Leseprobe
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Anfänge politischer Geschlechtergleichstellung: Von der Mexikanischen Revolution bis zum vollen Wahlrecht für Frauen (1910 - 1953)
3. Die Entwicklungen der politisch-juristischen Gleichstellung der Geschlechter und ihre Promotoren nach 1953
3.1. Nationale und internationale Politik
3.2. Feministische Bewegungen und wissenschaftliche Diskurse
4. Frauen in der Politik ab 1953 - eine Bestandsaufnahme der Partizipation
4.1. Die Bundesebene
4.2. Die Regionalregierungen und Munizipien
5. Zusammenfassung und Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Titelbild1 ÄPartizipation“
Abbildung 1 Abgeordnete nach Legislatur und Geschlecht von 1952 bis 2012
Abbildung 2 Anteil von Senatorinnen im Senat von 1964 - 2012 in Prozent
Abbildung 3 Funktionäre der öffentlich föderalen Administration nach administrativer Einheit und Geschlecht, 2006 Liste der Institutionen nicht vollständig
Abbildung 4 Bundesstaaten mit höchstem und geringstem Anteil weiblicher Abgeordnete in der Landesregierung 16
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Traditioneller Weise ist die Kultur in Mexiko männerdominiert und wird durch das Patriarchat und den lateinamerikanischen Machismo bestimmt. Der Mann gilt als Patron und unangefochtener Herrscher der Familie. Zudem wird das Männliche in der mexikanischen Gesellschaft tendenziell überbetont: Der Mann wird zum Macho. Das äußert sich in seiner Dominanz gegenüber Frauen, der Betonung männlicher Potenz, sowie dem wagemutigen und teils aggressivem Auftreten von Männern.
Die Entstehungsgeschichte des Machismo lässt erahnen, warum sich das kulturelle Muster extremer Männlichkeit etablieren konnte und bis heute fortbesteht. So wird davon ausgegangen, dass die Übersiedlung von Spaniern während der Kolonialisierung einen neuen Typus von Mann schuf. Dieser war weiß, überlegen, mutig und nahm sich was er brauchte. Er unterwarf innerhalb kürzester Zeit eine ganze Kulturregion und wurde mit Männlichkeit assoziiert. Das Indianische wurde im Gegenzug mit Unterlegenheit, Passivität und Weiblichkeit verbunden. Die Theorie geht davon aus, dass der kontinuierliche Versuch der Abgrenzung der Mestizen von dieser Schwäche und Weiblichkeit bzw. von ihrer Ävergewaltigten“ Mutter und die Angst wie sie zu sein, die Hinwendung zum extrem Männlichen förderte und Kontinuität verlieht (vgl. Rünzler 1988). Weiblichkeit und eine dunkle Hautfarbe werden daher in Teilen der Gesellschaft bis heute mit Unterlegenheit2 assoziiert.
Im Verlauf der 40er und 50er Jahre vermischte sich der mexikanische Männlichkeitskult zudem mit dem entstehenden Nationalismus, wodurch ‚Mexikaner sein‘ gleichbedeutend mit ‚Macho‘ und ‚Patron‘ wurde (vgl. Zapata Galindo 2001: 241). Die Kombination von Staat, Nation, Maskulinität und Herrscher stellte lange Zeit für Frauen eine unüberwindbare Hürde dar, sich politisch einzubringen. Das Politische gehörte ganz klar in die männliche Hemi- sphäre und eine Beteiligung von Frauen in Konferenzen und bei Entscheidungsprozessen war undenkbar. Frauen konnten in dieser Gesellschaft nur über die Rolle der keuschen Jungfrau oder fürsorglichen und gehorsamen Mutter bzw. Ehegattin zu sozialem Ansehen gelangen.
Auf der anderen Seite hat sich seit der Mexikanischen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts viel bewegt. Feministinnen und soziale Bewegungen haben aktiv um die Promotion von Frauenrechten, die Gleichstellung der Geschlechter und die Beteiligung von Frauen am gesellschaftlichen Leben geworben.
Der Gegensatz der dominanten, männlichen Kultur einerseits und der erstarkenden Frauen- bewegung andererseits lässt den ÄKampf“ um Gleichberechtigung zu einem besonderen Spannungsfeld gesellschaftlicher Interessen werden. In dieser Arbeit soll daher nicht nur das Ergebnis des Kampfes um Anerkennung betrachtet werden, sondern auch der Prozess an sich. Es soll der schrittweisen Geschlechtergleichstellung nachgespürt werden. Der Fokus wird dabei auf dem politischen Raum liegen. Da die Politik als traditionell (rein-) männliche Sphäre die Widerstände, Kämpfe und Versuche um Anerkennung sehr stark wiederspiegelt. Zentrale Fragen werden sein: Wo steht die Gleichberechtigung und politische Partizipation von Frauen heute? Wie viel Wandel hat tatsächlich stattgefunden? Denn, soviel sei schon mal vorweggenommen, eine paritäre, politische Partizipation und eine absolute Gleichstellung der Geschlechter ist in Mexiko nicht erreicht.
Zunächst werden die Anfänge der politischen Geschlechtergleichstellung dargestellt. Der Rückblick reicht dabei von den ersten Forderungen nach Gleichstellung bis zur Erlangung des vollen Wahlrechts. In den beiden folgenden Kapiteln wird die Zeitspanne, der letzten 60 Jahre - vom Wahlrecht bis heute - betrachtet. Im dritten Kapitel steht zunächst die Entwick- lung der politisch-juristischen Gleichstellung im Vordergrund. Betrachtet werden hierbei ihre Veränderungen und Promotoren im Bereich der nationalen und internationalen Politik, der Frauenbewegung und Wissenschaft. Im vierten Kapitel geht es vorrangig um die Bestands- aufnahme der politischen Partizipation von Frauen auf Bundes-, Regional- und Kommunal- ebene. In allen Kapiteln werden unterdessen Förderungsfaktoren und/oder Hindernisse der politischen Partizipation von Frauen thematisiert. Diese sollen im Abschluss zusammenge- fasst und der aktuelle Stand der politischen Gleichberechtigung reflektiert werden. Was wurde bereits erreicht und wo liegen die größten Hindernisse für eine paritäre Partizipation und politische Gleichberechtigung?
2. Die Anfänge politischer Geschlechtergleichstellung: Von der Mexikanischen Revolution bis zum vollen Wahlrecht für Frauen (1910 - 1953)
Die Forderung nach der Anerkennung der weiblichen Bürgerschaft und einem Frauenwahl- recht wurde erstmals während der Französischen Revolution formuliert. In Mexiko sollte es rund ein weiteres Jahrhundert dauern bis dementsprechende Forderungen3 auftauchten. Ähnlich dem Französischen Vorbild fand die Idee ihren Ausgangspunkt in einer Zeit gesell- schaftlicher Umbrüche. So erstarkten feministische Vorstellungen während und bereits im Vorfeld der Mexikanischen Revolution (1910 - 1921), welche der jahrzehntelangen Diktatur von Porfirio Diaz ein Ende setzte und mit der Verfassung von 1917 den Grundstein für die Demokratie4 im Land legte. Doch obgleich zahlreiche Frauen an der Revolution mitwirkten, war die Geschlechtergleichberechtigung kein zentrales Ziel der Kämpfe. Unangefochten blieb die wichtigste Forderung der Revolution: ÄTierra y Libertad“, der Ruf nach Landreformen und Freiheit.
Im Vorfeld der Festschreibung einer demokratischen Verfassung fand in Yukatan 1916 ein erster feministischer Kongress statt. Zu diesem kamen Frauen aus allen sozioökonomischen Schichten, um die Position der Frau in der neuen Gesellschaft zu diskutieren und die Anerkennung ihrer Rechte zu fordern (vgl. Álvarez de Lara 2011). Der Vorschlag auf ein Frauenwahlrecht wurde jedoch von der verfassungsgebenden Versammlung abgelehnt. Begründet wurde dies mit der Erklärung, dass weibliche Aktivitäten stets an Haushalt und Familie gebunden waren und Frauen daher kein politisches Bewusstsein entwickelt hätten. Weiterhin wurde angegeben, dass keine Notwendigkeit zur Partizipation von Frauen bestände, wie sich aus dem Fehlen kollektiver Frauenbewegungen beweise.
So versah die Konstitution von 1917 Frauen zwar mit (einigen) individuellen und ökonomi- schen Rechten, aber verwehrte ihnen - im Gegensatz zum Mann - die volle Staatsbürger- schaft.
Ein Blick auf den Ablehnungsbescheid des Kongresses offenbart drei zentrale Aspekte, die eine politische Partizipation von Frauen in der unmittelbaren Zeit nach der Revolution verhinderten. So wurde in der Erklärung zum einen auf traditionelle Rollenmuster verwiesen, wonach der politische Raum der männlichen Hemisphäre zugeordnet sei. Desweiteren wur- den Frauen als (geistig) unterlegen dargestellt, da sie kein politisches Bewusstsein entwi- ckelt hätten. Zuletzt wurden ihre Leistungen während der Revolution, sei es im militärischen Bereich oder in der Unterstützung durch Pflege, verkannt. Auch die ersten feministischen Strömungen wurden nicht als politische Zusammenschlüsse von Frauen gewürdigt, sondern lediglich geduldet. Diese drei Aspekte sind eng in Verbindung mit der patriarchalisch- machistisch geprägten Politik- und Gesellschaftsstruktur in Mexiko zu sehen, welche die Maskulinität und Loyalität unter Männern betont. Wenngleich das traditionelle Frauenbild während der Mexikanischen Revolution kurzzeitig um mutige und geschickte Heldinnen5 erweitert wurde, führte die Partizipation in den Kämpfen zu keinem grundlegenden Aufbruch des traditionellen Rollenverständnisses (vgl. Campos 2010). Die Betonung des Männlichen erwies sich als das dominantere, kulturelle Modell der Lebensgestaltung.
Erst im Oktober des Jahres 1953 wurde das aktive und passive Stimmrecht für Frauen auf föderaler Ebene verfassungsrechtlich verankert. Diesem war 1947 ein eingeschränktes Wahlrecht vorausgegangen, mit welchem Frauen versuchsweise auf Ebene der Munizipien ausgestattet wurden (vgl. Fernández Poncela 1996).
Álvarez de Lara führt die Veränderung des Wahlrechts auf den Druck und das Einwirken von internationalen Deklarationen, Verträgen, Konventionen etc. zurück (vgl. 2001). Allerdings war Mexiko bis in die 50er Jahre hinein noch nicht in internationale Konventionen zur Stärkung der Frauenrechte involviert, zumal die meisten erst später verabschiedet wurden. Wahrscheinlicher ist es, dass die interne Frauenbewegung in Mexiko den Wandel bewegte. Nach der Revolution formierten sich Frauenrechtlerinnen zunehmend und gründeten teils Institutionen. So fanden zahlreiche feministische Kongresse statt, es wurden Organisationen6 zur Förderung weiblicher Interessen gegründet und Kampagnen mit der Forderung nach dem Frauenwahlrecht gestartet. Der Einfluss der feministischen Bewegung und ihre Lobby- arbeit darf in Hinblick auf die Erlangung des vollen Wahlrechtes nicht unterschätzt werden.
3. Die Entwicklungen der politisch-juristischen Gleichstellung der Geschlechter und ihre Promotoren nach 1953
Im Folgenden soll die Entwicklung der politisch-juristischen Geschlechtergleichstellung mit Blick auf ihre Förderfaktoren aufgezeigt werden. Zunächst wird dabei der Bereich der institutionell-formellen Politik betrachtet und anschließend der Nichtregierungssektor.
3.1. Nationale und internationale Politik
Nach der Eroberung der ersten Sitze im Parlament und im Senat kam es ab Mitte der 70er Jahre zu einem beschleunigten Reformkurs der Geschlechtergleichstellung. Ein wesentlicher Grund dürfte hierfür in der gewachsenen Anzahl von Politikerinnen innerhalb der Parteien zu finden sein (vgl. INMUJERES 2010). Aber auch die Tatsache, dass 1975 eine Weltfrauen- konferenz in Mexiko-Stadt tagte, mag die Entwicklungen begünstigt haben. Im Anschluss an die Konferenz riefen die Vereinten Nationen (UN) zudem das Jahrzehnt der Frau aus.
Im Vorfeld der Weltfrauenkonferenz wurde zum Jahreswechsel 1974/75 der Artikel 4 der mexikanischen Verfassung reformiert und die juristische Gleichstellung von Mann und Frau und somit die Aufnahme der weiblichen Staatsbürgerschaft, der ciudadanía femenina, festgeschrieben (vgl. Gómez Maganda 2009; Álvarez de Lara 2011).
Die im Jahr 1979 aufgestellte UN-Konvention über die Eliminierung aller Formen von Diskriminierung gegen die Frau (CEDAW), ratifizierte Mexiko im Jahre 1981 (vgl. Vereinte Nationen 2012a) und verpflichtete sich somit erstmals in einem international-bindenden Rahmen7 der Gleichstellung der Geschlechter.
Im Jahr 1980 folgte eine zweite Weltfrauenkonferenz in Kopenhagen, welche die Auswirkun- gen von politischen Entscheidungen auf die soziale und ökonomische Situation von Frauen betonte. Im selben Jahr startete in Mexiko das erste einer Reihe von nationalen Programmen zur Integration der Frau in die gesellschaftliche Entwicklung, das Programa Nacional de Integración de la Mujer al Desarrollo. Das Programm sah verschiedene Aktionen und Initiati- ven zur Verbesserung der lebensweltlichen Bedingungen für Frauen vor (vgl. INMUJERES 2010). Ein Jahr später ratifizierte Mexiko das UN-Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau, welches bereits seit 1954 bestand (vgl. CODHEM 1997).
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1 Online unter: http://www.juntadeandalucia.es/salud/servicios/contenidos/nuevaaetsa/up/ciudadania_.jpg (22.04.2012).
2 Die hohen Zahlen der jährlichen Gewaltverbrechen und Feminizide gegen Frauen bezeugen dies. So sollen es allein 2011 nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes Mexiko (INEGI) über 1800 Feminizide gewesen sein (vgl. ONU Mujeres et. al. 2011: 52).
3 Laureana Wright publizierte Forderungen nach der Geschlechtergleichheit und einem Frauenwahlrecht wiederholt zwischen 1884 bis 1887 in der Zeitschrift Violetas de Anáhuac (vgl. Fernández Poncela 1996).
4 Real betrachtet regierte von den 30er Jahren bis 2000 nur eine Partei, die Partido Revolucionario Institucional (PRI) und erst mit dem Wahlsieg der Partido de Acción Nacional (PAN) im Jahr 2000 wurde die Einparteienherrschaft der PRI beendet und das Mehrparteiensystem setzte sich durch. Dennoch bestand pro forma eine Demokratie, in welcher Männern bereits ab 1917 das Wahlrecht zustand.
5 Corridos, Liedern der Mexikanischen Revolution, geben Zeugnis von dem Heldentum von Frauen. Eine der berühmtesten Heldinnen ist bis heute Adelita, welche im gleichnamigen Corrido ÄLa Adelita“ besungen wird.
6 Im Jahr 1935 wurde El Frente Unico Pro Derechos de la Mujer gegründet, im Jahr 1940 folgten die Alianza Nacional Femenina und das Comité Nacional Femenino (vgl. Fernández Poncela 1996).
7 Mexiko wurde als erster Staat in Bezug auf die Brechung der Konvention (CEDEW) zum besseren Schutz der Frauen vor Gewalt verurteilt. Anlass waren die Morde an Frauen rund um Ciudad Juarez und der bekannt gewordene Fall des Campo Algodonero.