Das Thema Tod im Religionsunterricht einer 9. Klasse. Analyse mittels Fragebögen und Interviews


Forschungsarbeit, 2009

55 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Stand der empirischen Forschung

3. Forschungsprofil
3.1 Probanden
3.2 Erhebungsmethode

4. Untersuchung
4.1 Fragebogen
4.1.1 Ergebnisse
4.1.2 Analyse
4.2 Schülerinterview
4.2.1 Ergebnisse
4.2.2 Analyse
4.3 Lehrerinterview
4.3.1 Ergebnisse
4.3.2 Analyse
4.4 Gesamtanalyse

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Das Thema Tod ist ein sehr emotionales Thema, das innerhalb der Schule und im Religionsunterricht hohe Anforderungen an den Lehrer und sein didaktisches Konzept stellt. Innerhalb dieses Forschungsprojektes wird überprüft wie die didaktischen Vorüberlegungen des Lehrers und deren Umsetzung von den Schülern wahrgenommen und bewertet werden. Es soll untersucht werden, ob sich die Wahrnehmungen des Lehrers über die vermittelten Inhalte, die Motivation der Schüler, das Auftreten des Lehrers und die Arbeitsatmosphäre, mit den Eindrücken der Schüler decken.

Einleitend soll zunächst ein aufschlussreicher Forschungsstand zur Einstellung Jugendlicher zu Tod und Sterben anhand empirischer Ergebnisse dargestellt werden. Darauf folgend wird zuerst das Forschungsprofil mit seinen Erhebungsmethoden und Probanden aufgezeigt, um eine Übersicht über den Rahmen des Forschungsprojektes zu schaffen.

Im Hauptteil werden die Ergebnisse der drei Erhebungsmethoden jeweils dargestellt und ausgewertet. Zuerst werden die Ergebnisse des Schülerfragebogens mit Hilfe von Kreisdiagrammen aufgezeichnet und chronologisch analysiert. Die Ergebnisse der zweiten Erhebungsmethode, dem Schülerinterview, werden mit Hilfe einer Tabelle dargestellt. Anhand dieser werden die Wahrnehmungen und Einstellungen der Schüler analysiert und untereinander verglichen, um allgemeine Aussagen über die Schülerwahrnehmung der Unterrichtsreihe formulieren zu können. Auch die Ergebnisse der beiden Lehrerinterviews werden anhand von zwölf Kriterien mit Hilfe einer Tabelle veranschaulicht und ausgewertet.

Unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus den Analysen aller drei Erhebungsmethoden werden die Übereinstimmungen und Differenzen in der Gesamtanalyse zusammengefasst. In dieser Gesamtanalyse wird die Frage nach den Übereinstimmungen und Differenzen der Wahrnehmung bei Schülern und Lehrern genauer analysiert und basierend auf den Ergebnissen der drei Erhebungen geklärt. Hierfür werden die Thesen der einzelnen Erhebungen auf die anderen Erhebungen angewendet und miteinander in Verbindung gebracht. Die für alle Erhebungsmethoden gültigen Thesen werden innerhalb des Fazits für die Forschungsfrage zusammengefasst.

2. Stand der empirischen Forschung

Bislang liegen nur unzureichende empirische Erkenntnisse darüber vor, wie differenziert Schüler und Lehrer das Thema Tod im Religionsunterricht wahrnehmen. Der Stand der empirischen Forschung ist veraltet und stellt kaum eine Beziehung zwischen dem Thema, den Schülern und dem Lehrer her. In den meisten Untersuchungen geht es um die Häufigkeit von Gedanken an Tod und Sterben und werden in Form von Fragebogenerhebungen und Interviews gemacht. So ergaben die Projekte von Middleton (1936), Cameron (1968), Cappon und Dirschauer (1973), dass nicht häufig an den eigenen Tod gedacht werde. Nach Baltes (1984) sei der Altersunterschied diesbezüglich nur unwesentlich von Bedeutung, wohingegen die individuellen Lebenserfahrungen und Orientierungswerte von großer Bedeutung seien. Hinsichtlich eines Geschlechterunterschiedes und dem Unterschied von Betroffenen und nicht Betroffenen in Bezug auf die Häufigkeit der Beschäftigung mit dem Thema Tod und Sterben gaben die erwähnten Untersuchungen kein eindeutiges Ergebnis. Da jedoch die Häufigkeit der Beschäftigung bei den Studien fast ausschließlich über die Häufigkeit des Denkens an den eigenen Tod präzisiert wurde und andere erdenkliche Formen der Auseinandersetzung, wie Gespräche oder die Nutzung von Medien unbedacht blieben, soll eine Studie vorgestellt werden, die diese Aspekte hinsichtlich der qualitativen und quantitativen Beschäftigung mit dem Todesthema mitberücksichtigt. Zudem ist sie die jüngste Studie, die vor der vorliegenden Untersuchung vorlag.1

Bei der 1987 durchgeführten Untersuchung zum Thema ÄEinstellungen Jugendlicher zu Tod und Sterben“ von Stephie Reuter, Olaf Grzybinski und Lothar Tent wurde an 180 18-jährigen männlichen und weiblichen Gymnasiasten und Berufsschülern qualitative und quantitative Aspekte der Auseinandersetzung mit dem Tod untersucht. Die Ermittlung erfolgte in Form von Fragebögen und Kurzaufsätzen der Probanden, welche inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Die Ergebnisse bezüglich des Ausmaßes der Beschäftigung mit Tod und Sterben deuten auf ein relativ geringes Interesse bei den Schülern hin. Rund zwei Drittel der Schüler gibt ein mehr als nur sporadisches Interesse an todbezogenen Themen zu erkennen. Davon setzen sich lediglich 11% intensiv damit auseinander. Ein Großteil der Jugendlichen spricht nicht oder nur selten mit Eltern oder Freunden darüber, nicht einmal ein Drittel tut dies gelegentlich oder oft. Hinsichtlich des Geschlechterunterschiedes wurde deutlich, dass sich weibliche Jugendliche im Durchschnitt mehr mit der Thematik beschäftigen, als die männlichen Jugendlichen. Unabhängig des Geschlechts steigt die Beschäftigung mit dem Thema bei zunehmender Erfahrung mit Tod und Sterben.2 Des Weiteren wurde festgestellt, dass die Schüler mehr Angst vorm Sterben als vorm Tod haben.

Der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema wurde von 56 % als nicht offen und von 17% als offen eingeschätzt. Der Rest war sich diesbezüglich nicht sicher. Kennzeichnend ist jedoch, dass 71% der Schüler sich hingegen einen offeneren Umgang wünschen, während nur 26% den Umgang gut finden und 3% der Meinung sind es werde zu viel darüber geredet.3 Die Themen, welche in den Aufsätzen der Schüler angesprochen wurden, richten sich hauptsächlich auf die Frage nach dem Jenseits, sind Ausdruck sich vor dem Tod zu fürchten bzw. keine Angst zu haben und zeigen Gefühle der Trauer, Schmerz beim Tod Nahestehender und Angst vor Verlust Nahestehender.4

Die Untersuchung hat gezeigt, dass bei der Beschäftigung der Jugendlichen mit dem Tod eher Ädie abstrakteren psychologischen Aspekte“ im Vordergrund stehen, während den Ämehr objektiven Todesaspekten“ weniger Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Fragen der menschlichen Existenz und Sozialität, welche für das Jugendalter charakteristisch ist, scheint auch in Bezug auf den Tod eine wesentliche Rolle zu spielen.5 Hinsichtlich des im Folgenden darzustellenden Forschungsprojektes lässt sich aus der Studie von 1987 ablesen, dass 76% für eine Behandlung des Themas im Schulunterricht waren und nur 24% dagegen. Wie die Einstellung zu diesem Thema rund 22 Jahre später aussieht, soll unter Anderem im Verlauf des Forschungsprojektes geklärt werden.

3. Forschungsprofil

Innerhalb dieser Forschungsprojektes wird die Frage behandelt, wie differenziert der Umgang mit dem sensiblen Thema Tod im Religionsunterricht vom Lehrer im Vergleich zu den Schülern empfunden wird. Dabei soll untersucht werden, ob die Wahrnehmungen des Lehrers über beispielsweise die Gestaltung des Unterrichts, die Lernbereitschaft der Schüler, die eigene Didaktik und Empathie, sich mit den Wahrnehmungen der Schüler decken.

3.1. Probanden

Für das Forschungsprojekt stellte sich eine 9. Klasse einer Domschule bereit. Die Domschule ist eine Konkordatschule, die in Trägerschaft eines Bistums steht, sodass der Religionsunterricht dort eine wichtige Rolle spielt. Die Religionsklasse setzt sich aus elf Mädchen und acht Jungen zusammen. Der Religionsunterricht in dieser Klasse wird von Lehrer M. geleitet, der gleichzeitig auch der Klassenlehrer in dieser Klasse ist. Zusätzlich übernahm in dieser Unterrichtsreihe zum Thema Tod die Referendarin RW. eine Doppelstunde des Unterrichts.

3.2. Erhebungsmethoden

Für die Erhebung wurden drei unterschiedliche Methoden gewählt. Erstens ein Fragebogen, der von der gesamte Klasse ausgefüllt wurde und mit dessen Hilfe ein allgemeines Meinungsbild der Schüler zu Aspekten des Unterrichts erfasst werden soll (s.h. Anhang).

Des Weiteren wird ein narratives Interview mit insgesamt drei Schülern geführt, um exemplarisch das Empfinden der Schüler innerhalb der Unterrichtsreihe zum Thema Tod vertiefend zu hinterfragen. Hierfür wurde die Methode des narrativen Interviews gewählt, um spontane Erinnerungen der Schüler zur Unterrichtsreihe Tod hervor zu rufen. Zur Einleitung des Interviews wurde den Schülern folgende Fragestellungen von jeweils einem Interviewer vorgetragen:

„Das Thema Tod im Unterricht ist ein sehr emotionales Thema sowohl für den Lehrer, als auch für euch Schüler. Wie hast du den Umgang mit dem Thema in der Klasse wahrgenommen und wie hast du die Lehrperson dabei empfunden?“

Nach den Erzählungen der Schüler auf den ersten Impuls hin, folgt der zweite Erzählimpuls:

„Uns würde auch interessieren, ob es einen besonders bedeutenden Moment für dich in der Unterrichtsreihe gab!“

Um die Wahrnehmung der Schüler mit dem Empfinden des Lehrers zu vergleichen, wird innerhalb des Forschungsprojektes mit beiden Lehrern, die in der Unterrichtsreihe in der Klasse tätig waren, ein problemorientiertes Interview durchgeführt. Die Lehrer werden konkret nach ihrer Intention zur Methodik, der Durchführung und ihrem Empfinden zur Unterrichtsreihe befragt (s.h. Anhang).

4. Untersuchung

4.1. Fragebogen

4.1.1. Ergebnisse

Für die Ergebnissicherung des Fragebogens werden die Antworthäufigkeiten einzelner Fragen graphisch in Diagrammen dargestellt und vereinzelt untereinander verglichen. Durch diese Strukturierung kann man allgemeine Tendenzen und falls vorhanden ein allgemeines Meinungsbild der Schüler deutlicher erkennen und belegen.

Voreinstellung

Die ersten beiden Fragen ÄHast du dich auf das Thema Tod im Unterricht gefreut? und Hattest du vorab Befürchtungen das Thema Tod im Unterricht zu behandeln?“ wurden in den Fragebogen aufgenommen, um die Voreinstellung der Schüler zu erfassen und später unter Berücksichtigung dieser die Erfahrungen der Schüler innerhalb der Unterrichtsreihe zu analysieren.

Im Hinblick auf die bevorstehende Unterrichtsreihe zum Thema Tod gaben 64% der Schüler an, dass sie sich gar nicht bis nicht auf das Thema Tod gefreut haben, während 26% sich freuten. Ein einziger Schüler gab an sich sehr gefreut zu haben. Der Mehrheit von 74% der Schüler, die keine bis gar keine Befürchtungen hinsichtlich der Unterrichtsreihe hatten, stehen 26% mit starken Befürchtungen gegenüber. (s.h. Anhang Diagramm 1 und 2)

Persönliche Erfahrungen

Persönliche Erfahrungen mit dem Tod haben in dieser Klasse schon 68% der Schüler gemacht, wobei bei 21% der betroffenen Schüler der Todesfall weniger als ein Jahr zurückliegt. Schüler, die persönliche Erfahrungen mit dem Tod gemacht haben, beantworteten innerhalb des Fragebogens zusätzlich drei Fragen: ÄWie lange liegen diese Erfahrungen zurück?“, ÄWie sehr belasten dich diese Erfahrungen noch emotional?“ und ÄIn wieweit hat dir der Religionsunterricht geholfen mit deinen persönlichen Erfahrungen besser umzugehen?“. (s.h. Anhang Diagramm 3)

Persönliche Belastung

Dabei bewerteten zwei Drittel der Schüler ihre eigene persönliche Belastung aufgrund ihrer Erfahrungen als sehr stark bis stark. Nur ein Schüler gab an, dass die gemachten Erfahrungen für ihn gar keine Belastung mehr darstellen. Bei diesem Schüler lag der Todesfall mit 10 Jahren am längsten von allen anderen Schülern mit gemachten Erfahrungen zurück. (s.h. Anhang Diagramm 4)

RU als Hilfestellung

Hilfreich für die Auseinandersetzung

mit den eigenen persönlichen Erfahrungen empfand den Unterricht ein betroffener Schüler, während 39% ihn als nicht und 53% als gar nicht hilfreich bewerteten.

(s.h. Anhang Diagramm 5)

Von der gesamten Klasse beantworteten 58% die Frage, ob für sie die Unterrichtsreihe bei der Auseinandersetzung mit der Thematik Tod hilfreich war, negativ, wovon 21% den Unterricht als gar keine Hilfe für die Thematik ansahen. Dem gegenüber empfand ein Schüler die Unterrichtsreihe als eine sehr starke Hilfe für seinen persönlichen Umgang mit der Thematik Tod und 37% empfanden den Religionsunterricht als hilfreich.

(s.h. Anhang Diagramm 6)

Klassenatmosphäre

Die Atmosphäre innerhalb der Klasse wurde von zwei Drittel der Schüler positiv und angenehm für offene Gespräche wahrgenommen. (s.h. Anhang Diagramm 7)

Lehrerverhalten

Bei den Fragen zum Lehrerverhalten bewerteten die Schüler den Lehrer M., der den Hauptteil der Unterrichtsreiche unterrichtet hatte, und die Lehrerin RW, die nur eine einzige Unterrichtsstunde innerhalb der Reihe übernommen hatte, aber bei mehreren Stunden anwesend war.

Die Bewertungen der Schüler zur Kompetenz der Lehrpersonen fielen bei Lehrer M. und Lehrerin RW. sehr ähnlich aus. Die Kompetenz von Lehrer M. wurde von 68% der Schülern positiv bewertet, während Lehrerin RW. von 70% der Schülern positiv bewertet wurde. Lehrerin RW. wurde von keinem der Schüler als gar nicht kompetent eingeschätzt, wohingegen 16% der Schüler, von denen alle männlich waren, Lehrer M. diese Bewertungen gaben. (s.h. Anhang Diagramm 8)

Die Empathiefähigkeit der Lehrpersonen wurde wieder sehr identisch und positiv bewertet. Lehrerin RW. wurde von 74% und Lehrer M. von 63% der Schüler als einfühlsam und vertrauenswürdig wahrgenommen. (s.h. Anhang Diagramm 9)

Inhalte

Die offene Frage über die beliebtesten Inhalte wurden von 89% der Schüler beantwortet, wobei der Film Willi wills wissen fünf mal, das Lied Nimm mich mit von Marius Müller Westernhagen und die Phasen von Elisabeth Kübler-Ross dreimal. Die Gruppenarbeit als besonders geeignete Methode wurde zweimal genannt.

Die offene Frage am Ende des Fragebogens zu einem besonders bedeutsamen Moment innerhalb der Unterrichtsreihe wurde von zwei Schülern beantwortet. Dabei empfand einer der Schüler den Respekt gegenüber Trauernden und der andere Schüler den offenen Umgang mit dem Thema Tod als besonders wichtig.

4.1.2. Analyse

Voreinstellung zur Unterrichteinheit

Mit Hilfe der ersten beiden Fragen lässt sich anfangs eine grobe Grundeinstellung der Schüler zum Thema Tod im Unterricht erfassen, die auch später für die Analyse der weiteren Fragen eine Rolle spielt.

Mit 64% war eine geringe Mehrheit der Schüler gegenüber der Unterrichtsreihe Tod negativ eingestellt. Da aber ein Drittel der Schüler angab sich gar nicht auf das Thema zu freuen und nur ein einziger Schüler sich sehr freute, lässt sich die Grundeinstellung gegenüber dem Thema als negativ zusammenfassen. Die meisten Schüler freuten sich nicht auf eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Tod im Religionsunterricht.

Der Mangel an Freude lässt sich aber nicht aus den Befürchtungen gegenüber dem Thema begründen, da 74% der Schüler keinerlei Befürchtungen gegenüber einer Auseinandersetzung mit dem Thema Tod im Unterricht hatten. Die Schüler, die Befürchtungen gegenüber einer Unterrichtsreihe mit dem Thema Tod äußerten, waren bis auf einen Schüler durch persönliche Erfahrungen betroffen, die weniger als 3 Jahre zurücklagen. Somit lassen sich Befürchtungen hinsichtlich der bevorstehenden Unterrichtsreihe in Zusammenhang mit eigenen persönlichen Erfahrungen bringen.

Aber kurz zuvor gemachte Erfahrungen mit dem Tod bei Schülern lassen sich deswegen nicht explizit mit Befürchtungen und geringer Freude hinsichtlich einer Auseinandersetzung mit dem Thema Tod verbinden (s.h. Tabelle).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhand dieser Tabelle wird deutlich, dass man nicht generell behaupten kann, dass persönliche Erfahrungen mit dem Tod die Freude mindern oder Befürchtungen vor einer intensiven Auseinandersetzung hervorrufen. Viel eher lässt sich aus den Ergebnissen schließen, dass das Thema Tod ein ambivalentes Thema ist, welches von jedem Schüler individuell behandelt werden will. Während der eine Schülertyp sich freut seine eigenen Erfahrungen innerhalb des Unterrichts fachlich reflektieren zu können, hat der andere Schüler starke Befürchtungen gegenüber der bevorstehenden erzwungenen Auseinandersetzung. Auch wird deutlich, dass sich Befürchtungen und Freude nicht gegenseitig ausschließen und die Schüler dem Thema unklar gegenüberstehen können. So freut Schüler D sich auf der einen Seite auf die Auseinandersetzung mit dem Thema, um beispielsweise Antworten von noch offenen Fragen näher zu kommen und seine Erfahrungen aufgrund von gelernter Inhalte zu reflektieren. Doch auf der anderen Seite steht Schüler D der Unterrichtseinheit auch mit Befürchtungen gegenüber, die sich beispielsweise aus der Angst begründen könnten durch die Auseinandersetzung mit dem Thema Tod seine persönlichen Erfahrungen mit samt der von ihm gespürten Trauer erneut aufarbeiten zu müssen.

Daraus lässt sich die These ableiten, dass das Thema Tod ein ambivalentes Thema ist, welches einen individuellen Umgang erfordert, da jeder Schüler eigene, unterschiedlich intensive und verarbeitete Erfahrungen mit diesem Thema hat.

Zwar lassen sich die Ergebnisse nicht allgemein mit der These, dass Schüler mit Erfahrungen mit Todesfällen im Familien- oder Bekanntenkreis sich weniger auf das Thema Tod im Unterricht freuen, zusammenfassen, jedoch ist eine Tendenz zu dieser Aussage zu erkennen. Drei Viertel der negativen Bewertungen hinsichtlich der Vorfreude auf die Unterrichtsreihe stammen von Schülern mit persönlichen Vorerfahrungen mit dem Tod. So lässt sich anhand der Ergebnisse sagen, dass eine persönliche Vorbelastung die Freude auf das Thema Tod mindert und die meisten betroffenen Schüler sich nicht gerne mit diesem innerhalb des institutionellen Rahmens Schule auseinandersetzen möchten.

Belastung bei betroffenen Schülern

Von den 13 Schülern, die bereits eigene Erfahrungen mit dem Tod hinter sich hatten, bewerteten zwei Drittel die daraus resultierenden Belastungen als stark bis sehr stark. Dabei empfanden alle Schüler, deren Erfahrungen weniger als eineinhalb Jahre zurücklagen, die emotionale Belastung als sehr stark. Ab einem Zeitraum von zwei Jahren gaben Schüler an, dass die Erfahrungen keine emotionale Belastung mehr für sie darstellen, wobei dem gegenüber auch Schüler nach drei Jahren die Belastung noch als stark bewerteten.

Hieraus lässt sich die These ableiten, dass eine länger zurückliegende Erfahrung zwar meist aber nicht zwangsläufig eine geringere emotionale Belastung darstellt. Die Belastung nimmt zwar häufig im Laufe der Zeit durch den Prozess der Verarbeitung ab, jedoch lässt sich dies nicht allgemein behaupten, da auch der individuelle Umgang mit der Erfahrung eine Rolle spielt. Erstens werden die Erfahrungen mit dem Tod von jedem individuell empfunden und verarbeitet und zweitens spielt die Verbindung, die derjenige jeweils mit der verstorbenen Person hatte, eine erhebliche Rolle. So verarbeitet man aufgrund eines offensiven, ehrlichen Umgang mit seiner Trauer schneller als durch Verdrängung. Doch meist gilt, dass je aktueller der Todesfall im Leben der Schüler ist, umso stärker ist die eigene emotionale Belastung, da eine gewisse Verarbeitungszeit benötigt wird. Allgemein setzt die Trauerreaktion direkt nach dem Tod ein und klingt mit der Zeit ab, allerdings gibt es auch Trauerreaktionen die verzögert auftreten und dann umso heftiger sind.6

Daraus lässt sich also nicht schließen, dass Schüler, bei denen der Todesfall längere Zeit zurückliegt, zwangsläufig weniger emotional unter diesem leiden, als Schüler mit aktuelleren Erfahrungen. Jeder trauert seiner Persönlichkeit entsprechend anders. Auch Todesursache und Beziehung zum Verstorbenen spielen beim Trauerprozess eine große Rolle. Deshalb müsste jeder Schüler mit seiner Trauer eigentlich individuell betrachtet werden, um Aussagen über das Verhältnis von Zeit und Trauerverarbeitung machen zu können.

Diese These deutet sich auch in den Ergebnissen an, welche sich jedoch nicht explizit verallgemeinern lassen. Zwar stuften alle Schüler nach einem Zeitraum von eineinhalb Jahren ihre Belastung noch als sehr hoch ein, aber vereinzelte Schüler gaben auch nach längerer Zeit noch an stark emotional unter dem Tod zu leiden.

Hilfestellung der Unterrichtseinheit

Eindeutig hingegen war das Meinungsbild der Schüler hinsichtlich der Bewertung der Einheit im Religionsunterricht als Hilfe für den Umgang mit den persönlichen Erfahrungen mit dem Tod. Hierbei bewerteten 92% der betroffenen Schüler die Unterrichtsreihe als keine Hilfe. Insgesamt gab es nur einen einzigen Schüler der die Unterrichtsreihe für die Verarbeitung seiner Trauer als hilfreich empfunden hatte.

Somit hat die stattgefundene Unterrichtsreihe die Auseinandersetzung mit der eigenen individuellen Erfahrungen nicht gefördert, da die Schüler keine Hilfestellung hinsichtlich der Verarbeitung aus ihr gezogen haben.

Nach Angaben von Lehrer M. wurde die Unterrichtseinheit bewusst textlastig aufgebaut (s.h. Lehrerinterview). So wurden beispielsweise die Phasen von Elisabeth Kübler-Ross, Patientenverfügungen und Formen der Sterbehilfe erarbeitet. Da diese Themen die Schüler nicht direkt betreffen, gab es keine individuelle Konfrontation mit dem Tod und den gemachten Erfahrungen.

Daraus ergibt sich die These, dass eine textlastige und inhaltsbezogene Herangehensweise an das Thema Tod, wie sie innerhalb der Unterrichtsreihe nach Angaben von Lehrer M. erfolgte, keinen positiven Nutzen für die Verarbeitung von Trauererfahrungen hat. Trauer ist kein kognitiv, steuerbarer Vorgang, sondern ein individueller Prozess, der von nicht kontrollierbaren Emotionen abhängt7.

Zusätzlich wird die Unterrichtseinheit von mehr als der Hälfte der Schüler in der Klasse nicht als persönliche Hilfe für die Auseinandersetzung mit der Thematik Tod angesehen. Hieraus lässt sich schließen, dass auch für die Auseinandersetzung der Thematik Tod unabhängig von persönlichen Ereignissen der Unterricht nicht besonders hilfreich war.

Hierauf lässt sich die oben genannte These ausweiten. Die persönlichen Fragen der Schüler zum Tod wurden nicht durch die behandelten Themen beantworteten, da der Lehrer die Themen bewusst so auswählte, dass sie die Schüler emotional nicht zu sehr tangiert wurden, um diesen nicht zu nahe zu kommen (s.h. Lehrerinterview).

Durch dieses bewusste Vermeiden von einem zu emotionalen Zugang zu den Schüler im Unterricht, konnte dieser nicht als Hilfestellung von den Schülern für die Bewältigung von Trauererfahrungen genutzt werden und war den meisten Schülern für ihre persönlichen Fragen zur Thematik keine Hilfe.

Es muss trotz allem jedoch auch in Betracht gezogen werden, dass den Schülern die Effizienz des Unterrichts nicht direkt bewusst ist, weil Lernprozesse im emotionalen Bereich häufig unterbewusst ablaufen. Des Weiteren ist es wahrscheinlich, dass ein Teil auch erst rückwirkend auf das neue Wissen oder neue Einsichten bezüglich des Todes zurückgreift. Die These, dass hierbei auch die negative Voreinstellung zum Thema bei der Mehrheit der Schüler berücksichtigt werden muss, da die Einstellung zum Thema auch eine Rolle für den Nutzen spielt, den die Schüler für sich aus einer Unterrichtseinheit ziehen, lässt sich aus den Ergebnissen nicht bestätigen. Nur 37,5% der Schüler, die den Unterricht später als hilfreich für die Thematik Tod empfanden, waren im Voraus positiv gegenüber der Unterrichtsreihe eingestellt. Die Mehrheit hatte sich somit nicht bis gar nicht auf den Unterricht gefreut und trotzdem Hilfe durch diesen erhalten.

Arbeitsatmosphäre

Die Atmosphäre innerhalb der Klasse wurde von 63% der Schüler positiv für offene Gespräche empfunden. Somit war die Grundstimmung innerhalb des Kurses gut, was man innerhalb dieses Forschungsprojektes auf ein hauptsächlich gutes Schüler-Lehrer Verhältnis und eine gute Gruppendynamik zurückführen kann.

Wahrnehmung der Lehrer durch die Schüler

Die positive Kompetenzbewertung der zwei Lehrpersonen war mit 68% bei Lehrer M. und 70% bei Lehrerin RW. sehr ähnlich. Jedoch ist auffällig, dass Lehrerin RW. von keinem der Schüler als gar nicht kompetent eingeschätzt wurde, während Lehrer M. von 16%, der hauptsächlich männlichen Schüler, diese Bewertung bekam.

Da Lehrer M. Klassenlehrer dieser Klasse ist und die Bewertungen als Inkompetent ausschließlich von Jungen kam, lässt sich die These vertreten, dass die Negativbewertung aufgrund von allgemeinen unsympathischen Einstellungen gegenüber dem Lehrer und eventuellen Differenzen zustande kamen.

Möglich wäre jedoch auch, dass diese Schüler ausschließlich das Verhalten von Lehrer M. im Hinblick auf den Zusammenbruch von zwei Schülern in einer Stunde bewerteten, denn bei diesem war Lehrer M. nach eigenen Angaben überfordert und unsicher in seinem Verhalten (s.h. Lehrerinterview).

[...]


1 Vgl. Reuter, Stefanie / Grzybinski, Olaf / Tent, Lothar: Einstellungen Jugendlicher zu Tod und Sterben, 1990, 2-4.

2 Vgl. a.a.O. 16-18.

3 Vgl. a.a.O. 20f.

4 Vgl. a.a.O. 22.

5 Vgl. a.a.O. 24.

6 Vgl. Canacakis, Jorgos: Ich sehe deine Tränen. Zürich 1987. S. 171

7 Vgl. Canacakis, Jorgos: Ich sehe deine Tränen. Zürich 1987.

Ende der Leseprobe aus 55 Seiten

Details

Titel
Das Thema Tod im Religionsunterricht einer 9. Klasse. Analyse mittels Fragebögen und Interviews
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
55
Katalognummer
V197495
ISBN (eBook)
9783668260832
ISBN (Buch)
9783668260849
Dateigröße
1148 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
thema, religionsunterricht, klasse, analyse, fragebögen, interviews
Arbeit zitieren
Petra Richter (Autor:in), 2009, Das Thema Tod im Religionsunterricht einer 9. Klasse. Analyse mittels Fragebögen und Interviews, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197495

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