Ein kleines Fußball Vademecum


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2012

20 Seiten


Leseprobe


Fußball Kultur

Diese Studie betrachtet Fußball unter wirtschaftlichem, sozialem und strategisch-taktischem Gesichtspunkt. Fußball als globales Management Phänomen wird in einen globalen interkulturellen Managementrahmen eingebettet.

Fußball unter wirtschaftlichem/politischen Blickwinkel

Der Fußball hat sich im Zuge der Globalisierung weit von seiner ursprünglichen Intention und Zweck einer sozial vernünftig, verträglich und förderlichen geistig und körperlich erbaulichen Freizeitgestaltung hin zu global operierenden Konzernen entwickelt, die in transnationalen Organisationen wie UEFA und Fifa supranational zusammengefasst sind, um ihre globalen Wirtschafts-, Finanz- und kollektiven ethnischen-kulturellen Identifikationsbedürfnisse und Bestrebungen zu fördern.

Clubs und ihre Humanressourcen (Spieler, Trainer und Manager…) werden gleich kostbaren Ressourcen weltweit gesucht und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit - begleitet von gigantischen Transfers von Oligarchen und Milliardären - als strategische Investition erworben. In dieser Hinsicht kommen die Spitzenvereine metanationalen und transnationalen Organisationen, ja sogar kleinen Staaten, mit ihren vielfach noch parochial-ethnozentrischen und nationalistischen wirtschaftlichen Interessen gleich. Der strategische Wettbewerbsvorteil besteht in der weltweiten Prospektion innovativer Ressourcen (Talente) und der Geschwindigkeit mit der sie monetarisiert werden können. Das altrömische Panem et Ludos zur Befriedung und Inschachhaltung der Massen hat sich um die nationalkulturelle und eine finanz- und konkurrenzintensive Logik global operierender Konzerne oder Top-Clubs erweitert und dementsprechende Politisierungszüge angenommen, die auf eine Erweiterung des Diktums

Die Politik ist die Fortführung des Krieges mit anderen Mittel

um die zeitgenössische Vollendung dieses Diktums durch

Der Fußball ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln

schließen lassen. Soviel lässt sich den derzeitigen nationalkulturellen Reaktionen der diversen teilnehmenden Gesellschaftskulturen an der EURO entnehmen. Die nationale Wirtschaftspolitik im Kontext der EU wird auf die Ebene der EURO im Sinne der Europameisterschaft übertragen. „Bringt uns Merkel!“ hallt es vor dem Spiel Deutschland-Griechenland diesen Freitag im Juni von den Medien Südosteuropas herüber. Bringt uns Merkel, damit wir uns für die Aufoktroyierung harter Sparmaßnahmen rächen können. Es erinnerte mich sofort an die Geschichte des Herodes, der seiner Tochter dermaßen zugeneigt war, dass er ihr jeden Wunsch zu erfüllen versprach. Und diese verlangte, nach Absprache mit ihrer Mutter, den Kopf Johannes’ des Täufers, den ihr ihr Vater auf der Grundlage seines Versprechen – auf einem Tablett – darbieten ließ. Dies ist eine biblische, mutmaßlich reale historische Begebenheit, die gewissermaßen metaphorisch im Eurokontext, 2000 Jahre später, inszeniert wird. Sie wollen jene Person und Nation auf der sportlichen Ebene kompensatorisch für die vermeintliche politische und soziökonomische Demütigung in Zusammenhang mit der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik erniedrigen und den sportlichen Sieg über die Protagonisten dieser Politik gewissermaßen als Trophäe auf einem ins Pseudosportliche verlagerten Schlachtfeld als Genugtuung für erlittene Schmach und zum Zweck der Heimzahlung derselben und der Rache dafür haben. Aus Portugal hörte man vor einigen Tagen dieselben Töne mit dem Tenor einer Revanche in der Sportsarena für als solche wahrgenommene Niederlagen in der Arena der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Rettung des EURO. Was die Einstellung der strategischen Akteure anbelangt, so fällt auf, das die Spitzenvereine bereits, gleich transnationalen Unternehmen, polyzentrische (auslandsorientierte) Einstellungen, ja sogar geozentrische (weltorientierte) Einstellungen, im Zuge des globalen Wettbewerbs erworben haben, während der nationalkulturelle Kontext, in dem sie operieren, immer noch ethnozentrisch (inlandsorientiert) denkt. Aus diesem Antagonismus der aus den widersprüchlichen und unvereinbaren Einstellungen der maßgeblichen Akteure entsteht, resultiert ein Kulturkonflikt, der beispielsweise das Phänomen der Ersatzschlachtfelder erzeugt. Die Professionellen des Sports bedienen zwar immer noch ethnozentrische Interessen, haben sich aber markt- und wettbewerbsbedingt längst in die polyzentrische und geozentrische Phase weiterentwickelt.

Wenn man insbesondere den Fußball mit einem politischen Empowerment ausstattet, das durch die Präsenz von Staatsmännern auf den Tribünen unterstrichen wird, so sollte man dies transparent und konsequent tun; im Bewusstsein, dass in den globalen Sportarenen immer noch kompensatorische Wettkämpfe für nationale, über die Jahrhunderte ins Unterbewusstsein eingebrannte interkulturelle Kämpfe, ausgetragen werden. Sie stellen ein Ventil und, sofern rational-emotional gesteuert, einen den natürlichen Identifikationsbedarf befriedigenden Prozess dar. Die EURO kann, über das Johannes des Täufers Syndrom hinaus, daher auch Animositäten im Bereich des EURO nicht nur schüren, sondern diese auch ventilieren und relativ destruktionsfrei, von Hooliganismus abgesehen, kanalisieren.

Zur Ausstattung des Fußballsports mit gesellschaftskulturellem und politischem Empowerment, dessen symbolträchtige sphärische Kugel ebenso die Einheit der Welt, wie mit seinem gescheckten Leder auch die globalen nationalen Antagonismen symbolisiert, würde auch ein nahtloseres und ausgewogeneres historisches Bewusstsein in dem Sinne gehören, dass - so man in Osteuropa als legitimierte Vertreter der Nation und als Botschafter auftritt - die Manager und einige Stars nicht nur symbolisch ein ehemaliges KZ in Polen besuchen und gleich Diplomaten der Opfer eines exzessiven deutschen Nationalismus gedenken, den sie missions- und funktionsgemäß, homöopathisch dosiert, in die globale Gegenwart hinein- und hinübertragen, sondern dass man auch eine angemessene Form des Gedenkens an den Klimax des militärischen Nationalismus findet, der sich in diesem Teil der Welt auf deutschnationales Geheiß zugetragen hat:

In Wolgograd, ehemals Stalingrad, unweit von den Austragungsorten der EURO in der Ukraine wurden - es sagt sich so leicht, das Unaussprechliche - einige Hunderttausend Menschen, Soldaten und Zivilisten, insbesondere in Zusammenhang mit der Vernichtung der 6. deutschen Armee unter General und Feldmarschall Paulus im Kessel der besagten Stadt vernichtet, darunter an die 300 000 deutsche Soldaten. Die Wolga und der Boden der ganzen Region im Umkreis ist von menschlichem, auf der Basis des Nationalismus vergossenen Blutes getränkt, auf dem eine Folgegeneration, genau im selben Alter und gemäßigterer nationaler Motivation, historisch-kulturell verdrängend und blind einem Lederball hinterherläuft und Millionen weltweit hier, wie dort und global, ebenso mit einem gefährlichen historischen Kurzzeitgedächtnis nach dem Panem et Ludos Prinzip der damals wie heute manipulierbaren und manipulierten Massen, jubeln.

Soweit die globalisierte, politisierte Hochfinanzversion dessen, was einst körperlich-geistig-gesellschaftliche Erbauung, Ertüchtigung und Veredelung menschlicher kultureller Tugenden war, wo zwei mal elf Multimillionäre ein Match bestreiten, während ein Teil der Welt, in dem sich die Austragungsorte befinden, vor Blut und Korruption trieft und möglicherweise eine post-Tschernobyl Strahlenbelastung besteht und während in diesen 90 Minuten zahllose Menschen, insbesondere Kinder, weltweit sterben, während andere ihr Volk in Bürgerkriegen morden, was aufgrund des weltweit herrschenden Spektakels in die zweite Linie der Aufmerksamkeit der globalen Medien und Menschheitsinteressen gerückt wird. Man ist gewiss kein Spielverderber, wenn man erkennt, dass viele dieser globalen Missstände gewendet werden könnten, wenn man die Ressourcen und die Aufmerksamkeit, die man dem Fußball widmet, gleichermaßen dem Erdball widmen würden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ein kleines Fußball Vademecum
Autor
Jahr
2012
Seiten
20
Katalognummer
V196277
ISBN (eBook)
9783656223634
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fußball Management, interkulturelles Sportmanagement, kulturelle Strategie/Taktik/Stil, UEFA/FIFA/CL/EL/EURO, Champions League, European League, Olympics/IOC
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2012, Ein kleines Fußball Vademecum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196277

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