Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Rechtsextremismus als Herausforderung fur die Demokratie
2.1 Kennzeichen des Rechtsextremismus
2.2 Aktuelle Situation und Entwicklung rechtsextremistisch motivierter Kriminalitat
2.3 Erscheinungsformen des Rechtsextremismus
2.3.1 Parteilich organisierter Rechtsextremismus in der NPD
2.3.2 Erscheinungsformen des subkulturell gepragten Rechtsextremismus
2.3.3 Neonazistische Erscheinungsformen
3. Die Streitbare Demokratie als Antwort auf die Herausforderung des
Rechtsextremismus
3.1 Merkmale der streitbaren Demokratie
3.1.1 Die Wertgebundenheit des demokratischen Verfassungsstaates
3.1.2 Abwehrbereitschaft und Vorverlagerung des Demokratieschutzes
3.2 Instrumente der streitbaren Demokratie
3.2.1 Das Parteiverbot nach Art. 21, Abs. 2 GG
3.2.2 Das Vereinsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG
3.2.3 Die Verwirkung der Grundrechte nach Art. 18 GG
3.2.4 Das „Berufsverbot“
3.2.5 Das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG
4. Resumee
Anhang
Literatur
1. Einleitung
„Bonn ist nicht Weimar“[1] ! In der nun uber 60-jahrigen Geschichte des Grundgesetzes hat sich die Demokratie gegenuber ihren Gegnern mehr als Behaupten konnen. Doch auch heutzutage muss sich die Republik gegen ihre Feinde zur Wehr setzen. Besonders das Phanomen des Rechtsextremismus stellt die Bundesrepublik seit ihrer Grundung immer wieder vor eine besondere Herausforderung und ist auch gegenwartig ein Problem, mit dem sich die Demokratie auseinandersetzen muss.
In diesem Zusammenhang wird immer wieder auf das Konzept der streitbaren Demokratie verwiesen, welches als Losung fur das Problem des Rechtsextremismus dargestellt wird.
Doch welche Gefahr geht vom Rechtsextremismus fur die Demokratie tatsachlich aus? Inwiefern stellt die streitbare Demokratie eine Antwort auf den Rechtsextremismus dar? Was beinhaltet das Konzept der streitbaren Demokratie und inwieweit dient es zur Bekampfung des Rechtsextremismus? Diese Fragen sollen in der anschlieBenden Arbeit geklart werden.
Somit gliedert sich die Arbeit in zwei groBe Teilbereiche. Im ersten Teil wird das Phanomen des Rechtsextremismus ausfuhrlich analysiert. Ziel ist es herauszuarbeiten, warum der Rechtsextremismus eine Herausforderung fur die Demokratie darstellt und warum es deshalb eines streitbaren Demokratieschutzes bedarf. Dazu wird nach Klarung des Rechtsextremismusbegriffs auf die verschiedenen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus eingegangen. Aufgrund ihrer hervorgehobenen Bedeutung im Bereich des parteilich organisierten Rechtsextremismus steht dabei die NPD im Fokus der Betrachtung, wahrend auf eine detaillierte Untersuchung weiterer rechtsextremistischer Parteien, wie etwa der DVU verzichtet wird. Daneben folgt eine Analyse des nicht-parteilich gepragten Rechtsextremismus, welcher die Demokratie ebenfalls, aber auf anderem Wege, bedroht.
Darauf aufbauend wird das Konzept der streitbaren Demokratie, so wie es in der Bundesrepublik existiert, als Antwort auf die Herausforderung von Rechts prasentiert. Nach einer kurzen Einfuhrung in den historischen Ursprung des streitbaren Demokratieschutzes werden die Wesensmerkmale des Konzeptes der streitbaren Demokratie und deren interdependentes Zusammenspiel analysiert sowie deren Instrumente untersucht. Gefragt wird dabei auch nach der Wirkungsweise der Instrumente des verfassungsrechtlichen Demokratieschutzes im Hinblick auf die Bedrohung durch den Rechtsextremismus. Die Frage nach der Effektivitat der streitbaren Demokratie als Konzept zur Bekampfung des Rechtsextremismus soil abschlieBend im Resumee beantwortet werden. Hier werden auch kurz die Grenzen des verfassungsrechtlichen, streitbaren Demokratieschutzes dargestellt und Auswege aufgezeigt.
AbschlieBend sei darauf hingewiesen, dass sich die Analyse des Rechtsextremismus nicht nur, aber zum groBen Teil auf die Berichte des Bundesverfassungsschutzes stutzt. Dies ergibt sich naturgemaB, da das Forschungsfeld des Rechtsextremismus fur wissenschaftliche Untersuchungen schwer zuganglich ist und aktuelle, valide Informationen schwer erhaltlich sind.
2. Der Rechtsextremismus als Herausforderung fur die Demokratie
„Mit Worten kann man bekanntlich Politik machen“[2] Dieses Zitat des Rechtsextremismus-Forschers Eckhard Jesse beschreibt trefflich die Schwierigkeit, welche sich bei der Untersuchung des Phanomens des Rechtsextremismus ergibt.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus beginnen die Probleme bereits mit seiner Begriffsbestimmung. So bemerkt der Rechtsextremismus-Forscher Richard Stoss „es existiert keine allgemein anerkannte Definition und schon gar keine Theorie des Rechtsextremismus[3].
Stattdessen bewegt sich die Auseinandersetzung zwischen Vertretern der „Vergleichenden Extremismusforschung" und deren Gegnern oft auf einem schmalen Grad zwischen serioser Kritik und plumper Polemik.
Jesse beklagt in diesem Zusammenhang eine „Kultur der Verdachtigungen, die Teile selbst des akademischen Lebens erfaRt hat“[4] und stellt den Unterschied zur Arbeit in anderen politikwissenschaftlichen Forschungsfeldern heraus.
So sehen sich Forscher „in einer Weise Angriffen ausgesetzt, wie dies in anderen Arbeitsbereichen - etwa der Parteien- oder Verbandeforschung- weitgehend unbekannt isf[5]. Diese Konfusion im wissenschaftlichen Diskurs dieses politikwissenschaftlichen Forschungsfeldes muss, auch wenn sie in dieser Arbeit nicht selbst zum Gegenstand der Untersuchung werden soll, stets bedacht werden.
An dieser Stelle sollen drei Definitionen unterschiedlicher Schulen, welche auf jeweils verschiedene Charakteristika des Rechtsextremismus abheben und welche miteinander nicht an jeder Stelle vereinbar sind, untersucht werden, um die wesentlichen Kennzeichen des Rechtsextremismus zu destillieren, welche fur den weiteren Fortgang der Arbeit relevant sein werden.
Dies bedeutet jedoch auch, dass keine abgeschlossene Definition des Rechtsextremismusbegriffs durch Kombination der Merkmale aus den jeweiligen Theorien vorgenommen wird. Denn eine Kombination der Merkmale des Rechtsextremismus aus den verschiedenen Theorien, welche zu einer Definition verarbeitet werden, ware unzulassig und sicherlich auch nicht im Sinne der Autoren der jeweiligen Theorien.
2.1 Kennzeichen des Rechtsextremismus
Rechtsextremismus, kann als eine Kombination bestimmter Einstellungsmuster und Verhaltensweisen beschrieben werden. Das rechtsextreme Einstellungsmuster beruht auf Ungleichwertigkeitsvorstellungen der Menschen. Die Verhaltensweise ist die Bereitschaft zur Gewalt. Diese ist des Rechtsextremismus immanent[6].Diesen „dualen Rechtsextremismusbegriff‘[7], wie Christoph Butterwegge Wilhelm Heitmeyers Definition bezeichnet, formulierte dieser bereits um 1980. 2002 prazisierte Heitmeyer den Begriff der „Ungleichwertigkeitsvorstellungen der Menschen", indem er ihn mit dem Konzept der „Gruppenbezogenen Menschenfeindschaft" umschrieb.
So besteht bei rechtsextremen Personen eine Feindschaft, welche sich nicht gegen Einzelpersonen, sondern gegen bestimmte Gruppen richtet. Diese abstrakte Feindschaft manifestiert sich in konkreten Einstellungsmustern. Zu diesen Einstellungen gehoren etwa Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus, Heterophobie[8], sowie die Vorstellung von Vorrechten von Etablierten. All diese Einstellungen basieren auf der Idee der Ungleichwertigkeit des Menschen.[9]
Ein weiteres Merkmal des Rechtsextremismus ist dessen Demokratiefeindschaft. So erhebt der Rechtsextremismusforscher Richard Stoss die Demokratiefeindschaft gar als das den Rechtsextremismus eigentlich definierendes Merkmal.[10] Stoss stellt mit dieser Definition einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Merkmal der Demokratiefeindschaft mit Merkmalen her, die gemein als typisch rechts gelten. Einen ubersteigerten Nationalismus, verbunden mit dem Gedanken einer Volksgemeinschaft, die Negation von universellen Freiheits- und Gleichheitsrechten der Menschen und eine Haltung welche sich gegen die Volkssouveranitat, den Pluralismus und das Mehrparteiensystem richtet, sieht er als direkte Folge und Konsequenz einer antidemokratischen Einstellung an. Mehr noch als bei Heitmeyer, der die Gewaltbereitschaft zu einem Wesensmerkmal des Rechtsextremismus erklart, beginnt Rechtsextremismus bei Stoss schon mit der Sympathie zu antidemokratischen, also rechten Einstellungen, denn „die Inaktiven von heute konnen die Aktiven von morgen sein“[11].
Eine weitere Besonderheit der Theorie von Stoss ist dessen Sicht, Rechtsextremismus nicht als ein Randphanomen der Gesellschaft zu betrachten, sondern als eine Erscheinung, welche in der Mitte der Gesellschaft gedeiht. Mit dieser These knupft er an die Uberlegungen des US-amerikanischen Soziologen Lipset an, welcher schon den Faschismus als „Extremismus der Mitte“ identifizierte.[12]
Anders als Stoss setzen die Vertreter der Vergleichenden Extremismusforschung, welche sich in ihrer Denklogik auf Aristoteles berufen, Rechtsextremismus nicht mit Demokratiefeindschaft gleich.[13] Zwar ist Demokratiefeindschaft deren Ansicht nach ein Merkmal, welches bei Rechtsextremisten anzutreffen ist, jedoch definiert es den Rechtsextremismus nicht, da diese Einstellung auch Anhanger des linksextremen Spektrums, Kommunisten und Anarchisten teilen.[14]
Die Vergleichende Extremismusforschung hebt stattdessen auf die Unterscheidung eines Extremismus einerseits, der sowohl „links“ wie auch „rechts“ ausgepragt sein kann und einer demokratischen Mitte andererseits ab und erweitert somit die Rechts- Links-Begriffsdyade, wie sie historisch gewachsen weit verbreitet ist, um das Gegensatzpaar Extremismus/Autoritarismus und Demokratie.[15] Durch dieses Schema werden sie der Tatsache gerecht, dass extrem rechte Positionen auffallig haufig auch in linksextremen Vorstellungswelten Eingang finden und umgekehrt.[16]
Fur den Fortgang der Arbeit, welche sich mit der Verfasstheit und dem Instrumentarium der wehrhaften Demokratie gerade im Hinblick auf den Rechtsextremismus beschaftigt, entfalten alle drei Definitionen auf verschiedene Weise jeweils ihre Relevanz. Grundsatzlich basiert die Arbeit auf Backes und Jesses Extremismusformel, nach der Extremismus ein Gegensatz zur Demokratie und somit eine Herausforderung fur diese darstellt. Da in dieser Arbeit jedoch der Aspekt des Rechtsextremismus im Vordergrund steht, sollen auch die Definitionen von Stoss und Heitmeyer berucksichtigt werden, welche die Spezifika des Phanomens Rechtsextremismus in ihren Theorien starker herausarbeiten. Heitmeyers Theorie der gruppenbezogenen Menschenverachtung stellt eine wichtige Grundeigenschaft des Rechtsextremismus heraus.
Weiter erfahrt der von Stoss beschriebene Aspekt des Rechtsextremismus als Demokratiefeindschaft in dieser Arbeit eine besondere Beachtung. Dagegen wird auf eine genauere Untersuchung des Verhaltnisses des streitbaren Demokratieschutzes und eines Rechtsextremismus, der aus der Mitte der Gesellschaft entspringt, verzichtet.
Rechtsextremismus ist also ein Phanomen, welches auf dem Einstellungsmuster der Demokratiefeindschaft und auf Ungleichwertigkeitsvorstellungen in Form einer gruppenbezogenen Menschenverachtung beruht und dessen Verhaltensform meist Gewalt beinhaltet. Dabei gefahrdet der Rechtsextremismus die demokratische Gesellschaft auf zweierlei Weise. Zum einen stellt er sich in Opposition zur bestehenden Gesellschaftsordnung und zur Demokratie. Zum anderen beeintrachtigt rechtsextrem motivierte Kriminalitat das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft.
Bevor auf die verschiedenen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus und auf die von ihnen ausgehende Gefahr fur das politische System eingegangen wird, gilt es sich deshalb einen Uberblick uber die Kriminalitat, welche von Personen des rechtsextremen Spektrums im Alltag verubt wird, zu verschaffen.
2.2 Aktuelle Situation und Entwicklung rechtsextremistisch motivierter Kriminalitat
In seinem jahrlich erscheinenden Bericht, stellt der Bundesverfassungsschutz die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalitat mit extremistischem Hintergrund dar. Fur das Jahr 2009 registrierte der Verfassungsschutz insgesamt 33.917 politisch motivierte Straftaten. Verglichen mit den Zahlen aus dem Vorjahr bedeutet dies eine Steigerung von knapp 7 Prozent. Noch deutlicher wird die Zunahme der politisch motivierten Straftaten bei Gegenuberstellung mit der Statistik von 2005. Hier lag die Zahl der politisch motivierten Straftaten noch bei lediglich 21.178.[17] Der groBte Anteil der Straftaten ist dabei seit Jahren dem rechtsextrem zurechenbaren Spektrum geschuldet. So sind von den 33.917 im Jahr 2009 begangenen Straftaten, 19.468 dem rechten Phanomenbereich zuzuordnen. Dies bedeutet zwar eine relative Abnahme von rund 5,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, in dem das hochste Niveau rechtsextremistischer Kriminalitat gemessen wurde.[18] Doch der Vergleich mit dem Jahr 2005, in dem 12.553 Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund verzeichnet wurden, verdeutlicht die rasante Zunahme der politisch rechtsextrem-motivierten Kriminalitat in den letzten Jahren.
Diese Entwicklung ist auch deshalb beachtlich, da das als rechtsextrem eingestufte Personenpotential in den letzten vier Jahren kontinuierlich gesunken ist. Wurden im Jahr 2006 noch 38.600 Personen dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet, waren es 2009 nur noch 26.600 (2008: 30.000). Somit kann von einer Radikalisierung auf Seiten des Rechtsextremismus gesprochen werden, welche der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schauble im Verfassungsschutzbericht 2008 als „besorgniserregend und beunruhigend119 bezeichnete[19].
Unterschieden wird bei der politisch motivierten Kriminalitat mit rechtsextremistischem Hintergrund zwischen Gewalttaten und sonstigen Straftaten.
Zu den sonstigen Straftaten zahlen insbesondere Propagandadelikte, also das Tragen verbotener Symbole, Sachbeschadigungen, oder der Straftatbestand der Volksverhetzung. Mit 13.280 Delikten machten die Propagandadelikte den groBten Anteil der Straftaten aus. Des Weiteren wurden 1.453 Sachbeschadigungen gezahlt. Fur das Jahr 2009 betrug der Anteil der Gewalttaten, zu denen etwa Totungsdelikte, Korperverletzungen, Brandstiftungen, Raub und Erpressung zahlen, 4,8 Prozent an den gesamten Straftaten.
Die am haufigsten begangenen Straftaten waren die der Korperverletzung (738), gefolgt von Widerstandsdelikten (57) und Landfriedensbruchen (44).[20] Auch fuhrte der Verfassungsschutzbericht fur 2009 ein Totungsdelikt mit rechtsextremem Hintergrund auf. Hierbei handelte es sich um den Mord an einer Agypterin im Dresdner Landgericht, durch einen russlanddeutschen Mann im Juli 2009. Die Tat wurde vom Verfassungsschutz wegen dem offensichtlich islamfeindlichen Hintergrund als auslanderfeindliches Totungsdelikt gewertet.[21] Ziel rechter Gewalt waren vor allem Auslander. So hatten von den insgesamt 891 rechtsextremen Gewalttaten 351 einen fremdenfeindlichen Hintergrund. 300 Gewalttaten wurden gegen Linksextremisten, oder vermeintliche Linksextremisten verubt. 31 Mal waren Juden Opfer rechter Gewalt.[22]
Bei der Verteilung der Gewalttaten auf die Bundeslander ist ein starkes Ost-West- Gefalle auffallig. So stehen unter den sechs Landern mit den meisten rechtsextremen Gewalttaten funf ostdeutsche Bundeslander auf den ersten Platzen. An der Spitze liegt dabei Brandenburg mit statistischen 2,7 Gewalttaten pro 100.000 Einwohner. Sachsen-Anhalt, welches im Vorjahr noch eine Quote von 4,15 Gewalttaten aufwies, befindet sich nun auf Platz zwei mit 2,52 Gewalttaten. Die Lander Hessen (0,38), Bayern (0,42) und Baden-Wurttemberg (0,44) liegen am Ende der Skala. Rechtsextreme Gewalt richtete sich im Osten der Republik besonders gegen Menschen mit auslandischem Hintergrund. Der damalige Bundestags-Vizeprasident Wolfgang Thierse machte im Jahr 2007 auf die besondere Problematik rechtsextremer Gewalt aufmerksam, welche „einen besonderen ostdeutschen,gewalttatigen Akzent‘[23] tragt. Im Vorfeld der FuBballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland wurde in der auslandischen Presse sogar vor sogenannten „No-Go- Areas“, insbesondere in Ostdeutschland gewarnt, in denen fur die Sicherheit auslandischer FuBballfans vor rechtsextremistischen Ubergriffen nicht mehr garantiert werden konne.[24]
Dennoch kann vom Rechtsextremismus nicht als einem rein ostdeutschen Phanomen gesprochen werden.
Wie die Analyse der aktuellen Kriminalitatsstatistik zeigt, ist die Bedrohung des Staates durch den Rechtsextremismus nicht abstrakter Natur, sondern auBert sich direkt und unmittelbar in der Gesellschaft und konkret im Alltag.
Welches Gefahrenpotential der Rechtsextremismus fur das demokratische- rechtstaatliche System der Bundesrepublik Deutschland darstellt, wird im Folgenden anhand der Erscheinungsformen des Rechtsextremismus analysiert.
2.3 Erscheinungsformen des Rechtsextremismus
Die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus sind heute vielfaltig und diffus. Sowohl in ihren Zielvorstellungen, ihren ideologischen Anschauungen wie auch in ihrem Erscheinungsbild kann nicht von einem homogenen Auftreten des Rechtsextremismus gesprochen werden.
Rechtsextremistische Anhanger haben zum Teil sehr divergierende Weltanschauungen und verfolgen verschiedene Ziele. Ein Unterscheidungskriterium stellt etwa der unterschiedliche Grad der Intellektualisierungsbestrebungen dar, welcher in der rechtsextremen Szene verschieden ausgepragt ist. Der ungleiche Organisationsgrad ist ein weiteres Kriterium, mit dem sich das Erscheinungsbild des Rechtsextremismus kategorisieren lasst. So sind straff organisierte Vereine und Parteien, welche meist ein starkes Politisierungsbemuhen aufweisen, von eher losen subkulturellen Szenen zu unterscheiden.
Nachfolgend soll, vor allem anhand dieser zwei Kategorien, auf die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus eingegangen werden. Zuerst gilt der Blick dem parteilich organisierten Rechtsextremismus in der NPD. AnschlieBend wird auf den subkulturell gepragten Rechtsextremismus und dem Neonazismus, welcher im gewissen Sinne ein Bindeglied zwischen den zwei ersten Formen des Rechtsextremismus darstellt, Bezug genommen.
2.3.1 Parteilich organisierter Rechtsextremismus in der NPD
Der organisierte Rechtsextremismus bewegt sich in Parteien und Vereinen. Parteilich ist der Rechtsextremismus vor allem innerhalb der Deutschen Volksunion (DVU), der Partei „Die Republikaner“ (REP) und der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) organisiert. Unter diesen Parteien nimmt die NPD sicherlich eine hervorgehobene Rolle ein. Die NPD ist nicht nur die mitgliederstarkste Partei- laut Verfassungsschutz waren im Jahr 2009 uber 6.800 Mitglieder registriert[25] - sie ist auch die Partei, welche seit ihrer Grundung 1964 am starksten in der rechtsextremen Szene verwurzelt ist und, auch mit ihren zahlreichen Unterorganisationen, den hochsten Aktivitatsgrad vorweist.
Gegrundet wurde die NPD am 28. November 1964 mit dem erklarten Ziel, die extrem rechten Krafte des Landes zu bundeln und in einer Partei zu versammeln.[26] In den ersten Nachkriegsjahren waren zahlreiche Versuche das rechte Lager zu einen und nach der Auflosung der NSDAP neu zu formieren, mehr oder weniger gescheitert. Vor allem die erforderliche Lizensierung von Parteien durch die alliierten Besatzungsmachte behinderte die Grundung von Parteien, welche bestrebt waren, an das Erbe der NSDAP anzuknupfen.[27] Der Versuch einer rechten politischen Restauration, welcher durch einen Zusammenschluss der Deutschen Konservativen Partei (DKP) und der westfalischen Deutschen Aufbaupartei zur Deutschen Rechtspartei (DRP) unternommen wurde, blieb ohne politischen Erfolg. 1950 spaltete sich die DRP, welche sich nur auf dem Papier zur Demokratie bekannte, in die Nationale Rechte und die Deutsche Reichspartei (DRP), nachdem sie erfolglos an den Bundestagswahlen 1949 teilgenommen hatte.
Einen weiteren Schlag fur das rechtsextreme Lager 1952 stellte das Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) durch das neu geschaffene Bundesverfassungsgericht dar. Diese Partei, welche 1949 nach dem Wegfall des Lizensierungszwangs gegrundet wurde, konnte in den Landtagswahlen mancher Bundeslander teils beachtliche Erfolge erzielen. So errang sie in Niedersachsen elf und in Bremen 7,7 Prozent der Stimmen.[28] Die SRP stand dabei ideologisch in der Tradition des Nationalsozialismus. Personell setzte sie sich vor allem aus den Altkadern der NDSAP zusammen und setzte auf deren organisatorische Struktur.[29] Letztendlich loste sich die SRP 1951 selbst auf und kam damit der Zwangsauflosung davor.[30]
Das Verbot der SRP nahm dem rechtsextremistischen Lager die Moglichkeit der parteilich organisierten Aggregation seiner Krafte, sowie die freie Artikulation seiner Interessen im offentlichen und parlamentarischen Umfeld. „Alles in allem gab es bis in die Mitte der 60er Jahre keine relevante Organisation, die die verschiedenen Organisationsgruppen hatte bundeln konnen. “[31]
Mit dem Beschluss der Deutschen Reichspartei, eine Union aller national- demokratischen Krafte zu bilden, welche sich in der neuen Partei, der NPD, versammeln sollten, wurde ein Raum fur das fragmentierte rechte Lager geschaffen. Anders als die rechtsextremistischen Vorgangerparteien bot die NPD nicht nur eine Plattform fur nationalsozialistische Nostalgiker. Aufgrund des SRP-Urteils war sie von vornherein gezwungen, einen demokratischen Schein zu wahren. Auch offnete sie sich bewusst fur die konservativ-burgerlichen Kreise des Landes. Mit der Wahl des fruheren CDU Mitglieds Fritz Thielen zu ihrem ersten Vorsitzenden, setzte sie hier bewusst ein Zeichen.[32] So gelang der NPD in den ersten Jahren nach ihrer Grundung der politische Spagat zwischen der rechten gesellschaftlichen Mitte, welche sie im Blickfeld ihrer Ansprache hatte und dem extrem rechten Spektrum, vor allem ihrer rund knapp 25.000-30.000 Mitglieder, welche die Stutze der Partei bildeten.
Bedeutende politische Erfolge erzielte die Partei Mitte der 60er Jahre. So zog sie mit Wahlergebnissen zwischen 5,8 und 9,8 Prozent in sieben Landesparlamente ein und erzielte bei der Bundestagswahl 1969 mit 4,3 Prozent das beste Ergebnis einer rechtsextremistischen Partei seit 1949.[33] In den 70er Jahren ebbte der Erfolg der NPD jedoch spurbar ab. AuBere Faktoren hierfur waren zum einen eine wirtschaftliche Erholung, welche der NPD das Protestpotential innerhalb der Bevolkerung entzog. Mehr jedoch schafften es CDU und CSU, welche sich seit 1969 in der Opposition befanden, durch Hinwendung zu konservativen Themen, das rechte Wahlerlager abzuschopfen.[34] Innerparteilich schwachte vor allem der aufbrechende Gegensatz zwischen den gemaBigten nationalkonservativen Kraften, um den Parteivorsitzenden Adolf von Thadden, welche weiter eine legalistische Strategie verfolgten, und den aktionistischen Radikalen, welche die Ostpolitik Brandts auch mit illegalen Mitteln bekampfen wollten, die Partei.[35] So fiel die NPD in den 70er Jahren nach und nach aus den deutschen Landesparlamenten. Auch sturzten ihre Mitgliederzahlen rapide ab, von rund 28.000 im Jahr 1969 auf 8.000 um 1979.[36] In den 80er Jahren verharrte die Partei auf diesem niedrigen Level und blieb gesamtpolitisch bedeutungslos. Der Niedergang beschleunigte sich sogar noch nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Die rechtsextremistische Konkurrenzparteien DVU und Republikaner schienen die NPD uberflussig zu machen. 1996 stand die NPD mit nur noch rund 3.500 Mitgliedern kurz vor dem Aus.[37] Mit der Wahl des neuen Parteivorsitzenden Udo Vogt vollzog die NPD 1996 eine Zasur. In dem von Vogt maBgeblich mitentwickeltem neuen Parteiprogramm von 1996, aber noch viel mehr im Aktionsprogramm 2002, wurden die neuen ideologischen Leitlinien und Strategien verabschiedet, mit denen die NPD politischen Boden wieder gut machen wollte und welche auch heute noch Gultigkeit besitzen.
Der Verfassungsschutzbericht 2009 bezeichnet die NPD als eine Partei mit „unverruckbarer Weltanschauung11.[38] Den ideologischen Kern dieser Weltanschauung bildet die Vorstellung eines „volkischen Nationalismus“. Diesem Konzept zu Folge bildet das Volk nicht nur die Grundlage des Staates, sondern ist vielmehr der alleinige Grund des Staates. Das NPD-Parteiprogramm behandelt den volkischen Nationalismus in seinem ersten Kapitel. Hier heiBt es:
„Die politische Organisationsform eines Volkes ist der Nationalstaat, in dem ein Volk seine Werte pflegt, seine Sicherheit gewahrleistet, seine Zukunft sichert und die materiellen Voraussetzungen seines Lebens garantiert. Deutschland ist das Land der Deutschen und somit die Heimstatt unseres Volkes. “[39]
[...]
[1] Vgl. Allemann, F. R. (1956): Bonn ist nicht Weimar, Kiepenheuer & Witsch, Koln, Titelseite
[2] Jesse, Eckhard (1993): Organisierter Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklung - Bestandsaufnahme - Perspektiven; in: Billing, Werner; Barz, Andreas; Wienk-Borgert, Stephan (Hg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden, 25-44, S. 27
[3] Stoss, R. (2007): Rechtsextremismus im Wandel, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin, S. 13
[4] Backes, U.; Jesse, E. (2005):Vergleichende Extremismusforschung, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden- Baden, S. 176
[5] Backes, U.; Jesse, E. (2005), S. 8
[6] Vgl. Heitmeyer, W. (51995): Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen. Empirische Ergebnisse und Erklarungsmuster einer Untersuchung zur politischen Sozialisation, Juventa, Weinheim/Munchen, S. 16
[7] Website Uelzen gegen Rechts: Christoph Butterwegge- Rechtsextremismus- Begrifflichkeiten und theoretische Grundlagen, http://uelzen-gegen-rechts.de/Flugblaetter%20und%20Texte /,%20Butterwegge.pdf
[8] Als Heterophobie bezeichnet man die Ablehnung bestimmter Gruppen, die gegen die Norm verstoken, etwa die Ablehnung von Homosexuellen, oder Behinderten Menschen.
[9] Vgl. Heitmeyer, W. (2002): Deutsche Zustande, Suhrkamp, Frankfurt/M., S. 15ff
[10] Vgl. Stoss, R. (1989): Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland- Entwicklung, Ursachen, Gegenmaknahmen, Westdeutscher Verlag, Opladen, S. 18ff
[11] Stoss, R. (1989), S. 20
[12] Stoss, R. (2007), S. 22
[13] Vgl. Backes, U.; Jesse, E. (2005), S. 23
[14] Vgl. Backes, U.; Jesse, E. (2005), S. 178ff
[15] Vgl. ebd., S. 104ff
[16] Vgl. ebd., S. 116
[17] 7 Bundesministerium des Inneren (2005): Verfassungsschutzbericht 2004, Druckhaus Locher, Koln S. 38
[18] Vgl. Dressler, Christoph (2010): Thesenpapier Rechtsextremismus in Deutschland, Begriffe,
Ursachen, Forschungsmoglichkeiten, Erlangen, S. 1
[19] Bundesministerium des Inneren (2009): Verfassungsschutzbericht 2008, Silber Druck, Niestetal, S. 4
[20] Vgl. Bundesministerium des Inneren (2009)., S. 28
[21] Siehe Mailantwort des Bundesverfassungsschutzes im Anhang dieser Arbeit
[22] Vgl. Bundesministerium des Inneren (2009), S. 30
[23] Website Focus-Online: Hetzjagd- Thierse sieht im Osten gewalttatigen Akzent, http://www.focus.de/politik/deutschland/hetzjagd_aid_130005.html
[24] Vgl. Website New York Times: Word Cup and politics, violence and friedship, http://www.nytimes.com/2006/06/15/world/europe/15iht-europa.1983182.html?_r=1
[25] 5 Bundesministerium des Inneren (2009), S. 66
[26] Vgl. Backes, U.; Jesse, E. (41996): Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Bundeszentrale fur politische Bildung, Bonn, S. 85
[27] Vgl. Langanke, H. (1996): Die extreme Rechte in der Bundesrepublik: Ideen, Ideologien, Interpretationen, Argument-Verlag, Hamburg/Berlin, S. 34
[28] Vgl. Langanke, H. (1996), S. 34
[29] Vgl. ebd., S. 35
[30] Kaillitz, S. (2004):Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland- Eine Einfuhrung, VS- Verlag, Wiesbaden, S. 33
[31] Langanke, H. (1996), S. 37
[32] ebd. S. 39
[33] Stoss, R. (1989), S. 135
[34] Vgl. Langanke, H. (1996), S. 41
[35] Vgl. ebd., S. 140ff
[36] Vgl. Stoss, R. (1989), S. 137
[37] Vgl. Pfahl-Traughber, A. (2009): Die „alte" und die „neue" NPD- Eine vergleichende Betrachtung zu Gefahrenpotential und Profil, S. 84; in: Braun, S.; Geisler, A.; Gerster, M. (Hrsg.): Strategien der extremen Rechten, Hintergrunde-Analysen-Antworten, VS-Verlag, Wiesbaden, S. 77-91
[38] Bundesministerium des Inneren (2009), S. 66
[39] Nationaldemokratische Partei Deutschlands (142009): Parteiprogramm von 1996, Eigendruck, Berlin, S. 5