Essstörungen im Sport

Körperkult - Schlankheitswahn - Anorexia athletica


Examensarbeit, 2011

114 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Schlankheitsideal aus historischer und aktueller Sicht
2.1 Das weibliche Körperbild in den verschiedenen Epochen
2.2 Wandel der medizinischen Maßstäbe
2.3 Wandel des Idealbildes
2.4 ´90-60-90´ – Pathologie der ´Idealmaße´

3. Schönheitskult und Schlankheitswahn
3.1 Der Körper als Statussymbol
3.1.1 ´Dünnsein´ als Schlüssel zum Erfolg
3.1.2 ´Dicksein´ als sozialer Makel
3.1.3 Kulturkomparatistische Perspektiven: Andere Völker – andere Sitten
3.1.4 Der besondere Druck für das weibliche Geschlecht
3.2 Körperbild und Attraktivität
3.2.1 Die wachsende Bedeutung von Attraktivität in Industriegesellschaften
3.2.2 Exemplarisches Statement: Ansichten einer ´öffentlichen Person´
3.3 Unsere Konsumkultur – Die Bedeutung der kommerziellen Zwänge
3.4 Der Stellenwert von Sport und Fitness in unserer Gesellschaft
3.5 Models – ´Vorbilder ohne Maß´
3.6 Frauenzeitschriften – Das Bild der Frau
3.6.1 Die ´falsche Realität´ in den Zeitschriften
3.6.2 Das Thema ´Abnehmen´ als Kassenschlager
3.6.3 Ideal und Realität – das Dilemma der Selbstakzeptanz
3.6.4 Stars und ihr Kampf um die Traumfigur

4. Diäten als ´Einstiegsdroge´
4.1 Verbreitung von Diäten
4.2 Die Diätfalle – Im Teufelskreis der Abmagerungskuren
4.3 Ein Experiment zu Auswirkungen auf das Ernährungsverhalten
4.4 Körperliche Risiken bei Diäten

5. Essstörungen – Ein allgemeiner Überblick über Anorexie und Bulimie
5.1 Anorexia nervosa (Magersucht)
5.1.1 Entwicklungsgeschichte
5.1.2 Bezeichnung und Definition
5.1.3 Diagnosekriterien
5.1.4 Körperschemastörung und Körpergefühl
5.1.5 Krankheitsbedingte Folgeerscheinungen
5.1.6 Magersüchtige und ihre Beziehung zum Essen
5.1.7 Häufigkeit und Verbreitung: Die Pubertät als kritische Zeit
5.1.8 Heilungschancen
5.1.9 Sterblichkeitsrate
5.2 Die Thematisierung von Essstörungen in der Öffentlichkeit
5.2.1 Provokation – der richtige Weg zur Aufklärung?
5.2.2 Untergewicht – verbreitet wie verharmlost
5.3 Bulimia nervosa (Ess-Brechsucht)
5.3.1 Entwicklungsgeschichte
5.3.2 Bezeichnung und Definition
5.3.3 Diagnosekriterien
5.3.4 Krankheitsbedingte Folgeerscheinungen
5.3.5 Ess-Brech-Süchtige und ihre Beziehung zum Essen
5.3.6 Häufigkeit und Verbreitung
5.3.7 Heilungschancen
5.4 Ein gestörtes Essverhalten

6. Gesellschaftlich bedingte Einflussfaktoren auf Essstörungen
6.1 Das Körperideal unserer Gesellschaft
6.2 Die Wirksamkeit der Medien
6.3 Die Frau im Rollen-Spagat
6.4 Essstörungen als Lifestyle: Die Pro-Ana-Szene

7. Eine sportbezogene Essstörung: Die Anorexia athletica
7.1 Untersuchungen (zwischen Sportlern und Nicht-Sportlern)
7.2 Bezeichnung und Definition der Anorexia athletica
7.3 Unterschiede zur Anorexia nervosa
7.4 Zusammenhänge zwischen Essstörungen und Sport
7.5 Übergang von exzessivem Sporttreiben zur Anorexia nervosa
7.6 Gemeinsamkeiten mit der Anorexia nervosa
7.7 Symptomatik bei der Anorexia athletica
7.7.1 Erste körperliche Veränderungen
7.7.2 Verhaltensauffälligkeiten und -veränderungen
7.8 Sportförderung im Jugendalter
7.8.1 Körperliche Entwicklung und Leistungssport
7.8.2 Belastungen für die psychische Gesundheit von Leistungssportlern
7.9 Der Stellenwert einer ausgewogenen Ernährung im Sport
7.9.1 Bedeutung und Konsequenzen einer Mangelernährung für Sportler
7.9.2 Ein gesundes Verhältnis zwischen Belastung und Energiebedarf
7.10 Körperliche Komplikationen und mögliche Folgeschäden
7.10.1 Auswirkungen auf den Hormonhaushalt
7.10.2 Auswirkungen auf die Menstruation
7.10.3 Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel (mit Fallbeispiel)
7.11 Prävention einer Anorexia athletica

8. Entstehungsfaktoren einer Anorexia athletica
8.1 Anforderungsprofile im Hochleistungssport
8.2 Gewichtsreduktion als sportartspezifische Notwendigkeit
8.3 Prävalenz der Essstörungen in den ästhetischen Sportarten
8.4 Die Rolle des Trainers (mit Fallbeispielen)
8.5 Die überzogene Kultivierung des Schlankheitsideals im Sport
8.6 Druckaufbau seitens der Medien

9. Thematisierung von Anorexia athletica in der Öffentlichkeit
9.1 Problematisierung eines heiklen Themas im Leistungssport
9.2 Änderungen der Wettkampfbedingungen als Vorbeugung?

10. Schlussbetrachtung: Der leichtfertige Umgang mit einer ernst zu nehmenden Bedrohung

Quellenverzeichnis

Zeitschriften:

Internetseiten:

Abbildungsverzeichnis:

Tabellenverzeichnis:

Anhang:

1. Einleitung

Zu keiner Zeit stand körperliche Attraktivität wohl im Mittelpunkt der Medien wie heute (Stahr 2000, S. 82). Und tatsächlich ordnen sich heute in erschreckenden Dimensionen Frauen – jeden Alters – einem Schönheitsideal unter, das unter ´normalen´ und gesunden Umständen nur selten zu erreichen ist. Bette (1993, S. 41) zufolge scheint der Körper „ ... als beobachtbare Größe ... die Instanz zu sein, um die eigene Individualität zu markieren und sozial wirkungsvoll vorzuführen“. Der menschliche Körper als Symbol für Ansehen und Attraktivität – eine solche Haltung äußert sich beim weiblichen Geschlecht mehr und mehr in den Essstörungen Anorexie und Bulimie (Waldrich 2004, S. 63), denn vor allem Frauen sehen sich dem Diktat des Schlankheitsideals unserer heutigen Gesellschaft untergeordnet. Mit dem folgenden Zitat von Marya Hornbacher (2003, S. 18) scheint sich der enorme Einfluss der Industriegesellschaften auf Essstörungen zu bestätigen:

„Auch mir standen andere Methoden der Selbstzerstörung zur Verfügung, unzählige Ventile, die ich für meinen Perfektionismus, meinen Ehrgeiz, meine übertriebene Intensität hätte suchen können. Es hätte unzählige andere Möglichkeiten gegeben, mich mit der von mir als höchst problematisch empfundenen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Aber ich wählte die Essstörung. Deshalb glaube ich, dass ich mir andere Mittel gesucht hätte, um von der Gesellschaft anerkannt zu werden, wenn ich in einer Gesellschaft aufgewachsen wäre, die Schlankheit nicht zu einem hohen Gut erklärt.“

Hierzulande bestimmen, im Gegensatz zu den Jahrzehnten davor, Körper und Aussehen das Lebensgefühl (Seyfahrt 2000, S. 17) – der Markt hat die Oberhand über unser Essverhalten gewonnen. Ein schlanker und fitter Frauenkörper verspricht nach allgemeiner Ansicht Erfolg, so dass frau dem Schönheitsideal um jeden Preis entsprechen will (Waldrich 2004, S. 63). Die Autoren Stahr et al. interpretieren die Entwicklung der ´Modellierung´ folgendermaßen:

„Frauen [haben] im Laufe der Geschichte in immer perfekterer Weise gelernt, diese zu Stereotypen herangereiften Bilder einer idealen Weiblichkeit zu verinnerlichen und ihren Körper dementsprechend zu modellieren. … Die Bildung ihrer Identität richtet sich nach ihrer Wirkung nach außen und spiegelt sich in ihrer körperlichen Modellierung“ (ebd. 1998, S. 17).

Der gesellschaftliche Zwang treibt manch schwangere prominente Frau sogar dazu, ihr Kind im achten Monat per Kaiserschnitt holen zu lassen, um einer zu großen Ausdehnung der Bauchdecke in den letzten Schwangerschaftswochen zu entgehen (Orbach 2003, S. 73). Wo liegen die Wurzeln des Verlangens, schlank sein zu wollen und sich nur auf diese Weise attraktiv zu finden? Ist es hauptsächlich der Einfluss von Bildern in den Medien, der dazu beiträgt, dass Frauen sich minderwertig fühlen und einen Kampf gegen den eigenen Körper führen?

Die Problematik von Essstörungen hat mich zum einen immer schon interessiert und beschäftigt, andererseits wurde ich auch im eigenen Familienkreis damit konfrontiert. Als mir im 5. Semester im Seminar ´Sportbiologie´ das Thema ´Female Athlete Triad´ zugeteilt wurde, erhielt ich zudem Einblick in die Zusammenhänge von Sport und Essstörungen, was für mich insbesondere als angehende Sportlehrerin interessant ist. Während ich beschloss, meine Zulassungsarbeit dieser Thematik zu widmen, kristallisierte sich zusätzlich die Brisanz des Schlankheitswahns als übergeordneter Gesichtspunkt heraus.

Das Anliegen dieser Arbeit ist es, den heutigen Schlankheitswahn darzustellen, sowie aufzuzeigen, welche Faktoren Einfluss auf Frauen nehmen, die zum Hungern oder zum Erbrechen führen, weiterhin, die Essstörungen Anorexia und Bulimia nervosa unter dem Blickwinkel soziokultureller Einflüsse zu beleuchten, um schließlich auf die umstrittene Anorexia athletica einzugehen.

Problemaufriss und Fragestellung

1. In welche Richtung hat sich das Idealbild der Frau in den letzten Jahrzehnten gewandelt und inwieweit hat der Körperkult an Bedeutung gewonnen?
2. Welche Einflüsse ergeben sich einerseits aus derartigen Entwicklungen für eine Häufung der Essstörungen Anorexie und Bulimie und welche weiteren Faktoren tragen andererseits für steigende Zahlen der Erkrankungen bei?
3. Inwieweit besteht ein Zusammenhang zwischen Essstörungen und Sport und inwiefern unterscheidet sich eine Anorexia athletica von einer Anorexia nervosa?[1]

2. Das Schlankheitsideal aus historischer und aktueller Sicht

2.1 Das weibliche Körperbild in den verschiedenen Epochen

Nach Habermas (2000, S. 15) wurde in den vergangenen Jahrhunderten das dominierende Schönheitsideal überwiegend von den oberen sozialen Schichten bestimmt, heute dagegen sind Modetrends maßgeblich. Doch wie damals betrifft auch heute noch der gesellschaftliche Druck des Schönheits- und Schlankheitsideals hauptsächlich die Frauen. Der folgende Abschnitt soll einen groben Überblick über die Veränderungen des femininen Körperbildes in den letzten Jahrhunderten geben, um Kontraste zur heutigen Zeit aufzuzeigen und um dazu anzuregen, den vorherrschenden Körperkult kritisch zu betrachten.

Schon im Mittelalter (750-1500) existierten Idealvorstellungen vom Körper in Form des ´Fastenwunders´. Hungerkünstler waren eine Attraktion auf Märkten und Festen, die Besucher zahlten Geld, um diese ´Schausteller´ zu sehen. Ähnlich verhielt es sich mit den Wundermädchen, deren Eltern oftmals vorgaben, dass ihre Tochter seit geraumer Zeit ohne Nahrung auskäme (Vandereycken et al. 2003, S. 76). Zu Beginn der Neuzeit wandelte sich das Ideal mehr hin zu weiblicheren Rundungen. Üppigere Formen galten schließlich in der Renaissance (1470-1600) und im Barock (1600-1720) sogar als ein Statussymbol der oberen Gesellschaftsschichten, weil damit der Überfluss an Nahrung assoziiert wurde. Zudem standen derartige Körperproportionen für Fruchtbarkeit und den damalig hohen Stellenwert der Mutterschaft. Der galante höfische Stil in der Zeit des Rokoko (1710-1730) hatte hingegen zur Folge, dass sich das weibliche Schönheitsideal durch ein schlankes, zierliches Körperbild auszeichnete. Das für diese Epoche bekannte Korsett sollte ursprünglich als medizinisches Hilfsmittel für eine gerade Haltung sorgen, gleichzeitig wurde damit aber auch das Essverhalten gezügelt. Zuletzt war das Korsett nur noch ein Behelf zur Mäßigung und Modellierung des Körpers. Mit Beginn des Bürgertums (1815-1848) lagen allerdings wieder ein üppiger Busen und breite Hüften im Trend, da wiederholt eine zu symbolisierende Mutterschaft im Vordergrund stand (Stahr et al. 1998, S. 15 f.).

Waldrich behauptet, dass „die anspruchsvollsten Forderungen jedoch ... die Mode des 20. Jahrhunderts an uns [stellte]“ (Waldrich 2004, S. 122). Sie veranschaulicht treffend mit dem folgenden Zitat, welch kurzweiligen und kontroversen Körperidealen die Frau im 20. Jahrhundert immer wieder unterworfen war:

„Für die mädchenhafte Flachbrüstigkeit der 20er Jahre banden sich die Frauen den Busen ein, in den 40ern eiferten sie den Kurven der Monroe nach, hungerten sich in den 60ern in knabenhafte Twiggy-Figuren und trainierten sich im Fitness-Boom der 70er und 80er die geforderten Muskeln an. In den 90ern schließlich verherrlichen die Medien ein ideal, wie es von schlaksigen Models wie Kate Moss verkörpert wird, deren Proportionen (Größe 36 bei über 1,72m) für die Mehrzahl der Frauen einfach unerreichbar sind“ (ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.1: Die Entwicklung der Körperideale innerhalb von 50 Jahren (Life&Style 30/2010, S. 20-21)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.2: Marilyn Monroe Abb. 2.3: Twiggy

(http://1.bp.blogspot.com) (http://static.cosmiq.de/data/de)

In den 50ern war die Figur einer Marilyn Monroe in Mode, in den 70ern das ´Klappergestell´ einer Twiggy. Beide Ikonen hatten enormen Einfluss auf die allgemeinen Vorstellungen von Schönheit: „Die eine kurvenreich, verführerisch und lustbetont und die andere alle Kurven verbergend mit eingefallenen Wangen und großen Augen irgendwo ins Leere schauend“ (Ehle 1992, S. 48).

2.2 Wandel der medizinischen Maßstäbe

Auf den Schlankheitswahn hin war auch ein Wandel der medizinischen Richtlinien, „welches Körpergewicht im Verhältnis zur Körpergröße als gesundheitsförderlich zu betrachten ist“ (Ehle 1992, S. 48), beobachtbar. 1882 lautete die Definition des Normalgewichts nach dem französischen Arzt Broca: ´Körpergröße in cm minus 100´. Erst später wurde der Begriff ´Idealgewicht´, „basierend auf den Statistiken großer amerikanischer Versicherungsgesellschaften, die das Idealgewicht mit dem höchsten zu erreichenden Lebensalter zusammenbrachten“ (ebd.), formuliert. Daraufhin wurden statistische Gewichtstabellen erstellt, anhand derer das Idealgewicht für die höchste Lebenserwartung ermittelt wurde. Die Richtwerte wurden nun mit dem BMI[2] entwickelt. Ab diesem Zeitpunkt galt schlank zu sein als gesund. Zur Veranschaulichung sind die Werte in einer Tabelle, welche sich auf die WHO-Klassifikation des BMI (http://apps.who.int/bmi/index.jsp?introPage=intro_3.html; Stand 2008) bezieht, zusammengefasst:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2.1: Klassifikation des BMI (eigene Erstellung, nach ebd.)

Die neuen Tabellen der Idealgewichtswerte verdrängten nun die Standardtabellen der Normalgewichtswerte von Broca. Nach der Idealgewichtstabelle sollten Männer wie Frauen ab dem frühen Erwachsenenalter weniger wiegen als bis dahin für ihre Größe als ´normal´ erachtet worden war. Dies bedeutete, dass Männer mindestens 10% und Frauen 15% unter dem Normalgewicht liegen mussten, um als ´idealgewichtig´ zu gelten. Infolge des kontinuierlichen und allgemeinen Strebens nach diesen Anforderungen fiel das Idealgewicht 1988 schließlich um fast 10% geringer aus als noch 1960. In diesem Zeitraum stieg auch die Anzahl der Essgestörten, die Anfang des 19. Jahrhunderts noch eine Seltenheit dargestellt hatten, enorm an (Ehle 1992, S. 49). Waren die Maße und Ergebnisse auch unter fragwürdigen Methoden zustande gekommen, gerieten sie jedoch erst in den 80ern in die Kritik (Brumberg 1994, S. 203). Die neuen Richtwerte hatten zunächst einmal zur Folge, dass Übergewicht von Ärzten von nun an wie eine Krankheit behandelt wurde. Da die Gewichtstabellen sich allerdings nur auf die Körpergröße bezogen, wurden individuelle Eigenheiten der Körperproportionen nicht berücksichtigt, was das Idealgewicht zwangsläufig auf einen Einheitstyp festlegte – ein breiterer oder ein schmalerer Körperbau, schwere oder leichte Knochen waren für die Errechnung nicht relevant. Somit war die Schaffung eines abstrakten Ideals vollzogen, das – mit medizinischer Rechtfertigung – ein weiterer Schritt für die Standardisierung des Körpers war (Behringer 1994, S. 77).

2.3 Wandel des Idealbildes

Für Waldrich (2004, S. 74) steht die Körperästhetik der letzten 500 Jahre mit dem heutigen bei Frauen zu findenden Wunsch nach einem muskulösen Körper in einem enormen Kontrast. Als Beispiele existieren hierfür barocke Bildnisse von berühmten Malern wie Rubens, der durch „ ... dicke, rosige Fleischwülste“ (ebd.) mit dem exemplarisch angeführten Bildnis der ´Venus´ einen – für damalige Verhältnisse – realistischen Frauenkörper gezeichnet hatte. Aus derselben Epoche stammt das Werk der ´Madonna mit Kind und dem Johannesknaben´ von van Dyck, auf dem das etwa zwei Jahre alte Jesuskind – nach heutiger Auffassung fettleibig – dargestellt ist.

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Abb. 2.4: ´Venus´ (http://www.helles-koepfchen.de/Bilder/Originale/Wissen/Rat/Venus_Rubens)

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Abb. 2.5: ´Madonna mit Kind und dem Johannesknaben´ (http://www.artsunlight.com/NN/N-S0013tn/tnN-S0013-019-maria-mit-kind-und-johannesknaben)

Auch mit dem Künstler Auguste Renoir findet sich im Impressionismus ein Mann, für den füllige Frauen, die wir heutzutage bereits für ´adipös´ halten würden, als die „´schönste Schöpfung Gottes´“ galten (ebd.).

Das Idealbild der heutigen Zeit konkurriert im Prinzip mit der evolutionären Theorie, da man in früheren Zeiten Dicke, und nicht Dünne als gesund und attraktiv betrachtete. Heute aber liefe „ ... ´eine Frau, die vor 100 Jahren eine gefeierte Schönheit war, in die Gegenwart versetzt, [Gefahr], von ihrem Arzt eine Abmagerungskur verordnet zu bekommen´“ (Grauer/Schlottke, zit. n. Waldrich 2004, S. 30). Tatsächlich würde eine Frau, die in den 40ern und 50ern die Kleidergröße 40/42 trug und damit dem damaligen Schönheitsideal entsprochen hätte, heute offiziell und nach WHO-Kriterien bereits als übergewichtig eingestuft werden (Posch 2009, S. 91).

Das derzeitige Frauenideal ist jedoch nicht durch eine natürliche Entwicklung entstanden, sondern wurde von Modetrends geschaffen. Bei Brumberg (1994, S. 207) ist erläutert, inwiefern die Modeindustrie zu der Entfaltung eines schlanken Schönheitsideals beigetragen hat: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts waren von der ´Haute Couture´ die Modelle zunehmend für die ´elegante Frau´ entworfen worden. Dies zwang allerdings die Kundinnen – Frauen aus der Oberschicht, die sich mit Hilfe der Mode von den unteren Schichten abgrenzen wollten –, ihre Maße denen des Kleides anzupassen, und nicht umgekehrt. Zu dieser Zeit also setzte eine Standardisierung des Körpers ein, die mit der unumgänglichen Einführung von Standardgrößen – Ursache war die Massenproduktion der Kleidung – in den 20ern gefestigt wurde. In den darauf folgenden Jahrzehnten verstärkte sich dieser Trend durch den wachsenden Einfluss der Werbung und die Entwicklung der Modefotografie zunehmend. Die Modelle wurden immer dünner, zum einen für den Ausgleich der Verzerrung durch die Kamera, zum anderen, um der gängigen Verkaufsstrategie zu entsprechen, wonach sich Mode an einem schlanken Körper besser verkaufen lasse.

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Abb. 2.6: Schaufensterpuppen (http://www.deko-schaufensterfiguren.com)

Zwei finnische Ärztinnen wollten mit einer Untersuchung (veröffentlicht im British Medical Journal) aufzeigen, dass das vorherrschende Schlankheitsideal nachweislich mit künstlichen Modetrends zusammenhängt. Sie verglichen die Maße von Schaufensterpuppen mit denen ´realer´ Frauen von vor 1945 und stellten dabei einen Unterschied im Hüftumfang (bei der Puppe 14 cm geringer) und im Oberschenkelumfang (bei der Puppe 10 cm geringer) fest (Waldrich 2004, S. 122). Nach dem zweiten Weltkrieg vergrößerte sich die Differenz noch einmal um 10 bzw. 5cm. Orientiert sich eine Frau nun wirklich an dem Körperfettanteil einer Schaufensterpuppe, wäre sie in den Worten Waldrichs (ebd., S. 123) „ … unterernährt, schwach, litte an Amenorrhoe und vielleicht sogar an Unfruchtbarkeit."

Posch (2009, S. 87) urteilt ähnlich über diesen Zustand, denn ihrer Meinung nach handelt es sich „ ... beim aktuellen Schönheitsideal um einen an Unterernährung erinnernden Kunstkörper“, von dem das durchschnittliche Realbild weit entfernt ist. Dies zeigen die zwischen 2005 und 2007 vom ´Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz´ erhobenen Daten, die für die Durchschnittsmaße deutscher Frauen bei einer Größe von 1,63cm ein Gewicht von 69,9 kg, sowie einen Taillenumfang von 83 cm, einen Hüftumfang von 103,6 cm und einen BMI von 26,1 ergaben (ebd.).

2.4 ´90-60-90´ – Pathologie der ´Idealmaße´

Schlankheit gilt Ingeborg Stahr (1999, S. 93) zufolge heutzutage in der westlichen Gesellschaft uneingeschränkt als schön und erstrebenswert. Das jetzige Schönheitsideal bedeutet für die Frau allerdings ein niedrigeres Körpergewicht als je zuvor. Alles an ihr soll glatt und straff sein, aber gleichzeitig gehören Rundungen an Hüfte und vor allem an Brüsten zum Inbegriff der Attraktivität (ebd.). Derartige Proportionen sind jedoch im Normalfall nur durch chirurgische Eingriffe zu erreichen. An der kontinuierlich steigenden Nachfrage an Schönheitsoperationen lässt sich erkennen, dass frau dieses allgemein propagierte Bild zu ihrem Maßstab gemacht hat und diesem auch tatsächlich um jeden Preis entsprechen will. Mit dem realen Frauenkörper hat dieses Bild, so wie es uns von einer attraktiven Frau in den Medien präsentiert wird, aber nichts mehr zu tun.

Laut der Ärzte-Zeitung waren 2002 bei jeder dritten Schülerin in Deutschland Frühformen einer Essstörung erkennbar (Waldrich 2004, S. 112). Inwiefern wirkt nun der Schlankheitswahn auf unsere Jüngsten ein? Es besteht wohl schon im Kindesalter eine Einflussnahme auf die Bildung idealer Normen. Betrachtet man die Proportionen der Barbie, so stellen diese ebenso wie die von Schaufensterpuppen eine unnatürliche und unrealisierbare Orientierung dar. Denn noch bevor die Kinder lesen können, vermittelt die Barbiepuppe ihnen eine ´modisch korrekte´ Vorstellung vom weiblichen Körper.

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Abb. 2.7: Barbie (http://www.modepilot.de/wp-content/uploads/2009/01/barbie1_quintessentialbarbie1)

Dabei stellt dieses Spielzeug laut Helmut Remschmidt (Kinder- und Jugendpsychiater am Universitätsklinikum Marburg, zit. n. Waldrich 2004, S. 117) allerdings „ ... eine groteske Verzerrung des normalen Körpers“ dar, denn „auf die Maße der Durchschnittsfrau hochgerechnet, sind Barbies Taille und Hüfte mindestens 25cm schmaler, der Busenumfang 20cm geringer, dafür das Innenbein 10cm länger!“ (Waldrich 2004, S. 125).

Mit diesen Vorstellungen eines schönen Frauenkörpers wachsen kleine Mädchen nun auf. Warum sollte es da noch verwunderlich sein, dass sich bereits Elfjährige zu dick finden, wenn sie sich an den Proportionen einer unrealistischen Barbiefigur messen? Die Beschäftigung mit der Barbiepuppe bedeutet zwar nicht gleich zwangsläufig einen Auslöser für eine Essstörung, „´sie fördert aber die Festlegung schon bei jungen Kindern auf das Schönheitsideal in unserer Gesellschaft´“ (Remschmidt, zit. n. Waldrich 2004, S. 117). Welche Auswirkungen es hat, dass schon die Kleinen mit solchen Maßen konfrontiert werden, lässt sich mit den folgenden Zahlen belegen: Bereits Siebenjährige machen sich Gedanken ums Abnehmen und über 30% der Zehnjährigen sind schon diät-erfahren. Eine Entwicklung in diese Richtung wird noch weiter unterstützt, indem schon Jugendmagazine, die von der entsprechenden Altersklasse gelesen werden, teilweise Models mit 90-60-90-Maßen präsentieren. Die pubertierenden Mädchen meinen damit die Art von Typ, welcher von der Gesellschaft verlangt wird, vor Augen zu haben (Waldrich 2004, S. 114).

Der Trend geht auf der anderen Seite gleichzeitig zu einem androgynen Körperbau, denn seit dem 20. Jahrhundert ist eine Tendenz zur Angleichung der männlichen und weiblichen Körperbilder festzustellen (Stahr et al. 1998, S. 17): Der weibliche Körper soll also bestenfalls der Statur einer Athletin gleichen. Ist nun eine ausgeglichene Mischung von weiblichen und männlichen Attributen Inbegriff der femininen Vollkommenheit? Zwei heterogene Körperformen in einer vereinen zu wollen, klingt und ist absurd. Diese Ambivalenz des Idealbildes ist surreal und macht auch die heutige zwiespältige Symbolik der Frauenrolle deutlich: Mit einem schlanken Körper strahlt sie „ ... nichtreproduktive Sexualität sowie emotionale und ökonomische Unabhängigkeit“ (Stahr 1999, S. 100) aus. Sind diese Signale notwendig, um als emanzipierte Frau auftreten zu können? Auf der anderen Seite ist eine Frau ohne traditionelle Weiblichkeit eben keine Frau: Zartheit, kindliche Zerbrechlichkeit, Passivität, Schutzbedürftigkeit und Sanftmut machen sie im Fortpflanzungsprozess erst wirklich attraktiv (ebd.). Vor allem aber Mädchen in der Pubertät wollen diesem fraulichen Image gerade nicht entsprechen. Zum Erwachsenwerden gehören eben körperliche Veränderungen dazu – in der ersten Zeit legen sich die Fettpölsterchen vielleicht an den unerwünschten Stellen an. Diese ersten Zeichen der Pubertät verachten sie als Missbildungen und versuchen krampfhaft, die Festigkeit eines kindlichen Körpers beizubehalten. An jungen Kunstturnerinnen stellte die Psychologin Lotte Rose eine Abneigung gegen einen „´schlabbrigen, weichen und schlaffen´“ Körperbau fest und zog daraus ihre Schlüsse: „>Es ist die mangelnde Festigkeit des Körpers, die massive Bedrohungsängste auslöst: der weiche Körper als Sinnbild der Verletzlichkeit, Schwäche und Machtlosigkeit. … Es ist stattdessen der athletische Körper, der die ersehnte Sicherheit gewährt.<“ (zit. n. Waldrich 2004, S. 160).

3. Schönheitskult und Schlankheitswahn

3.1 Der Körper als Statussymbol

Gerade in der westlichen Gesellschaft hat sich die Bedeutung des Körpers über Jahrzehnte hinweg entscheidend gewandelt. Die äußere Hülle ist laut Buchholz (2001, S. 26) wegweisend für Identität und gesellschaftliche Klasse geworden und wird in unserer erfolgsorientierten Gesellschaft als Statussymbol verwendet, um sich darüber zu definieren und sein Prestige zu sichern. Der Körper, der anscheinend heutzutage beliebig modellierbar ist, eignet sich hervorragend dafür, Erfolge ständig zu dokumentieren und für jeden erkennbar zu machen, denn „durch den Körper, aber auch durch Leistung können in der Gesellschaft Unterschiede aufgezeigt werden. Leistung bzw. Erfolg und Körper gelten als Aushängeschild, als Sprachrohr für die Person. Was früher die Kleider waren, ist heute eben der Körper“ (Bette 1993, S. 41). Aus diesem Kommentar lässt sich herauslesen, dass es heutzutage anscheinend möglich ist, Leistung am Körper auszudrücken. Auch Waldrich (2004, S. 63) zufolge geht es in unserer leistungsbesessenen Gesellschaft im Grunde bei einem ´Schönheitsideal´ nicht vorrangig um die Schönheit, sondern darum, seine Leistungsfähigkeit am Körper, der sich durch seine dauerhafte Präsenz dazu besonders eignet, zu dokumentieren. Dieser Ehrgeiz resultiert laut Fachpsychologen aus frühkindlichen Mangelsituationen. Der Mensch versucht über seinen Körper, defizitäre Kindheitsentwicklungen auszugleichen und auf diese Weise das Gefühl von Liebe und Anerkennung zu erlangen. Aufbauend auf dieser Theorie sind also Ehrgeiz und Leistungsstreben darauf begründet, innere Defizite wieder aufzufüllen. Man will auf diese Weise Anerkennung und Beachtung bei anderen erreichen und „einen auf Hochglanz polierten Körper vorzuzeigen, führt vielleicht (und vorübergehend) zu jenem Applaus, den man so dringend benötigt“ (ebd., S. 64). Diese Voraussetzungen machen es nach Waldrichs (ebd., S. 63) Ansicht möglich, dass der Körper als Statussymbol fungieren kann.

3.1.1 ´Dünnsein´ als Schlüssel zum Erfolg

Wer schlank ist, gilt als „aktiv, erfolgreich, intelligent, jung und gesund“ (Ehle 1992, S. 50) und es ist wohl durchaus nachvollziehbar, dass man schlanken Menschen eine gute Gesundheit, eine höhere Lebenserwartung und mehr Lebensfreude zuspricht (Stahr 2000, S. 84). Doch ein gut geformter Körper signalisiert außerdem Persönlichkeitsmerkmale wie Selbstkontrolle, die Demonstration von Selbstdisziplin und den Willen, sich nicht gehen zu lassen (Miek 2004, S. 73 f.). Auch verspricht ein schlanker Körper „ … Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit. Er macht deutlich, dass seine Besitzerin ihr Leben genauso erfolgreich managt wie ihren Beruf“ (Ehle 1992, S. 50). Man setzt Schlanksein also allgemein mit „Wendigkeit, Fleiß und Flexibilität“ (Posch 2009, S. 67), Ehrgeiz und beruflichem Erfolg (Stahr 2000, S. 84) gleich. Somit vermittelt Dünnsein in unserer Gesellschaft Leistungsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen, denn „körperliche Unversehrtheit, körperliche Funktionstüchtigkeit und körperliche Attraktivität gelten als Grundvoraussetzungen eines gelungenen, am gesellschaftlichen Aufstieg orientierten Lebens“ (Posch 2009, S. 11). Es macht denn Anschein, als bräuchte es hauptsächlich eine Komponente, um Leben und Beruf erfolgreich zu meistern: Dem Schlankheitsideal zu folgen. Um einen schlanken Körper aber über Jahre hinweg zu behalten, müssen die Ernährungsgewohnheiten „ ... dauerhaft auf Gewichtsabnahme oder auf die Vermeidung von Gewichtszunahme ausgerichtet sein“ (Ehle 1992, S. 50). Ob dies bedeutet, dass wir damit gleichzeitig zufriedener mit uns und unserem Leben sind, verneint Waldrich (2004, S. 123), denn „ ... in Wirklichkeit leben viele schlanke Frauen gar nicht glücklich, weil sie um ihrer Attraktivität willen auf viele Genüsse verzichten und sogar hungern müssen.“

3.1.2 ´Dicksein´ als sozialer Makel

Bereits im Jahre 1918 erschien in der Vogue folgender Kommentar: „Es gibt ein unverzeihliches Verbrechen gegen das moderne Schönheitsideal; man kann guten Gewissens eine beliebige Anzahl kleiner Verbrechen begehen, solange man sich nicht der Sünde schuldig macht, dick zu werden“ (Brumberg 1994, S. 24). Diese Art von ´Sünde´ gibt es so auch noch fast hundert Jahre später, nur heute heißt es drastischer: „Was ist das für eine Verpackung, aus welcher der Inhalt herausquillt? Wo kann man die noch anbieten?“ (Waldrich 2004, S. 80). Diese hart klingende Äußerung spiegelt tatsächlich die gesellschaftliche Stellung von Dicken wider. In einer Gesellschaft wie dieser ist es sozial wie beruflich von existenzieller Bedeutung, eine gute Figur zu haben und somit eine gute Figur zu machen, denn „wer in einer auf Überschlankheit geeichten Wahrnehmungswelt als >dick< erscheint oder gar wirklich übergewichtig ist, muss ebenfalls damit rechnen, sozial geächtet zu werden“ (Waldrich 2004, S. 137). Menschen mit einer eher robusten und derben Figur werden für „ ... passiv, weniger intelligent und weniger erfolgreich“ gehalten (Ehle 1992, S. 50), außerdem wird „ ... Fett mit Hässlichkeit, mangelnder Selbstdisziplin und Elend gleichgesetzt“ (Waldrich 2004, S. 123). Sogar Ärzte beurteilen dicke Personen hierzulande als willensschwach und hässlich – „Fett ist heute ein Synonym für ´widerlich´“ (Waldrich 2004, S. 78). Dieses negative Bild über füllige Körper führt so weit, dass Dicke hierzulande öffentlich gebrandmarkt und manchmal wie Behinderte, Ausländer oder Asoziale diskriminiert werden. Bemerkbar macht sich dies beispielsweise in einer Schlagzeile der Berliner Zeitung >B.Z. am Sonntag< vom 10.8.2003: „´Nacktverbot für Dicke? In Parks, an Spree und Havel. Was meinen Sie?´“ (zit. n. ebd.). Dass Dicke „ ... seltener angestellt, schlechter bezahlt und schneller wieder gefeuert“ (ebd.) werden, sollte infolge solcher Assoziationen niemanden mehr verwundern. Sie haben tatsächlich schlechtere Chancen im Berufsleben, was man mit ihrer ´offenkundig´ nachlässigen Einstellung zu ihrem Körper begründet, denn „ein dicker Bauch [ist heute] sichtbarer Ausdruck falschen Konsumverhaltens, falscher Lebensweise, falscher Entscheidungen, mangelnder Kontrollfähigkeit und damit mangelnder Managementfähigkeit“ (Posch 2009, S. 67). Ihnen werden Willensstärke und Disziplin von vornherein nicht zugetraut, denn „wer sich nicht kontrolliert, der hat keine ´Power´. Er lässt sich gehen – die Kardinalsünde wider den Geist der Zeit!“ (ebd.). Mit diesen Ausführungen scheint die bereits weiter oben angeführte These, die gegenwärtigen Schönheitsideale ebenso als Leistungsideale betrachten zu müssen, bestätigt und dass es „ ... nicht um den schönen Körper an sich [geht], sondern darum, was mit dem schönen Körper erreicht werden soll“ (Posch 2009, S. 171).

3.1.3 Kulturkomparatistische Perspektiven: Andere Völker – andere Sitten

„In unserer Kultur ist es die Norm, dass Frauen hungern“, sagt die amerikanische Frauenrechtlerin Naomi Wolf (1994, S. 9). In Wohlstandsgesellschaften ´leiden´ wir tatsächlich freiwillig Hunger – in dem Wissen, dass es auf der Welt viel zu viele gibt, die dies gezwungenermaßen tun müssen. Ist Magersucht etwa eine Art ´Privilegierten-Krankheit´, weil sie häufiger in sozial gehobenen Schichten auftritt? (Waldrich 2004, S. 78). Die Erscheinung der Anorexia nervosa scheint in der Tat eng mit Luxus und einem Überangebot an Nahrung verbunden. Diese Schlankheitsbesessenheit bezeichnet Freedman (1991, S. 51) sogar als 'kulturelle Neurose', gleichzeitig stellt sie die geistige Gesundheit einer Kultur, in der ein extrem abgemagerter Körper als ein idealer gilt, in Frage (ebd.). Dass die Körpersymbolik in anderen Kulturen tatsächlich stark variiert, wird ersichtlich, da dort, wo Nahrungsmittel knapp sind, Dicksein scheinbar für Stärke, Macht und Sozialprestige, Magerkeit dagegen für Not und Mangel steht (Waldrich 2004, S. 78). Körperzentrierte Neurosen tauchen deswegen in nicht-westlichen Kulturen wie Entwicklungsländern oder bei schwarzen Amerikanern nicht auf, worin Waldrich (ebd., S. 15) ihren vermuteten Zusammenhang mit bestimmten sozialen Lebensformen bestätigt sieht. Uganda beispielsweise verdeutlicht mit den Vorstellungen seiner Einwohner von Schönheit den enormen Gegensatz zum Ideal der westlichen Kultur: Dort existieren ´Fett-Hütten´, in denen die Bräute extra für ihren Hochzeitstag gemästet werden und dafür täglich literweise Milch trinken müssen. In dieser Region wächst der Status mit dem Gewicht (InStyle 6/2010, S. 130) – in Industriegesellschaften fällt er.

3.1.4 Der besondere Druck für das weibliche Geschlecht

Da bei Frauen das Aussehen im Allgemeinen einen höheren Stellenwert hat als bei Männern und das gesellschaftliche Bild von Weiblichkeit stark mit Schönheit gekoppelt ist, übt der Schlankheitswahn logischerweise einen größeren Druck auf das weibliche Geschlecht aus. Deshalb ist die Entwicklung einer Essstörung bei Männern, die noch dazu von Natur aus einen geringeren Fettanteil haben, unwahrscheinlicher. „Eine gewisse Stattlichkeit gilt hier sogar oft als Zeichen von Macht, Stärke, Selbstvertrauen und Erfolg“ (Waldrich 2004, S. 123). Männer seien demnach weniger gefährdet, auf Grund einer Unzufriedenheit mit ihren Körperproportionen negative Gefühle zu entwickeln. Dies bestätigen derzeitig veröffentlichte Daten, die nur bei 0,2% der männlichen Bevölkerung eine Anorexie-Erkrankung belegen. Allerdings muss man von einer höheren Dunkelziffer ausgehen, da die Diagnose von Essstörungen bei Frauen leichter zu erstellen ist und somit viele Fälle nicht erfasst sind (ebd.). „Weil außerdem Essstörungen generell als Frauenproblem gelten, scheuen sich viele Männer davor, Hilfe zu suchen“ (ebd., S. 124).

Während sich Männer eher der sportlichen Betätigung widmen, um abzunehmen, sind bei Frauen dagegen Diäten, Hungern, Diätpillen und Abführmittel zu alltäglichen Begleitern geworden, um das Gefühl gesellschaftlicher Anerkennung zu spüren. Schönheit gilt heute nicht mehr als ein Geschenk von Mutter Natur, sondern ist zur ´verpflichteten Möglichkeit´ jeder Frau geworden (Drolshagen 1997, S. 29). Demzufolge ist es nicht verwunderlich, wenn sich beim weiblichen Geschlecht zwangsläufig ein ungeheurer Druck, auf das perfekte Äußere hinzuarbeiten, entwickelt. Auf der anderen Seite entstehen Schamgefühle, wenn man nicht fähig ist, diese Anforderungen zu erfüllen (ebd.). Dass sich größtenteils Frauen belastet fühlen, liegt nach der Meinung von Waldrich (2004, S. 124) auch an ihrer stetigen Anpassung an die weiblichen Körperideale, die durch die sich ständig wandelnden Gesellschaftsnormen einem kontinuierlichen Wandel unterworfen waren.

3.2 Körperbild und Attraktivität

3.2.1 Die wachsende Bedeutung von Attraktivität in Industriegesellschaften

Für Gebauer (1992, zit. n. Clasing et al. 1996, S. 48) ist der Geschmack „ ... das ästhetische Prinzip, das die Identitäts-Darstellung von Personen einrichtet und kontrolliert“ und somit erfolgreich die Vorstellungen von einem attraktiven Menschen prägt. Ist der Körper „ ...einmal der herrschenden Geschmacksnorm unterworfen, [wird er] zum ästhetischen Schauplatz des Geistes trans- oder eher deformiert“ (Clasing et al. 1996, S. 49). Weshalb dieser Grad der Einflussnahme möglich ist, begründen die Autoren (ebd., S. 48) folgendermaßen:

„ ... die primäre Instanz, aus der die Zuordnung, Beurteilung und Wertung des Körperlichen hervorgeht, sind in erster Linie nicht etwa die erbrachten Leistungen und Disziplinierungen, sondern es ist der Geschmack. So verschieden Geschmäcker auch sein mögen, nichts ist in den bürgerlichen Gesellschaften so normiert und kontrolliert, derart idealisiert und politisch so verharmlost wie dieser.“

Allerdings werden Frauen von den Medien, durch welche die heutigen Körperideale vorrangig vermittelt werden, zu Irrtümern verleitet, welche Art von Frau den meisten Männern als Partnerin an ihrer Seite vorschwebt. Sie orientieren sich als Leserinnen von Zeitschriften, die superschlanke Models präsentieren, an der – angeblich realitätsgetreuen – medialen Propaganda. Die Figur, die Frauen also schon nicht mehr als ´schlank´ bezeichnen würden, entspricht für viele Männer sogar der Figur ihrer Traumfrau. Diese Ergebnisse stützen sich unter anderem auf eine Untersuchung, die bei Waldrich (2004, S. 115) erwähnt wird. Hierbei sollten Männer anhand von Fotos die für sie attraktivsten Frauen bestimmen. Kein Mann aber favorisierte eine extrem dünne Körperform, sondern die Präferenz lag vielmehr eindeutig bei denen mit Durchschnittsgewicht. An einem „ ...´Knaben mit Titten´“, einem „´homosexuelle[n] Wunschbild, dem man Brüste, Schmollmund und ein paar Löckchen aufgeklebt hat´“, wie die Publizistin Ebba Drolshagen (1997, S. 34) die gegenwärtigen Körpernormen bezeichnet, zeigten die meisten kein Interesse. „Das durchschnittliche Wunschbild des Mannes für die >Idealfrau< unterscheidet sich [demnach] gar nicht so sehr vom tatsächlichen weiblichen Durchschnittsbild“ (Guggenberger 1995, S. 36). Halten sich Frauen also mit einem mühsam schlank erarbeiteten und sehnig durchtrainierten Körper für attraktiv, so haben sie ihre Wirkung auf Männer oft schon lange verloren. Nach der Ansicht von Waldrich (2004, S. 115) „ ... verwechseln [Frauen] Attraktivität mit Schlankheit“. Die neuen Möglichkeiten der Körperästhetisierung werden ungeachtet der falsch propagierten Vorstellungen aber wohl weiterhin zu einer wachsenden Bedeutung von Attraktivität in modernen Industriegesellschaften führen. Durch den Fitnesskult und die Schönheitschirurgie hat der Mensch von heute zunehmend selbst Einfluss auf sein äußeres Körperbild. Die Aussicht einer bewussten Körpergestaltung und Attraktivität als Mittel der Selbststilisierung und Identitätsvergewisserung wird also immer mehr in den Mittelpunkt rücken (Koppetsch 2000, S. 101 f.). Diese Entwicklung sieht auch Stahr (2000, S. 86): Nach ihrer Ansicht wird der Körper „ ... stilisiert, zu einem Fetisch, zu einer Hülle, einer geschichts- und biographielosen Oberfläche, die von der Persönlichkeit abgespalten und quasi als materialisiertes Äußeres den Leistungs- und Schönheitsnormen angepasst werden soll.“ Ein solch gearteter Schlankheitskult trägt sicherlich zu einer Entfremdung des Körpers vom subjektiven Selbstempfinden bei (ebd.).

3.2.2 Exemplarisches Statement: Ansichten einer ´öffentlichen Person´

In der Zeitschrift InStyle erschien im Juni 2010 ein Artikel über Jessica Simpson mit dem Titel: ´Das Million-$-Girl: Schauspielerin und Sängerin Jessica Simpson über Gewichtsprobleme, Diäten, Schönheitswahn, sexy Kurven und ihr Mode-Imperium.´ Sie, die selbst schon „ ... am Beauty-Standard amerikanischer Tabloids scheiterte“, wie sie sagt, musste die Ächtung der Medien wegen ein paar zugelegter Kilos und eines unvorteilhaften Fotos ebenfalls am eigenen Leib erfahren. Bei diesem Interview berichtete sie über ihre Reality-TV-Show ´Der Preis der Schönheit´, für die sie um die Welt gereist war, um die jeweils sehr unterschiedlichen Schönheitsideale verschiedener Kulturen kennenzulernen. Über die Auffassung von Schönheit in Uganda beispielsweise sagt sie:

„Die Frauen … empfinden es als großes Kompliment, fett genannt zu werden, um genau zu sein, ´fette Kuh´, denn Kühe sind der größte Reichtum, den ein Mann in ihrer Kultur besitzen kann, und eine Frau zu haben, die so wohlgenährt ist wie sein Vieh, gilt als absolut erstrebenswert. Die Braut, die mich in ihre Hütte einlud, verbrachte zwei Monate im Sitzen, ohne sich zu bewegen, und trank täglich mehrere Liter Milch, um bis zu ihrer Hochzeit 40 Kilo zuzunehmen. Das ist so wider jede Vorstellung von körperlicher Perfektion, mit denen ich groß geworden bin. Es hat mir die Augen geöffnet. Schönheit kommt in allen Größen und Formen vor. Der Druck, der auf Frauen in meiner Kultur ausgeübt wird, ist unmenschlich. … Je dünner, desto schöner, das galt schon an der High School. Ich war ein properer Teenager und hasste die Schule so sehr, dass ich meine Eltern oft anbettelte, mich krank zu melden, damit ich nicht der Häme meiner Mitschüler ausgeliefert war. …Ich hasste meinen Bauch und das Gefühl, wenn meine Oberschenkel aneinander rieben.“ (Instyle 6/2010, S. 130 f.)

Auf den Hinweis der Reporterin, dass sie ja nie dick gewesen sei, antwortete die Sängerin:

„Nein, klar. Aber ich bin wie alle US-Girls von Supermodel-Vorbildern geprägt: 45 Kilo bei 1,80 Meter – unerreichbar. Es ist zum Heulen, was das aus uns gemacht hat … . ... es kann nicht richtig sein, sich zeitlebens zu quälen, um unrealistischen Standards einer Celebrity-Kultur zu genügen. [Es sei ihr sehr wichtig], ... normalen Frauen zu zeigen, dass auch jemand in [ihrer] Position mit seiner Selbstwahrnehmung zu kämpfen hat und damit, wie andere einen beurteilen. Egal, ob man ins Büro, zum Essen oder über den roten Teppich geht, überall wird über einen geurteilt. … Makel machen uns einzigartig, deswegen an den Pranger gestellt zu werden, ist unfair.“ (InStyle 6/2010, S. 131f.)

3.3 Unsere Konsumkultur – Die Bedeutung der kommerziellen Zwänge

Wie schon erwähnt, ist es eher ein Missstand in Gesellschaften, in denen Nahrungsüberfluss besteht, ´im Überfluss zu verhungern´. Allerdings ist auch zu beobachten, dass dort, wo das Streben nach Schlankheit allgegenwärtig ist, ständig neue Produkte mit appetitfördernder Wirkung auf dem Markt erscheinen. Folge daraus ist zwangsläufig ein Kreislauf von Zunehmen und Abnehmen. Diese Ambivalenz lässt sich auch in der Aufmachung von Frauenzeitschriften feststellen: Wenn auf einer Seite Diäten mit speziellem Ernährungsplan vorgestellt werden, folgen auf einer der nächsten gleich Kochrezepte, geschmückt mit anregenden, Appetit erweckenden Bildern. Dass der Nährwertgehalt der Rezepte – meist sind es Genüsse in Form von Kalorienbomben – keinesfalls mit den kurz zuvor empfohlenen Diätvorschlägen korreliert, lässt fast eine Marketingstrategie anmuten, die offensichtlich auch noch funktioniert. Ohne Gewichtsprobleme bestünde natürlich kein Bedarf für Diäten, Diätpillen und Ernährungsberater! Die Industrie, welche von der Kommerzialisierung des Körpers lebt und diese auch vorantreibt, wird also durch eben eine solche ambivalente Konsumkultur begünstigt. Es scheint, als wären bloße Vermarktungsstrategien der kommerziellen Märkte der Grundstein für die allgegenwärtige Propaganda von Schlankheit, da

„kaum ein Tag vergeht, wo die Medien nicht gute Ratschläge zur gesunden Ernährung, Schlankheitstipps und Diätvorschläge geben. … Ganze Industriezweige haben sich das Schlankheitsideal zu eigen gemacht und bieten kalorienarme Kost, Fitness-Training und Schlankheitskuren an“ (Stahr 2000, S. 83).

Die Werbung für Schlankheit und Fitness scheint sich sehr erfolgreich zu vermarkten, was sich an dem stetig weiter steigenden Konsum von Light-Produkten bemerkbar macht. Trotz der immer wieder laut werdenden Einwände von Experten, dass diese Artikel den Hunger eher noch anregen und zum Mehr-Essen verleiten, kaufen wir sie: Durch falsche Assoziationen verbinden die meisten nämlich weiterhin mit dem Wort ´light´ ein gesünderes und ´leichteres´ Ernährungsgefühl und -bewusstsein. Dieses Verhalten und diese Einstellung hat zwar noch nichts mit der Krankheit Magersucht zu tun, aber scheint es nicht doch buchstäblich ´mager-süchtig´? Zumindest Cavelius und Grasberger (1999, S. 6) sehen Parallelen zwischen dem heutigen Körper- und Ernährungsbewusstsein als Resultat der erfolgreicher Propaganda und einer Zunahme von Essstörungen. Ein gesunder Umgang mit dem eigenen Körper ist auch laut Seyfahrt (2003, S. 74) bei vielen Menschen von einem zwanghaften Wetteifern nach Schlank- und Schönheit verdrängt worden, denn

„du musst dünn sein. Es ist ein Gebot, überall kann man es sehen, lesen, hören: auf Werbeplakaten, im Kino, auf den Laufstegen. …. Dünn zu sein spielt eine wichtige Rolle – ein Mensch wird danach bewertet. Auf den Regalen der Supermärkte stehen kalorienreduzierte, fettarme Light-Produkte und in den angesagten Modegeschäften sind kaum noch Klamotten zu finden, die größer sind als Konfektionsgröße 38 oder 40“ (Miek 2004, S. 73).

Tatsächlich beeinflussen die gesellschaftlichen Zwänge unsere Essgewohnheiten erheblich: Anstatt bei Hungergefühl zu essen, lassen wir zu, dass Diätregelungen unsere Ernährung bestimmen. Anstatt zu essen, bis wir satt sind, hören wir mit dem Essen auf, bevor das Gefühl der Sättigung überhaupt eintreten kann. Anstatt Nahrungsmittel zu genießen, auf die wir Appetit verspüren, unterwerfen wir uns dem Zwang, kalorienarme Speisen zu uns zu nehmen. Wir arbeiten letztendlich auf ein ´Idealgewicht´ hin, ohne den Körper sein wirkliches ´Wohlfühlgewicht´ finden zu lassen.

3.4 Der Stellenwert von Sport und Fitness in unserer Gesellschaft

Während es sich für die Frau über Jahrhunderte hinweg nicht schickte, Sport zu treiben, nur um den Körper nicht zu vermännlichen, entsprechen androgyne Formen an einem weiblichen Körper dem heutigen Zeitgeist (Posch 2009, S. 130). Hierzulande herrscht das Verlangen, sich selbst als sportive Schönheit auszurichten und damit dem Umfeld zu gefallen sowie Neid hervorzurufen. Ab den 70ern war in den USA ein Fitness-Boom zu erkennen gewesen, der mit der Vorreiterin Jane Fonda und ihren Aerobic-Videos schließlich auch nach Europa übergriff (Swyter 2007, S. 13). Seitdem erscheint Sport „... als idealer Weg zum propagierten schlanken Körper“ (Posch 2009, S. 129). Dass der Sport tatsächlich einen immer höheren Stellenwert einnimmt, ist mit einschlägigen Zahlen zu belegen: Die größten deutschen Fitnessketten konnten zwischen 2001 und 2005 einen Mitgliedszuwachs von jährlich 19,3% verzeichnen, wie in einer Studie der ´Düsseldorfer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft´ festgestellt wurde (Pletter 2006, zit. n. Sobiech 2000, S. 87). Anhand der Tatsache, dass nahezu sieben Millionen Deutsche in kommerziellen Fitnessstudios gemeldet sind, sieht sich Sobiech (2000, S. 87) veranlasst, von einer zunehmenden ´Versportlichung´ zu sprechen.

Neben dem – unbestreitbar positiven – physiologischen Aspekt werden dem Begriff ´Fitness´ jedoch auch soziale Kompetenzen zugewiesen. Zuallererst verbindet man Sport, Wohlbefinden und Gesundheit allgemein mit einer gelungenen Lebensgestaltung. Ist jemand ´sportlich`, so beweist er scheinbar auch ´Eigeninitiative´, ´harte Arbeit´ und ´Disziplin´. Aktivität wiederum assoziiert man mit gesellschaftlich relevanten Fähigkeiten wie Handlungswillen, Leistungsbereitschaft und Durchsetzungsvermögen. So strahlt „im Sport ... der Körper gleichzeitig Erfolg aus, denn nur ein austrainierter Körper kann zum Erfolg führen. Man kann die Leistung also von außen ablesen“ (Clasing et al. 1996, S. 50). Fitness – das bedeutet also nicht nur regelmäßige sportliche Betätigung, ebenso werden damit Leistungsfähigkeit, Flexibilität, Dynamik und Schlankheit symbolisiert, die Anforderungen, die heute an den modernen Menschen und seine Lebensweise gestellt werden (Posch 2009, S. 127 f.). Swyter (2007, S. 17) stellt sogar die Behauptung auf, dass „ ... Dinge, wie die körperliche Attraktivität, Selbstdarstellung oder einfach die Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit bis an die körperliche Grenze“ für die Intention, Sport zu treiben, inzwischen relevanter geworden sind als traditionelle Werte wie soziales Verhalten, Fairness oder Abbau von Aggressionen. Auch Clasing et al. (1996, S. 49) erkennen die Bedeutungserweiterung von Fitness, da der Sport in unserer Gesellschaft,

„ ...auch wenn er sich gerne im Sinne des Spiels und des Spaßes verstanden wissen will, einen nicht unerheblichen Beitrag zur Stabilisierung und Bewahrung des (vorherrschenden) Körperbildes sowie zu dessen Idealisierung [leistet]. … Idealisiert wird das Körperbild im Sport vor allem deshalb, weil die körperlichen Anstrengungen, Mühen und Strapazen zumeist investiert werden, um zu einer anderen Signifikanz zu kommen, ohne dass der dieser notwendig vorausgegangene Eindruck des Mangels als solcher hinterfragt würde.“

3.5 Models – ´Vorbilder ohne Maß´

Wie absurd die ´Traummaße 90-60-90´ sind, zeigt sich nach einem Blick in die Abteilung für Kleinkinderbekleidung. Dort finden sich Kleidungsstücke, die mit 59cm für die Taille von Vierjährigen ausgerichtet sind. Die idealen Taillenmaße einer erwachsenen Frau entsprechen also demnach denen eines Durchschnittskindes im Kindergartenalter. „Der Realität zum Trotz haben die allermeisten professionellen Models Taillenmaße von viereinhalbjährigen Kindern, Hüftumfänge von 13-jährigen Mädchen und eine Körperlänge von Männern“ (Posch 2009, S. 89). Doch fungieren die Figuren von Models als Vorbilder für die Allgemeinheit – das ist unbestreitbar. Allerdings wird dabei immer vergessen, dass die ´Ideale´ eine unechte Natürlichkeit verkörpern, die durch Kosmetika und Mode hergestellt wird (Waldrich 2004, S. 146). Und auch dass „ … man eine solche Figur nur mit einer Ess-Störung haben kann´“ (Professor Herzog, Universität Heidelberg, zit. n. Posch 2009, S. 177), übersieht man bei der Idealisierung ihrer Körpermaße leicht. Viele fühlen sich trotzdem durch Models auf ihre ästhetische Unvollkommenheit hingewiesen – und das bis zu zwölfmal pro Tag: so oft nämlich begegnet man in unserer westlichen Gesellschaft laut Deuser et al. (1995, S. 33) deren Bildern.

Während der BMI bei Schönheitsköniginnen in den 20ern noch zwischen den Werten 20 und 25 schwankte, wurden die Anforderungen an eine Modelfigur im Laufe der Zeit immer strenger: Der Trend ging zu einem weit dünneren Körper. Auch Ergebnisse einer amerikanischen Studie beweisen diese Entwicklung: In den 70ern hatten US-Models 8% weniger als die Durchschnittsamerikanerin gewogen, Ende der 80er hatte sich die Differenz erhöht. Im Jahr 2000 schließlich schien der BMI aus den 20ern als Durchschnittsmaß längst ´überholt´, denn zu dieser Zeit war bereits ein BMI von weniger als 18 die Norm, was ein Gewicht knapp an der Grenze zur Magersucht bedeutet (Posch 2009, S. 86 f.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3.1: Vergleichsfotos von Schönheitsköniginnen (http://media.news.de/resources/thumbs/)

Auslöser dieses Magerwahns war die knabenhafte Figur von ´Twiggy´ gewesen, die bei einer Größe von 1,67cm nur 41kg wog. Diese Maße, die im Normalfall auf eine Essstörung hindeuten würden, waren bei ihr allerdings natürlich bedingt. Wenn auch Twiggy mit dieser Naturgegebenheit eine extreme Ausnahme darstellte und ihre Maße unter normalen und gesunden Umständen unerreichbar waren, ließen sich viele junge Frauen jedoch nicht davon abhalten, in der Figur dieses Models ihr Ideal zu sehen. Daraufhin entfachte sich in der Modeindustrie ein Boom um Twiggy (Waldrich 2004, S. 143) und auch bis heute hat sich nichts an der Vorliebe für extrem dünne Models geändert. Dieser Umstand führt in der Modelbranche laut Drolshagen (1997, S. 150) zu einem Teufelskreis, da in diesem Beruf Aussehen und Körper das wichtigste Kapital darstellen. Jegliche Art von Mängeln senkt den Verdienst, während ein makelloses Erscheinungsbild für finanziellen Profit sorgt (ebd.). Ein makelloses Erscheinungsbild – das bedeutet nach den öffentlichen Richtlinien bei einer Größe von 1,80m allerdings auch ein Gewicht von 55kg. Aus diesen Werten errechnet sich ein BMI von 17,5 – zur Magersucht ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3.2: Model mit heutigen Laufstegmaßen (http://1.bp.blogspot.com)

Bei einem Wunsch auf durchschlagenden Erfolg und dessen Verwirklichung ist dieses ´optimale´ Gewicht jedoch unumgänglich (Waldrich 2004, S. 146 f.). Um die körperliche Schwäche, Folge der Mangelernährung, dann aber wieder ausgleichen zu können, erfolgt bei professionellen Models oft der Griff zu Kokain, einer Droge, die den Appetit zügelt und Schwachheit überdeckt (ebd.). Ist es tatsächlich die Realität, dass man den öffentlichen Richtlinien in diesem Beruf nur auf dem Weg über Drogen gerecht werden kann? Die Aussage des Ernährungswissenschaftlers Nicolai Worm (zit. n. Waldrich 2004, S. 148) gibt Einblick darauf, was wirklich hinter der angeblich perfekten Fassade steckt. Er beschreibt ein ihm bekanntes Topmodel privat als „´… bleich, frustriert, essgestört, hungernd, erbrechend, elend, einsam´“. Der schöne Schein trügt also – dieses Ideal verwirklichen zu wollen, bedeutet gewissermaßen, einen selbstzerstörerischen Weg zu beschreiten.

3.6 Frauenzeitschriften – Das Bild der Frau

Frauenzeitschriften gehören „seit mehr als einem Jahrhundert ... zu den wichtigsten Hebeln, über die die Veränderungen des Frauenbildes der Frau initiiert werden, und in dieser ganzen Zeit haben sie jeweils das mit ‘Glamour’ umgeben, was die Wirtschaft, die Anzeigenkunden und – in Kriegszeiten – der Staat brauchten“ (Wolf 1994, S. 86). Sie sind natürlich speziell frauenspezifisch ausgerichtet, es geht um Mode und Schönheit, Kosmetik und Diäten, Küche und Haushalt, Partnerschaft, Psychologie und die Welt der Stars. Da Wissenschaft und Politik kaum thematisiert werden, fehlt folglich ein entsprechendes intellektuelles Niveau. Dagegen kommt dem äußeren Erscheinungsbild ein vergleichsweise hoher Stellenwert zu. Der Großteil der Zeitschriften lebt von Bildern (schöner) Menschen. In der 99-seitigen Ausgabe der Gala (29/2010) zum Beispiel waren auf 48 Seiten Frauen mit ihrer ganzen Figur zu sehen – Models in Fotostrecken oder Prominente auf Schnappschüssen, freilich dünn, makellos und dem Schlankheitsideal entsprechend. Auch in einer Ausgabe der InStyle (7/2010) konnten von 197 Seiten insgesamt 102 Seiten mit Bildern von Schönheiten mit Idealmaßen gezählt werden. Diese Zahlen beziehen sich allerdings nur auf Abbildungen in voller Größe, ein schöner Oberkörper findet sich nahezu auf jeder Seite. Das heißt, der Leserin wird beim Durchblättern des Magazins über die halbe Zeitschrift hinweg das Bild der Traumfigur vorgeführt. Je öfter die Leserin nun eine dünne und wohlproportionierte Figur betrachten muss, desto eher gewöhnen sich Auge und Wahrnehmung daran, so dass sich in ihrer Vorstellung die Figur eines Models als ein normaler und auch erreichbarer Standard festigt. Natürlich sind Magazine wie die Gala und die InStyle darauf ausgerichtet, schöne Menschen, Mode und den Glanz der Reichen zu zeigen, denn die Intention ist ja, Leserinnen anzuziehen, nicht abzuschrecken. Wer will schon für Fotos von durchschnittlichen Menschen Geld ausgeben, denen man schon im täglichen Leben auf der Straße begegnet? Solche Hochglanzmagazine ließen sich mit Abbildern einer ´Otto-Normal-Figur´ wohl schlechter verkaufen.

Genau diesem Trend strebt die Brigitte nun seit 2010 entgegen: Als in Leserbriefen verstärkt der Wunsch gegen vorstehende Knochen laut wurde, entschied sich die Redaktion, ab diesem Zeitpunkt in ihrer Zeitschrift keine Profimodels mehr zu zeigen. Eine zweite Begründung für diese neue Einstellung war, dass das Magazin den falschen Schlankheitswahn nicht weiter unterstützen werde. Die Brigitte wolle eine ehrliche Initiative entgegen diesem Trend ergreifen. Für die jetzigen und kommenden Auflagen bedeutet dies, dass bei Fotostrecken in dem Magazin künftig sogar vollkommen unbekannte Personen posieren. „Es werden Frauen gezeigt, die eine Identität haben, also die 18-jährige Abiturientin, die Vorstandsvorsitzende, die Musikerin, die Fußballerin“, so der Chefredakteur Andreas Lebert. Er behauptete auch, dass die Models seit Jahren per Photoshop ´verdickt´ werden müssten, was „gestört und pervers“ sei, denn „was hat das noch mit unserer echten Leserin zu tun?“ Ein zusätzlicher Beweggrund für die Entscheidung war aber auch die Intention gewesen, eine engere Bindung zu den Kundinnen aufzubauen (http://www.derwesten.de/nachrichten/panorama).

3.6.1 Die ´falsche Realität´ in den Zeitschriften

Durchschnittlich ist bei Models ein um 23% geringeres Gewicht als bei ´normalen´ Frauen festzustellen. Bezogen auf Zeitschriften hat die Autorin Posch (2009, S. 177) erkannt, dass auch noch deren Preiskategorie durchaus einen Unterschied macht: Je teurer das Magazin, desto dünner die Models. Zudem stellte sie beim Durchschnittsgewicht der Models im Playboy ´nur´ 17% weniger an Gewicht als bei dem der ´Durchschnittsfrau´ fest, was sie zu dem Schluss veranlasste, dass in von Frauen betrachteten Zeitschriften die Models noch dünner seien als in Männermagazinen. Der BMI der Models in Männerzeitschriften liegt zwar immer noch offensichtlich unter dem Durchschnitt, jedoch bestätigen diese Vergleichsergebnisse, dass Männer wohl trotzdem einen eher kurvigen Frauentyp bevorzugen: Kurven zeichnen Erotik schließlich erst aus.

Um für einen realistischen Maßstab des ´Ideals´ fungieren zu können, sind die präsentierten Proportionen ohne Frage viel zu hoch angesetzt. Trotzdem werden die Frauenzeitschriften wohl weiterhin einen Standard des Schönheitsideals vorleben, der angeblich für jede Frau erreichbar sein soll. Besonders Zeitschriften wie die ´Vogue´ erwecken nach Drolshagen (1997, S. 151) den Eindruck der Realisierbarkeit von Idealmaßen, da dort ihrer Meinung nach ein perfektes Erscheinungsbild nicht den Anschein großartiger Anstrengungen macht. Doch hinter der sogenannten ´Traumfigur´ steckt eiserne Disziplin und so ist es nicht einfach mit etwas Mühe getan, sich an diese heranzuarbeiten. Die Autorin (ebd., S. 166) bezeichnet die Vogue sogar „ ... als Gipfel der Unterdrückung der Frau, als Symbol ihrer Verniedlichung zu einem hübschen und teuren Schmuckgegenstand.“ Zeitschriften wie die Brigitte, Freundin und Für Sie würden hingegen ein natürlicheres und leichter zu identifizierendes Bild des weiblichen Körpers vermitteln (ebd., S. 167).

Doch frau ist im Allgemeinen nicht nur überzeugt, durch Schlankheit und der ´daraus resultierenden Schönheit´ einen besseren Marktwert, sondern auch endlich Glück und die gesetzten Ziele erreichen zu können. Für die Aufrechterhaltung dieser irrtümlichen und falschen Vorstellung ist die ständige Präsenz vom ´Modeltraum´ sehr wohl mitverantwortlich (Waldrich 2004, S. 14). Umfragen der Psychology today (USA) zufolge schreiben 48% der befragten Frauen den stets präsenten Models eine hochgradige Einflussnahme auf ihren Wunsch nach Schlankheit zu. Außerdem belegten die Untersuchungen bei 67% der Befragten eine starke Verunsicherung und ein sinkendes Selbstwertgefühl durch die sehr dünnen oder muskulösen Models (Waldrich 2004, S. 143).

3.6.2 Das Thema ´Abnehmen´ als Kassenschlager

Deuser et al. (1995, S. 92) betrachten das Thema ´Abnehmen´ als ´Hauptverkaufsargument´ der Frauenzeitschriften, denn es wird selten ein Magazin ohne Ratschläge für Diäten und eine gesunde Ernährung zu finden sein. In der Tat versäumt es „kaum eine Frauenzeitschrift ... , das Thema ‘Abnehmen – aber wie?’ in schöner Regelmäßigkeit zu behandeln. Vollmundig werden immer neue Diätmodelle als Wunderwaffen im Kampf gegen die überflüssigen Pfunde angepriesen“ (Cavelius und Grasberger 1999, S. 6). Der Markt bietet neben den klassischen Frauenzeitschriften zusätzlich auch Extrahefte für die Bereiche Wellness, Vitalität und Sport. Dabei locken Schlagzeilen wie beispielsweise ´Die neue Vital-Diät´ (Vital 4/2006) oder ´Schlank-Special´ (Wellfit 1/2006), womit die besten Methoden gegen Winterspeck und Cellulite angepriesen werden. Weiterhin verweisen Formulierungen wie ´für eine strahlendere Erscheinung´, ´jüngeres Aussehen´ und eine ´bessere Figur´ auf Erfolg versprechende Artikel (Waldrich, S. 62). Natürlich kann und darf man die zahlreichen Tipps auf der einen Seite als Ansporn und Unterstützung für eine schlankere Figur betrachten. Andererseits werden den Leserinnen körperliche Eigenheiten kontinuierlich als Mängel vermittelt, die es entweder zu verstecken oder auszumerzen gilt (ebd.). Für jeden erdenkbaren Makel lassen sich mittlerweile in Frauenzeitschriften passende Vorschläge finden (Drolshagen 1997, S. 42). Jedoch nicht

„´... wohlgemeinte Ratschläge, wie man sich gesund hält und vermeidet, die Ausmaße eines Michelin-Männchens anzunehmen, sondern wie man sich von der völlig normalen Figur einer erwachsenen Frau in ein Gerippe verwandelt. Platt und schmal sollen die idealen Frauen aussehen, wie Kerle – magere Kerle… Klapperdürre, krank aussehende Models verkörpern das Traumbild der Modeschöpfer, in deren Kreationen wir uns hineinhungern sollen.´“ (Heilmann/Schütte, zit. n. Waldrich 2004, S. 62).

Demzufolge verstärken Anleitungen über schöneres und schlankeres Aussehen die Entwicklung eines negativen Körperbewusstseins eher als eine gesunde Körpereinstellung zu unterstützen. Der Vergleich des eigenen Körpers mit dem angeführten Schlankheitsideal führt den Frauen die Abweichung davon nämlich erst recht bewusst vor Augen.

3.6.3 Ideal und Realität – das Dilemma der Selbstakzeptanz

Für die Frau ist das Schlankheitsideal nicht nur während einer aktiven Wahrnehmung präsent: Auch wenn sie Bilder von schlanken, perfekten Frauen nicht mehr direkt vor Augen hat, hat sich in ihr bereits eine bestimmte Vorstellung vom ´Ideal´ manifestiert, die auch über die Dauer der Beschäftigung mit Zeitschriften oder anderen Medien hinaus wirkt und sie im Selbstwertgefühl beeinflusst. Tatsächlich befindet sich laut Untersuchungen nur etwa ein Fünftel der Deutschen mit seinem Gewicht einigermaßen im Einklang, was bedeutet, dass vier Fünftel von ihnen unzufrieden damit sind (Harland/Siegel 1996, S. 11). Wir wollen generell schlanker, jugendlicher und muskulöser aussehen. Unser inneres Körperbild entscheidet über die Akzeptanz des eigenen Spiegelbildes so, wie es von individuellen Vorstellungen, Ideen und Vorurteilen über die Bedeutung des Äußeren an sich geprägt ist. Fällt der Vergleich des tatsächlichen Aussehens mit dem innerlich erzeugten Körperbild nun negativ aus, führt dies zu Unzufriedenheit und Selbstzweifeln (ebd.). Auch durch Untersuchungen ist eine hohe Korrelation zwischen einem positiven Körperbild und der psychischen Gesundheit bewiesen (Waldrich 2004, S. 115).

Eine von Waldrich (2004, S. 9) angeführte Studie von 2002 belegte, dass die Menschen in der Zufriedenheit mit ihrem Aussehen umso eher beeinflusst werden, je mehr ihre Selbsteinschätzung betroffen ist. Anhand von 222 Einzeluntersuchungen wurde veranschaulicht, dass sich die Körper-Unzufriedenheit bei Frauen seit dem zweiten Weltkrieg enorm gesteigert hat (ebd., S. 7). Die Menschen heute erliegen viel eher einer Unzufriedenheit als zu der Zeit, als das Thema Schlankheit und Schönheit noch weniger vermarktet wurde. Es fällt ihnen sichtlich schwerer, sich anzunehmen, wie sie sind, was angesichts der Tatsache, dass das Aussehen in unserer Gesellschaft einen so hohen Stellenwert hat, auch nicht verwunderlich ist. Weitere Untersuchungen aus den USA und Europa verdeutlichen, dass Frauen ihre Selbstachtung und die seelische Gesundheit zu sehr von ihrer Figur abhängig machen. Sie streben ständig nach einer anderen Person, was ein positives Selbstkonzept unmöglich macht (ebd., S. 115). Ist eine Frau der Meinung, den vermeintlichen Männerfantasien nicht gerecht zu werden, stellt sich eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper ein. Orientiert sie sich nämlich an der Figur eines Playboy-Bunnys, die nicht wirklich identisch mit dem realen Frauenkörper ist, kann die Durchschnittsfrau für sich selbst im Prinzip nur verlieren. Dass das männliche Geschlecht jedoch weiblicheren Rundungen durchaus nicht abgeneigt ist und Frauen dagegen einem Irrtum unterliegen, was Männervorlieben betrifft, wurde bereits unter Punkt 3.2.1 anhand von Untersuchungsergebnissen veranschaulicht. Das macht wieder einmal mehr deutlich, wie sehr Presse und Medien Idealvorstellungen prägen und uns hemmen, kritisch damit umzugehen.

Folgend werde ich eine Studie anführen, die sich mit dem direkten Einfluss von Zeitschriften auf die Einstellung zu Attraktivität und zum eigenen Körperempfinden befasst hat. Man befragte Engländerinnen nach der Zufriedenheit mit ihrem Äußeren und ihrer Figur und gab ihnen daraufhin für eine Stunde lang Modejournale zur Lektüre. Als Reaktion war – in Verbindung mit den ersten Antworten – bei der erneuten Befragung eine gesunkene Zufriedenheit mit dem eigenen Körper festzustellen. Die Ursache dafür liegt in den ´Mustervorstellungen´, die wir unter dem Einfluss der Medien vom Aussehen eines attraktiven Menschen entwickeln und die uns dazu verleiten, in unserem Geiste ´Prototypen´ zu schaffen (Waldrich 2004, S. 134 f.). Typisierungen wie ´sportlich´, ´weiblich´ oder sachlich´ – Schubladen, in welche Frauenfiguren in Zeitschriften eingeordnet werden – haben sich als unsere Vorstellung von einem attraktiven Menschen manifestiert und Definitionen eines Mustertyps erschaffen. Dadurch bleibt nach der Meinung von Drolshagen (1997, S. 168) in der Kategorie der Schönheit kein Platz für ein individuelles Erscheinungsbild. Sogar Körperproportionen, die zunächst als ´extrem´ gelten und auch so empfunden werden, erachtet man als normal und durchschnittlich, je öfter die Medien diese als beispielhaft vorführen: „Was lediglich ein >Medieneffekt< ist, [ist] eben der Effekt einer neuen >Prototypisierung<“ (Waldrich 2004, S. 135). Die Situation der Körperwahrnehmung ist heute derart, dass „der einzelne ... nach einem Körperbild [strebt], was es real nicht gibt und ... sich für seinen durchschnittlichen, in seinen Augen aber dicken Körper [schämt]“ (Posch 2009, S. 93). Wenn Frauen sich also nach dem Mustertyp richten, der ihnen in den Zeitschriften vor Augen geführt wird, so schadet dies eher ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Selbstsicherheit, da die eigene Figur bei einem Vergleich doch meist schlechter abschneidet. Allerdings ist den wenigsten

„ ... wohl rational bewusst, mit welcher Wucht Frauenzeitschriften fortgesetzt in die Kerbe aus Selbstzweifeln, Unsicherheit und Angst schlagen. Sie empfinden ihr Mode- und Kosmetikinteresse als Ausdruck eines ‘natürlichen’ Verschönerungsbedürfnisses, außerdem wissen sie ja, wie wichtig das Aussehen einer Frau ist“ (Deuser et al. 1995, S. 96).

Die Medien werden aber wohl eine selbstkritische Haltung der Konsumentinnen weiterhin unterstützen. So wie die Unzufriedenheit der Frauen nämlich ihr Ventil und ihre Befriedigung in der Schönheitsindustrie findet, lebt jene von den erzeugten Frustrationen der Kundinnen (Waldrich 2004, S. 144). Ebenso darauf angewiesen sind die Zeitschriften, deren weiteres Bestehen von den Käuferzahlen abhängt. Demnach ist es für die Verleger und Redakteure von existenzieller Bedeutung, das körperliche Unbehagen der Leserinnen aufrechtzuerhalten (Deuser et al. 1995, S. 96).

[...]


[1] Anm. d. Verf.: Hinweis: Es ist anzumerken, dass im Folgenden nicht geschlechtsspezifische, jedoch geschlechterbezogene Bezeichnungen für Frauen und Männer gleichermaßen Gültigkeit haben.

Die Bezeichnungen Anorexia nervosa, die gekürzte Form Anorexie und der deutsche Begriff Magersucht, ebenso Bulimia nervosa, gekürzt Bulimie und im Deutschen auch als Ess-Brech-Sucht bezeichnet, werden im Folgenden verwendet und haben auf die jeweilige Essstörung bezogen die gleiche Bedeutung. Auch ist der Begriff ´Sportanorexie´ mit ´Anorexia athletica´ gleichzusetzen.

[2] Mit dem BMI (Body- Mass- Index) errechnet man mittels Körpergröße und Gewicht einen Wert, der Unter-, Normal- und Übergewicht bestimmt. Die Formel dafür lautet: Körpergewicht in Kilogramm, dividiert durch die Körpergröße zum Quadrat. Im Normalbereich liegen Werte zwischen 19 und 25, wobei auch die Altersklasse, Körperbau und seelische Verfassung bedacht werden müssen. Somit ist der BMI als Richtwert, nicht als strenges Dogma zu betrachten. Ein BMI unter 19 bedeutet aber eindeutig Untergewicht und ein Wert unterhalb von 17,5 einen Hinweis auf eine Essstörung (Miek 2004, S. 86).

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
Essstörungen im Sport
Untertitel
Körperkult - Schlankheitswahn - Anorexia athletica
Hochschule
Universität Regensburg  (Sportwissenschaften)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
114
Katalognummer
V196826
ISBN (eBook)
9783656228578
ISBN (Buch)
9783656228882
Dateigröße
2051 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
essstörungen, sport, körperkult, schlankheitswahn, anorexia
Arbeit zitieren
Veronika Rauchensteiner (Autor:in), 2011, Essstörungen im Sport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/196826

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