Gentrification oder auch Gentrifizierung ist ein Begriff, der in letzter Zeit immer häufiger in den Medien auftaucht. Doch ist nicht jedem bekannt, was darunter zu verstehen ist. Dieser Essay soll klären, was Gentrification ist und insbesondere auf die Akteure dieses Prozesses eingehen: Gentrifier, Pioniere und Alteingesessene sind Begriffe, die gefüllt werden sollen. Ein besonderes Augenmerk soll hierbei auf ihre Lebensstile gelegt werden, die sich von den bisher bekannten und traditionellen Lebensstilen unterscheiden. Die Ausführungen werden sich hauptsächlich auf die Arbeiten von Jens S. Dangschat und Jörg Blasius stützen.
Gentrification: Gentrifier, Pioniere und Alteingesessene
Gentrification oder auch Gentrifizierung ist ein Begriff, der in letzter Zeit immer häufiger in den Medien auftaucht. Doch ist nicht jedem bekannt, was darunter zu verstehen ist. Dieser Essay soll klären, was Gentrification ist und insbesondere auf die Akteure dieses Prozesses eingehen: Gentrifier, Pioniere und Alteingesessene sind Begriffe, die gefüllt werden sollen. Ein besonderes Augenmerk soll hierbei auf ihre Lebensstile gelegt werden, die sich von den bisher bekannten und traditionellen Lebensstilen unterscheiden. Die Ausführungen werden sich hauptsächlich auf die Arbeiten von Jens S. Dangschat und Jörg Blasius stützen.1
Unter Gentrification wird ein Prozess verstanden, der ehemalige innenstadtnahe Arbeiterwohngebiete durch Modernisierung aufwertet. Hierbei steigt der Bewohneranteil aus der (oberen) Mittelschicht rapide und der Wohnungsbestand wird umgestaltet, renoviert und Neubauten entstehen. Zudem wird eine Großzahl der Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt, da dies den Eigentümern steuerliche Vorteile bringt. Dieser Prozess erfolgt meist rasch und intensiv und beschränkt sich auf ein knapp begrenztes Gebiet - häufig nicht mehr als ein paar Straßenzüge.2
Gentrifizierung zieht sowohl positive als auch negative Folgen mit sich. Positiv sind dabei das Verhindern des Abwanderns der einkommensstarken Bevölkerung in weiter außerhalb liegende Gebiete sowie private Reinvestitionen in den Wohnungs- und Häuserbestand und deren Umfeld. Unter den negativen Folgen der Gentrifizierung leiden insbesondere die Alteingesessenen3. Mietpreissteigerung, die Umwandlung der Mietwohnungen in Eigentumswohnungen und Verunsicherungen der nicht so einkommensstarken Bevölkerung führen schließlich zu einer Verdrängung dieser Bevölkerungsschicht. Mietgünstige Wohnungen werden in den Gebieten immer seltener und zwingen die Alteingesessenen ins Umland zu ziehen.4
Auch wenn Politik, Investoren, Planer und Wirtschaft einen großen Teil zur Aufwertung innenstadtnaher Bezirke beigetragen haben, soll nun der Blick auf die direkt handelnden Personen gerichtet werden. Eine neue Einkommensschicht bestimmt den Prozess der Gentrifizierung. Sie sind jung, karriere-orientiert und setzten sich zunächst andere Ziele als die Ehe und Kinder. Ihr Lebensstil ist von „demonstrative[m] Konsum“ gekennzeichnet, welchen sie nur in innenstadtnahen Gebieten ausleben können. Ehemalige Arbeiterviertel werden wiederentdeckt und zu den bevorzugten Wohngebieten dieser neuen Schicht.5
Die Akteure der Gentrifizierung sind in drei Gruppen einteilbar: Das sind die bereits erwähnten Alteingesessenen - sie leben schon länger in den Gebieten und gehören zu den Armen, Alten, Arbeitslosen und Ausländern. Sie verfügen nur über geringe finanzielle Mittel und haben weniger soziale Kontakte, die sie auf dem Wohnungsmarkt aktivieren könnten. Das macht sie nicht konkurrenzfähig, was zur Folge hat, dass sie nach und nach abwandern müssen und dem Gebiet den Rücken kehren müssen.6
Die ersten, die in die aufwertungsverdächtigen Gebiete ziehen, werden unter dem Begriff Pioniere subsumiert. Sie besitzen eine hohe Schulbildung, aber meist noch kein gesichertes Einkommen. Das Geld, das ihnen zur Verfügung steht, setzt sich häufig aus mehreren Quellen zusammen. Sie führen ein unverbindliches Single- oder Partnerleben. Sind daher selten verheiratet und haben keine Kinder. Durch ihre hohe Bereitschaft in allen Haushaltsformen zu leben, werden sie konkurrenzfähig auf dem Wohnungsmarkt. Wohngemeinschaften sind keine Seltenheit. Erst sie machen das Gebiet attraktiv und für die folgende Personengruppe interessant.7
Als letztes ziehen die so genannten Gentrifier in die aufgewerteten Gebiete. Sie verfügen über ein hohes Einkommen und sind ebenfalls selten verheiratet und haben keine Kinder.8 Auf dem Wohnungsmarkt sind sie die Durchsetzungsfähigsten, da sie durch ihr hohes Einkommen und ihr Interesse an einer Eigentumswohnung ihre Konkurrenz ausschalten.9
Den Austausch der Bewohner von den Alteingesessenen, welche wenig verdienen und daher die erhöhten Mieten nicht zahlen können, mit den Pionieren und Gentrifiern, die Besserverdienenden bzw. die Zahlungsfähigen, nennt man „qualitativer Bevölkerungsaustausch“.10 Nach Blasius bringen diese neuen Bewohner auch eine neue Art zu leben mit in das Viertel. Eine spezifische Lebensform, die sich an der Monopolisierung ideeller und materieller Güter oder Chancen, das Vorrecht auf bestimmte Trachten, die Tabuisierung anderen versagter Speisen, die Art der Amtsausübung, Monopolisierung der Heiratschancen innerhalb und zwischen bestimmten Berufspositionen resp. Bestimmten Ämtern sowie die Art der Kunstausübung [erkennen lässt].11
Durch ihren Lebensstil symbolisieren sie ihre Identität und die Zugehörigkeit zu der von ihnen ausgewählten Gruppe - hier die Gentrifier und Pioniere. Sie können über die gewählte Lebensform besser Beziehungen knüpfen, was ihnen in der Gruppe bestimmte Türen öffnet (z.B. die Zusage einer Wohnung). Die Ausprägung der Lebensstile lässt sich am einfachsten an der Kleidung, dem Ess- und Trinkverhalten sowie dem Geschmack ablesen.12
Wo früher Einkommen, Bildung und Berufsposition ausreichend waren, um sich profilieren und einen bestimmten Status in der Gesellschaft zu verschaffen, gelten heute auch die Ausstattung von Konsumgütern dazu. Man spricht von Statusinkonsistenz, wenn z.B. ein arbeitsloser Lehrer mit hoher Bildung von einem erfolgreichen selbstständigen Facharbeiter, der ein hohes Einkommen genießt, übertrumpft wird. Diese neue Formation innerhalb der Bevölkerung ist insbesondere in den aufgewerteten Gebieten anzutreffen.13
Blasius weist zudem auf Bourdieus drei Arten von Kapital hin, welche für die neue Bevölkerungsgruppe wichtig ist, um ihren Status zu wahren: das ökonomische, das kulturelle und das soziale Kapital. Das ökonomische Kapital ist dabei das oberste und wichtigste Kapital, das die Pforten in aufgewertete Gebiete ermöglicht. Es umfasst alle verfügbaren Geldmittel und materiellen Besitz. Das kulturelle Kapital ist das Kapital, welches neben dem vorausgesetzten Wissen aus der Schule auch Wissen über Kunst und Musik entspricht. Ebenso gehört zu diesem Kapital auch die Ausübung eines bestimmten Lebensstils, der sich z.B. in Form von Möbelkauf bei einem Designer auszeichnet. Wie oben bereits erwähnt spielen Beziehungen eine große Rolle in dieser Gesellschaft. Verfügt man über gute Beziehungen und ist Mitglied in einem sozialen Netzwerk (z.B. Tennisclub), dann wird von sozialem Kapital gesprochen. Je mehr Gesamtkapital der drei Arten von Kapital eine Person inne hat, desto eher kann sie sich in bestimmten Situationen durchsetzen. Nach Dangschat haben Gentrifier mutmaßlich den größten Anteil von Gesamtkapital, etwas weniger besitzen Pioniere.14
Insgesamt ist diese neue Bevölkerungsschicht eine Gruppe, in der es um das Sehen und Gesehenwerden geht. Die Akteure der Gentrifizierung handeln in ihrem eigenen Interesse und verwandeln dabei das gesamte Viertel. Insbesondere ihre Lebensstile und ihre Ansprüche nach Dienstleistungen können auch das Aussehen des Viertels verändern - neue Läden, neue Restaurants und Kneipen sowie die Modernisierungen am Häuserbestand.
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1 Jörg Blasius und Jens S. Dangschat: Die Auswertung innenstadtnaher Wohngebiete - Grundlagen und Folgen. In: Jörg Blasius und Jens S. Dangschat (Hrsg.): Die Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete. Frankfurt a. M./ New York, 1990. S. 11-31.
2 Vgl. Ebd. S. 11-12.
3 Was genau unter dem Begriff zu verstehen ist, wird im Folgenden geklärt.
4 Vgl. Ebd. S. 12.
5 Vgl. Ebd. S.13.
6 Vgl. Ebd. S. 23.
7 Vgl. Ebd.
8 Im englischsprachigen Raum sind diese Personen unter dem Begriff DINKS bekannt: Double income, no kids (kinderlose Doppelverdiener).
9 Vgl. Ebd.
10 Jörg Blasius: Gentrification und Lebensstile. In: Jörg Blasius und Jens S. Dangschat (Hrsg.): Die Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete. Frankfurt a. M./ New York, 1990. S. 354.
11 Ebd. S. 355.
12 Vgl. Ebd. S. 355 f.
13 Vgl. Ebd.
14 Vgl. Ebd. S. 356 f.
- Quote paper
- B.A. Alexandra Krüger (Author), 2010, Gentrification: Gentrifier, Pioniere und Alteingesessene, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/195873