Wo steht Popjournalismus?

Eine Inhaltsanalyse der Printberichterstattung über Popmusik.


Magisterarbeit, 2008

166 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 THEORETISCHE ASPEKTE DES POPJOURNALISMUS
2.1 ZUR DEFINITION DES POPJOURNALISMUS
2.2 ZUM FORSCHUNGSSTAND ÜBER POPJOURNALISMUS
2.3 ZU THEMENSELEKTION UND WIRKUNG DES POPJOURNALISMUS
2.4 ZUM ROLLENKONTEXT IM POPJOURNALISMUS
2.5 KONFLIKTE DES POPJOURNALISMUS

3 ROCK- UND POPDISKURS

4 HISTORISCHE ASPEKTE DES POPJOURNALISMUS
4.1 USA UND GROßBRITANNIEN
4.1.1 Die Geburtsstunde
4.1.2 Die Blütezeit der Rockkritik
4.1.3 Die Punk-Explosion
4.1.4 New Pop - The Age Of Style
4.1.5 Zurück zum Rockdiskurs?
4.1.6 Exkurs: Club Culture
4.1.7 Exkurs: Black Critics
4.2. DEUTSCHLAND
4.2.1 Deutscher Rockdiskurs
4.2.2 Deutscher Popdiskurs
4.2.3 Spex - Die Pop-Intelligenz
4.2.4 Krise des Popjournalismus

5 POP-MAGAZINE

6 POPMUSIK IM FEUILLETON
6.1 ERSTE ANNÄHERUNGEN
6.2 WANDEL IN DER KULTURBERICHTERSTATTUNG

7 POPMUSIK IN PUBLIKUMSZEITSCHRIFTEN

8 TYPOLOGIE DES POPJOURNALISMUS

9 EMPIRISCHER TEIL
9.1 ZUR WAHL DER UNTERSUCHUNGSMETHODE
9.2 UNTERSUCHUNGSEUNHEITEN
9.3 UNTERSUCHUNGSZEITRAUM UND STICHPROBE.
9.4 HERLEITUNG DER FORSCHUNGSFRAGEN
9.5 ANALYSEEINHEITEN UND ZUGRIFFSKRITERIEN
9.6 ENTWICKLUNG DES CODEBUCHS
9.6.1 Formale Kategorien
9.6.2 Inhaltliche Kategorien
9.6.3 Wertende Kategorien
9.7 RELIABILITÄT UND VALIDITÄT DES MESSINSTRUMENTS

10 UNTERSUCHUNGSERGEBNISSE.
10.1 AUSWERTUNG DER ERGEBNISSE
10.2 ZUSAMMENFASSUNG RELEVANTER ERGEBNISSE

11 FAZIT UND AUSBLICK

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG: CODEBUCH

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABB. 1: ANTEIL DER POPMUSIKBERICHTERSTATTUNG AN DER GESAMTEN KULTURBERICHTERSTATTUNG

ABB. 2: DOMINIERENDE KRITERIEN BEI DER BEWERTUNG VON ALBEN

ABB. 3: DOMINIERENDE KRITERIEN BEI DER BEWERTUNG VON KONZERTEN

ABB. 4: BEZÜGE ZU GESELLSCHAFTLICHEN FUNKTIONSYSTEMEN

ABB. 5: BEZÜGE ZU GESELLSCHAFTLICHEN KONFLIKTEN

ABB. 6: BEZÜGE ZU KUNSTGATTUNGEN

TABELLENVERZEICHNIS

TABELLE 1: RELIABILITÄTSKOEFFIZIENT FÜR ERSTEN TEIL DES KATEGORIENSCHEMAS

TABELLE 2: RELIABILITÄTSKOEFFIZIENT FÜR ZWEITEN TEIL DES KATEGORIENSCHEMAS

TABELLE 3: IDENTIFIZIERTE BEUTRÄGE ÜBER POPMUSIK NACH JAHR UND MEDIUM

TABELLE 4: POSITIONIERUNG DER BEITRÄGE

TABELLE 5: ILLUSTRATION DER BEITRÄGE

TABELLE 6: ARTIKELUMFANG

TABELLE 7: GENREPRÄFERENZ

1 EINLEITUNG

„Maggie Thatcher und Helmut Kohl waren keine Popstars, sondern natürliche Feinde der Popkultur. Das hat sich verändert. Bill Clinton war ein großer Popstar, Gerhard Schröder ist einer und Tony Blair ist von allen der größte. Es gibt ein Photo von ihm, das ihn nach einem Wochenende zeigt. In der einen Hand trägt er eine Aktentasche mit den wichtigsten Papieren seiner Staatsgeschäfte, in der anderen den Gitarrenkoffer seiner Fender Stratocaster.“1

Popmusik hat die Politik erreicht. Nachdem die früher als aggressiv verpönte Jugendlichenmusik inzwischen längst die Generationsklüfte übersprungen hat, kokettieren nun also auch politische Akteure mit Popstars und deren Symboliken. Musikalische Provokation als Ausdruck der Ablehnung hegemonialer Verhältnisse scheint unter diesen Umständen natürlich kaum noch vorstellbar. Wenn Popmusik aber in der Gesellschaft angekommen ist und (nicht nur) durch die Politik instrumentalisiert wird, ist die journalistische Reflektion über die neuen Beziehungen notwendiger denn je. Demnach stellt sich die Frage, wie die Medien mit Popmusik umgehen.

Das oben angeführte Zitat ist diesbezüglich bereits ein gutes Beispiel. Es stammt aus einem 2001 veröffentlichten Interview, das Campino, der Sänger von den Toten Hosen, mit Joe Strummer, dem inzwischen verstorbenen Sänger von The Clash, für die Süddeutsche Zeitung führte. Immerhin kommen damit zwei Protagonisten des Punk zu Wort, deren politische Einstellungen mit den Ansichten des deutschen Durchschnittsbürger kaum zu vereinbaren scheinen. Noch vor zwei Jahrzehnten wäre eine solche Gesprächssituation in einer Qualitätszeitung wie der SZ kaum vorstellbar angesichts des kulturellen Profils der Zeitung, das sich weitgehend an den vermeintlich hochkulturellen Interessen des elitären Leserkreises orientierte. Dass diese allerdings längst keine Berührungsängste oder gar Geringschätzungen gegenüber Popmusik zeigen, gilt inzwischen als empirisch bestätigt (vgl. Frank et al. 1991, S. 369; vgl. Neuhoff 2001, S. 752f.). Das haben die mit kultureller Deutungshoheit zumindest liebäugelnden Printmedien inzwischen offensichtlich auch erkannt.

Die journalistische Auseinandersetzung mit Popmusik ist freilich ein noch kaum beachtetes Feld, das von der Journalismusforschung bislang mit wenigen Ausnahmen konsequent ignoriert wird. Deshalb ist es zunächst die Aufgabe der vorliegenden Arbeit, Popjournalismus zu strukturieren und relevante Eigenschaften aufzudecken. Entsprechend dem Selbstverständnis der Kommunikations- als einer Integrationswissenschaft werden dabei Theorieelemente aus Cultural Studies, Systemtheorie und Journalismusforschung verwendet.

Die Cultural Studies leiden zwar an einer mangelnden methodischen Systematik und werden in der deutschen Forschungslandschaft noch immer kaum rezipiert, eignen sich aber für die Arbeit insofern, als sich sowohl Themenschwerpunkte als auch Erkenntnisinteressen häufig mit denen des Popjournalismus überschneiden. Von der Spex, eine Zeitschrift, die auf die Rezeption von Popmusik spezialisiert ist, wird gar behauptet, sie betreibe im Grunde Cultural Studies. Systemtheoretische Akzente sollen dagegen zur Strukturierung des Forschungsfeldes beitragen und Aussagen begründen, welche die Position von Popjournalismus in der Gesellschaft betreffen.

Wie Popjournalismus auf systemtheoretischer Basis zu definieren ist und welche Elemente den Status eines eigenständigen Journalismustyps rechtfertigen, soll in Kapitel 2.1 dargestellt werden. In Kapitel 2.2 wird dann der lückenhafte Forschungsstand dargelegt. Aspekte der Themenselektion und der Wirkung bei der Berichterstattung über Popmusik sind Gegenstand von Kapitel 2.3, wobei Perspektiven hinsichtlich elaborierter kommunikationswissenschaftlicher Theorien offenbart werden. Besonderheiten des Rollenverständnisses und der sozialen Herkunft von Popjournalisten werden in Kapitel 2.4 thematisiert. Im folgenden Kapitel werden konfliktreiche Entwicklungen erläutert, denen sich Popjournalisten ausgesetzt sehen, wobei diese in den neuen technischen Kommunikationspotentialen des Internets und dem Verhältnis zu den PR-Abteilungen der Plattenfirmen bestehen. Kapitel 3 thematisiert die zwei dominierenden, paradigmatischen Ansätze im Popjournalismus, auf deren Basis Kriterien für die Bewertung von Popmusik erstellt werden und die in dieser Arbeit unter Rock- bzw. unter Popdiskurs firmieren.

Daraufhin wird in Kapitel 4 die Entstehungsgeschichte des Popjournalismus nachgezeichnet, wobei zwischen den USA und Großbritannien sowie Deutschland unterschieden wird. Die Integration der historischen Dimension ist notwendig, weil dadurch für die Studie erforderliche Implikationen erschlossen und Kriterien für eine Typologie identifiziert werden. Eine Geschichte des Popjournalismus ist darüber hinaus zumindest für Deutschland noch nicht erzählt wurden. Die Kapitel 4.1.6 und 4.1.7 sind gleichsam als Exkurse zu verstehen, beschäftigen sie sich doch mit der journalistischen Berichterstattung über bestimmte Genres der Popmusik, wobei die entsprechenden Journalisten wiederum eigenen Regeln folgen.

Die Kapitel 5 bis 7 haben die Situation für den Popjournalismus bei denjenigen Printmediengattungen zum Gegenstand, die als Untersuchungseinheiten in die Studie eingehen. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die feuilletonistische Berichterstattung gelegt. Im folgenden Kapitel wird eine Typologie vorgestellt, die zwar noch empirischer Begründung bedarf, aber nach Ansicht des Verfassers einen geeigneten normativen Rahmen bildet, um die bestehenden Varianten der journalistischen Auseinandersetzung mit Popmusik angemessen darzustellen.

Der Schwerpunkt der empirischen Untersuchung liegt zunächst auf der Frage, wie der Stellenwert von Popmusikthemen in den Kulturredaktionen ausgewählter deutscher Tageszeitungen und Publikumszeitschriften zu bewerten ist. Daran schließt sich die Frage nach Unterschieden sowohl im Zeitverlauf als auch zwischen den Printmedien an. Durch den theoretischen und den historischen Teil wurde darüber hinaus ein Instrumentarium erarbeitet, welches spezifische Bewertungskriterien und Bezugsysteme umfasst. Ein weiteres grundlegendes Forschungsinteresse der Studie ist demnach, wie präsent diese Elemente in den Beiträgen über Popmusik sind.

Die einzelnen Kapitel des empirischen Teils dokumentieren das Vorgehen bei der Konzeptionierung der Studie. Die konkreten Forschungsfragen werden dabei durch Rückschlüsse auf den theoretischen und den historischen Teil entwickelt (Kapitel 9.4). In Kapitel 10 werden die Ergebnisse ausgewertet, interpretiert und zusammengefasst. Abschließend bietet das Fazit unter Rückbezug besonders relevante Ergebnisse einen Ausblick auf weitere Perspektiven des Forschungsfeldes und zukünftige Aufgaben des Popjournalismus.

2 THEORETISCHE ASPEKTE DES POPJOURNALISMUS

2.1 ZUR DEFINITION DES POPJOURNALISMUS

Schon die unterschiedlichen Bezeichnungen (Popkritik, Rockkritik, Popularmusikjournalismus, populärer Journalismus) für das in dieser Arbeit zu untersuchende Thema lassen erahnen, dass derjenige, der Popjournalismus zu definieren versucht, vor erheblichen Problemen steht. Journalismus soll zunächst definiert werden als „System zur Selbstbeobachtung“ (Altmeppen/Löffelholz 1998, S. 415), dass hinsichtlich seiner Funktion impliziert, von den verschiedenen sozialen Systemen zur Beobachtung und Modifikation ihrer jeweiligen Operationen genutzt zu werden. Dafür sammelt, selektiert, bearbeitet und veröffentlicht das System Journalismus Themen aus den jeweiligen sozialen Systemen (vgl. Weischenberg, 1998 S. 42). Rühl fasst diesen Gedanken noch einmal zusammen, indem er als Primärfunktion des Journalismus die „Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation“ (Rühl 1980, S. 319) identifiziert. Dieser Ansatz aus der Systemtheorie, der Journalismus auf der Makroebene erklärt, soll hier vorerst genügen.

In Ermangelung einer konkreten systemtheoretischen Bezugnahme auf Popmusik bietet sich die Orientierung an den Auffassungen von Saxer zur Kunstberichterstattung an. Diese verbindet als funktionales Subsystem des Mediensystems über organisierte und institutionalisierte Kommunikationskanäle die beiden hoch ausdifferenzierten Systeme Kunst und Publizistik (vgl. Saxer 1995, S. 5f.).2 Interessant sind hier die Charakteristiken die Saxer dem Subsystem Kunst zuschreibt. Kunst ist demnach „jenes gesellschaftliche System […], das primär mit expressiven Symbolen ästhetische Synthesen hervorbringt“ (ebd.). Gekennzeichnet ist es durch eine vergleichsweise lockere Organisation sowie eine gewisse Ungenauigkeit und Labilität seiner Definitionsstrukturen, was erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringt. Gleiches gilt für die Subsysteme von Kunst: Literatur, Bildende und Darstellende Kunst sowie Musik. Popmusik soll in diesen Kontext als Subgattung des Subsystems Musik verortet werden.

Popjournalismus nun bedeutet nicht „populärer Journalismus“, ein Begriff der vor allem bei Autoren der Cultural Studies verbreitet ist, obwohl Gemeinsamkeiten durchaus identifiziert werden können3. Diese verlangen, dass sich die Journalismusforschung häufiger am Rezipienten orientieren müsse und die unterschwellige Ignoranz gegenüber den Spielarten des Unterhaltungsjournalismus bzw. des populären Journalismus, überwunden werden müsse (vgl. Renger 1997, S. 23). Legitimiert wird diese Forderung durch steigende Auflagenzahlen von Printprodukten, die „nur mehr in geringerem Ausmaß ‚news’ im traditionellen Sinn des Wortes enthalten“ (ebd., S. 24). Tatsächlich ist Unterhaltung bzw. Rekreation inzwischen allgemein als Funktion des Journalismus anerkannt. Analysen, die sich mit spezifischen, diesem Zweck dienenden Themen beschäftigen, sind im Mainstream der Journalismusforschung allerdings noch nicht im entsprechenden Maße angekommen. Um es noch einmal deutlich zu machen: Populärer Journalismus ist „Journalismus light, [...] jener, der auf Grund unterschiedlicher Ökonomisierungsstrategien mit minimalen journalistischen Mitteln massenhafte Auflagen, große Reichweiten und damit maximalen unternehmerischen Profit erreicht“ (Renger 2002, S. 476). Hier lässt sich bereits ein Unterschied zu Popjournalismus konstatieren, denn dieser ist weit weniger auf ein Massenpublikum, sondern eher auf spezialisierte Teilpublika ausgerichtet, was anhand bestimmter Sprachcodes in popjournalistischen Texten deutlich wird. Gleichzeitig implizieren solche Wendungen genauso wie ein bestimmter Anspruch der Texte, dass eine Einschränkung des Leserkreises durchaus intendiert ist. Popjournalismus wird also nicht für Populärkultur gemacht, sondern hat diese zum Gegenstand.

Um sich einer Definition weiter anzunähern, ist es unerlässlich, sich zunächst dem Begriff Popmusik zu widmen, denn diese ist der fundamentale und konstituierende Gegenstand des Popjournalismus. Dafür sind zunächst einige Abgrenzungen nötig, die angesichts der oben beschriebenen Ungenauigkeiten und Verschiebungen des Bereiches konstruiert wirken können, aber für eine empirische Untersuchung notwendig sind. Demnach ist Popmusik nicht mit populärer Musik gleichzusetzen, sondern vielmehr eine Gattungsform derselben4. Die klassische Trennung zwischen E- und U-Musik soll hier keine Rolle spielen, denn das Missverständnis die so genannte ernste Musik mit klassischer Musik gleichzusetzen, scheint inzwischen aufgeklärt5. Dennoch soll klassische Musik (von Renaissance bis zur Neuen Musik) ebenso aus der Definition ausgeklammert werden wie die Oper, Spielarten der Folklore, Volkslieder und Schlager. Ein entscheidender Unterschied dieser Gattungen im Vergleich zur Popmusik sind die musikalisch-regionalen Traditionen, auf die sie sich beziehen. Wichtige Definitionselemente sind weiterhin die allgemeine Zugänglichkeit und Verbreitung von Popmusik, die Schicht- und regionale Grenzen hinter sich lässt (Shuker 1998, S. 228). Überdies wird Popmusik gekennzeichnet durch ihre starke „Bindung an die kommunikative Basis“ (Haselauer 1980, S. 182) durch einen hohen Verständlichkeitsgrad. Dadurch entsteht ein verhältnismäßig geringer musikalischer Komplexitätsgrad, was wiederum dazu führt, dass hinsichtlich der Funktion von Popmusik, die Erzeugung von Stimmungen gegenüber Anreizen des Intellekts überwiegt (vgl. ebd.)6. Demnach wird von Jazz und Blues in der Definition ebenso abgesehen, obwohl sie wichtige Impulsgeber für die Entstehung des Popjournalismus waren. Ferner bleibt die so genannte Gebrauchsmusik (Theater-, Film- oder Militärmusik) unberücksichtigt, da diese eher nach ästhetischen Kriterien der sie jeweils umgebenden Subsysteme bewertet werden. Die Definition Popmusik soll dennoch weit gefasst werden und Rockmusik und deren Spielarten, Soul/Funk/Disco, Hip-Hop, Reggae/Dub/Dubstep, Pop7 sowie elektronische Tanzmusik beinhalten. All diese Genres und ihre jeweiligen Subgenres rekurrieren entweder auf eine amerikanische, eine britische oder eine karibische Musiktradition. Popmusik zielt überwiegend auf ein jugendliches Publikum und ist eng geknüpft an die hinter ihr stehende Industrie (Plattenfirmen, Konzertveranstalter, Promotionagenturen), die mittels unterschiedlicher Image- und Werbekampagnen „den Künstler zum Idol, zur unerreichbaren, charismatischen (rsp. erotischen) Figur zu stilisieren“ versuchen (vgl. Rumpf 2007, S. 42). Sowohl bei Künstlern, Publikum als auch innerhalb der Industrie selber (Independent-Labels) werden dabei oft „Anti-Haltungen“ (ebd.) provoziert (vgl. Jacke 1996, S. 11f.), deren Vertreter die Bedeutung der Musikindustrie in der Produktion und Distribution von Popmusik Protagonisten der Oper. Streng genommen war eine solche These schon länger obsolet, wenn man sich etwa das Virtuosentum des 19. Jahrhunderts vergegenwärtigt. unterwandern wollen. Eine solche Polarisierung findet sich ansatzweise auch im Popjournalismus.

Ein weiteres wichtiges Merkmal von Popmusik ist der Widerspruch zwischen Historisierung und Ahistorizität. Popmusik ist, angetrieben von der Industrie, immer wieder auf der Suche nach der neuesten Attraktion, ist durchzogen vom „Primat einer permanenten Aktualität“ (Ullmaier 1995, S. 6). Die Musikindustrie konterkariert diesen Zwang zum Neuen zwar durch historisierende Veröffentlichungen von gestorbenen oder nicht mehr aktiven Künstlern, diese Veröffentlichungen haben allerdings oft einen konkreten Zeitbezug (Tod, Geburtstag, Todestag, Preisverleihung) und werden somit wieder aktuell. Gleichzeitig aber ist fundiertes Wissen um die Geschichte der Popmusik unablässige Vorraussetzung für eine korrekte Bewertung derselben. Für Popjournalisten gilt das umso mehr, sind sie doch die Experten, die ihren Lesern die (auch den Künstlern oftmals unbewussten) musikhistorischen Bezüge erklären sollen. Konkret geschieht eine solche Einordnung nicht nur durch Analogien zu ähnlich klingenden Künstlern oder Bands, oft solche, die Eingang in den Kanon der Popmusik gefunden haben, sondern auch, indem Vergleiche mit vergangenen Zeitepochen und politischen bzw. sozialen Strömungen angestrengt werden. Andererseits finden sich vor allem in Special-Interest-Zeitschriften Versuche aktuelle musikalische Strömungen zu identifizieren und mit musikfremden kulturellen Phänomenen in Verbindung zu bringen.

Die Etablierung einer neuen musikalischen Innovation geht häufig einher mit der Entstehung einer neuen Subkultur (z.B. Teds, Punks, Mods) begleitetet von der Institutionalisierung symbolischer Codes, etwa in der Sprache oder Mode der Jugendlichen. Kennzeichnend für die Subkulturen ist ein bestimmter Protesthabitus, der den Wunsch nach Teilhabe an bisher verwehrten Lebensmöglichkeiten ausdrückt und der sich sowohl in der Popmusik als auch im Popjournalismus spiegelt. Abgrenzungen oder Distinktionen (vgl. Bourdieu 1979) sind nicht erst seit dem Einschnitt von Punk (vgl. 4.1.3) ein Wesensmerkmal des Popjournalismus und führen oftmals dazu, dass nicht mehr nach musikimmanenten Kriterien, sondern solchen der Musik „zugeschriebenen Einstellungen, Sichtweisen, Werte und Ideologien“ (Hinz 1998, S. 223) bewertet wird. Popjournalisten verweisen immer wieder auf den Subversionsgehalt von Popmusik und versuchen mittels latenter oder manifester ästhetischer Aspekte entweder in der Musik selber oder im Verhalten, im Aussehen, in der Kleidung sowie in der (sub)kulturellen Verortung und Sozialisation der Künstler soziale und politische Probleme zu thematisieren. Die Suche nach einem ästhetischen Mehrwert von Popmusik wird legitimiert durch die Bindungskraft, die Popmusik für diese Subkulturen hat, denn „junge Menschen können (…) in der Ablehnung des von ihnen bejahten und akzeptierten Ausdrucksspektrums ihre gruppenspezifische Zugehörigkeit festigen“ (Becker 1983, S. 113). So finden Themen, deren soziale Relevanz vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene als hoch einzuschätzen sind, etwa Drogen oder die Genderproblematik, ihr publizistisches Echo in popjournalistischen Texten. Popjournalismus fungiert diesbezüglich als „Sprungbrett für soziale Diskurse auf vielen Ebenen“ (Jones/Featherly 2002, S. 36). Demnach ist es bezeichnend wenn das ausgerufene Ende der Subkulturen auch die Krise des Popjournalismus auslöste (vgl. 4.2.4).

Popjournalisten arbeiten zudem vor dem Hintergrund eines erweiterten Kulturbegriffes, der Popkultur. Dessen Strukturierung kann durchaus als Ziel des Popjournalismus formuliert werden, was beispielsweise daran deutlich wird, dass die deutsche Zeitschrift, in der Popjournalismus mutmaßlich in seiner avanciertesten Form vorkommt, die Spex, mit ‚Magazin für Popkultur’ untertitelt ist. Das Entstehen der Popkultur hat aus soziologischer Sicht die Auflösung des Antagonismus von Elite- und Massenkultur zur Folge. Auf den Musikjournalismus bezogen bedeutet diese Auflösung eine Abkehr von klassischen, musikwissenschaftlich inspirierten Bewertungskriterien, die sich vor allem an der musikalischen Technik orientieren. Stattdessen suchen Popjournalisten durch die Einrichtung eines weitläufigen Bezugssystems, das sich von Mode über Film und Literatur bis hin zu konkreten Alltagspraxen erstreckt, eine Legitimation für ihre Bewertungen zu erarbeiten.

Denn kunstjournalistische und damit auch popjournalistische Texte sind in erster Linie kritische Texte. Demnach ist es Kunstjournalisten erlaubt Werturteile zu äußern, Subjektivismen in den Text mit einzubeziehen. Vor allem Popjournalisten gehen teilweise so weit, ihr eigenes Subjekt, ihre eigene Lebenswelt in der Kritik darzustellen. Eine Vorgehensweise, die bei spezialisierten Zeitschriften mit einem eingeschränkten, aber kenntnisreichen Leserkreis noch vorstellbar zu sein scheint, in den Feuilletons der Tageszeitungen jedoch überwiegend abgelehnt wird8. Denn Kritiken, die einem Richterspruch gleichkommen, ohne ihn als subjektive Bewertung zu kennzeichnen, können von weniger abstrahierungsfähigen Lesern schnell übernommen werden. Vielmehr hängt die Wahrheit einer Kritik von traditionellen journalistischen Qualitäten ab, wie Faktengenauigkeit und Distanz zum Objekt. Im besten Fall bietet die Kritik eine „Balance zwischen theoretischem Hintergrund und (der) Wiedergabe der Fakten“ (Buhles 1998, S. 3). Zu erwarten ist, dass diese Kriterien keine Primärtugenden von Popjournalisten sind. Ihre Motivation speist sich zum größten Teil aus ihrer Begeisterung für Popmusik, was zur Folge hat, dass in ihren emphatischen, oft affirmativen Texten jegliche Distanz fehlt bzw. bewusst vermieden wird9 (vgl. Saxer 1998, S. 233).

Entsprechend ist zu konstatieren, dass „Popjournalismus sicherlich nicht orthodox den Ansprüchen und Kriterien des in der Journalistik fokussierten prototypischen Nachrichtenjournalismus“ (Jacke 2005, S. 58) folgt. Allerdings bleibt er auch nicht unberührt von grundsätzlichen Entwicklungen und Tatsachen im Journalismus, etwa Professionalisierungstendenzen oder organisatorischen Zwängen, die aus dem Verhältnis zu den umliegenden sozialen Systemen resultieren. Insbesondere ist der Popjournalismus auf Zulieferleistungen von Ökonomie und Public Relations angewiesen (vgl. 2.5).

In Anlehnung an die oben vorgestellte Journalismusdefinition soll Popjournalismus abschließend aus systemtheoretischer Sicht definiert werden, als Subsystem des Journalismus, dessen Funktion es ist über kommunikative Kanäle Themen des Subsystems Popmusik bereitzustellen, die durch Anschlusskommunikation wiederum zur sozialen Ordnung im sozialen System Gesellschaft beitragen. Ökonomisch auf der Distributionsebene der Wertschöpfungskette der Musikwirtschaft verankert, soll Popjournalismus spezifischer definiert werden, als die kritisch-emphatische Berichterstattung über Erzeugnisse und Ereignisse der Popmusik, die, aufgrund der inhaltlichen Nähe der Autoren zu ihrem Gegenstand, durch eine starke Bindungskraft von Kommunikatoren und Rezipienten gekennzeichnet ist. Die Leistung des Popjournalismus besteht dabei in der Verortung von Popmusik durch Bezüge auf sowohl historische als auch aktuelle Phänomene, die nicht zwangsläufig musikalischer Natur sein müssen, aber für die Lebenswelt der Popmusik- Rezipienten relevant sind.

Schließlich gilt es zu verdeutlichen: Popjournalismus im Sinne dieser Arbeit meint nicht die in den Printmedien verbreitete Variante des subjektiven Erzählens über Elemente der Popkultur, deren Begriffsbestimmung in enger Anlehnung an die so genannte Popliteratur vollzogen wurde10, sondern hat ein Ereignis oder Erzeugnis der Popmusik, wenn schon nicht zum Hauptgegenstand, so doch zum Anlass. Konstitutiv ist also „ein Beobachtungsfeld und nicht (…) eine Schreibweise“ (Jacke 2005, S. 50). Gleichwohl existieren Gemeinsamkeiten und gegenseitige Einflussnahmen (vgl. 4.1.5).

2.2 ZUM FORSCHUNGSSTAND ÜBER POPJOURNALISMUS

Wenn Saxer darüber klagt, dass bereits die wenigen Analysen zur Kunstberichterstattung in der Kommunikationswissenschaft „unsystematisch (und) empirisch dürftig“ (Saxer 1995, S. 1) sind, so gilt dies umso mehr für den Popjournalismus. Mehr noch, mit Ausnahme einzelner Studienabschlussarbeiten11 ist das Themengebiet in der Kommunikationswissenschaft praktisch nicht existent, obwohl man die Zuständigkeit der Journalistik durchaus annehmen kann. Auch eine Kommunikationswissenschaft, die in der Selektion ihrer Themen dem Primat der politischen Bedeutung folgt, kann die Relevanz der Berichterstattung über Popmusik nicht mehr bestreiten. Denn selbst Politiker haben heute erkannt, welch hohen Stellenwert Popmusik in den Bedeutungshorizonten von (nicht mehr nur) jungen Menschen und damit auch Wählern einnimmt.12

Immerhin finden sich in einigen empirischen Arbeiten zur Feuilletonberichterstattung bzw. zur Musikberichterstattung im Feuilleton Aspekte bzw. Zahlen, um die Dimension der Quantität des Popjournalismus annähernd abschätzen zu können (vgl. Müller-Sachse 1988, Döpfner 1991, Saxer 1995, Stegert 1998, Leyendecker 2003). Obwohl keine der Untersuchungen als Langzeitstudie angelegt ist, lässt sich aus der Kombination der jeweiligen Ergebnisse zumindest folgender Schluss ziehen: Die Berichterstattung über Popmusik in den Feuilletons deutscher Tageszeitungen hat deutlich zugenommen. Vor diesem Hintergrund erscheint die kommunikationswissenschaftliche Ignoranz gegenüber dem Forschungsfeld noch unverständlicher.

Die Gründe für die Nichtbeachtung sind vielfältig. Jacke identifiziert fünf zentrale Ursachen, welche die Skepsis gegenüber der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Popmusik begründen (vgl. Jacke 2005, S. 53ff.). Eine erste Ursache ist danach, dass es sich bei Popmusik noch „immer um einen neuen, fremden Untersuchungsbereich für traditionelle Disziplinen handelt“ (ebd.). Tatsächlich analysiert der Mainstream der Journalismusforschung, der den empiristischen Journalismuskonzepten verpflichtet ist (vgl. Löffelholz 2002, S. 37) weiterhin überwiegend Aspekte der politischen Kommunikation, dem traditionellen Gegenstand des klassischen Nachrichtenjournalismus. Die Thematisierung populärer Spielarten des Journalismus wird einer Forschungsrichtung überlassen, die zumindest in Deutschland gerade erst etabliert ist, den Cultural Studies (vgl. Gebhardt 2003, Hinz 1997, 1998, 2003, Jacke 2004). Tatsächlich sind die Anknüpfungspunkte für Theoretiker der Cultural Studies besonders zahlreich, denn deren genuine, ja konstitutive Forschungsgegenstände sind Subkulturen, Formen populärer Kultur und Mediendiskurse, also die gesellschaftlichen Felder, auf die auch Popjournalismus Bezug nimmt. Tatsächlich sind sich die Themenfelder so ähnlich, dass einige „Autoren den vermeintlichen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Journalismus besonders elegant und leicht überwunden haben und deswegen im Grunde selbst Cultural Studies praktizieren“13 (Jacke 2004, S. 174). Natürlich finden sich solche akademisierten Varianten nur bei einzelnen Autoren des Popjournalismus - den „avancierten Musikjournalisten“14, wie Hinz sie nennt (Hinz 2003, S. 297) - obwohl es gerade diese Autoren sind, die sich den „Objektivierungsversuchen hinsichtlich sub- und jugendkultureller Strömungen in der Soziologie und anderen Wissenschaften“ (Hinz 1998, S. 223) mit Vehemenz entgegenstellen.

Es ist dennoch fraglich, ob die Cultural Studies allein adäquate Methoden bereitstellen können, um den Problemen beizukommen, die Jacke als zweite und dritte Ursache für wissenschaftliche Skepsis vermutet, der Wandelbarkeit und Unübersichtlichkeit von Popmusik (vgl. Jacke 2005, S. 52f). Die Strukturierung des sich ständig ändernden Zeichenwirrwarrs in der Popmusik, mithin eine wichtige Funktion des Popjournalismus, einer Forschungsrichtung zuzutrauen, die noch um Systematik der eigenen Methodologie bemüht ist (vgl. Hepp 1999, S. 254), scheint nicht zweckmäßig. Zudem besteht die Gefahr der intrinsischen Motivation (Jackes vierte Ursache für wissenschaftliche Skepsis; vgl. Jacke 2005, S. 53) und damit Ungenauigkeiten bei der wissenschaftlichen Arbeit, die immer dann besteht, wenn die Wahl eines Forschungsthemas aus persönlichen Vorlieben heraus begründet wird. Denn vermutlich ist diese Gefahr besonders stark bei einem Untersuchungsfeld wie dem der Popmusik, das ästhetische Synthesen hervorbringt und bei dem die Kategorie des Geschmacks eine gesonderte Rolle spielt.

Gleichwohl gilt es die bisher erarbeiteten Ergebnisse der Cultural Studies hinsichtlich des Popjournalismus zu nutzen und einem streng empirischen Blick aus der Distanz eine Absage zu erteilen. Denn für Popmusik gilt eben auch im besonderen Maße, dass derjenige, der sie und ihre Verortungen nicht konkret erfährt, Gefahr läuft, latente Bedeutungsinhalte in der Praxis der Popmusik zu übersehen und mit bloßem Zahlenmaterial an der Wirklichkeit vorbei zu forschen. Jacke spricht diesbezüglich von der Gefahr des Ausgeschlossenseins (vgl. ebd., S. 53f.).

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet Jacke an, indem er mit der Einrichtung einer Popkulturwissenschaft ein Forschungsfeld vorschlägt, welches die kommerzialisierten und institutionalisierten Makroformen der Kommunikation abdeckt (vgl. ebd., S. 54). Hierzu zählt er Journalismus, Kunst, Werbung und Public Relations und identifiziert Strukturen für die Meso-(Diskurse) und Mikroebene (Gattungen und Schemata). Durch Integration von Methoden der Cultural Studies soll ein einseitiger, auf die Kommunikatorseite ausgerichteter Forschungsschwerpunkt vermieden werden. Darüber hinaus soll diese Popkulturwissenschaft interdisziplinär konzipiert werden und nicht nur kommunikationswissenschaftliche, sondern auch musik- und kulturwissenschaftliche Elemente beinhalten, wobei unklar bleibt, wie eine solche Verschmelzung strukturiert werden kann. Zumindest eine heuristische Funktion hat die Systematisierung von Jacke aber allemal.

2.3 ZU THEMENSELEKTION UND WIRKUNG DES POPJOURNALISMUS

Es dürfte angesichts der lückenhaften Forschungssituation deutlich geworden sein, dass elaborierte Theorien der Kommunikationswissenschaft bisher noch nicht auf Formen des Musikjournalismus angewandt wurden. Dessen ungeachtet finden sich gerade bei Popjournalismus Aspekte, die eine Untersuchung mit Hilfe klassischer Theorien der Kommunikationswissenschaft implizieren. Obwohl diesbezüglich Differenzierungen zum klassischen Untersuchungsfeld, dem Nachrichtenjournalismus, zu erwarten sind, steht zu vermuten, dass sich die Arbeitsprogramme beider Journalismustypen ähneln bzw. sich deren Handlungsträger ähnlicher Einflussfaktoren ausgesetzt sehen.

Popjournalisten konstruieren Medienrealitäten15, sie stellen „unter großem Zeitdruck massenhaft geistige Unikate her“ (Saxer 1995, S. 142). Dabei bestimmen sie im Sinne des Agenda-Setting-Approach das Vorkommen bzw. die Akzentuierung von Themen und dadurch wiederum die Bedeutungszuweisung und -strukturierung der Themen seitens der Rezipienten (vgl. Kepplinger/Noelle-Neumann, S. 615f.). Für den Kunstjournalismus bzw. seine Subformen wäre es darüber hinaus interessant, Wirkungsaspekte nicht nur auf der kognitiven Ebene zu untersuchen. Zu vermuten ist, dass eine journalistische Berichterstattung, die in hohem Maße Bewertungen vornimmt, auch auf affektiver Ebene Effekte herbeiführt, entweder in Formen der Affirmation oder der Negation. Dass Anschlusshandlungen ausgelöst werden (Konzertbesuch, Plattenkauf), scheint ohnehin Merkmal eines rezensierenden Journalismus zu sein. Die meisten Autoren gehen davon aus (vgl. Wyatt/Hull 1988, S. 14), dass der Einfluss von Popjournalismus in Printmedien im Vergleich zur Berichterstattung über Darstellende Kunst oder Literatur eher gering ist. Shuker hingegen bezweifelt diese These und identifiziert diejenigen spezialisierten Rezipienten, die vor dem Hintergrund eines begrenzten finanziellen Spielraums handeln müssen, als besonders anfällig für die Berichterstattung über Popmusik (Shuker 1994, S. 93). Der überwiegende Teil potentieller Rezipienten informiert sich aber eher mittels elektronischer Medien über Popmusik. Der Kontakt zu einer Neuerscheinung kommt bei der Mehrheit potentieller Hörer nicht über die hier thematisierten Printmedien zustande.

Die Selektion von Themen hängt auch bei Popjournalisten von bestimmten Merkmalen ab, die sie dem jeweiligen Thema zuweisen. Dass der Nachrichtenwert16 eines kulturellen Ereignisses andere Merkmalskombinationen aufweist als derjenige klassischer Nachrichtenereignisse, sollte einleuchtend sein, wobei es schwierig ist solche Merkmale für den Popjournalismus herauszufiltern. Der Faktor Negativität etwa spielt bei der Themenselektion von Popjournalisten laut der Befragung von Wyatt/Hull keine Rolle (vgl. Wyatt/Hull 1988, S. 20). Mit ‚Aktualität’ oder ‚zeitliche Nähe’ wurde dagegen bereits ein relevanter Faktor benannt. Saxer identifiziert neben dem Faktor ‚räumliche Nähe’, der die Geschlossenheit des Subsystems Kunstjournalismus akzentuiert, zusätzlich den Faktor Institutionalität (vgl. Saxer 1994, S. 143f.). Demnach ist die Berichterstattung über Ereignisse aus stark institutionalisierten Kunstbereichen deutlich umfangreicher. Darüber hinaus konstatiert Saxer, dass seit den 1970er Jahren die Vergegenwärtigungsleistung des Kunstjournalismus durch Illustrationen und „authentisierende Genres“ etwa Features oder Reportagen stark zugenommen hat. Zur Vergegenwärtigung würde darüber hinaus auch ein geringer Abstraktionsgrad der Artikel beitragen (vgl. Saxer 1998, S. 235). Jacke schlägt in seiner Studie über die Darstellung von Stars und Anti-Stars in der Popmusik den Faktor Prominenz vor, der sich wiederum entlang bestimmter Attraktivitätsfaktoren bildet und weist gleichzeitig darauf hin, dass auch die Ablehnung etablierter Mechanismen, wie sie bei den Anti-Stars in der Popmusik häufig vorkommt, die Prominenz von Musikern durchaus erhöhen kann. Ein weiterer Faktor wäre demnach mit Überraschung/Normverstöße benannt (vgl. Jacke 1996, S. 24f.). Hinsichtlich alternativer Eigenschaften eines Ereignisses, die dessen Publikationswahrscheinlichkeit steigern, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Mittels Befragungen sollte es aber die Aufgabe zukünftiger Forschung sein, einen entsprechenden Faktorenkatalog herauszuarbeiten.

2.4 ZUM ROLLENKONTEXT IM POPJOURNALISMUS

Auch wenn sich diese Arbeit überwiegend auf Bedeutungsaspekte der Aussagen des Subsystem Popjournalismus bezieht (vgl. Weischenberg 1998 68f.), sollen im Folgenden Perspektiven des Rollenkontextes der Popjournalisten vorgestellt werden. Zu konstatieren ist zunächst, dass auch bezüglich sozialer Herkunft, Rollenverständnis und Professionalisierung von Popjournalisten Forschungslücken zu beklagen sind.

Eine Ausnahme bildet die Studie der amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Wyatt/Hull, die eine landesweite Befragung von 160 Musikjournalisten sowohl von amerikanischen Tageszeitungen als auch von Publikumszeitschriften durchgeführt haben und hinsichtlich Soziodemographie und Professionalisierungsgrad zu folgendem Ergebnis gekommen sind: „The critic is, in all probabilty, a well-educated male in his 30s with about 10 years’ experince covering music. He has at least a bachelor’s degree with perhaps even some graduate work.” (Wyatt/Hull 1988, S. 22). Die Studie ist inzwischen allerdings über 20 Jahre alt und nicht frei von methodischen Mängeln.17 Dennoch entsteht nicht der Eindruck, dass Popjournalisten18 über spezifische journalistische Vorbildung verfügen und zumindest einige Stationen journalistischer Professionalisierung durchlaufen haben. Tatsächlich finden sich nur bei wenigen Autoren, die für die Ausprägung des Popjournalismus allerdings besonders wichtig waren, konkrete akademische Bezüge, die auf die entsprechende Ausbildung zurückzuführen sind. Dies gilt sowohl für den angloamerikanischen Sprachraum (z.B. Robert Christgau, Greil Marcus; vgl. 4.1.1) als auch für Deutschland (Helmut Salzinger, Diedrich Diederichsen; vgl. 4.2.1, 4.2.2). Eine institutionalisierte Professionalisierung von Popjournalismus lässt sich gleichwohl nicht identifizieren. Entsprechende Lehrstühle gibt es nicht und wenn einmal Seminare zum Thema angeboten werden, sind sie auf die Motivation einzelner Enthusiasten zurückzuführen.

Wie bei keiner anderen journalistischen Gattung ist die Entscheidung für eine popjournalistische Tätigkeit mit emphatischen Beweggründen zu erklären. Dieser Idealismus wird auf die Probe gestellt durch vergleichsweise geringe finanzielle Entlohnung. Vor diesem Hintergrund sind es insbesondere die Autoren der Popmagazine, den Special-Interest- Zeitschriften des Popjournalismus, die auf ihrem Weg zu einer Festanstellung die traditionellen journalistischen Professionalisierungsinstanzen umgehen (vgl. Venker 2003, S. 9). „Most ‚studied’ music criticism by reading all of it they could get their hands on.“ (Jones 2002, S. 13).

Perspektiven des Rollenverständnisses von Popjournalisten bietet außerdem die Untersuchung von Saxer, der Kunstjournalisten von Tageszeitungen und Anzeiger des Kantons Zürich befragte. Entlang der Kategorien Rollenverständnis und Professionalisierungsgrad identifiziert Saxer „zwei Haupttypen von Kunstjournalismus“ (Saxer 1995, S. 71). Die „Kunstkritiker“ finden sich meist bei überregionalen und großen regionalen Tageszeitungen. Sie sehen ihre Aufgabe zunächst in sachbezogener Informationsleistung für ihre Leser. Ihre berufliche Qualifikation legitimiert sie zusätzlich dazu, Bewertungen vorzunehmen, durchaus mit „erzieherischen Intentionen“ (ebd., S. 72). Kunstkritik ist danach gleichzusetzen mit Qualifizierungsmaßnahmen, die Publikum und Künstler gleichermaßen betreffen sollen. „Kunstberichterstatter“ hingegen sind zumeist bei kleineren Tageszeitungen und lokalen Anzeigenblättern beschäftigt. Sie beschränken sich entsprechend ihres Rollenverständnisses auf Informationsleistungen, bieten also klassischen Service-Journalismus und berichten bevorzugt vor einem Kunstereignis. Denn zu Bewertungen fühlen sie sich mangels entsprechender Ausbildung oft nicht befähigt.

Besonders interessant ist, dass sich die „Kunstkritiker“ aufgeschlossener gegenüber der Einschätzung und Thematisierung von „Populärkunst“19 zeigen, obwohl doch zu vermuten wäre, dass vielmehr das Publikum der „Kunstberichterstatter“ an dieser Interesse hat (vgl. ebd., S. 73). Gerade von den größeren Tageszeitungen hätte man doch ein weitaus deutliches Bekenntnis zur Hochkultur erwartet. Dennoch konstatiert Saxer für den Zeitraum der Untersuchung (1975 bis 1980) auf Grundlage einer parallel geführten Inhaltsanalyse eine geringe Präsenz von Populärkunst auf deren Kulturseiten. Daran schließt sich nicht nur die Frage an, ob deren Anteil inzwischen zugenommen hat, sondern auch, ob es diesbezüglich relevante Verhältnisunterschiede zwischen überregionalen und regionalen Tagszeitungen gibt.

2.5 KONFLIKTE DES POPJOURNALISMUS

2002 war das Jahr, in dem vor allem seitens der Literaturkritik vielerorts das Ende des Popjournalismus ausgerufen wurde (vgl. Schumacher 2003, S. 41; Hohlfeld 2004, S. 356). Infolge ökonomischer Zwänge mussten Spielfelder des literarischen Popjournalismus eingestellt werden, etwa die Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der Süddeutschen Zeitung (SZ) sowie deren Jugendsupplement ‚jetzt’. Abgesehen davon, dass ein solcher Schlussstrich verfrüht gezogen wurde20, ist die Diskussion angesichts der bereits vorgenommen Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes vom literarischen Popjournalismus für diese Arbeit insofern irrelevant, als Popmusik zwar auch ein Thema dieses Journalismustyps ist, allerdings eines unter vielen. Von einer Krise der Berichterstattung über Popmusik kann aber schon nach der täglichen Presseschau keineswegs gesprochen werden. Trotzdem sieht sich auch dieser Popjournalismus Konflikten ausgesetzt, die, wenn schon nicht dessen Fortbestehen bedrohen, so doch zumindest gewisse Anpassungsleistungen erzwingen.

Ein solcher Konflikt besteht angesichts der allgegenwärtigen Aufwertung der Kommunikationspotentiale des Internets, die so treffend unter dem Schlagwort Web 2.0 zusammengefasst werden. Die neuen Möglichkeiten, in der die Rezipienten aufgrund technischer Vereinfachungen nur noch geringe Aufwandsleistungen aufbringen müssen, um selber zum Kommunikator zu werden, stellen gerade den Popjournalismus vor neue Herausforderungen (vgl. Neuberger 2007, S. 96). Angesichts der relativ leichten Zugänglichkeit und der vergleichsweise einfachen musiktechnischen Erklärbarkeit von Popmusik, hatten Popjournalisten auch in den Zeiten vor dem Internet bereits Probleme ihre Deutungshoheit gegenüber ihren Lesern zu legitimieren. Dieser Konflikt findet sein Echo im Entstehen der sogenannten Fanzine-Kultur (vgl. 3.2.2), der Einrichtung eines alternativen Popjournalismus, der, so unprofessionell Layout und Texte auch waren, immerhin eine symbolische Ablehnung der institutionalisierten Berichterstattung über Popmusik ausdrückte. Heute wird dieses Misstrauen noch einmal potenziert angesichts der weiten Verbreitung von popjournalistischen Formen im Internet21. Altmeppens Vorschlag nur solche solche Formate als Online-Journalismus zu definieren, die über einen hohen Institutionalisierungsgrad verfügen (vgl. Altmeppen 2000, S. 132) mag hinsichtlich politischer Kommunikation durchaus sinnvoll ist, beachtet man typische Probleme der Netzkommunikation, wie Quellenungenauigkeit und „Digital Divide“. Doch gerade Popjournalismus steht in der Pflicht die vermeintlich oberflächlichen journalistischen Produkte seiner Leser ernst zu nehmen, will er seine enge Bindung zu den Rezipienten nicht verlieren. Gleichwohl gilt es eigene Akzente zu setzen und die attraktiven Strukturvorteile22 des Internets, insbesondere den Aspekt der gesteigerten Interaktivität, auch zu nutzen, zum Beispiel durch Integration von Online-User- Texten in die Print-Version.23

Darüber hinaus ist das Internet auch zu einem wichtigen Distributionsmedium für Popmusik geworden. Soziale Netzwerke wie myspace bieten Künstlern und Bands die Möglichkeit, ein großes Publikum zu erreichen ohne auf die PR-Maßnahmen der Musikindustrie und die Gatekeeper-Funktion des Popjournalismus angewiesen zu sein. Vor dem Hintergrund fortschreitender Diffusion der Online-Medien können sich die Printmedien nicht mehr ausschließlich auf Zuliefererdienste der Musikindustrie verlassen, will man die Definitionshoheit über neue musikalische Trends verteidigen24. Entsprechend geht Fenster bereits davon aus, dass Popjournalismus heute nur noch über eine Filter- bzw. Kommentarfunktion verfüge (vgl. Fenster 2002, S. 91).

Ein zweiter Konflikt betrifft das Verhältnis von Popjournalismus und Public Relations, welches besonders bei den Popmagazinen durch unterschiedlich starke, im Zeitverlauf wandelbare Abhängigkeiten geprägt ist (vgl. 4.1.1 und 4.1.2)25. Der Maßnahmenkatalog an PR-Strategien mit denen die entsprechenden Abteilungen der Musikindustrie versuchen, subtilen Einfluss auf die Selektionsentscheidungen der Popjournalisten zu nehmen, ist breit gefächert26. Euphorisch-übertriebene Sprachregelungen in den so genannten Promozetteln, die allerdings als Quelle überwiegend abgelehnt werden, sind da noch das Harmloseste. Andere Versuche erfreuen sich dagegen größerer Beliebtheit bei den Autoren. So werden nicht nur unzählige zu rezensierende Alben27, sondern auch Promo-Geschenke an die Redaktionen verschickt, die in Verbindung zum soziokulturellen Bezugsrahmen der Künstler stehen, was oftmals groteske Formen annimmt.28 Obendrein bezahlen Plattenfirmen Reisen zu Interviewterminen, Hotelkosten und den Eintritt zu Konzerten. Die Autoren danken es ihnen, indem sie sich am Veröffentlichungszeitplan der Plattenfirmen orientieren und durch Albumrezensionen Raum für kostenfreie Werbung (abgesehen von den benannten Aufwendungen) zur Verfügung stellen. Die Chuzpe, eine negative Kritik über einen Künstler zu schreiben, dessen Plattenfirma einen gerade noch mit Drinks versorgt hat, kann nur den wenigsten Autoren zugetraut werden. Überdies scheinen negative Kritiken die Verkäufe nicht zu beeinflussen (vgl. Jones 1994, S. 48). Storys, die auf journalistischer Eigeninitiative beruhen, finden sich nur in seltenen Specials und solchen popjournalistischen Formaten, die nicht professionalisiert sind. Noch deutlicher wird das in beiderseitigem Einvernehmen eingespielte Verhältnis, wenn Frith eine Job-Mobilität zwischen Popjournalismus und - Promotion konstatiert: […] record company press department recruit from the music papers, music papers employ ex-publicists; it is not even unusual for writers to do both jobs simultaneously.“ (Frith 1983, S. 173).

Empirischen Einblick in das Verhältnis zwischen Public Relations und redaktioneller Selektionsentscheidungen bzw. Bewertungen bietet die Untersuchung von Jones, der fünf Mainstream-Musikmagazine (Musician, Rolling Stone, Creem, Trouser Press und Spin) analysierte (vgl. Jones 1994, S. 49ff.). Der Autor weist zwar nach, dass eine große Anzeigenpräsenz von Plattenfirmen eine verstärkte Rezensionstätigkeit von Alben dieser Plattenfirmen nach sich zieht, verweist aber selber darauf, dass diejenigen Plattenfirmen mit der meisten Werbung (WEA und CBS) auch die meisten Alben veröffentlichen. Zudem werden Alben von Labels, die im Magazin viel Anzeigenraum bekommen, nicht automatisch besser bewertet. Eine redaktionelle Orientierung an den wichtigen Anzeigenkunden lässt sich also nicht nachweisen. Dennoch sieht Jones einen begrenzten PR-Einfluss auf den Inhalt von Popmagazinen. In Anlehnung an Thurow identifiziert er diesen auf struktureller Ebene, in Form eines übereinstimmenden Interesses der Aufrechterhaltung des Status Quo (vgl. Jones 1994, S. 58). Ganz grundlegend ist dieses Interesse auf das Tauschverhältnis Geld gegen Aufmerksamkeit zurückzuführen.

Es sind diese, von der PR initiierten und vom Journalismus akzeptierten, subtilen Einflussnahmen, die kritische Stimmen zu der These verleiten, dass sich die Grenzen zwischen Popjournalismus und -Promotion immer mehr verwischen (vgl. ebd; Shuker 1994, S. 91f.; Jones 2004, S. 56). Vor dem Hintergrund der Allgegenwärtigkeit von Popmusik in der Presselandschaft beklagen diese Autoren das kommerzielle Gemeinmachen mit den Interessen der Plattenfirmen, was daran ablesbar sei, dass Texte nur noch als „effektive Verkaufsförderung“ (Hinz 2002) in Erscheinung treten. Darauf ließe sich mit Hinz antworten, dass diese Kritiker „die Gewalt ökonomischer Zwänge“ verkennen (ebd.), denn gerade die Zielgruppen der Pop-Magazine sind so spezialisiert, dass kommerzielles Überleben in Krisenzeiten „sogar eine Strategie der Affirmation“ (ebd.) zugunsten der Plattenfirmen erforderlich macht.

Gleichwohl sollte ein Popjournalismus, der kulturelle Verantwortung besitzt und den Anspruch erhebt, Zusammenhänge von Popmusik und -kultur erklärbar zu machen, sein Verhältnis zu Public Relations zumindest hinterfragen. Geschieht das nicht, besteht die Gefahr, die kulturelle Definitionsmacht zugunsten der, nach ökonomischen Imperativen arbeitenden, Musikindustrie zu verlieren. In jüngster Zeit sind tatsächlich Störungen im einträchtigen Verhältnis zu beobachten, wobei Misstrauen von beiden Seiten bekundet wird. Vor dem Hintergrund der Krise der Musikindustrie29, für die auch Musikjournalisten verantwortlich gemacht werden30, und sinkender PR-Etats, sind die meisten Plattenfirmen zu Strategien übergegangen, welche die Qualität musikjournalistischen Arbeitens erschweren.31 Das Misstrauen ist inzwischen so groß, dass Plattenfirmen in Einzelfällen inzwischen soweit gehen, Rezensionsexemplare nur noch an solche Journalisten zu schicken, von denen aus Erfahrung positive Kritiken zu erwarten sind (vgl. Mühlbauer 2008). Die Journalisten ihrerseits reagieren auf die neuen Beeinträchtigungen, indem sie Aspekte der Problematik in ihre Texte integrieren. Dabei entstehen polemische Varianten, die das Fehlen fundamentaler Arbeitsvorrausetzungen beklagen, aber auch analytischere Artikel, etwa im Rahmen eines Label-Specials. benennen einerseits die tatsächlichen Ursachen der Krise, wobei sie neben der verbreiteten Anklage gegen die sogenannten „Musikpiraten“ auch interne Faktoren kennzeichnen, etwa die stetige steigende Anzahl an Veröffentlichungen, welche die „künstlerische Entwertung des Tonträgers und letztendlich der Musik als Kunstform“ (Friedrichsen et al. 2004, S. 8) bedeutete. Anderseits kommentieren sie Strategien der Musikindustrie, um dieser Krise zu begegnen und analysieren deren Nutzung.

3 ROCK- UND POPDISKURS

Anhand der seiner Entwicklung lassen sich zwei paradigmatische Ansätze im Popjournalismus identifizieren. Die zahllosen Namensvariationen werden hier unter Rock- bzw. unter Popdiskurs zusammengefasst. Der Rockdiskurs (oder die Rock-Sensibilität, die Rockkritik, die Rockideologie) ist gekennzeichnet durch das beständige Rekurrieren auf das Hauptbewertungskriterium Authentizität. Obwohl es Unterschiede zwischen amerikanischen und britischen Autoren gibt (siehe Kapitel 3.1.1), ist den Apologeten des Rockdiskurses gemein, dass sie Nachweise für authentische Rockmusik im Grad der körperlichen Expression von Musikern, in einer musikalischen Sprache, die sich durch eine bestimmte Rohheit und Unmittelbarkeit auszeichnet und insbesondere in der konsequenten Absage an Vereinnahmungsstrategien durch die Musikindustrie finden. Der Ursprung des Bedürfnisses nach Authentizität in der Rockmusik liegt im Wirken der Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen der späten 1960er Jahre. Indem sich Musiker ihrem Publikum ungekünstelt, „in rückhaltloser persönlicher Wahrhaftigkeit“ (Hinz 1997, S. 189) präsentieren, sollte eine Gemeinschaft konstituiert werden, die stabil genug war, um sich den gesellschaftlichen Problemen der Zeit zu stellen. Bis heute ist das Authentizitätsparadigma sehr verbreitet im Popjournalismus und seine Popularität ist eng gekoppelt an die Entstehung neuer musikalischer Trends oder die Propagierung einzelner Bands32.

Das Erscheinen von Punk markierte dann einen Einschnitt im Popjournalismus. Dieser wurde trotz anfänglicher Skepsis gegenüber dessen nihilistisch-anarchischen Charakter als raue, ehrliche Rockvariante analysiert. Doch als deutlich wurde, dass Punk kaum das Erbe der authentischen britischen Arbeiterjugend in sich trug, sondern sein Entstehen vielmehr dem Wirken bestimmter avantgardistischer Boheme-Zirkel zu verdanken hatte, musste dieser Standpunkt aufgegeben werden. Vielmehr entwickelten sich Subströmungen (z.B. die No Wave-Bewegung in New York), deren konkretes Ziel es war durch Integration sowohl anderer Genres (z.B. Reggae, Latin, Dub), als auch anderer Medientypen (vor allem Film) die Konventionen des Rockdiskurses zu brechen.

Der in der Folge entstehende Popdiskurs (Pop-Sensibilität, Pop-Avantgarde) sah nun im Grad der „Künstlichkeit der zur Schau gestellten Posen“ (Hinz 1998, S. 96) ein Maß für die ästhetische Relevanz von Popmusik, waren diese doch sowohl Ausdruck der Vertrautheit mit musikalischen Traditionen, als auch der Versuch einer weiteren Erhebung von Popmusik in den Status der Kunst. Unter Bezugnahme auf strukturalistische Elemente versuchten die ersten Verfechter des Pop-Diskurses Strategien zu entwickeln, die Popmusik erstmals dem intellektuellen Würgegriff der kritischen Theorie berauben sollte. Diese Strategien sind vielfältig. Etwa die Erklärung relevanter politischer oder soziale Aspekte von Popmusik durch üppiges Theorie-Rüstzeug oder die konsequente Affirmation mittels Bezügen auf die Lebenswelt des Autors und Idiosynkrasien, wobei Beiträge, in denen ein lockerer, übertriebener Sprachstil mit subjektivistischen Stilmitteln dominiert, darüber hinaus zur Vergegenwärtigung der Musik beim Leser beitragen sollen.

Kommerzieller Erfolg wird nicht mehr als Kapitulation vor den Mechanismen der Musikindustrie interpretiert, sondern oft sogar noch verherrlicht. Andererseits wird nicht alles Populäre begrüßt, sondern zumeist im Rahmen subversiver Strategien in Frage gestellt. Der Unterschied zwischen Popmusik, welche über die, dem Genre eigene Sensibilität verfügt und den „seelenlosen“ Varianten, fanden viele Autoren in der Kategorie Stil. Diese Bezugnahme ist durchaus politisch motiviert, denn der dahinter stehende Gedanke besagt, dass „auffälliger Stil Verweigerung signalisieren könne“ (ebd. S. 99), also subversiv sei. Musikalische Idealbilder diesbezüglich waren die Protagonisten des sogenannten 82er-Pop, ABC, Scritti Politti oder Frankie Goes To Hollywood. Am konsequentesten wurde die Abkehr vom Authentizismus durch die Betonung von Stilkategorien in den „Zeitgeistmagazinen“ der 1980er Jahre durchgeführt. Wie ‚The Face‘ in England war ‚Tempo‘ in Deutschland diesem Typus zuzuordnen. Diese Magazine33 sind aber auch Urheber eines theoriefremden Popjournalismus, der die hedonistische Komponente von Popkultur betont und Gefahr läuft sozialpolitische Implikationen von Popmusik zu vernachlässigen. „Nicht Tiefenschärfe durch radikale Subjektivität, sondern Lust am Fabulieren und Phantasieren war das Kennzeichen.“ (Haller 2006, S. 57).

4 HISTORISCHE ASPEKTE DES POPJOURNALISMUS

4.1 USA UND GROßBRITANNIEN

4.1.1 Die Geburtsstunden

Befasst man sich mit der Entstehungsgeschichte von Popjournalismus, muss man den Blick zunächst auf die beiden Ländern richten, in denen auch die Rockmusik selbst ihre Wurzeln hat: die USA und Großbritannien. Als in den Vereinigten Staaten der frühen 1950er Jahre, der Geburtsstunde von Rock 'n' Roll, das erste Mal eine spürbare Zäsur in der Popgeschichte stattfand, wurde einerseits die Faszination für das neue Lebensgefühl und andererseits die Verpflichtung immer größer über den neuen Protestgestus von Jugendlichen und dessen musikalischen Ursprung zu berichten,. In Großbritannien realisierte man Rock 'n' Roll zwar, begann mit dem ernsthaften Schreiben über Popmusik allerdings erst 1964, nachdem die Beatles ihre ersten Eigenkompositionen in den Charts platziert hatten und Rock plötzlich unter Beatmusik firmierte (vgl. Cloonan 2002, 116).

Bezogen auf die Ausformungen der Rockkritik - von Popjournalismus sprach in dessen Entstehungszeit natürlich noch niemand - beeinflussten sich beide Länder gegenseitig, was noch zu zeigen sein wird. Die Entwicklungsverläufe hingegen sind unterschiedlich. Ein wichtiges Merkmal, die starke Marktorientierung, blieb, abgesehen von vereinzelten Kritikerpersönlichkeiten in den USA, relativ stabil. In Großbritannien indes sind diesbezüglich deutliche Wendepunkte erkennbar, oft verknüpft mit musikalischen Neuentwicklungen. Dort besteht ohnehin eine deutliche Tendenz zur Teilhabe an und zur Forcierung von oftmals kurzfristigen Zeiterscheinungen. Auch hinsichtlich des Stils und dem, dem journalistischen Arbeiten zugrundeliegenden, Paradigma bestehen Unterschiede. Während in den USA die Tradition eines unparteiischen, reportagehaften Stils beim Schreiben über Popmusik gepflegt wird, neigen britische Rockkritiker zu einem teils eleganten, teils schwülstig-affirmativen Stil und zu harschen Urteilen (vgl. Gudmundsson et al. 2002, S. 60). Die Geschichte der Special-Interest-Zeitschriften, die über Popmusik berichten, reicht in Großbritannien weiter zurück als in den USA. Der 1926 gegründete Melody Maker gilt als erstes Magazin mit einem solchen Anspruch. Gleichwohl fungierte dieser zunächst als Handelsblatt für Jazz und sprach noch in dem 50er Jahren Rock 'n' Roll jegliche musikalische Integrität ab (vgl. Frith 1981, S. 166). An seiner Funktion als Dienstleister der Musikindustrie, der den neuen Markt der Rock 'n' Roll-versessenen Jugendlichen für sich erschloss, sollte sich bis zum oben erwähnten Wendepunkt 1964 nichts ändern. Mehr noch, der 1952 gegründete New Musical Express war genuin auf den Teenager-Markt ausgerichtet34. Deutlichstes Merkmal der Interessenüberschneidung von Musikindustrie und -presse war die Integration einer Hitliste der britischen Singlesverkäufe im NME. „Music Press 'News' was news of the late recording stars, the latest entrants to the charts; all such stars were equally important and their importance lasted precisely as long as their charts success." (ebd.). Erst nach dem erwähnten ersten Wendepunkt begann sich die britische Pop-, die immer noch in erster Linie Rockkritik war, eigene journalistische Strategien anzueignen, deren Entwicklung auch in Amerika zu beobachten und deren Inspirationen vielgestaltig waren. So wurden Versuche unternommen, die ehemals verschriene Rockmusik im Rahmen der Analysemuster klassischer Musik35 oder durch die poetische Aufwertung von Rocktexten (etwa die Bob Dylans') einen hochkulturellen Anstrich zu verpassen. Andere Inspirationsquellen waren Jazz36 - und Filmkritiken, genauso wie solche über avantgardistische Kunst und insbesondere der sich Mitte der 1960er Jahre entwickelnde New Journalism (vgl. Gudmundsson et al. 2002, S. 50).37

Die Ursprünge der amerikanischen Rockkritik liegen in der Underground Press der frühen 1960er Jahre, insbesondere Village Voice aus New York, LA Free Press und Berkeley Barb. Diese alternativen, eng mit den Strömungen der Gegenkultur der ausgehenden 1960er Jahre verknüpften Zeitungen waren an Rockmusik als Teil eines Lebensgefühls interessiert und kritisierten die Star-Fixierung und Kommerzialisierung musikalischer Produkte, wie sie in der zeitgenössischen britischen Rockpresse stattfand (vgl. Frith 1981, S. 168f.). Die Underground Press bereitete den Boden für mehrere Neugründungen von Special-Interest-Zeitschriften, die sich erstmalig der ernsthaften Thematisierung von Rockmusik verschrieben. Die erste Publikation dieser Art war Crawdaddy!. 1966 vom Rock- und Science Fiction-Enthusiasten Paul Williams als Fanzine gegründet, entwickelte sich Crawdaddy! in den Folgejahren schnell zum professionellen Rockmagazin und zur Ausbildungsstätte zahlreicher namhafter Rockkritiker, etwa Jon Landau und Richard Meltzer. Konkurrenz bekam die Zeitschrift von zwei weiteren Neugründungen, dem Rolling Stone und Creem. Noch in den späten 1960er Jahren gegründet, standen beide Zeitschriften in ihren Anfangsjahren stark unter dem Einfluss der Gegenkulturbewegung. Dabei nahm besonders der in San Francisco beheimatete Rolling Stone eine Vermittlerrolle ein. Einerseits bediente auch der Rolling Stone die Musikindustrie, welche gerade begann den neuen Markt der Underground-Rockmusik für sich zu erschließen38. Andererseits formulierte er die Interessen der Undergound-Organe bzw. deren Sichtweise auf Rockmusik, die bei Frith „Rock-Ideologie“ genannt wird (Frith 1981, S. 170) und wirkte an der Ausprägung von Paradigmen wie Authentizität oder der Thematisierung von Rasse mit. Ansätze, die typisch für die amerikanische Rockkritik waren.

Hinsichtlich der Suche nach Authentizität in der Rockmusik sind vor allem drei Kritiker zu nennen: Robert Christgau, Jon Landau und Greil Marcus. Akademisch geschult und überzeugt vom Status von Rockmusik als Kunst entwickelten die Autoren vor allem in ihren Reportagen und Essays, den ‚think pieces’ (Hinz 2003, S. 300), Kriterien, die nach dem Authentizitätsgrad der zu behandelnden Musik fragten. Greil Marcus steht exemplarisch für die amerikanischen Kritiker, die sich intensiv mit den Wurzeln von Rockmusik beschäftigen, sowohl in Hinblick auf deren kulturellen Kontext, als auch auf die Musik selbst. Da die Ursprünge von Rockmusik, der afroamerikanische Blues, die Folkbewegung, Hillbilly, Skiffle, in Amerika liegen, war das Authentizitätsparadigma besonders in der amerikanischen Rockkritik präsent. Frith notiert bezüglich der Unterschiede zu britischen Rockkritikern folgendes: „American rock writers are mythologists: They comb music for symbolic significance, and their symbols are derived from a sweep through American culture in general. These rock critics write (and are read) as American culture critics. British rock writers by contrast are still pop fans, still isolated in a cult world. […] British writers have an acute sense for their young readers and their needs.” (Frith 1992, S. 10). Tatsächlich war die Auseinandersetzung mit Jugendkulturen für britische Kritiker immer besonders wichtig. Nach der Pun-Eexplosion hatte diese Verbindung einen Höhepunkt erreicht, als die großen britischen Musikzeitschriften eigene „Punk-Korrespondenten“ einstellten, die direkt aus der Szene berichteten (vgl. Gudmundsson 2002, S. 54). Gleichwohl wurde die Authentizitätsdebatte auch in Großbritannien geführt, nur war die Definition eine andere. In Abgrenzung zur amerikanischen Folktradition schätzten die englischen Kritiker vor allem diejenigen Bands und Künstler, die einen eigenen, britischen Stil erkennen ließen, die eine bestimmte „Britishness“ ausstrahlten (vgl. ebd., S. 47f.)39 und die mit einer gewissen Schroffheit konnotiert werden.

Zusammenfassend identifizieren Gudmundsson et al. vier Faktoren, welche die Popularisierung der Rockmusik und damit auch deren redaktionelle Bearbeitung begünstigten (vgl. ebd., S.47). Bereits behandelt wurde der Einfluss durch Jazzkritik (1), die Authentizitätsdebatten (2) und das Konzept der Britishness (3) bzw. der damit verbundenen neuen Subkulturen. Ein weiterer Einfluss schließlich war die gerade entstandene (4) Fankultur, welche sich wiederum sowohl auf die Handelsblätter der Musikindustrie, als auch auf die neuen Film- und Star-Magazine stützte, die explizit für ein junges Publikum hergestellt wurden. Hinz verweist zusätzlich auf neue technische Möglichkeiten hinsichtlich musikalischen Ausdrucks (E-Gitarre, E-Bass, später Synthesizer) und dessen Verbreitung (Vinyl-Schallplatte) (vgl. Hinz 2003, S. 298). Außerdem ist die Anfang der 1960er Jahre aufkommende Pop-Art bedeutsam gewesen, denn deren Wirken rehabilitierte das von der dominanten zeitgenössischen Kulturkritik (Frankfurter Schule) abgelehnte Populäre. Als Punk entstand, sollte ihr Einfluss besonders deutlich werden, denn der soziale Hintergrund seiner Protagonisten war der einer avantgardistischen Boheme, die sich zunächst insbesondere von Pop-Art inspirieren ließ.

4.1.2 Die Blütezeit der Rockkritik

Obwohl die Rockpresse in den 1970er Jahren immer mehr von den Werbegeldern der Musikindustrie abhängig wurde40, gilt die gleiche Epoche bis zur Punkexplosion als Blütezeit der Rockkritik, wenn schon nicht materiell, so doch bezüglich der Entwicklung eines neuen Sprachstils und tiefgreifender Analysemuster. Nachdem sich der MM 1968 als „thinking fan’s paper“ (zit. in: Frith 1981, S. 172), als intellektuell-analytische Zeitschrift neu positioniert hat und seine Auflage diejenige des NME überstieg, gab es auch beim Konkurrenten eine Neuverortung. Neben einem veränderten Layout war es vor allem ein neues, von der britischen Underground Press rekrutiertes Kritikerteam, das den NME ab 1974 wieder zum Marktführer machte. Vor allem mit Charles Shaar Murray sind neue Stilfiguren verbunden, die bis heute einflussreich geblieben sind. Ebenso beeinflusst vom New Journalism verwandte er Amerikanismen, Sätze, die plötzlich abbrachen oder neue Metaphern und half dabei ein neues Verständnis der Analyse von Rockmusik zu entwickeln. Er war der erste, der, inspiriert von der Literaturkritik, die Idee eines musikalischen Kanons formulierte. Von der Filmkritik wiederum adaptierte er das Konzept der Klassifizierung und Analyse von Genres für die Rockmusik, was angesichts der zahlreichen neuen Stile notwendig geworden war (vgl. Toynbee 2002, S. 290).

Der Fokus der Kritik war nun viel stärker auf die Hörer ausgerichtet, deren soziokultureller Hintergrund wurde beleuchtet und die Wirkungen analysiert, die beim Hörer durch Musik ausgelöst wurden. Der NME nahm neue, nicht-musikalische Inhalte wie Film, Science Fiction, Comics und Drogen in die Heftstruktur auf (vgl. Frith 1981, S. 172). Mit zynischen, fast respektlosen Sätzen wurden Musiker und Vertreter der Plattenfirmen bedacht. Lester Bangs in den USA und Nick Kent in Großbritannien verkörperten diesen Ansatz am deutlichsten. Beide schrieben, um am Rockgeschehen teilzuhaben. Angetrieben von einer emphatischen Passion für die Musik waren beide radikal subjektiv und, wie die Musiker selber, in ihren Kritiken harsch, oft gemein aber auch selbstzerstörerisch (vgl. Toynbee 2002, 291).

Gleichwohl war der soziologische Ansatz beim MM weniger bedeutsam. Entsprechend der Leitlinie vom „thinking fan“ ist die Auseinandersetzung mit Musik beim MM werkzentrierter:

„[…] music is valued for its complexity, musicians for their intensity of feeling.“ (Frith 1981, S.172).41

Obwohl der Rolling Stone bezüglich der Herangehensweise an Musik einen dem MM ähnlichen Ansatz verfolgte, wäre es falsch beide gleichzusetzen. Schon seit dessen Gründung war der Rolling Stone nicht allein der Musik verpflichtet: „Rolling Stone is not just about music, but also about the things and attitudes that the music embraces.“ (zit. in: Frith 1981, S. 172) Bereits Anfang der 1970er Jahre verlor der Rolling Stone seine ursprüngliche Attitüde, Musik als Politik zu behandeln und nach einem Relaunch 1973 wandelte er sich zur General- Interest Zeitschrift, die sich mit allen Spielarten amerikanischer Kultur beschäftigte, dabei aber ihren Hauptschwerpunkt auf die Musik legte (vgl. ebd., S. 171). Seine Bedeutung war jedoch weiterhin groß, denn seine überwiegend weißen, wohlhabenden Leser waren ein wichtiger Absatzmarkt für die Musikindustrie (vgl. Shuker 1994, S. 88).

4.1.3 Die Punk-Explosion

Das Erscheinen von Punk ab 1976 brachte nicht nur eine bis dahin ungekannte musikalische Radikalität, sondern bedeutet auch, dass Entstehen einer neuen Subkultur, deren enge Verzahnung mit Musik kein Vorbild hatte. Punk war nicht mit einfachem Fanverhalten gekoppelt. Man ging nicht von einem Konzert nach Hause und legte die Sicherheitsnadeln ab: „Fandom and Lifestyle which had drifted apart since the high summer of counterculture, became inextricably, and, as it now turns out, permanently intertwined.” (Toynbee 2002, S. 291).

Die Allgegenwärtigkeit und spürbare soziale Relevanz von Punk bedeutete für die Rockpresse, dass die neue Erscheinung nicht nur in musikalischer Hinsicht zu analysieren war, wollte man diese Aufgabe nicht den schimpfenden Tabloids42 überlassen. Ohnehin war die Beziehung zwischen Punk und Musikpresse zumindest funktional. Wenn Punk aufgrund von Radio- und Auftrittsverbot nur durch die Musikpresse (positive) Aufmerksamkeit erlangte, galt er dennoch als stark absatzfähig. Das Interesse der Leser an fundierten Berichten über die neue Bewegung war immens. Auf emotional-ideologischer Ebene jedoch hatte Punk für die Musikpresse nur Verachtung übrig. Für Punks waren NME, MM und Sounds43 nur Marionetten der verhassten Musikindustrie. Die traditionelle Rockkritik, nach der ein Künstler nur dann geschätzt wird, wenn seine Kunst ein authentischer Ausdruck seines Gefühlslebens ist, wurde von den Punk nicht verstanden: „The Punk vanguard [was] in a sense ‚objective’. These musicians challenged the suggestion that music works as an emotional code, that individual sensibility can be read from musical output […] - the voice is a tool to sing with, not though.” (Frith 1981, S. 161).

In den USA wurde Punk zwar begrüßt, aber nicht als das soziale Phänomen bewertet, das es war. Gemäß der ewigen Suche nach Authentizität in der amerikanischen Rockkritik, war Punk authentisch und ehrlich. Das Verheißungsvolle an Punk war die Durchschlagskraft seiner musikalischen Mittel: „The Clash were just like the Stones.“ (Frith 1981, S. 176). Eine solche Verortung war ganz im Sinne der konservativen Leserschaft des Rolling Stone. In Großbritannien gab es freilich ähnliche Tendenzen bei der Beschäftigung mit den soziomusikalischen Besonderheiten von Punk. Vor allem einige etablierte Kritiker ließen die nötige Genauigkeit vermissen und gingen ihrem Tagesgeschäft nach, indem sie die Protagonisten des Punk Rock in den musikgeschichtlichen Kanon einordneten: „Established critics ran the risk of […] turning the Pistols into the new Stones, the Clash into dole-queue music, turning Patti Smith and Elvis Costello into rock poets.“ (Gudmundsson et al. 2002, S. 54). Ohnehin war es nicht zu erwarten, dass die Protagonisten des Punk Rock den etablierten Kritikern, die für den abgelehnten Rockkanon der 1970er standen, Rede und Antwort stehen würden, was schließlich auch den Redakteuren einleuchtete. Folglich schickten sie junge Autoren, die mit hoher Glaubwürdigkeit ausgestattet waren zu den Konzerten. Diejenigen Zeitschriften, deren Belegschaft nicht über Autoren mit diesen Attributen verfügte, rekrutierten ihre „Punk Korrespondenten“ (Gudmundsson et al. S. 54, 2002) direkt aus dem Milieu.

In gewisser Hinsicht ist das „credibility“-Konzept eine britische Übersetzung des Authentizitätsgedanken aus den USA. Während allerdings die amerikanischen Kritiker als Beleg für Authentizität die bewusste und reflektierte Auseinandersetzung mit den musikalischen Wurzeln der Rockmusik anführen, entwickeln ihre britischen Kollegen Glaubwürdigkeit eher aus der Haltung zur Subkultur, welcher die jeweilige Band entstammt.

Als „credible“ wird die Band bezeichnet, die einen möglichst vertrauten Umgang mit den Fans pflegt und bei kleinen, autonom arbeitenden Plattenfirmen, den Independent-Labels unter Vertrag steht. Künstler, die zu einem Major-Label wechseln, werden von ihren Fans auch mal als Verräter bezeichnet. Das Misstrauen gegenüber den großen Plattenfirmen, die natürlich weniger affektiv mit ihren Künstlern umgehen können, speist sich aus der ablehnenden Haltung der Punks gegenüber Autoritäten.

Die höchste Glaubwürdigkeit wurde während der Hochzeit des Punks den Fanzines zugesprochen. Obwohl bereits in den 1960er Jahren Musik-Fanzines gegründet wurden44, kann erst ab 1976 von einem Aufschwung gesprochen werden. Dem Fanzine-Boom voraus ging die Enttäuschung über die Art und Weise, wie die traditionellen Medien über Punk berichteten: „The established writers were inevitably compromised by age and the minimal demands of objectivity required by their papers. The established media could propagandise and comment, but they could not dramatise the new movement in a way that fired people’s imagination.“ (Savage 1991, 200) Angestachelt von Punk und seiner drastischen Ausdrucksmittel, waren es meist Jugendliche aus den unteren sozialen Schichten, die mit dem Fanzine ein Medium entdeckten, um ihrem alltäglichen Unmut Luft zu verschaffen. Das erste und auflagenstärkste Punk- Fanzine war ‚Sniffin’ Glue’ aus London, das nach nur 14 Monaten, trotz Erfolg, wieder eingestellt wurde, weil sein Gründer Mark Perry das Gefühl hatte, die Musikpresse würde Punk assimilieren. Das Beispiel verdeutlicht bereits die Vereinnahmung des DIY45 -Prinzips durch Punk, wofür die Fanzines eine wichtige Rolle spielten. Sie waren in jeder Beziehung unkommerziell ausgerichtet, überwiegend kostenlos, handgemacht und mit selber gezeichneten Grafiken ausgestattet. Zumeist in kleiner Auflage verteilt, war die Wirkungskraft der Fanzines beschränkt. Trotzdem war deren Stellenwert für die Leser besonders hoch, denn sie waren „das Sprachrohr der Parteigänger bestimmter Musikstile (…), das Resultat der Kluft zwischen den Strategien der großen Plattenindustrie, die Musikzeitschriften zu Marketing-Agenturen degradieren, und den musikalisch- ästhetischen, ideologischen-politischen Interessen kleinerer Publikumsfraktionen, die an den Produkten jener wenig Freude haben, sich statt dessen auf die Suche nach Abweichenden, Ungewöhnlichen, Abseitigen, Seltsamen und Seltenen auch jenseits des guten Geschmacks machen.“ (Hinz 1998, 147f.).

4.1.4 New Pop - The Age Of Style

Trotz allem vermochte es Punk nicht, das weiterhin vorherrschende Authentizitätsparadigma in der Rockkritik zu brechen, ebnete aber den Weg für das Zeitalter, welches Jon Savage später als ‚The Age Of Style’ bezeichnen sollte (zit. in: Gudmundsson et al. 2002, S. 56). Erst ab 1979, vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Krise der Musikindustrie, zeichnete sich ein sichtbarer Wandel ab, ohne die traditionelle Rockideologie vollkommen zu verdrängen. Das Machtverhältnis zwischen Musikindustrie und -presse verschob sich zugunsten letzterer und Punk spaltete sich. Während sich die traditionellen Punks vor der drohenden Kommerzialisierung fürchteten und sich musikalisch härtere, unpolitischere Subgenres entwickelten (die Oi!-Bewegung), bildete sich eine Punk-Avantgarde, die ihren Blick auch auf andere Genres (Reggae, Funk, Disco) richtete und Inspirationen in Film und Kunst suchte (Postpunk, No Wave in New York). Bei der Betrachtung dieser Künstler musste sich die Musikpresse neu positionieren.

Was ‚New Pop’, wie die neue Erscheinung eher unzureichend betitelt wurde, auszeichnete, war eine Ästhetik der Künstlichkeit. Auf den Seiten der Musikpresse wurde Authentizität plötzlich in Frage gestellt oder sogar verlacht. Neue Schreibtechniken, inspiriert von Avantgarde-Kunst und den neuen musiktechnischen Möglichkeiten (Sampler, Synthesizer, DJ-Mixer) kamen zur Anwendung, etwa Cut-Up- oder Collage-Techniken. Zudem hinterließ der Poststrukturalismus, vor allem von Jacques Derrida, Jacques Lacan und Roland Barthes starken Eindruck auf einige Autoren. Der Popjournalist brachte sein Selbst noch mehr in die Texte ein. Plattenbesprechungen handelten oft mehr vom Rezensierenden als vom Rezensierten. Paul Morley verkörperte diesen Typus, den Star-Journalist, besonders deutlich. Vom NME in der Hochphase des Punk eingestellt, waren seine Texte kleine Ereignisse, oft provozierend, aber immer von einer Vorliebe für das Star-Konzept durchzogen (Gudmundsson et al. 2002, S. 54).

Das New Pop-Phänomen gilt als Geburtsstunde des Popdiskurses. Wie dargelegt, dominierte bis 1979 bei der journalistischen Auseinandersetzung mit Popmusik das Authentizitätsparadigma. Erst nach dieser Zäsur entwickelte sich ein Journalismus, dessen wesentliches Merkmal Büscher als ‚Kontingenzbewusstsein’ beschreibt: „Nichts musste von nun an so sein, wie es war, und ab sofort war nichts grundsätzlich unmöglich. […] An die Stelle des politisch enttäuschenden, auf Authentizismus fußenden Diskurses trat nun ein neuer hoffnungsvoller, auf Ästhetik rekurrierender Diskurs.“ (Büscher 2005, S. 11)

[...]


1 Joe Strummer zit. in: Büsser 2007, S. 31.

2 Unter Publizistik versteht der Autor neben dem Mediensystem und seinen Ausdifferenzierungen (Redaktion, Vertrieb, Verwaltung), auch Zuliefer- (z.B. Agenturen) und Abnehmersysteme (z. B. Buchgemeinschaften). Journalismus verortet Saxer eher auf der Mikroebene.

3 Eine solche ist etwa die Ablehnung des Codes wahr/falsch als Leitwährung des traditionellen Nachrichtenjournalismus.

4 Ähnlich dem populären Journalismus orientiert sich die Definition von populärer Musik stark am Verbreitungsgrad, welcher geradezu konstitutiv für die Entstehung populärer Musik ist. Demnach waren die ersten Spielarten populärer Musik die Volkslieder.

5 Die These, dass klassische keine populäre Musik ist, lässt sich angesichts der Institutionalisierung sogenannter „Stars der Klassik“ kaum noch aufrechterhalten, ganz zu schweigen vom Starkult um bestimmte

6 Gleichwohl gibt es hochkomplexe Popmusik, die meist in Anlehnung an Jazz oder klassische Musik entstand. In der Rockmusik sind solche Subgenres etwa Postrock oder Artrock, bei der elektronischen Musik, die sogenannte Intelligent Dance Music (IDM), Clicks and Cuts, oder Nujazz..

7 Pop ist nicht nur ein übergreifender Gattungsbegriff, sondern auch eine Bezeichnung für ein musikalisch relativ durchschaubar gestaltetes Genre, bei dem die Vermarktungsstrategien der Musikindustrie (Herstellung von Images, Promotion) besonders deutlich zum Vorschein kommen, da Pop, neben Hip-Hop, über das größte Marktpotential verfügt.

8 Ähnlich Buhles meint etwa Becker: „Musikkritik ist keine primär-aktive Tätigkeit, sondern eine reagierende. Musikkritik ist nur dort denkbar, wo es lebendige Musik gibt. Diese Feststellung ist eine Banalität - zugegeben -, aber sie verdeutlicht, dass Musikkritik keine kulturführende, sondern eine kulturbegleitende Aufgabe erfüllt, mithin stets im Schlepptau des schöpferischen Musikers sich vollzieht und von dessen Richtungssetzung abhängt.“ (Becker 1983, S. 111)

9 „Die Ignoranz gegenüber dem Künstler entspricht dem Selbstbewusstsein eines Autoren, der seine Arbeit selbst als Kunst ansieht - ein Selbstverständnis, dass dem omnipräsenten, ja erwarteten Modell des Kulturjournalisten als Dienstleister nicht nur widerspricht, sondern das dem Schreiber auf eine Ebene mit dem Künstler stellt und betont, dass alle nur mit dem gleichem Wasser kochen.“ (Venker 2003, S. 25).

10 Diese Variante findet sich etwa in den Wochenendmagazinen bzw. in den Supplementen der überregionalen Tageszeitungen oder in Lifestyle-Magazinen.

11 Eine Ausnahme ist die Magisterarbeit von Claudia Schlegel „Popmusikberichterstattung in SZ und jetzt“.

12 Nicht nur, dass sich Politiker im Wahlkampf von Popmusikern unterstützen lassen (z.B. Gerhard Schröder von den Scorpions oder George W. Bush von Destiny’s Child), inzwischen ermuntern Politiker ihre potentiellen Wähler sogar eigene Wahlkampflieder zu verfassen.

13 Die bereits erwähnte Zeitschrift ‚Spex’, war es auch, die durch Specials und Artikel über Vertreter der Cultural Studies der Forschungsrichtung in Deutschland erstmals Gehör außerhalb der Universitäten verschaffte.

14 Darunter versteht Hinz „jene(n) Musikjournalismus über Rock- und Popmusik, der sich an Schreibweisen des gehobenen Feuilletons anlehnt, mit intellektuellem, gelegentlich auch zeitdiagnostischen Anspruch auftritt, dabei jedoch nicht vor idiosynkratischen Subjektivismen zurückscheut.“

15 Zu den unterschiedlichen Realitätsvorstellungen: vgl. Früh 1994, S. 16.

16 Die Nachrichtenwerttheorie, die „journalistische Selektionsentscheidungen auf bestimmte Eigenschaften des Ereignisses“ zurückführt (Staab 2002, S. 608), scheint bezüglich ihrer Anwendbarkeit auf verschiedene Ressorts und Themenkomplexe über einen „universellen Geltungsanspruch“ zu verfügen (ebd., S. 617). Deshalb ist sie im Vergleich zu anderen kommunikationswissenschaftlichen Konzepten zur journalistischen Nachrichtenauswahl, etwa der Gatekeeper- oder News Bias-Theorien, eher dazu geeignet, Selektionsentscheidungen von Kunst- bzw. Musikjournalisten zu erklären.

17 Die Rücklaufquote lag nur bei 20 %. Zudem war die Untersuchung stark zugunsten der Zeitungen verzerrt. Komplett ausgefüllte Fragebögen lagen von 115 Zeitungsjournalisten und nur 45 Magazinjournalisten vor. (vgl. Jones 1994, S.48).

18 Zwar befragten Wyatt/Hull auch Klassik- und Jazzmusikjournalisten, doch bezüglich der Frage nach den musikalischen Prioritäten der Musikjournalisten waren mit Rock und Soul zwei Genres am beliebtesten, die in dieser Arbeit der Popmusik zugeordnet werden.

19 Gönnerhaft attestiert Saxer der „Populärkunst…durchaus eine Funktion (…), nämlich die der Unterhaltung“ (Saxer 1995 S. 73). Obwohl nicht näher definiert, ist zu vermuten, dass er darunter zumindest die Kunstsparten Film und Popmusik subsumiert.

20 Inzwischen sind neue Magazine entstanden, die sich dem Popjournalismus literarischer Prägung verschrieben haben. Sie heißen ‚Neon’, ‚ Dummy’ oder ‚Deutsch’.

21 Die Formen sind vielfältig und reichen von kommentierten Mp3-Blogs bis hin zu eigenständigen, professionalisierten Online-Musikmagazinen (z.B. www.residentadvsor.com). Fenster bescheinigt sogar: „(…) some of the most interesting criticism comes about when musicians, fans, and listeners (…) formulate and communicate their own critical tastes and desires despite the hierarchical structures that so often place critics with greater economic or cultural capital above them”. (Fenster 2002, S. 90).

22 Deuze arbeitet diesbezüglich drei Kernpunkte heraus: Individualisierung/Personalisierung, Konvergenz/Multimedia und Interaktivität (vgl. Deuze 1999, S. 377ff).

23 Tatsächlich sind es vor allem die Online-Präsenzen der Popmagazine, die einen solchen Weg gehen. „www.intro.de“ etwa, der Online-Auftritt des auflagenstärksten Popmagazins „Intro“, wurde 2008 für den Grimme-Online Award mit der Begründung nominiert „ein zielgruppengerechtes Angebot (zu bieten), das in allen Bereichen zum Mitmachen einlade.“

24 Eine Maßnahme, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, wäre etwa die Vorstellung von Neuentdeckungen auf Online-Plattformen in gesonderten Rubriken.

25 Zum Verhältnis Journalismus - PR sei auf die Diskussion zwischen Vertretern der Determinationsthese (vgl. Baerns 1991) und Intereffikationsthese (vgl. Bentele/Liebert/Seeling 1997) verwiesen.

26 Direkte Einflussnahmen sind vergleichsweise selten und kommen höchstens in der Form vor, dass Plattenfirmen den Zugang zu bestimmten Künstler verweigern. Jones vermutet, diese Hemmungen erklären sich durch die Konsequenzen des ‚Payola-Skandals’ (von ‚pay for play’) der 1950er Jahre. Damals wurden Radio-DJs von Plattenfirmen bezahlt, um Lieder aus dem jeweiligen Repertoire zu spielen.

27 „Jede von ihnen ist in den üblichen Plattenläden mindestens ein paar Dollar wert und ihr Verkauf würde mühelos das Einkommen eines Freischaffenden überschreiten.“ (Jones 1994, S. 55).

28 Intro hat seit 2007 eine eigene Rubrik, in der die absurdesten Promo-Items vorgestellt werden. Highlights waren zum Beispiel eine Grabkerze für die Dark Metal-Band ‚Cradle of Filth’ oder ein Baseballschläger für die mit Symbolismen der Gewalt spielende Metalcore-Band ‚Pro-Pain’.

29 Für die Verdeutlichung aller Probleme, denen sich die Musikindustrie seit Mitte der 1990er Jahre ausgesetzt sieht, empfiehlt sich die Studie „Die Zukunft der Musikindustrie“ von Friedrichsen et al. Die Autoren

30 Tatsächlich gibt es immer wieder Negativbeispiele von Musikjournalisten, die ihr Rezensionsexemplar vor der Veröffentlichung über Online-Tauschbörsen zur Verfügung stellen.

31 Solche Strategien betreffen zum Beispiel die versendeten Rezensionsexemplare. Lieder werden entweder nur kurz angespielt oder durch Störgeräusche verfremdet. Oft wird die Möglichkeit zum Vorabhören sogar nur in Verbindung mit gleichzeitig stattfindenden Interviews geboten, deren zeitliche Dauer wiederum immer mehr abnimmt (vgl. Venker 2003, S. 164f.).

32 Mit dem Erscheinen der amerikanischen Band ‚The Strokes’ verbanden viele Musikmagazine eine Wiedergeburt authentischer, klassischer Rockmusik und prophezeiten im gleichen Atemzug das Ende elektronischer Tanzmusik.

33 In Anlehnung an den in ‚Tempo‘ verfolgten „jugendfrischen Popjournalismus“ (Haller 2006, S.57) wurden das SZ-Magazin und das Magazin der ‚Zeit‘ konzipiert.

34 Noch in den 50er Jahren überstiegen die Auflagenzahlen des neuen Konkurrenten diejenigen des MM, weil der NME kompromissloser über die damals aktuellen Stars berichtete. Alan Smith, Journalist beim NME, schreibt 1964 über die Marktsituation: „We gave the kids what they want. We write about their current idols. And we're not so much a jazz paper, like the Melody Maker, as a pop paper. A lot of our competitors write about stars who have dropped out of the charts […] and about up-and-coming singers who are going to be the stars of tomorrow. It's the stars of today the kids want to know about, not the stars of tomorrow.“ (zit. in: Frith 1981, S. 167).

35 Das bekannteste Beispiel und gleichzeitig die erstmalige Erwähnung eines Rockthema im Feuilleton ist die Rezension einiger Beatles-Kompositionen, die William Mann 1963 für The Times schrieb. John Lennon antwortete später darauf: „Er schrieb irgendwas von 'Aeolian Cadences', ich habe bis heute keine Ahnung was er damit meinte, für mich klingt das nach exotischen Vögeln“. (zit in: o.V. 1998))

36 Die Rockkritiker, die ihren Sprachstil in Anlehnung an die Jazzkritik entwickelten, betonten insbesondere Fertigkeiten und Kreativität in der musikalischen Praxis (vgl. Gudmundsson et al. 2002, S. 46).

37 Der New Journalism wandte sich mit seiner radikalen Hervorhebung des Subjekts einerseits gegen den komplizierten, hochkulturellen Literaturbetrieb und andererseits gegen einen überobjektiven Journalismus. Seine Protagonisten suchten das Besondere im Alltäglichen und fanden dieses in den vom traditionellen Journalismus vernachlässigten Themen: Popmusik, Drogen, Subkultur. Mit Lester Bangs und Robert Christgau waren zwei der renommiertesten und schillernsten Persönlichkeiten des Popjournalismus besonders beeinflusst vom Stil des New Journalism oder seiner härteren Variante, dem Gonzo-Journalismus (vgl. Gudmondsson et al. 2002, S. 51f.).

38 Symptomatisch für die Zugeständnisse an die Plattenfirmen war die Entlassung der Redakteure einer englischen Regionalausgabe des Rolling Stones, weil diese sich zu sehr, den Praktiken und Ideologien der Underground Press bedienten.

39 Beispielhaft seien hier The Who angeführt, deren Markzeichen eine Adaption des Logos der Royal Air Force war und schließlich zum Symbol der Mod-Bewegung wurde. Auch bei der, in weiten Teilen von der englischen Presse geschürten Auseinandersetzung zwischen Blur und Oasis war das Moment der Britishness spürbar (vgl. Cloonan, 2002, S. 48.)

40 So wurde nahezu der komplette Anzeigenanteil des Rolling Stone seit seiner Gründung von Plattenfirmen vereinnahmt. Dass aber die Rockpresse bezüglich ihrer Verbindung zu den potentiellen Konsumenten auch für die Musikindustrie unerlässlich war, zeigt sich zum Beispiel daran, dass der Rolling Stone in Zeiten finanzieller Schwierigkeiten ein Darlehen über 100.000 $ von der Plattenfirma WEA erhielt.

41 Als amerikanische Pendant zum rezipientenorientierten Ansatz des NME macht Frith Creem aus (vgl. Frith 1981, S. 172)

42 Ohnehin besteht bei den Tabloids die Tendenz neuartige musikalische Phänomene zu untersuchen, ohne ein Wort über deren Musik zu verlieren. Beispielhaft hierfür sind die Riots der Teddy Boys, Berichte über Exzesse bei Punk-Konzerten oder die Anklageschriften gegen Acid House bzw. den damit verbundenen, ausschweifenden Drogenkonsums, die schließlich auch von der Regierung erhört wurden und ihre Umsetzung im Criminal Justice Act fanden (vgl. Cloonan, 2002). Diese Reaktionen der Öffentlichkeit wurden von Theoretikern der Cultural Studies als „moral panic“ bezeichnet (vgl. Hinz, 1998, S. 144).

43 Sounds wurde bereits 1970 gegründet und positionierte sich als Fachblatt für härtere Rockmusik, wie Heavy-Metal und der musikalisch hedonistisch-radikalen Punk-Spielart Oi!.

44 Auch Crawdaddy! war ursprünglich ein Fanzine.

45 Do it yourself, der Glaube an die eigene Schaffenskraft, wurde im Punk zum Symbol der Ignoranz jeglicher Marktelemente.

Ende der Leseprobe aus 166 Seiten

Details

Titel
Wo steht Popjournalismus?
Untertitel
Eine Inhaltsanalyse der Printberichterstattung über Popmusik.
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Philosophische Fakultät / Institut für Kommunikationswissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
166
Katalognummer
V197011
ISBN (eBook)
9783656232445
ISBN (Buch)
9783656233077
Dateigröße
1072 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
166 Seiten, davon 35 Seiten Codebuch im Anhang
Schlagworte
Popmusik, Popjournalismus, Zeitung, Kulturredaktion, Zeitschrift, Popkultur, Kulturjournalismus, Inhaltsanalyse, Printmedien, Kommunikationswissenschaft
Arbeit zitieren
Philipp Demankowski (Autor:in), 2008, Wo steht Popjournalismus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197011

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