Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung und Entwicklung der Fragestellung
2. Hauptteil
2.1. Der historische Kontext der Quelle: Das Bistum Basel im Spätmittelalter
2.2. Der Zunftbrief für die Gärtner, Obster und Lebensmittelhändler in Basel 126[4-1269]
3. Resümee
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung und Entwicklung der Fragestellung
Die Gebiete der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sind in ihrer historischen Entwicklung in enger Zusammengehörigkeit zu betrachten. Ihre Wurzeln hat diese Forschungsrichtung innerhalb der Geschichtswissenschaft v. a. in Deutschland und in Frankreich. In Deutschland gab die jüngere Schule um den Historiker und Sozialökonomen Gustav Schmoller (1838-1917) entscheidende Impulse, die politische Geschichte in den Kontext von Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu stellen. In Frankreich waren es Marc Bloch (1886-1944) und Lucien Febvre (1878-1956), die eine Loslösung von der Vorrangstellung der politischen Geschichtsbetrachtung forderten. Im Jahr 1929 begründeten die beiden Historiker mit der Herausgabe der Zeitschrift „Annales d’histoire économique et sociale“ die berühmte Schule der Annales. Auch der belgische Forscher Henri Pirenne (1862-1935), der mit Bloch und Febvre in engem Kontakt stand, lieferte nicht nur wichtige Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sondern auch zur Stadtgeschichte.
In Deutschland nahmen sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen seit den 1950er und 60er-Jahren einen neuen Aufschwung. Im Unterschied zur traditionellen Ausrichtung der Geschichtswissenschaft, die ihren Schwerpunkt auf Politik, Ereignis- und Herrschergeschichte legte, zeichnet sich die Sozialgeschichte durch ihre strukturelle Betrachtungsweise und den Hang zur Entpersonalisierung aus. Die strukturellen Vorgänge, die sie in den Blick nimmt, sind durch ihre Langfristigkeit einer gewissen Entzeitlichung unterworfen. Einen bedeutenden sozialgeschichtlichen Ansatz stellt das Werk „Lebensformen im Mittelalter“ aus dem Jahr 1973 von Arno Borst dar. Hier werden verschiedene gesellschaftliche Gruppen (u. a. Geistliche, Bauern, Bürger, Handwerker, aber auch Randgruppen wie Gaukler, Bettler, Prostituierte oder Juden) in ihren Lebensbedingungen und ihrer sozialen Stellung untersucht.
Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte legte im Laufe der Jahre wichtige Ergebnisse über die mittelalterliche Landwirtschaft und Ernährung sowie über Handel und Gewerbe und das Geld- und Kreditwesen vor, obwohl oft statistisch verwertbares Quellenmaterial fehlt (v. a. für das frühe Mittelalter). Die jüngere Sozialgeschichte ist der Soziologie eng verbunden, hinsichtlich Fragestellungen, vergleichenden und analytischen Methoden, Modell- und Theoriebildung befruchten sich die beiden Wissenschaften gegenseitig, was jedoch negativ betrachtet, mangelnde methodische Abgrenzung und einen Verlust an Eigenständigkeit nach sich ziehen kann („Historische Sozialwissenschaft“).
Die Anwendung von neueren Ansätzen einer „Historischen Sozialwissenschaft“ auf das Mittelalter bringen viele Probleme mit sich. Soziologische Modelle und Theorien sind auf das Mittelalter nur bedingt anwendbar. Die mittelalterliche Sozialgeschichte ist eng mit der Verfassungsgeschichte verknüpft und die Anwendung von modernen Schichtenmodellen auf die mittelalterliche Gesellschaft ist problematisch. Moderne Kriterien sozialer Stufung und die entsprechenden Begrifflichkeiten sind auf das Mittelalter schwer zu übertragen (Besitz statt Einkommen, Funktion statt Beruf, Herrschaft statt Status etc.).[1]
Trotzdem kommt Hans-Werner Goetz zu dem Schluss, dass kein Zweifel daran bestehen kann, „dass auch die mittelalterliche Gesellschaft vertikal gegliedert war, wenngleich sie sich selbst eher im Zeichen einander horizontal ergänzender Funktionsstände sah.“[2]
Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit einem Stiftungsbrief aus dem 13. Jahrhundert. Genauer gesagt, handelt es sich um einen Zunftbrief, ausgestellt von Bischof Heinrich III., an die Gärtner, Obster und Lebensmittelhändler in Basel im Jahr 126[4-1269].[3]
Die betreffende Zeile in der Quelle zur genauen Bestimmung des Ausstellungsdatums ist unvollständig: „Dirre brief wart gigeben zi Basil, do von unserz herren geburte waren tusent zweihundert sechzik […]“
Der spätmittelalterliche deutsche Wirtschaftsraum lässt sich grob in zwei Gebiete unterteilen: Dem niederdeutsch-hansischen Raum im Norden lag ein Wirtschaftsgebiet im Süden gegenüber, das von den großen oberdeutschen Handelsstädten beherrscht und kontrolliert wurde. Zu dem südlichen Wirtschaftsraum zählten auch das Elsass, ein Teil der schweizerischen Städte sowie die österreichischen und böhmischen Länder. V. a. den zahlreichen zwischen Main, Oberrhein und den Alpen gelegenen Reichsstädten kam aufgrund ihrer zentralen Lage große wirtschaftliche Bedeutung zu. Von hier aus wurden Verbindungen nach Oberitalien, zu den Niederlanden, zum Rhonetal sowie zu Osteuropa geknüpft.
Zwischen Süddeutschland und dem hansischen Raum erstreckte sich als Verbindungsglied entlang der Mittelgebirgsschwelle eine Zone, deren gewerbliche und städtische Wirtschaft im 13. und 14. Jahrhundert noch höchst unterschiedlich entwickelt war. Von hier aus wurden teils mit der Hanse, teils mit Oberdeutschland wirtschaftliche Verbindungen eingegangen. Bedeutende Städte waren in diesem Zusammenhang Worms, Speyer und Mainz. Mainz büßte seine überragende wirtschaftliche Stellung, die es noch im Hochmittelalter eingenommen hatte, zunehmend zugunsten von Frankfurt am Main ein. Seit dem 14. Jahrhundert wurde Frankfurt v. a. durch seine Messen zum Umschlagplatz von internationaler Bedeutung. Basler Kaufleute waren von dem breiten Angebot an Tuchsorten begeistert, welche sie mitnahmen und in Basel oder weiter in die Schweiz hinein verkauften.[4]
Die Zünfte entstanden ab dem 12. Jahrhundert in den führenden Gewerbestädten, nach 1225 kann man von der Ausbreitung einer „Zunftbewegung“ sprechen. Am Ende des 13. Jahrhunderts gab es Zünfte in über 50 deutschen Städten. Die Existenz der Zünfte war von langer Dauer, in Deutschland bis in das 19. Jahrhundert. Die Mehrheit der städtischen Handwerker war im Spätmittelalter Mitglied einer Zunft bzw. wurde durch den „Zunftzwang“ zu einem Beitritt genötigt. Obwohl die wirtschaftliche Tätigkeit der Zünfte im Mittelpunkt ihres Wirkens stand, war dies bei weitem nicht ihre einzige Funktion. Die Zunft war „[…] sowohl genossenschaftlicher Zusammenschluß der kleinen städtischen Warenproduzenten zur Regelung und Wahrnehmung von wirtschaftlichen, sozialen, politischen, karitativen, religiösen, rechtlichen, militärischen, geselligen und kulturellen Interessen und Funktionen als auch Instrument städtischer Wirtschaftspolitik […]“[5]
Der Basler Zunftbrief für die Gärtner, Obster und Lebensmittelhändler eröffnet einen interessanten und detaillierten Einblick in die Organisations- und Funktionsstrukturen der Zünfte im spätmittelalterlichen Basel in der Mitte des 13. Jahrhunderts und erlaubt darüber hinaus weitere Erkenntnisse über die Entwicklung des Zunftwesens im Allgemeinen. Trotzdem ist bei der Verallgemeinerung von Aussagen, die sich nur aus einer spezifischen Quelle ergeben, immer Vorsicht geboten. V. a. die Zunftordnungen sind regional breit gestreut und immer in ihrem lokalen Kontext, in dem und für den sie angefertigt wurden, zu analysieren und zu verstehen. Außerdem ist zu beachten, dass die Zunftforschung vor einer weiteren Schwierigkeit steht: Zunftordnungen enthalten normierte Vorlagen, die ein „von oben“ verordnetes Idealbild diktieren. Wie aber sah die Wirklichkeit der Menschen aus? Zur Erschließung dieser Frage müssen weitere Quellen zur Zunftgeschichte befragt werden, was jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
2. Hauptteil
2.1. Der historische Kontext der Quelle: Das Bistum Basel im Spätmittelalter
Im Jahr 740 wurde Basel Bischofsstadt, ab dem Jahr 1032 gehörte die Stadt zum Heiligen Römischen Reich und bis zur Reformation residierte der Bischof von Basel in der Stadt selbst.
Von 999-1802 war der Bischof auch Fürstbischof, d. h. Bischof und zugleich Fürst des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und damit neben seiner geistlichen Funktion auch weltlicher Landesherr. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde der Einfluss der Habsburger in Basel im größer, was sich auch auf die Territorialpolitik des Bischofs auswirkte. Er musste sowohl den Habsburgern als auch der immer stärker nach Autonomie strebenden Bürgerschaft Basels mehr und mehr Einflussmöglichkeiten zugestehen.
Dennoch zählte Heinrich III. von Neuenburg zu den letzten Bischöfen, die noch eine relativ eigenständige Politik am Oberrhein betreiben konnten. 1262 trat Heinrich sein Amt an, nachdem sein Vorgänger auf den Bischofsstuhl Berthold von Pfirt gestorben war. Die Stadt lag in einem Spannungsfeld zwischen dem jeweiligen Bischof und dem österreichischen Herrschergeschlecht der Habsburger, die mit Rudolf von Habsburg einen mächtigen Vertreter aufgestellt hatten. Heinrich suchte von Anfang an die Nähe zur Bürgerschaft, weil sie einen Gegenpol zum habsburgisch gesonnenen Adel darstellte. Diese Annäherungsversuche manifestieren sich auch in den Zunftbriefen, die er während seiner Amtszeit vergab. Neben dem Zunftbrief an die Gärtner, Obster und Lebensmittelhändler aus dem Jahr 126[4-69], erhielten 1268 die Weber den ihrigen und 1271 wurde der Zunftbrief der Bauleute (Zunft zu Spinnwettern) bestätigt.[6]
Des Weiteren gab er Basel die erste überlieferte Handfeste. Dieser Vertrag sicherte auf der einen Seite der Stadt den Schutz und die Hilfe des Bischofs, auf der anderen Seite schwor die Bürgerschaft Treue und Loyalität dem Bischof gegenüber. Heinrich suchte den Rückhalt bei Patriziern und Handwerkern. In der Handfeste wurde auch die Bestellung des Stadtrates geregelt: Der abtretende Rat wählte zwei Ministeriale und vier Patrizier, diese kooptierten zwei Domherren. Dieses Gremium der „Kieser“ erkor dann aus Rittern und Patriziern den neuen Rat und den Bürgermeister. Außerdem wurden in dieser Urkunde die Zünfte bestätigt. Die älteste Basler Zunfturkunde datiert von 1226, die Zünfte waren aber teilweise älter.
Neue Zünfte wurden v. a. in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts gegründet (1354 gab es insgesamt 15 Zünfte).[7]
Heinrich hatte seit seinem Amtsantritt 1262 sein Bistum sukzessiv vergrößert. Zuerst sicherte er sich den Besitz von Breisach und Rheinfelden, drei Jahre später trat Graf Ludwig von Froburg Waldenburg und Olten an ihn ab. 1270 musste der Graf Ulrich von Pfirt die Grafschaft Saugern abgeben und die bischöfliche Lehenshoheit über Pfirt anerkennen. 1271 wurde er aufgrund des Urteils eines Schiedsgerichts zum Herrn von Pruntrut ernannt.[8]
Nachdem die jahrelangen Konkurrenzkämpfe zwischen Bischof Heinrich von Neuenburg und Graf Rudolf von Habsburg zu massiven Unmut auf beiden Seiten geführt hatten, brachen die Feindseligkeiten im Jahr 1268 offen aus. Der Adel in der Stadt Basel war in zwei Lager geteilt: die „Psitticher“ und die „Sterner“. Die „Sterner“ mussten 1271 die Stadt verlassen und schlossen sich Rudolf von Habsburg an.
Zwischen den Anhängern Heinrichs und den Verteidigern der Interessen der Habsburger entbrannte ein regelrechter Kleinkrieg. Jede Partei versuchte den Gegner zu schänden, indem sie dessen Untertanen heimsuchte. Beispielsweise wurde armen Bauern der Hof niedergebrannt, die Ernte vernichtet und das Vieh vertrieben, um sowohl der Bauernfamilie als auch dem Lehnsherren zu schaden. Heinrich gab sich in seiner Funktion als Landesfürst wenig zimperlich: Er ließ das Kloster Ottmarsheim im Elsass niederbrennen, das um 1030 von einem Ahnen der Habsburger gegründet worden war. Als die Stadt Neuenburg am Rhein im Breisgau (nicht zu verwechseln mit Heinrichs Heimat) sich gegen ihren Herrn, den Grafen von Freiburg, auflehnte, wandte sie sich an Heinrich und bat um seinen Schutz. Daraufhin nahmen Heinrichs Truppen Säckingen ein und brannten elsässer Dörfer zwischen Basel und Mülhausen nieder.[9]
Im September 1273 wurde Basel von Rudolf von Habsburg und seinem Heer belagert und das Umland von ihm verwüstet. Als der Fall Basels nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, wurde Rudolf im Oktober 1273 – scheinbar unerwartet – in Aachen zum König des Deutschen Reiches gekrönt. Heinrich hatte keine Wahl, gegen den neuen König konnte er keinen Krieg führen, er musste sich ihm unterwerfen. Als Reichsbischof war er dem deutschen König als dessen Stellvertreter in Basel verpflichtet. Die 1271 vertriebenen „Sterner“ zogen wieder in die Stadt ein und die Bürgerschaft huldigte dem neuen König. Kurz vor seinem Tod genehmigte Heinrich den Bürgern Kleinbasels einen Steuererlass, aufgrund der Mühe und Kosten, die ihnen Heinrich noch kurze Zeit vorher zur Befestigung der Stadt abverlangt hatte. Der Bischof starb im September 1274 und wurde in der Marienkapelle des Basler Münsters beigesetzt.
[...]
[1] Vgl. Goetz: Proseminar Geschichte: Mittelalter, S. 338ff. sowie Hartmann: Mittelalterliche Geschichte studieren, S. 240ff.
[2] Vgl. Goetz: Proseminar Geschichte: Mittelalter, S. 340.
[3] Zunftbrief für die Gärtner, Obster und Lebensmittelhändler in Basel, ausgestellt von Bischof Heinrich III. 126[4-1269], in: Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte mittel- und oberdeutscher Städte im Spätmittelalter, hrsg. von Gisela Möncke, S. 61ff.
[4] Vgl. Mön>
[5] Vgl. Engel: Die deutsche Stadt des Mittelalters, S. 153f.
[6] Vgl. Bury: Geschichte des Bistums Basel und seiner Bischöfe, S. 66ff.
[7] Vgl. Gilomen: Basel, Verfassung, Sp. 1510f.
[8] Vgl. Bury: Geschichte des Bistums Basel und seiner Bischöfe, S. 66ff.
[9] Ebd.