In den letzten Jahren wird der Problemkreis der aktiven Sterbehilfe aufgrund technisch medizinischer Möglichkeiten der „künstlichen“ Lebensverlängerung und dem gestiegenen Durchschnittalter nach dem seit 1945 herrschendem Euthanasietabu wieder zum Gegenstand allgemeiner, vor allem auch juristischer Diskussionen gemacht. Soll es gesetzlich erlaubt werden, einen Menschen auf seinen eigenen Wunsch hin zu töten?
Gehört die Entscheidung über Leben oder Tod zu den verfassungsrechtlich geschützten Gütern Selbstbestimmung, freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Gewissensfreiheit? Ist diese Entscheidung Ausdruck der Menschenwürde oder gerade nicht? Lässt sich aus unserem Grundgesetz, speziell aus wenigstens einem Grundrecht der Artikel 1 bis 4, ein Recht auf Selbsttötung ableiten? Wenn ja, wie lässt sich im weiteren Schritt die aktive Sterbehilfe als Tötung auf Verlangen, d. h. die Delegation der Handlung der Selbsttötung auf einen anderen, mit dem Grundgesetz vereinbaren?
Nach einer kurzen Begriffsklärung soll in dieser Arbeit also zunächst die Stellung von Suizid und Todeswunsch zur Verfassung erörtert werden, um dann im 2. Schritt die Tötung auf Verlangen als aktive Sterbehilfe verfassungsmäßig einzuordnen. Kann unter bestimmten Bedingungen aktive Sterbehilfe durch den Staat grundrechtlich geboten sein oder wäre eine solche aktive Sterbehilfe gerade [...]
Gliederung
I. Einführung
a) Einleitung
b) Begriffsklärung.
II. Recht über das eigene Leben
a) Selbsttötung und Lebensrecht
b) Selbsttötung und Tötungsverbot vs. Lebensgebot
c) Selbsttötungsrecht als Grundrecht
1. Menschenwürde Art. 1
2. Freie Entfaltung der Persönlichkeit Art. 2
3. Glaubens- und Gewissensfreiheit Art. 4
d) Zwischenergebnis
e) Einordnung der aktiven Sterbehilfe (als Tötung auf Verlangen)
III. Rechtssprechung
IV. Zusammenfassung
V. Anhang.
a) Literaturverzeichnis.
b) Auszüge aus Grundgesetz und Strafgesetzbuch
I. Einführung
a) Einleitung
In den letzten Jahren wird der Problemkreis der aktiven Sterbehilfe aufgrund technisch medizinischer Möglichkeiten der „künstlichen“ Lebensverlängerung und dem gestiegenen Durchschnittalter nach dem seit 1945 herrschendem Euthanasietabu wieder zum Gegenstand allgemeiner, vor allem auch juristischer Diskussionen gemacht. Soll es gesetzlich erlaubt werden, einen Menschen auf seinen eigenen Wunsch hin zu töten?
Gehört die Entscheidung über Leben oder Tod zu den verfassungsrechtlich geschützten Gütern Selbstbestimmung, freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Gewissensfreiheit? Ist diese Entscheidung Ausdruck der Menschenwürde oder gerade nicht? Lässt sich aus unserem Grundgesetz, speziell aus wenigstens einem Grundrecht der Artikel 1 bis 4, ein Recht auf Selbsttötung ableiten? Wenn ja, wie lässt sich im weiteren Schritt die aktive Sterbehilfe als Tötung auf Verlangen, d. h. die Delegation der Handlung der Selbsttötung auf einen anderen, mit dem Grundgesetz vereinbaren?
Nach einer kurzen Begriffsklärung soll in dieser Arbeit also zunächst die Stellung von Suizid und Todeswunsch zur Verfassung erörtert werden, um dann im 2. Schritt die Tötung auf Verlangen als aktive Sterbehilfe verfassungsmäßig einzuordnen. Kann unter bestimmten Bedingungen aktive Sterbehilfe durch den Staat grundrechtlich geboten sein oder wäre eine solche aktive Sterbehilfe gerade grundrechtswidrig?
b) Begriffsklärung
Sterbehilfe ist die Sammelbezeichnung für Maßnahmen, die von der Sterbebegleitung (schmerzlindernde pflegerische Versorgung und menschliche Zuwendung für Sterbende) über das Unterlassen lebensverlängernder Handlungen (passive Sterbehilfe, Sterben lassen) bis zu aktiven Lebensverkürzung (aktive Sterbehilfe) reichen.1 Sterbehilfe im eigentlichen Sinne betrifft somit Situationen, in denen ein Sterbeprozess bereits unumkehrbar begonnen hat und/oder der Tod (definiert als Hirntod, d. h. der irreversible und totale Ausfall aller Gehirnfunktionen) nahe bevorsteht.
Sterbehilfe kann vielfach unterteilt werden in:
1. die sanfte Form der Sterbebegleitung Todgeweihter, welche die nötige lindernde ärztliche wie pflegerische Versorgung und mitmenschliche Betreuung Sterbender umfasst,
2. den Abbruch einer Behandlung (z. B. das Abstellen eines Beatmungsgerätes) oder Behandlungsverzicht bei Schwerstkranken als passive Sterbehilfe, d. h. hier wird der in kürzester Zeit tödliche Verlauf der Krankheit akzeptiert,
3. die Beschleunigung des Todes durch Medikamentengabe, d. h. die Gabe schmerzoder leidenslindernder Mittel unter Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung als indirekte Sterbehilfe. Sie ist eine mildere Unterform der
4. aktiven Sterbehilfe. Sie ist die stärkste Form der Sterbehilfe, also die Tötung auf Verlangen zum Beispiel durch Giftspritze.
5. die Teilnahme am Suizid und die Beihilfe zum Suizid. Hier wird einer Person die Möglichkeiten für einen Selbstmord gegeben, doch der letzte Schritt obliegt dem potentiellen Suizidenten.
Da Sterbebegleitung, passive und indirekte Sterbehilfe in den letzten Jahren durch Rechtssprechung, Richtlinien der Bundesärztekammer u. a. zunehmend legalisiert worden sind und auch die Teilnahme und Beihilfe zum Suizid grundsätzlich straffrei sind, kann eine Verfassungskonformität geschlussfolgert werden. Somit geht es im Folgenden nur um die verfassungsrechtliche Betrachtung der aktiven Sterbehilfe, die in Deutschland weiterhin strafbar ist.
II. Recht über das eigene Leben
Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland trat zum 23.05.1949 das Grundgesetz in Kraft. Das Grundgesetz als demokratische Verfassung unseres Landes berührt das Thema aktive Sterbehilfe insofern, als dass die Frage gestellt werden muss, ob Selbsttötung bzw. die Tötung auf Verlangen verfassungskonform sind oder nicht.
a) Selbsttötung und Lebensrecht
Art. 2 II S. 1 GG konstituiert ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dem Wortlaut entsprechend hat der Einzelne somit ein Recht auf Leben gegen den Staat, welcher es gegen Eingriffe durch Dritte zu schützen hat (insbesondere mittels Strafrecht).2 Verfassungsrechtlich wird nicht unterschieden, ob es sich um mehr oder weniger zu schützendem Leben (z. B. Schwerkranke) handelt. Geistes- und Körperzustand spielen keine Rolle.3 Nach geltendem Recht ist das menschliche Leben das ranghöchste Interesse, welches insbesondere keiner Abstufung nach dem „Wert“ des Lebens zugänglich ist.4 „Dies bedeutet, dass auch das Leben von Todgeweihten, unheilbar Kranken oder Sterbenden zu achten ist, und es auf Lebensfähigkeit, Lebenswert, Lebenserwartung, Überlebenschance und Lebensinteresse des Einzelnen nicht ankommt.“5 (Grundsatz des absoluten verfassungsrechtlichen Lebensschutzes). Ist ein Recht auf Leben jedoch auch ein Recht über das eigene Leben? Im Kontext mit Art. 102 GG („Die Todesstrafe ist abgeschafft.“) entzieht es dem Staat die Entscheidung über das Leben (als Resultat der NS-Euthanasie). Ist im Umkehrschluss mit dieser Regelung jedoch auch ein absolutes verfassungsrechtliches Tötungsverbot konstituiert? Somit wäre auch die Selbsttötung davon erfasst. Ist die Selbsttötung verfassungswidrig? Wenn jedoch dem Einzelnen ein Verfügungsrecht über sein Leben zusteht, könnte doch auch ein „Selbstmord durch Mittelsmann“ (Tötung auf Verlangen) straffrei bleiben. Art. 2 II S.1 GG schließt durch den Wortlaut solches Verfügungsrecht nicht aus.
b) Selbsttötung und Tötungsverbot vs. Lebensgebot
So müsste sich aus anderer Stelle ein absolutes Tötungsverbot ergeben. Dies kann bereits historisch widerlegt werden (die Menschheit führt Kriege, die Todesstrafe ist auch in vielen Demokratien noch präsent, das Rechtsinstitut Notwehr wird anerkannt u.s.w.). Auch Art. 102 GG (Abschaffung der Todesstrafe) ist kein hinreichendes Indiz dafür. Ein absolutes Verbot der Tötung eines Menschen im Sinne des 5. Buch Moses „Du sollst nicht töten.“ gibt es demnach nicht. Somit ist auch die aktive Sterbehilfe nicht ausgeschlossen.6 Ein mittelbares Tötungsverbot könnte sich jedoch aus einer Verpflichtung zum Leben ableiten (als Lebensgebot); welche sich z. B. aus den Inpflichtnahmen gem. Art. 12 a I GG begründen würden. Hier ergibt sich ein Konflikt zwischen Lebenserhaltungsinteresse des Staates und Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Das Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes schafft hier Abhilfe: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“7. Ein Anspruch der Gesellschaft oder/und des Staates gegenüber dem Leben des Einzelnen besteht demnach nicht.8
„Nach überwiegender Meinung umfasst der Schutzbereich des Grundrechts auf Leben nicht dass Recht, seinem eigenen Leben ein Ende zusetzen (=kein Recht auf Selbsttötung) (Herv. D. Verf.).“9 Es gibt aber eben kein absolutes Tötungsverbot als auch kein generelles absolutes Lebensgebot. Das in unserer Gesellschaft bestehende und akzeptierte Tötungsverbot kann demzufolge nur als Umkehrschluss des Lebensrechts des Einzelnen ableiten werden (Anerkennung seines Lebensrechts durch den Staat), als Schutz vor dem Dritten (als Schutz vor der Fremdtötung im 16. Abschnitt des StGB in Straftaten gegen das Leben geregelt). Die Selbsttötung wird hiervon scheinbar nicht erfasst. Eingeschlossen ist jedoch die Tötung auf Verlangen als Fremdtötung. Sie ist somit nach § 216 StGB strafbar. Gleichwohl bleiben die Selbsttötung und der Versuch straffrei.
Zu einer etwas anderen Sichtweise mit dem Ergebnis, dass sich Selbsttötung und ein Recht auf aktive Sterbehilfe eben doch aus dem Grundgesetz ergeben, könnte man nach Prüfung der nachfolgenfolgenden Darstellungen kommen.
[...]
1 Brockhaus Enzyklopädie 19. Auflage 6.Band S. 167 ff.
2 Siehe Matthias Walter Stürmer, Sterbehilfe, S. 67
3 Vgl. auch Jarass/Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar, S. 79
4 Vgl. BverfGE 39,1
5 Ines Kline, Todesbegriff, Totenschutz und Verfassung, S. 34
6 Siehe Matthias Walter Stürmer, Sterbehilfe, S. 51
7 Jarass/Pieroth: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar, S. 40, Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 ursprüngliche Fassung des Herrenchiemseer Entwurf
8 Siehe Joachim Wagner, Selbstmord und Selbstmordverhinderung, S. 116
9 Werner Schell, Sterbebegleitung und Sterbehilfe, S. 5 (im Orig. herv.)
- Arbeit zitieren
- Dipl.Volkswirt Stefan Berger (Autor:in), 2003, Grundrecht auf den Tod?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19750
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