Die Darstellung Julians in der Kaiserchronik - Historie, Fiktionalität und Rhetorik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

35 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung
Das Werk
Die Gattung Chronik

II. Hauptteil
1. Die Kaiserchronik als Geschichtswerk
Der Aufbau der Kaiserchronik
2. Die Legenden – Bausteine der Kaiserchronik
3. Das Julian Kapitel
a. Die historische Person – Kaiser Julian
b. Die literarische Gestalt – Kaiser Julian
c. Vergleich der literarischen und historischen
Gestalt des Kaisers Julian
d. Quellenstoff und Grundkonzeption des
Julian Kapitels
e. Mercurius – Instrument Gottes und des Teufels –
Funktion im Julian Kapitel
4. Die Mercuriuslegende
a. Der heilige Mercurius
b. Der Weg zur Legende
c. Der Tyrannenmord durch den Heiligen Mercurius
5. Die Rhetorik im Julian Kapitel
a. Instruktion
b. Geltungsansprüchen
c. Evaluation

III. Fazit

IV. Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Bevor der Inhalt der Arbeit im einzelnen vorgestellt wird, soll folgendes Zitat die Arbeit einleiten:

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass selbst Raubtiere dem Menschen nicht so feindlich gesinnt sind wie die Christen gegeneinander.“[1]

Dieses Zitat stammt von dem Kaiser Julian, von dem in der Kaiserchronik behandelt wird. Wie wird ein Kaiser, dessen unchristliche Haltung in diesem Zitat zum Ausdruck kommt, in einem christlich mittelalterlichen Werk dargestellt?

Wer verbirgt sich hinter dieser Person und welche historischen Daten sind mit ihr verbunden?

Bevor auf diese Fragen eingegangen wird, soll erst einmal die Kaiserchronik als Gesamtwerk und ihre Besonderheiten näher beleuchtet werden.

Ein weiterer Gegenstand in der Arbeit stellt die Beschäftigung mit den Legenden dar, die als Bausteine in die einzelnen Kaiserkapitel eingefügt wurden.

Diese Fragen und Schwerpunkte soll der folgende Hauptteil klären.

Dabei wird zum besseren Verständnis im ersten Teil der Arbeit auf das zu behandelnde Werk und seinen Aufbau einzugehen sein. Hierin werden neben inhaltlichen und historischen Daten, auch die Gattungsmerkmale des Werkes erwähnt, da sie als wichtiger Bestandteil zur Beantwortung der Fragestellung dienen sollen. Anschließend wird das Julian Kapitel der Kaiserchronik näher untersucht. In dem Abschnitt wird, stellt man die Historie der Fiktion gegenüber, deutlich, was hinzugefügt wurde und was zur historischen Gestalt des Julians gehört. Nach der Auseinandersetzung mit der Fiktion im Julian Kapitel soll im gleichen Kapitel eine Untersuchung der Rhetorik den Abschluss der Arbeit bilden. Dabei geht es vor allem um die Ausgestaltung der Julianfigur unter drei Bezugspunkten, Handlungsinstruktion, Geltungsanspruch und Evaluierung. Hierin soll gezeigt werden, wie der Chronist exemplarisch die gute und die böse Seite gegeneinander gestellt hat.

Das Werk

Die Kaiserchronik, ein frühmittelhochdeutsches Werk der deutschen Literatur, gibt vor die Geschichte der Kaiser des Römischen Reichs zu erzählen: „Ein buoch ist ze diute getihtet, daz uns Rômisces rîches wol berihtet, gehaizzen ist chrônicâ. iz chundet uns dâ von den bâbesen unt von den chunigen, baidiu guoten unt ubelen, die vor uns wâren und Rômisces rîches phlâgen unze an disen hiutegen tac.“[2]

Die Chronik wurde vermutlich im Zeitraum von 1126 bis 1147 in Regensburg verfasst. Die bevorzugte Erwähnung Regensburg sowie detaillierten Kenntnisse über Nachbarorte und Regensburger Persönlichkeiten sprechen sich dafür aus. Ein weiteres Indiz für Regensburg als Herkunftsort ist seine Bedeutung als ein geistiges, politisches und wirtschaftliches Zentrum des 12. Jahrhundert.[3] Anhand dieser Vermutungen dürfte der Verfasser ein Regensburger Geistlicher sein. Ob es sich hierbei ebenfalls um den Autor des Rolandsliedes, den Pfaffen Konrad, handelt oder dieser Mitautor gewesen ist, wie vielfach vermutet wird, soll in dieser Arbeit jedoch nicht beleuchtet werden, da sich das Thema der Arbeit auf Historie und Fiktion im Julian Kapitel beschränkt. Daher soll an dieser Stelle nur vermerkt werden, dass es sich bei den Autoren um einen oder mehrere Kleriker gehandelt haben könnte.[4]

Ähnliche Spekulationen gibt es um den Auftraggeber des Werkes, der an keiner Textstelle explizit genannt wird, seine Existenz ist somit nur eine wissenschaftliche Hypothese, die aber durch den Umfang des Werkes gestützt wird und die übliche Praxis des Mittelalters, dass Literatur Auftragsliteratur ist; zum anderen wurde Geschichtsschreibung in dieser Form seit der karolingischen Zeit in engem Kontakt zur politischen Führung betrieben.

Die Gattung Chronik

Die Gattung Chronik ist eine Form geschichtliche Ereignisse in prinzipiell zeitlicher bzw. kausaler Reihenfolge darzustellen. Meistens können sie als ausführlich gestaltete und weiterentwickelte Annalen gelten. Im Unterschied zu den Annalen wurden sie jedoch zusammenhängend von einem oder auch von mehreren Verfassern geschrieben, die vielfach namentlich bekannt sind, was bei unserem Werk allerdings nicht der Fall ist.

Die Chronik bietet nicht nur Daten, sondern auch deren Zusammenhänge und legt Wert auf sprachliche Gestaltung. In der Regel handelt es sich um Auftragswerke, die in bestimmter Absicht verfasst wurden. Der Begriff Chronik steht als Sammelbegriff für eine Vielzahl von Typen, wie u.a. die Weltchronik, unter die sich die Kaiserchronik gliedern lässt. Allerdings entspricht die Darstellung der Weltgeschichte in den Weltchroniken dem mittelalterlichen Verständnis von Universalgeschichte. Ihre Weltgeschichte besteht:

- aus ihrem umfassenden Inhalt; Sie behandeln sowohl Kirchen- wie Reichsgeschichte
- aus ihrer heilsgeschichtlichen Ausrichtung, die das irdische Geschen in den göttlichen Heilsplan einordnet
- der räumliche Horizont ist meistens durch fehlende Quellen begrenzt und er schmilzt zur Gegenwart des Autors hin immer mehr zusammen.

Wesentliche Ziele der Weltchronistik sind die lineare Zeitzählung und die Herausarbeitung zeitlicher Bezüge der Ereignisse und Regierungszeiten verschiedener Reiche.[5]

II. Hauptteil

1. Die Kaiserchronik als Geschichtswerk

Die Kaiserchronik erlangte recht früh durch ihre Veröffentlichung ihren Platz in der deutschen Literaturgeschichte. Sie wurde ferner von späteren Chronisten als Quelle benutzt und „ist damit ein Schlüsselwerk für die volkstümlichen Geschichtsvorstellungen seit dem 12. Jahrhundert geworden.“[6]

Die Germanisten fanden schnell den Stellenwert des Werkes in der Literatur, doch erst um 1820 erwachte das Interesse der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde an der Chronik. Allerdings zeigt eine Anmerkung am Ende eines geschichtswissenschaftlichen Berichtes den Standpunkt der Historiker gegenüber der Kaiserchronik: „Für die Geschichte dürfte diese Reimerei keine Ausbeute geben.“[7]

Als einer der ersten Historiker beschäftigte sich Wilhelm von Giesbrecht mit der Chronik und den darin erwähnten geschichtlichen Ereignissen.

Die Ausführungen Nöthers in seiner Dissertation gehen über das geschichtliche Interesse hinaus. „Die Kaiserchronik ist keine Sammlung unterhaltsamer Einzelgeschichten, die in ein chronikartiges Gerüst eingefügt sind, vielmehr entsprechen die jeweiligen Grundgedanken, nach denen die Dichter ihre Quellenstoffe gestaltet haben, durchaus der Kaiserchronik als ein Geschichtswerk.“[8]

Um die Frage zu klären, ob die Kaiserchronik als ein Geschichtswerk betrachtet werden kann, wie es z.B. Nöther in seinen Untersuchungen ausführt, muss der Aufbau der Kaiserchronik untersucht werden.

Der Aufbau der Kaiserchronik

Gegenstand und Rahmen der Kaiserchronik bildet das Reich: das römische, später (seit Karl dem Großen) das römisch-fränkische und römisch-deutsche. Die mit Sagen und Legenden durchsetzte Geschichte wird in der nicht durchweg korrekten historischen Abfolge von 36 römischen und 19 deutschen Kaisern - von Caesar bis zum Staufer Konrad III. - abgehandelt. Bei der Abhandlung treten „guote[n] unt ubele[n]“[9] Beispiele von Lebens- und Herrschaftsführung vor Augen, destillieren sich aus den historisch verbürgten historischen Ereignissen Normen für gegenwärtiges Tun heraus. So wird jedem Kaiser eine exemplarische Erzählung zugeordnet. Auf diesen Episoden, die sich in zahlreichen unterhaltsamen Legenden und Sagen verselbstständigen und auflösen (z.B. Faustinian und Sylvester je ca. 2800 V., Cresentia 1500 V.), beruht die enorme und dauerhafte Wirkung des Werks. Die historischen Fakten treten jedoch in den Hintergrund.[10]

Zum Abschluss jeder Erzählung wird scheinbar genau die Regierungszeit angegeben, die oft jedoch sehr willkürlich gewählt ist. Bei den 32 historisch existenten Kaisern stimmt nur in sechs Fällen die Regierungszeit mit den aufgeführten Daten überein; bei 12 Kaisern treten Abweichungen von einigen Monaten auf;[11] in 14 Fällen sind Differenzen bis zu 32 Jahren zu verzeichnen.[12]

Bis zu Trajan orientiert sich der Chronist an der historischen Reihenfolge, nimmt allerdings Einschübe von zwei fiktionalen Kaisern, Faustinian und Tarquinius, vor. Nach Trajan reduziert er die Herrscherzahl der Kaiser und erlaubt sich zeitliche Umstellungen der historischen Kaiser. Erst von Karl dem Großen an hält sich der Verfasser wieder an die historische Abfolge.[13]

Als geschichtstheologisches Fundament dienen tradierte Deutungsschemata wie die biblisch-danielische Vierreiche- und die augustinische Zweistaatenlehre, die Idee der translatio imperii und die Verfahren von Typologie und Analogie.

Der wahre Wert der Kaiserchronik liegt in dem heilgeschichtlich-moralischen Gerüst, welches die ganze Geschichtenfülle trägt. In „des almechtigen gotes minen“ ist das Buch gedichtet, um Weisheit, Ehre und Nutzen der Seele zu befördern, im Gegensatz zu den übermütigen Lügen, mit denen manch andere zu dieser Zeit ihre „scophelichen wort“ zusammenfügen. Die Wahrheit des Autors beruht in der Heldendichtung gegenüber der christlichen Sicht des Geschehens als Geschichte. Sie erzählt zwar Weltgeschichte, jedoch nach einem aktuellen Konzept des 12. Jahrhunderts, in dessen Mittelpunkt der Kaiser steht. „Geschichte besteht in der Kaiserchronik aus einer Abfolge von Kaiserherrschaften, die auf eine Erfüllung im christlich geprägten deutschen Kaisertum des Mittelalters hin ausgerichtet ist.“[14]

Somit haben die einzelnen „Herrscherbiographien“, die in chronologischer Folge aneinandergereiht wurden und demgemäß das Werk strukturieren, nach heutigem Verständnis, mit Lebensbeschreibungen und historischer Authentizität nur wenig zu tun; sie sind oftmals nur Anlass und Ausgangspunkt für Erzählungen, deren Stoffe dem Fundus römischer und lokaler Sagen- sowie christlicher Legendensammlungen entnommen sind.[15] Damit unterscheidet sich die Kaiserchronik grundlegend von der zeitgleichen lateinisch-gelehrten Historiographie. Dennoch ist die Kaiserchronik für den Historiker als Zeugnis mittelalterlicher Geschichtstheorie von Bedeutung.

Anhand der Betrachtung des Inhalts und des vermeintlichen Auftragsgebers erhält die Kaiserchronik ihren Stellenwert, nicht als Geschichtswerk, sondern als politisches Werk um den Herrschaftsanspruch der Staufer gegenüber dem Anspruch der Welfen zu legitimieren.

2. Die Legenden – Bausteine der Kaiserchronik

Wie festgestellt, stellt die Kaiserchronik den Versuch dar, die Geschichte des Reiches beginnend mit Caesar bis zu Konrad III. durch eine Sammlung der verschiedensten Überlieferungen des abendländischen Erzählstoffes aufzuzeigen.

Doch was beinhalten Legenden und wodurch begründen sie ihren Glaubensanspruch, so dass sie in einem Geschichtswerk wie der Kaiserchronik Erwähnung finden, mehr noch als Bausteine dienen?

Der Alltag und die Wissenschaft, insbesondere die Literaturwissenschaft, kennen verschiedene Bedeutungen für den Begriff der Legende. Die umgangssprachlich eher negative Verwendung, die Hervorhebung des Märchenhaften, des Unwahren einer Erzählung, begründet sich in Martin Luther, der im Zuge seiner Kritik am Heiligenkult der katholischen Kirche, das Lügenhafte der Legende hervorhob.[16] Begründet ist diese Deutung u.a. durch ihr Signum des Wunders.

Die christliche Legende, deren weiteste Verbreitung und Beliebtheit in der Entstehungszeit der Kaiserchronik liegt, ist eine Darstellung der Lebensgeschichte oder Passagen aus dem von Wundern geprägten Leben eines Märtyrers oder Heiligen, somit ist sie Sammelbecken antiker, weltliterarischer Erzählmotive. Theologisch ist dabei von Bedeutung, dass die Erzählung eine von Gott begnadete Person aufzeigt, die als historisch bezeugt gilt und mit einem exemplarischen Glauben an Gott, den Zuhörer oder Leser damit zu einem gottgefälligen Leben anregt.[17] Ziel einer echten Legende ist es, nicht nur den Beweis eines heiligen Lebens zu erbringen, sondern auch zu einer anbetenden Verehrung zu führen.[18] Bei den historischen Daten kommt es nicht auf die Vollständigkeit historischen Geschehens an, sondern auf die Gültigkeit des exemplum. Folglich werden aus der Vita eines Heiligen nur die Teile in die Legende aufgenommen, die der Ausführung am gehaltvollsten dienen.[19]

[...]


[1] http://www.humanist.de/zitate/mach.html.

[2] V. 15-22

[3] Siehe Wattenbach/ Schmale 1976. S. 232ff.

[4] Vgl. Debo 1877.

[5] Goetz 1993. S. 126ff.

[6] Wehrli 1984. S. 185.

[7] Eine Ansicht, die sich auch nach mehr als 150 Jahren kaum geändert hat.

[8] Nöther 1970. S. 293f.

[9] V. 20.

[10] Vgl. Vollmann-Profe 1986. S. 43f.

[11] Bei dem im folgenden zur Untersuchung herangezogenen Kaiser Julian handelt es sich ebenfalls um eine

Differenz von Monaten.

[12] Vgl. Ohly 1940. S. 17.

[13] Die Umstellung der historischen Kaiser sind laut Ohly bisher nicht erklärt.

[14] Grimm/ Max 1994. S. 64.

[15] Vgl. Wehrli 1997. S. 183.

[16] M. Luther nannte die Gattung Lügenden und prägte so das negative neuzeitliche Verständnis des Literatur-

Typs als unglaubwürdige Erzählung. Siehe: Kasper 1997. S. 743.

[17] Vgl. Ebd. S. 741.

[18] Vgl. Rosenfeld/ Hellmut 1982. S. 93.

[19] Vgl. Hug 1957. S. 153.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung Julians in der Kaiserchronik - Historie, Fiktionalität und Rhetorik
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Germanistik)
Note
1,4
Autor
Jahr
2002
Seiten
35
Katalognummer
V19595
ISBN (eBook)
9783638236751
Dateigröße
614 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Darstellung, Julians, Kaiserchronik, Historie, Fiktionalität, Rhetorik
Arbeit zitieren
Katrin Möller (Autor:in), 2002, Die Darstellung Julians in der Kaiserchronik - Historie, Fiktionalität und Rhetorik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19595

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