Das Parteiensystem Rußlands

Eine Zustands- und Entwicklungsanalyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

36 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Vorbemerkungen zum Untersuchungsgegenstand

3. Eigenschaften des russischen Parteiensystems
3.1. Format und Fragmentierung
3.2. Volatilität
3.3. Polarisierung
3.4. Segmentierung
3.5. Legitimität

4. Entwicklungsfaktoren des russischen Parteiensystems
4.1. Verlauf des Transformationskonflikts
4.2. Institutionelle Rahmenbedingungen
4.3. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

5. Resümee

Abkürzungen
Quellen und Literatur

Zitat auf Seite 2 aus: Viktor Šejnis, Wie Rußland gewählt hat: Zum Fazit der Parlaments- und Präsidentenwahlen Dezember 1999/März 2000, in: Osteuropa 50 (2000), 758-778, hier 777.

1. Einleitung

Wenig mehr als eine Dekade ist vergangen, seit die über 70 Jahre dauernde Einparteienherrschaft der KPdSU mit der Aufgabe ihres in der sowjetischen Verfassung verankerten Machtmonopols ein formales Ende fand. Das wenig später im Oktober 1990 folgende Gesetz über die gesellschaftlichen Vereinigungen schuf den juristischen Rahmen für ein Mehrparteiensystem im „vorerst letzten Weltreich der Geschichte“[1], das kurz darauf selbst in der Auseinandersetzung zwischen kommunistischen Beharrungskräften und den damaligen Reformkräften unter Führung des gerade erst zum ersten russischen Präsidenten gewählten Boris Nikolajewitsch Jelzin unterging.

Insbesondere der demokratische Transformations- und Konsolidierungsprozeß in Rußland erfährt seitdem sowohl in der westlichen Presse als auch in der wissenschaftlichen Debatte viel Aufmerksamkeit, wird mit Interesse, vor allem aber auch mit Besorgnis verfolgt, die ihren Ausdruck findet in Schlagworten wie „delegative Demokratie“ oder „plebiszitärer Autoritarismus“ (Brie 1996), „System Jelzin“ und „Superpräsidentialismus“ (Mommsen 1999), “ „Stimmungsdemokratie mit präsidial-autoritären Zügen“ (Gnauck/Harms 1997). Auch der Blick auf die neuesten Entwicklungen unter der Präsidentschaft Wladimir Wladimirowitsch Putins läßt zumindest vordergründig keinen Grund für Optimismus bezüglich einer realen und normativen Verfestigung demokratischer Institutionen und Handlungsmuster erkennen: der fortdauernde Krieg in Tschetschenien, die jüngst erfolgten Eingriffe in die Pressefreiheit,[2] der stetige Bedeutungszuwachs des Nationalen Sicherheitsrates, einer weder in der Verfassung vorgesehenen, noch irgendeiner Art von demokratischer Kontrolle unterliegenden Institution,[3] der klientelistische Stil der Besetzung öffentlicher Ämter in Exekutive und Verwaltung.[4]

Auch das russische Mehrparteiensystem wird fast zehn Jahre nach dem Beginn seines Bestehens noch als „rudimentär“ eingeschätzt, bestehend aus Protoparteien, „die untereinander kaum differenziert, personalistisch orientiert und machtlos in der realen Politik Rußlands sind“.[5] Dies ist um so bedenklicher, als einem „konsolidierten Parteiensystem eine zentrale Rolle im demokratischen Konsolidierungsprozeß“[6] zukommt, wie Wolfgang Merkel (1996) in seinem Mehrebenenmodell der demokratischen Konsolidierung betont. Demnach tragen die von den intermediären gesellschaftlichen Teilregimen, d.h. dem Parteien- und dem Verbändesystem, sowohl auf die institutionelle Ebene als auch auf die Akteursebene ausgehenden Konsolidierungseffekte entscheidend zur Herausbildung einer Zivilgesellschaft bei, in der die Demokratie und ihre Spielregeln als legitim angesehen und akzeptiert werden (Merkel 1997: 10ff.; 1996: 46ff.; vgl. auch Webb/Lewis 1998: 253f.). Versteht man weiterhin freie Wahlen als Grundbedingung einer repräsentativen Demokratie (Pammett 1999: 45), dann steht jenes Teilsystem, deren Aufgabe in der Repräsentation und Aggregation von Interessen sowie ihrer Transmission in die politische Willens- und Entscheidungsfindung besteht, im Zentrum der Aufmerksamkeit: das Parteiensystem.

Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, die Frage nach Konsolidierung oder Destabilisierung des russischen Parteiensystems seit den ersten freien Wahlen zum russischen Parlament im Dezember 1993 zu beantworten. Das Parteiensystem wird dabei als abhängige Variable betrachtet, dessen Struktur und Entwicklung dem Wirken verschiedener Faktoren unterliegen, deren jeweiliger Einfluß herausgestellt werden soll. Nach einigen theoretischen Vorbemerkungen werden anhand einem von Niedermayer (1996) vorgeschlagenen Rasters folgend zunächst Eigenschaften des Parteiensystems analysiert und danach prägende institutionelle und gesellschaftliche Rahmenfaktoren untersucht. Abschließend wird der Versuch einer Bewertung des russischen Parteiensystems unternommen.

2. Vorbemerkungen zum Untersuchungsgegenstand

Wenn im folgenden das Parteiensystem Rußlands analysiert wird, so soll darunter das „strukturelle Gefüge der Gesamtheit der politischen Parteien in einem Staat“[7] sowie die Beziehungsstrukturen zwischen diesen verstanden werden, welche durch Parteiensystemeigenschaften beschrieben werden können (Niedermayer 1996: 20; Helms 1995: 643). Untersuchungsgegenstand sind also nicht die einzelnen Parteien, sondern das durch diese sowie deren Interaktionen gebildete intermediäre Teilregime des politischen Systems, dem eine „fundamentale Vermittlungsfunktion“[8] zwischen Staat und Gesellschaft zukommt, d.h. zwischen den wichtigsten politischen Institutionen einerseits und korporativen Akteuren sowie dem einzelnen Bürger andererseits (Merkel 1997: 12f.).

Der in der politikwissenschaftlichen Literatur konstatierte Mangel an Konsens über die Kriterien, anhand welcher Parteiensysteme in etablierten Demokratien zu untersuchen sind (Niedermayer 1996: 19; Helms 1995: 643), besteht nicht minder für die Analyse der Parteien- und Parteiensystementwicklung in postkommunistischen Staaten (Löwenhardt 1998: 7). Diese Arbeit orientiert sich an dem von Niedermayer (1996) vorgeschlagenen Analyseraster, wonach sich der Zustand eines Parteiensystems durch die Eigenschaften Format, Fragmentierung, Volatilität, Polarisierung, Segmentierung und Legitimität beschreiben läßt und zur Untersuchung seiner Entwicklung die strukturellen Rahmenbedingungen sowie das Verhalten von Akteure, d.h. der Parteien und Parteieliten sowie der Bevölkerung, in Augenschein genommen werden sollten. Zugunsten institutioneller und gesellschaftlicher Faktoren muß im Rahmen dieser Arbeit jedoch auf die Analyse der verhaltensbestimmten Ursachen verzichtet werden.

Die abschließende Bewertung des Parteiensystems orientiert sich an der dem Parteiensystem in jungen Demokratien zusätzlich zugewiesenen Funktion für die demokratische Konsolidierung des Gesamtsystems (Merkel 1997). Demnach sind die vom Parteiensystem auf die anderen Ebenen ausgehenden Konsolidierungseffekte dann potentiell günstig, wenn es durch eine geringe Fragmentierung gekennzeichnet ist, da so am ehesten handlungsfähige und stabile Parteiregierungen gebildet werden können, desweiteren durch eine geringe Polarisierung und die Abwesenheit von Anti-System-Parteienen, da bei der Existenz relevanter Parteien an den äußersten Rändern ein zentrifugaler Wettbewerb um die Wähler wahrscheinlich ist, der potentiell zur Ausdünnung der politischen Mitte mit den demokratietragenden Parteien führt und schließlich durch eine niedrige bis mittlere Wählerfluktuation, die als Indiz für die soziale Verwurzelung der Parteien und damit für die Erfüllung ihrer Repräsentationsfunktion gedeutet werden kann (Merkel 1996: 47f.; Merkel/Puhle 1999: 153ff.; Beyme 1997: 46ff.). Eng damit in Zusammenhang steht eine wünschenswerte Widerspiegelung sozial relevanter cleavages in den Programmatiken der Parteien und den Strukturen des Parteiensystems (Beyme 1997: 37ff.) sowie überhaupt die Dominanz des Typ der politischen Programmpartei im Parteiensystem (Kitschelt 1995).

Das von Beyme (1997: 34ff.) weiterhin angeführte Kriterium der erfolgreichen und nach demokratischen Regeln erfolgten Koalitionsbildung muß im Falle des russischen Parteiensystems als wenig relevant angesehen werden, da parteipolitische Kräfteverhältnisse bisher bei der Regierungsbildung nicht berücksichtigt werden (Mommsen 1999), was allein schon auf ein wesentliches Funktionsdefizit nicht nur des Parteiensystems hinweist, auf das noch zurückzukommen sein wird.

Problematisch für die Untersuchung des Parteiensystems in Rußland ist die ausgeprägte Fluktuation innerhalb des Systems mit einer Vielzahl ständig neuer Gruppierungen und dem schnellen Verschwinden alter Zusammenschlüsse, den verwirrenden Umbenennungen, Spaltungen und Fusionen (Bos/Steinsdorff 1997: 101f.). Zudem ist zwischen Parteien und Bewegungen oft nicht klar zu trennen (Gnauck/Harms 1997: 303).[9] Die Frage, inwieweit diese Gruppierungen überhaupt als politische Parteien im gängigen Verständnis westlicher Politikwissenschaft angesehen werden können, soll an dieser Stelle ausgeklammert werden, nicht ohne den Hinweis, daß eine umfassende Analyse des russischen Parteiensystems den Charakter und die internen Strukturen der einzelnen Gruppierungen, vor allem der wenig kohärenten und anläßlich jeder Wahl neu entstehenden Wahlblöcke, viel stärker einbeziehen müßte.[10] Als Minimaldefinition soll für die folgende Untersuchung gelten, daß als Parteien jene mitgliederschaftliche Organisationen verstanden werden, die periodisch bei Wahlen zu territorialen Vertretungskörperschaften antreten.[11]

Im folgenden Kapitel wird der Zustand des russischen Parteiensystem anhand der oben genannten Eigenschaften analysiert, wobei wenn möglich vergleichende Ergebnisse aus den bisherigen Legislaturperioden bzw. den Wahlen zur Staatsduma in den Jahren 1993, 1995 und 1999 gewonnen werden sollen. Die zweite Kammer, der Föderationsrat wird nicht in die Untersuchung einbezogen, da er eine regionale Vertretungskörperschaft darstellt und nicht parteipolitisch strukturiert ist (Remington 1998: 204).[12]

3. Eigenschaften des russischen Parteiensystems

3.1. Format und Fragmentierung

Auf Format und Fragmentierung basieren die meisten Parteiensystemtypologie, u.a. jene von Sartori (1990), der sieben Klassen von Parteiensystemen unterscheidet: Einparteiensysteme, Parteiensysteme mit einer hegemonialen Partei, Parteiensysteme mit einer dominierenden Partei, Zweiparteiensysteme, gemäßigten Pluralismus und extremen Pluralismus, wobei die Mehrparteiensysteme zusätzlich durch das Ausmaß der ideologischen Polarisierung typologisiert werden.

Die Untersuchung folgt dem von Niedermayer (1996: 20ff.) vorgeschlagenen Konzept des Formats, das die Anzahl der Parteien im Parteiensystem, unabhängig von deren Größe oder Einflußpotential,[13] mit der Zahl der zu den Wahlen antretenden Gruppierungen gleichsetzt. Diese betrug bei den ersten freien Wahlen zur Staatsduma 13, zwei Jahre später bereits 43 – und zwar trotz der Verdopplung der zur Zulassung nötigen Zahl von Unterschriften[14] – und sank 1999 auf 26 (Tabelle 1). Allerdings ist die Zahl der Wahlen vom Dezember 1993 wenig aussagekräftig, vergegenwärtigt man sich die besonderen Bedingungen, unter den diese Wahl stattfand: Präsident Jelzin hatte erst wenige Wochen zuvor das Parlament aufgelöst, damit den Konflikt zwischen ihm und dem Parlament gewaltsam zu seinen Gunsten entschieden und dann Wahlen angesetzt, so daß die Vorbereitungszeit für die Parteien ausgesprochen kurz war und zudem eine Reihe von Verboten erlassen, was dazu führte, daß nur 13 der über 100 beim Justizministerium registrierten Gruppierungen antreten konnten (Moser 1997: 292; Gnauck/Harms 1997: 310ff.).

Eine aussagekräftigere Größe als das Format ist die Fragmentierung, die über den Grad von Zersplitterung bzw. Konzentration in einem Parteiensystem Aufschluß gibt, indem die Parteien nach ihren Stimmen- bzw. Mandatsanteilen gewichtet werden.[15] Zur Operationalisierung der Fragmentierung wird hier auf das Konzept der effektiven Anzahl der Parteien F (Laakso/Taageperas 1979) zurückgegriffen, die errechnet wird, indem die Summe der quadrierten Anteile S i aller Parteien an der Gesamtzahl der gültigen Stimmen gebildet und die Zahl 1 mit dieser Summe dividiert wird.[16]

Die Wahlen zur Staatsduma erfolgen in einem kombinierten Wahlsystem, wobei die eine Hälfte der insgesamt 450 Mandate nach Proporz über nationale Parteilisten vergeben werden und die andere Hälfte nach relativer Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen (Nohlen 2000: 347ff.).[17]

Da sich die Parteienlandschaft in der Staatsduma von der außerparlamentarischen unterscheidet, wird in Tabelle 1 zwischen Format und Fragmentierung auf der elektoralen Ebene und im Parlament unterschieden.

Ganz offensichtlich ist das russische Parteiensystem, dessen durchschnittliche Anzahl effektiver Parteien auf der elektoralen Ebene bei 8.7 liegt, ein außerordentlich stark fragmentiertes Mehrparteiensystem, das mitunter als „hyperpartism“ bezeichnet worden ist.[18] Dies wird besonders deutlich im Vergleich mit den Parteiensystemen anderer postkommunistischer Demokratien, für die Merkel/Puhle (1999: 270ff.) die effektive Anzahl der Parteien von 2.5 (Bulgarien 1990-1996) bis 7.4 (Polen 1990-1993) beziffern.[19]

Tabelle 1: Format und Fragmentierung des russischen Parteiensystems innerhalb und

außerhalb der Staatsduma

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eigene Berechnungen nach Angaben der ZWK (www.fci.ru), von www.elections.ru und White (1998) sowie für die Zusammensetzung der Duma:

a Angaben für Frühjahr 1995 nach Urban/Gel‘man 1997: 193, Tab. 5.1.

b Bos/Steinsdorff 1997: 127, Tab. 2.

c Homepage der Staatsduma (www.duma.ru)

* Die Fragmentierung in der Duma bezieht sich auf die parlamentarischen Gruppen und ihren jeweiligen Mandatsanteil.

** Die effektive Anzahl der Parteien auf der elektoralen Ebene bezieht sich auf die jeweiligen Stimmenanteile der nationalen Parteilisten.

*** Die errechnete Anzahl effektiver Parteien im Parlament kann wie in diesem Fall die nominale Anzahl der parlamentarischen Parteien übersteigen, weil die theoretische Anzahl der Gruppierungen in der Duma die Zahl der unabhängig gewählten Deputierten einschließt, die jeweils einzeln in die Rechnung eingehen. (Normalerweise werden die wenigen unabhängigen Abgeordneten in der Rechnung als ein Block betrachtet, was aber den tatsächlichen Verhältnissen noch weniger gerecht würde, vgl. Moser 1998: 61)

Dabei ist der Fragmentierungsgrad auf Parlamentsebene teilweise noch stärker ausgeprägt, wodurch das Zustandekommen erforderlicher Mehrheiten potentiell erschwert wird (Bos/Steinsdorff 1997: 108). Allerdings versucht man, der Zersplitterung der politischen Kräfte und damit noch weniger vorhersehbaren Mehrheitsverhältnissen in der Duma durch eine parlamentarische Geschäftsordnung entgegenzuwirken, die den Zusammenschluß zu Fraktionen und Deputiertengruppen fördert (Bos/Steinsdorff 1997: 122; Remington 1998: 204; Fish 1995: 345).[20] Dies hat sich vor allem hinsichtlich der unabhängigen Direktkandidaten bzw. der Direktkandidaten politischer Gruppierungen ohne Listenmandate als wirksam erwiesen, die sich entweder bestehenden Fraktionen anschließen oder sich zu Abgeordnetengruppen zusammenschließen (Bos/Steinsdorff 1997: 108; Schneider 2000b: 1f.), was an der abnehmenden Zahl der nicht fraktions- oder gruppengebundenen Abgeordneten abgelesen werden kann. Indessen sind auch die parlamentarischen Gruppierungen relativ starken Fluktuationen unterworfen, so daß der Fragmentierungsgrad innerhalb der Duma während einer Legislaturperiode variiert (Bos/Steinsdorff 1997: 122; vgl. Urban/Gel‘man 1997: 193ff. sowie Tab. 5.1; Šejnis 2000: 769, Tab. 2).

Insgesamt ist eine signifikante Tendenz zur Verringerung der Fragmentierung des russischen Parteiensystems im statischen Vergleich bisher nicht zu erkennen. Als positives Indiz kann dagegen gewertet werden, daß sich der Prozentsatz der abgegebenen Listenstimmen, die auf Gruppierungen entfiel, welche die Fünf-Prozent-Hürde nicht überschritten, deutlich verringerte: Betrug dieser 1995 noch 45.1 Prozent (!), die sich auf die insgesamt 39 gescheiterten Gruppierungen verteilten, so waren es 1999 nur 13.3 Prozent, die für die 20 nicht erfolgreichen Parteien und Bündnisse abgegeben worden waren.[21] Dies bedeutet zugleich eine gegenüber 1995 deutlich verbesserte Repräsentationsleistung des Parteiensystems (Nohlen/Kasapovic 1996: 190).

3.2. Volatilität

Die Volatilität oder Wählerfluktuation V drückt den „Wechsel an Wählerstimmen in den Gesamtsummen innerhalb eines Parteiensystems als Ergebnis individuellen Wahlverhaltens“[22] aus. Dazu wird die Summe der Differenzen der prozentualen Stimmenanteile Si der einzelnen Parteien bei zwei Wahlgängen zum Zeitpunkt t und t-1 gebildet und anschließend halbiert (Niedermayer 1996: 25f.).[23] Der Indexwert gibt den kumulierten Zugewinn aller Parteien gegenüber der vorhergehenden Wahl wieder. Je geringer dieser Wert, desto stabiler sind die Parteipräferenzen der Wähler und somit das Wahlverhalten, was über das Maß der gesellschaftlichen Verankerung des Parteiensystems Aufschluß gibt (Merkel 1995: 48; Nohlen 2000: 69).

Typischerweise ist die Volatilität in jungen Demokratien sehr hoch und erweist sich als ein „hartnäckiges Konsolidierungsproblem“.[24] Auf Grundlage der Stimmenanteile bei der Listenwahl zur Staatsduma, ergibt sich für 1995 eine Volatilität von zirka 45 Prozent, für 1999 ein Wert von etwa 39 Prozent (Tabelle 2). Von den 6 osteuropäischen Ländern, die Merkel/Pohle (1999: 270f.) auflisten, hatte nur Polen mit 51 Prozent (1993) eine höhere Wählerfluktuation.[25]

[...]


[1] Katzer 1992: 39.

[2] Niederlage für die Pressefreiheit, Spiegel Online, 14. April 2001.

[3] „Die Duma tanzt“, Der Spiegel 30/2000.

[4] Schulter an Schulter, Der Spiegel 5/2000; Putin tauscht Minister aus, Spiegel Online, 28. März 2001.

[5] Merkel 1999: 298. Auf diese geläufige Einschätzung weisen auch hin: Fish 1995: 340; Miller u.a. 2000: 456f.; Löwenhardt 1998: 4.

[6] Merkel 1996: 49.

[7] Nohlen 2000: 65.

[8] Merkel 1997: 12f.

[9] Die russischen Parteien selbst besitzen nach Meinung Sakwas (1998: 128) einen „hybrid character“ aus sozialer Bewegung, eigentlicher Partei und Regime.

[10] Gnauck/Harms (1997: 297ff.) überschreiben treffend eines ihrer Kapitel mit der Frage „Sind die russischen Parteien Parteien?“ und gehen darin den Unterschieden zum westlichen Typ der Massenpartei nach.

[11] Im Falle der russischen Parteien sind das „genauer gesagt, Wahlvereinigungen, die als Parteien, Bewegungen u. dgl. auftreten“ (Sejnis 2000: 761).

[12] Zum Föderationsrat: Schneider 1999: 79ff.

[13] Sartoris Zählkriterien (1990: 319ff.), wonach Parteien als irrelevant angesehen werden können, die im nationalen Parlament weder coalition potential noch blackmail potential besitzen, sind dagegen schwerer zu operationalisieren, zumal die Regierungsbildung in Rußland eben nicht Ausdruck parteipolitischer Kräfteverhältnisse ist.

[14] Nohlen 2000: 350.

[15] Niedermayer (1996: 24ff.) schlägt desweiteren die Bestimmungen der Asymmetrie als Untersuchungskriterium vor, d.h. des Größenverhältnisses zwischen den beiden stärksten Parteien eines Systems als Maß der „prinzipiellen Chancengleichheit zum Machtgewinn“. Dieser Index erscheint jedoch im Falle des russischen Parteiensystems als wenig aussagekräftig, da auch unter den stärksten Parteien viel Varianz und wenig Kontinuität herrscht.

[16] F = 1/Σ Si2, wobei gilt, daß Σ Si =1 (F ≥ 1). Die effektive Anzahl entspricht dem Format, wenn alle Parteien denselben Stimmenanteil gewinnen konnten. Ein Wert nahe 1 würde die Dominanz einer Partei widerspiegeln.

[17] Für die Verhältniswahl gilt eine Fünf-Prozent-Sperrklausel.

[18] Hanson 1998: 104ff.

[19] Auch von den anderen in der Tabelle aufgeführten sogenannten Demokratien der Dritten Welle erreicht keines auch nur annhähernd diesen Wert.

[20] Fraktionsstatus erlangen automatisch jene Parteien und Wahllisten, die die Fünf-Prozent-Hürde überwunden haben, ansonsten müssen sich mindestens 35 Abgeordnete zusammenschließen. Fraktionen und Deputiertengruppen geniessen die gleichen Rechte (Kapitel 3, Artikel 16 der Geschäftsordnung der Staatsduma der RF: www.duma.ru)

[21] Berechnet nach Angaben von White (1998: Tab. 2) und von www.elections.ru.

[22] Nohlen 2000: 473.

[23] V = (Σ |Sit – Sit-1|)/2 (0≤V≤100).

[24] Merkel 1996: 48.

[25] Merkel/Puhle (1999: 271, Tab. 5) geben für Rußland (1990-1993) eine Volatilität von 40 Prozent an.

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Das Parteiensystem Rußlands
Untertitel
Eine Zustands- und Entwicklungsanalyse
Hochschule
Universität Osnabrück  (Lehrstuhl Vergleiche Politikwissenschaft)
Note
1.0
Autor
Jahr
2001
Seiten
36
Katalognummer
V19546
ISBN (eBook)
9783638236416
ISBN (Buch)
9783638715522
Dateigröße
720 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parteiensystem, Rußlands
Arbeit zitieren
Victoria Krummel (Autor:in), 2001, Das Parteiensystem Rußlands, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19546

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