Was ist eigentlich Ruhrdeutsch?


Zwischenprüfungsarbeit, 2003

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Die vernachlässigte Varietät des Ruhrgebietes

2. Ruhrdeutsch: Regionale Umgangssprache oder Dialekt?
2.1. Standardsprache, Regionale Umgangssprache und Dialekt
2.2. Die Einordnung des Ruhrdeutschen

3. Besondere Merkmale des Ruhrdeutschen
3.1. Phonetik und Phonologie
3.2. Lexik
3.2.1. Einflüsse auf die Lexik des Ruhrdeutschen
3.2.1.1. Einflüsse des Niederdeutschen
3.2.1.2. Einflüsse der Bergmannssprache
3.2.1.3. Einflüsse des Polnischen (und Jiddischen)
3.2.2. Die Anschaulichkeit ruhrdeutscher Wörter
3.3. Phraseologie
3.4. Morphologie und Syntax
3.4.1. Morphologische Besonderheiten
3.4.2. Syntaktische Besonderheiten

4. Das Ruhrdeutsch in der öffentlichen Darstellung
4.1. Kumpel Anton
4.2. Dr. Antonia Cervinski-Querenburg
4.3 Adolf Tegtmeier

5. Welche Zukunft hat das Ruhrdeutsch? Ausblick und Fazit

Bibliographie

1. Einleitung: Die vernachlässigte Varietät des Ruhrgebietes

“Hömma, wat is aintlich Ruhrdeutsch?” würde ein Sprecher der Sprache an der Ruhr den Titel dieser Arbeit aussprechen. Dass dieser Satz so anders als die hoch-deutsche Fassung klingt, sollte schnell auffallen. Jedoch wurde das Ruhrdeutsch in der Linguistik trotzdem lange Zeit vernachlässigt und hat es “bis heute schwer, als eigenständige Varietät wissenschaftlich anerkannt”1 (Die Zitate in dieser Arbeit sind nach der alten Rechtschreibregelung verfasst, der Text jedoch nach neuer Regelung, A.K.) zu werden. So schreibt Menge 1977 noch: “Linguistisch gesehen ist das Ruhrgebiet noch kaum erforscht.”2 Der Sprachwissenschaftler Udo Thies stellt sogar noch in einem Aufsatz von 1985 fest, dass das Ruhrgebiet bei früheren linguistischen Untersuchungen als “weißer Fleck”3 erscheint. Der Grund für diese Vernachlässigung der jungen Varietät Ruhrdeutsch ist darin zu sehen, dass sich die Sprachforscher viel mehr mit dem Sammeln alter Dialekte beschäftigten, weil sie befürchteten, dass diese aussterben würden, bevor sie sie beschreiben konnten.

Immerhin nahmen sich in den letzten rund 15 Jahren schon mehr Wissenschaftler des Ruhrdeutschen an als in der ganzen Zeit zuvor: “Erst in letzter Zeit scheint das Interesse zu wachsen, wobei allerdings zu beobachten ist, daß der Akzent weniger auf der Sprachbeschreibung [...]”4, liegt. Der Grund der Zuwendung zum Ruhrdeutschen könnte “sich vor allem aus einer veränderten Einstellung zur lokalen und regionalen Geschichte - einschließlich der Geschichte der Sprache, die für die Menschen dieser Region von großer Bedeutung ist [ergeben, A.K.].”5

Wenn vom Ruhrdeutsch gesprochen wird, sollte zunächst geklärt sein, was der eigent-liche Sprachraum dieser Varietät ist. Doch auch das Ruhrgebiet, der Sprachraum des Ruhrdeutschen, wurde in der Dialektologie, in der sich wissenschaftlich mit Dialekten beschäftigt wird, lange Zeit nicht als eigenständiges Sprachgebiet behandelt: “[...] zumeist wird die sprachliche Region Ruhrgebiet in den westfälischen Sprachraum integriert, ohne auch nur zu erwähnen, daß sich hier längst eine eigene Sprachform gebildet hat.”6 Will man allerdings die Grenzen aufzeigen, die das Gebiet umreißen, in dem Ruhrdeutsch gesprochen wird, findet man in der Literatur keine einheitlichen Angaben. So kann die Eingrenzung des Ruhrgebietes als problematisch bezeichnet werden, “weil sich das heutige Ruhrgebiet als Region weder geographischen oder politi-schen Grenzen unterordnen läßt, noch einem homogenen Raum im Bewußtsein der Bevölkerung entspricht. Eine Wesensart des Ruhrgebiets liegt nun einmal in der steten arealen Veränderung und Erweiterung, in seinen ´fließenden` Grenzen.”7

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten 8

Bei Befragungen der Ruhrgebietsbevölkerung durch Thies werden sehr unterschied-liche Antworten auf die Grenzfrage des Ruhrgebietes gegeben. Diese Tatsache macht deutlich, dass eine klare Eingrenzung des Ruhrgebietes wirklich nur sehr schwer durchzuführen ist, denn am ehesten sollten die Bewohner eines Gebietes wissen, bis wohin dieses reicht.

Als Anhaltspunkt für die Region Ruhrgebiet und somit für den eigentlichen Sprachraum des Ruhrdeutschen werden hier die Grenzen des Kommunalverbandes Ruhrgebiet (KVR) genannt (siehe Karte). Der Verband wurde 1920 als Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) gegründet und Mitte der 70er Jahre umbenannt. Das gesamte Ruhrgebiet liegt nördlich der so genannten Benrather Linie, die den Übergang von den hochdeutschen zu den niederdeutschen Dialekten markiert. Somit liegt das Ruhrgebiet dialektgeographisch komplett auf niederdeutschem Sprachgebiet. Durch die Region verlaufen allerdings weitere Sprachgrenzen:

“Das östliche Ruhrgebiet fällt in den Großraum des Westniederdeutschen, das westliche in den des Niederfränkischen. Diese mundartlichen Großräume sind wiederum unterteilt in die Einzugsbereiche der jeweiligen Dialekte; dies ist im westniederdeutschen Raum das Westfälische, im niederfränkischen Gebiet das Niederrheinische.”9

Die bisherige Erforschung des Sprachraumes ergibt also, dass das heute oft als sprachlich homogen angesehene Ruhrgebiet dialektal mehrfach untergliedert war.

Auf die Geschichte und Entstehung des Ruhrdeutschen soll in dieser Arbeit nicht wei-ter eingegangen werden. Der Schwerpunkt liegt in der Beschreibung der Sprache an der Ruhr.

Als erstes wird auf die Frage der terminologischen Einordnung des Ruhrdeutschen als Regionale Umgangssprache oder Dialekt eingegangen. Dabei soll die Problematik einer eindeutigen Zuordnung des Ruhrdeutschen herausgestellt werden. Die Beschreibung der besonderen Merkmale des Ruhrgebietsdeutschen bildet den Hauptteil dieser Arbeit. Dabei sollen Besonderheiten in Phonetik und Phonologie, Lexik, Phraseologie sowie Morphologie und Syntax dargelegt werden. Zur bes-seren Verständlichkeit werden die Merkmale anhand von Beispielen aus einem in Ruhrdeutsch verfassten Text belegt oder Beispiele aus anderen Texten angeführt. Anschließend soll auf das Ruhrdeutsch in der öffentlichen Darstellung eingegangen werden: ein kleiner Einblick in die Literatur, in der die Sprache an der Ruhr verwendet wird, und deren Autoren zeigt die Vielfältigkeit der Ruhrdeutsch-Darstellung. Schließlich wird ein Blick in die Zukunft gewagt: Hat die Sprache an der Ruhr in den nächsten Jahren gute Chancen weiter zu bestehen?

2. Ruhrdeutsch: Regionale Umgangssprache oder Dialekt?

Bereits oft wurde versucht, das Ruhrdeutsch zu charakterisieren und es in das Dreierschema: Standardsprache - regionale Umgangssprache - Dialekt einzuordnen. Jedoch treten immer wieder Probleme auf, da es nicht gelingt, die Sprache an der Ruhr eindeutig zuzuordnen. Um diese Frage zu klären sollen zunächst einige Begriffe erläutert werden.

2.1. Standardsprache, Regionale Umgangssprache und Dialekt

Wichtig für die Definitionen von Regionaler Umgangssprache und Dialekt ist die vorherige Definition des Begriffes Standardsprache. Drosdowski schreibt hierzu:

“Mit ´Standardsprache` ist die überregionale und institutionalisierte Verkehrs-oder Einheitssprache gemeint, die den Interessen der ganzen Gesellschaft dient. Innerhalb des Gesamtgefüges der Existenzformen der deutschen Sprache kommt ihr Leitbildfunktion zu, weil sie - im Gegensatz zu den Mundarten, lokalen Umgangssprachen und Gruppensprachen - Trägerin und Vermittlerin von Kultur, Wissenschaft und Politik ist, in der Literatur, in den Medien, in Schulen, Universität und Kirche und in allen anderen öffentlichen Bereichen verwendet wird.”10

Regionale Umgangssprachen breiten sich in der Sprachpraxis immer weiter aus. Sie haben weitgehend die Aufgaben übernommen, die früher den Dialekten zufielen. Die Umgangssprachen bieten den Sprechern ein größeres Maß an Freiheit, da sie nicht so stark normiert sind wie die Standardsprache. Somit dienen sie der informellen Kommunikation, der Alltagskommunikation. Die Regionalen Umgangssprachen können, da sie nur eine schwach dosierte Systemhaftigkeit11 besitzen, zwischen die Standardsprache und die Dialekte eingeordnet werden.

“Daß Umgangssprachen sich in einem Spannungsfeld zwischen Dialekten und Standardsprache bewegen, mal in der Nähe der Dialekte (vor allem auf dem flachen Land), mal in der Nähe der Standardsprache (vor allem im Großstädten), das kann man an vielen Beispielen beobachten.”12

Dialekt bezeichnet die für eine bestimmte Region charakteristische Form und Färbung einer Sprache. In dieser Minimaldefinition sind wichtige Merkmale enthalten: die Bestimmung von Dialekt ist auf eine übergreifende sprachliche Normierung bezogen und ein Dialekt ist immer komplementär zu einer Einheitssprache. Darüber hinaus hat ein Dialekt eine geringere Reichweite als diese Einheitssprache, seine Geltung ist regional begrenzt.13 Ein Dialekt hat auf allen sprachlichen Ebenen mehr oder weniger ausgeprägte Systeme entfaltet, und zwar auf den Ebenen der Phonologie, der Morphologie, der Syntax, der Semantik und der Lexik. Dadurch kann der Dialekt als recht eigenständige Varietät angesehen werden.14

2.2. Die Einordnung des Ruhrdeutschen

Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, dass das Ruhrdeutsch als gesprochene Sprache zu bezeichnen ist, das heißt, dass diese Varietät fast ausschließlich in Situationen mündlicher Kommunikation vorkommt.

Ebenfalls unbestritten ist, dass das Ruhrgebietsdeutsch vor allem als Typus einer regional geprägten Umgangssprache begegnet. Im vorgestellten Dreierschema würde es also der regionalen Umgangssprache zuzuordnen sein.

Auch Mihm schreibt, dass “durch die allmähliche Ausbreitung der standarddeutschen Überdachung [...] das Ruhrdeutsche die Funktion einer Komplementärvarietät, ähnlich wie die alten Dialekte in anderen Regionen [,übernahm, A.K.]. Ruhrdeutsch wurde zum Mittel der nicht-öffentlichen, informellen Kommunikation, in dem man Vertrautheit, Solidarität und Ungezwungenheit zum Ausdruck bringen konnte.”15

Damit würde das Ruhrdeutsch die Bedingungen für die Einstufung als Regionale Umgangssprache erfüllen. Fekeler-Lepszy schreibt ebenfalls: “Umgangssprache als Mittelding zwischen Dialekt und Hochsprache scheint eigentlich genau die passende Bezeichnung für die Ruhrgebietssprache zu sein.”16

“Gegen diese vereinfachende Zuweisung läßt sich allerdings einwenden, daß das RGD auf allen Ebenen des sprachlichen Systems (Phonetik und Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik und Phraseologie [...]) von der Standardsprache abweicht und damit typologisch nicht in die Gruppe regionaler Umgangssprachen paßt.”17

Aufgrund dieser Eigenschaften wäre es also durchaus berechtigt, das Ruhrdeutsch als Dialekt zu bezeichnen. Es existieren allerdings drei wichtige Gründe, die die Sprachwissenschaftler bisher davon abgehalten haben, dem Ruhrdeutschen den Status eines Dialekts zuzusprechen:

1. Dem Ruhrdeutschen fehlt eine langjährige (möglichst 1000-jährige) Geschichte und die Geschlossenheit eines ländlichen, homogenen Sprachraums.

2. Das Ruhrdeutsch hat vom syntaktischen, morphologischen und lexikalischen System her eine relativ große Nähe zum Standarddeutschen.

3. Dem Ruhrdeutsch fehlt der durchgehend vom Standarddeutschen abweichende Lautstand.18

“Gleichwohl gibt es genügend Gründe, das RGD als selbständige regionale Varietät anzuerkennen. Es begegnet in einem genau abgrenzbaren städtischen Ballungsraum, mit einer gut 100jährigen Geschichte, in dem sich das grammatische und lexikalische System konsolidiert hat. Viele Eigenheiten des Flexionssystems, der Wortbildung und Lexik sind direkt aus den bodenständigen niederdeutschen Dialekten entstanden [...]. Es ist sowohl großräumig (westl. und östl. Ruhrgebiet) als auch lokal vielfältig gegliedert. Fazit: RGD ist etwas anderes und mehr als eine regional geprägte Umgangssprache.”19

Auch Fekeler-Lepszy formuliert zur Einordnungsfrage der Sprache an der Ruhr ein interessantes Fazit:

“[Es, A.K.] ist klargeworden, daß sie weder zum Dialekt noch zur Umgangssprache eindeutig zugeordnet werden kann. Ihr Dilemma ist, daß sie überall ein bißchen dazugehört, aber eben nicht ganz. [...] Wo soll man also die Ruhrgebietssprache einordnen? Nach der ausführlichen Beschäftigung mit ihr möchte ich sie vorsichtig als Umgangssprache bezeichnen, die im Ruhrgebiet wirklich das ganze Spektrum von an der Hochsprache ausgerichteter Sprache bis hinunter in die Nähe des Dialektes ausfüllt, wobei sie in manchen Fällen auch seine Funktion übernehmen kann.”20

Durch die Verweise auf die vielen mehr oder minder missglückten Versuche in der Sprachwissenschaft, das Ruhrdeutsch einzuordnen, sollte deutlich geworden sein, dass die korrekte Zuweisung nicht ganz einfach ist.

Nun bleibt abzuwarten, ob die Sprachwissenschaftler in den nächsten Jahren zu neuen Erkenntnissen kommen und die Sprache an der Ruhr gegebenenfalls anders beziehungsweise eindeutig zuordnen werden.

3. Besondere Merkmale des Ruhrdeutschen

In diesem Kapitel sollen besondere Merkmale der Sprache an der Ruhr deutlich gemacht und erklärt werden. Der folgende Text liefert einige Beispiele für typische Merkmale des Ruhrdeutschen, auf die anschließend eingegangen wird.

Da isen Knopp am fehlen21

„ Anton “ , sachtäCervinski f ür mich, „ mitti Weiber, da kannze Krach krie gen, ohne dattedatt überhaupt willz. Anton, gestern sachich f ür meine Olle, un ich sachtatt so richtich nett und schön, `An mein Sonntachshempt, da isen Knopp am fehlen, tuusse mich den eema drannähn, Paula?` Unta kuckze mich so finnich an, `So, sachze, `da isen Knopp am fehln? Watt forne Zitterpappel hattich den denn appgerissen?`

`Kwatsch`, sarich, `Zitterpappel! Däis fon alleine appgegangen.` `Datt glaupse doch woll sälps nich ´ , sachze, `datt fon dat Sonntachshempt n Knopp fon alleine appgehn tut.` `Warum soll fon dat Sonntachshempt nichen Knopp ganz fon alleine appgehn ´ , sarrich. `Aber wennze dat nich glaum tuuss - fon mich aus! Fileicht binnich forn Omnibus gefitscht, oder bei dat viermalhundert Meter Kranzkuchenessen, kann auch sein, datter da app- gegangen is, geenfalls ista n Knopp am fehlen, untu sollz mich den widder drannähen.`

`Ach, kuckma an ´ , sachze da ganzösich, `bei irgentwatt ister Knopp appge-gangen, un f ür irgentwatt sollichne widder drannähen! Da musse dich schon ne D ümmere suchen, Fögelken!` „ Watt mainze, Anton “ , sachtäCervinski, „ wattich da ne Wut am kriegen wa! `Himmeldonnerwetter nochma zu`, sarich f ür die Olle, `F ür watt happichne Olle, wennse mich nonimma die Knöppe am Hempt näht!`

`Siesse, siesse`, sachze da, ´ datt märkt man doch an deine Schimferei, datte mit dein appen Knopp an dat Sonntachshempt widder bei Waschmaschinewskis inne Drahtkommode hänx. F ür Knopp am Hempt nähn, da binnich dich gut genuch! Soll dich doch der Pl ümmerspizz den Knopp am Hempt nähn, dädich den appgerissen hatt!` „ Kuck, Anton “ , sachtäCervinski, „ Da hasse, ohne datte datt willz, wegen son Scheissknopp den grössten Stunk inne Bude. Wazzoltich machen? Ich happmich den Knopp sälps am Hempt genäht.“

Die Sprache an der Ruhr, das Ruhrdeutsch oder Ruhrgebietsdeutsch (die Bezeich-nungen werden hier gleichgesetzt) - ganz gleich, ob es nun als Regionale Umgangs-sprache oder Dialekt bezeichnet wird - verfügt über besondere Merkmale in den Bereichen der Phonetik und Phonologie, Lexik, Morphologie, Syntax und Phraseologie. Besonderheiten des Ruhrdeutschen sind zwar in den verschiedenen Teilen des Ruhrgebietes unterschiedlich, „trotzdem kann man gewisse Strukturen der gesprochenen Sprache des Ruhrgebiets deutlich machen, die bei jedem Sprecher gleich sind, ob er nun im rheinischen oder westfälischen Teil des Ruhrgebiets wohnt.“22

3.1. Phonetik und Phonologie

Die phonetischen Unterschiede eines Dialektes im Vergleich zum Standarddeutsch und zu anderen Dialekten fallen den jeweiligen Sprechern schnell auf. Erkennt ein Sprecher, dass ein anderer einen anderen Dialekt spricht, so macht er diese Beobachtung meist zuerst an den phonetischen Unterschieden zu seinem Dialekt fest. „Bezeichnenderweise werden dabei die Lautunterschiede an einzelnen, häufiger gebrauchten Wörtern verdeutlicht [...]“.23 Wenn das Ruhrgebietsdeutsch auch nicht eindeutig als Dialekt bezeichnet werden kann, weist es ebenfalls viele phonetische Besonderheiten auf, an denen es Sprecher anderer Varietäten schnell erkennen können.

„Schon eine kurze Äußerung enthält so viele phonetisch-phonologische Merkmale, daß sowohl die Sprecher dieser Varietät als auch ´Außenstehende` die rgd Herkunft der Sprachprobe erkennen“24, schreibt auch Volmert. Darüber hinaus geht er davon aus, dass die Merkmale des Ruhrdeutschen sogar am ausgeprägtesten in der phonetischphonologischen Struktur zu finden sind.

Im Folgenden sollen einige Besonderheiten in der Lautlehre anhand des Textes “Da isen Knopp am fehlen” von Wilhelm Herbert Koch deutlich gemacht werden. Das auffallendste Merkmal des Ruhrgebietsdeutschen ist eine häufige Vernachlässigung des r -Lautes, besonders oft wird dieser nach Vokalen verschluckt.25 Mihm hingegen bezeichnet diese Vernachlässigung des r -Lautes als Vokalisierung des r vor Konsonanten und gleichzeitige Hebung des vorangehenden Vokals.26 „Die Vokale a, e, i, o, u, werden so breit und offen wie möglich ausgesprochen, so daß man zum Beispiel ein r dahinter nicht mehr deutlich hören kann.“27 (Von mir kursiv gesetzt, A.K.) Besonders gut ist dieses Merkmal an der Senkung des langen e vor dem r zu erkennen. So wird aus erst das Wort ä rs oder aus dem Wort (ohne Konsonant hinter dem r) Lehrer Lährer. Im Text findet sich das Beispiel märkt (merkt). Sehr häu-fig fällt das r vor Konsonanten hinter einem lang gesprochenen a aus.

[...]


1 Volmert, Johannes 1990: Jugend und Ruhrgebietssprache. Die regionale Varietät in der Freizeit -und als Unterrichtsgegenstand? In: Ehlich, Konrad/Noltenius, Rainer (Hg.):Sprache und Literatur im Ruhrgebiet 1993, Essen, S. 1

2 Menge, Heinz 1977: Regionalsprache Ruhr: Grammatische Variation ist niederdeutsches Substrat. In: Mihm, Arend (Hg.) 1985: Sprache an Rhein und Ruhr, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 194

3 Thies, Udo 1985: Die gesprochene Sprache im Ruhrgebiet - eine “Monovarietät”? Korpus und Analysebeschreibung des Bochumer Projekts. In: Mihm, Arend (Hg.) 1985: Sprache an Rhein und Ruhr, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 108

4 Menge 1977, S. 195

5 Volmert 1990, S. 14

6 Fekeler-Lepszy, Elisabeth 1983: Gesprochene Sprache im Ruhrgebiet, Gelsenkirchen, S. 43

7 Thies 1985, S. 119

8 Karte aus: Mihm, Arend 1979: Sprachlandschaft Duisburg. In: Mihm, Arend (Hg.) 1985: Sprache an Rhein und Ruhr, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 205

9 Fekeler-Lepszy 1983, S. 44

10 Drosdowski, Günther 1984: Vorwort des Verfassers. In: Duden. Die Grammatik, 1984, 4. Auflage, Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag, S. 8

11 vgl. Braun, Peter 1998: Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache, 4. Aufl., Stuttgart, S. 28

12 Braun 1998, S. 25

13 vgl. Bausinger, Hermann 1983: Dialekt als Unterrichtsgegenstand. In: Der Deutschunterricht 35/ 1983, H. 2, S. 77

14 vgl. Braun 1998, S. 22

15 Mihm, Arend 1982: Zur Entstehung neuer Sprachvarietäten. In: Mihm, Arend (Hg.) 1985: Sprache an Rhein und Ruhr, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 273

16 Fekeler-Lepszy 1983, S. 107

17 Volmert, Johannes 1993: Situative Bedingungen bei der Gewinnung von Sprachproben der Varietät: Ruhrgebietsdeutsch. In: Günther Richter (Hg.) 1993: Methodische Grundfragen der Erforschung gesprochener Sprache, Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag S. 116

18 vgl. Volmert 1993, S. 116

19 Volmert 1993, S. 116

20 Fekeler-Lepszy 1983, S. 107ff

21 Koch, Wilhelm Herbert 1966: Kumpel Anton. Der ganze Kwatsch fon die letzten zehn Jahre, Düsseldorf: Droste Verlag, S. 20

22 Fekeler-Lepszy 1983, S. 68

23 Bausinger 1983, S. 78

24 Volmert 1990, S. 2

25 vgl. Fekeler-Lepszy 1983, S. 76

26 vgl. Mihm, Arend 1984: Dialekte in der Industriezone. Untersuchungen zum Sprachgebrauch im Duisburger Stadtgebiet. In: Universität Duisburg, Jahrbuch `82/83, Duisburg, S. 41

27 Fekeler-Lepszy 1983, S. 80

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Was ist eigentlich Ruhrdeutsch?
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Grundlagen der deutschen Grammatik: das Verb
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
34
Katalognummer
V19593
ISBN (eBook)
9783638236737
ISBN (Buch)
9783656529149
Dateigröße
785 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ruhrdeutsch, Grundlagen, Grammatik, Verb
Arbeit zitieren
Angela Köhler (Autor:in), 2003, Was ist eigentlich Ruhrdeutsch?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19593

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