 379.
[19] Grampp, 443f.
[20] Persky, 197; vgl. WN 368.
[21] Ebd., 371.
[22] Viner, 214f.
- Arbeit zitieren
- Victoria Krummel (Autor:in), 2001, Die "unsichtbare Hand": Vor- und Nachteile nicht-regulierter Märkte aus der Sicht von Adam Smith, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19539
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