Im Europa der Frühen Neuzeit galt der ́Selbstmord ́ prinzipiell als Sünde und juristisch als Straftat. Dies ist Teil einer langen Tradition christlich geprägter Kultur, welche explizit auf das Tötungsverbot im Dekalog zurückgreift und dieses spätestens seit Augustinus auf und gegen das Selbst anwendet. Dürfe man andere nicht töten, so dürfe man auch nicht Hand an sich selbst legen, so das Prinzip, welches sich aus dem Gebot der Nächstenliebe ableite, die, wie Augustinus es formulierte, die Selbstliebe als Richtschnur zur Voraussetzung habe. Folgt man dieser Argumentation und ihrer langen Tradition, so wird klar, dass die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper und damit „das Recht auf den eigenen Tod“ demnach keine uneingeschränkte Anerkennung in jenem christlich geprägten Kulturkreis fanden.
Ausgehend von dieser vehementen Ablehnung der Selbsttötung bis in die Frühe Neuzeit soll sich der Blick auf den philosophischen Diskurs der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert richten. Mit der Aufklärung war ein Wandel in der moralischen Bewertung der Selbsttötung verbunden, welcher auf Säkularisierung und Emanzipation der Individuen beruhte und somit einen neuen Diskurs über den Suizid ermöglichte.
Die vorliegende Arbeit möchte daher den Versuch unternehmen, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob im Zuge der Aufklärung und dem damit einhergehenden Wandel im Menschenbild die gesellschaftliche Bewertung der Selbsttötung hin zur moralischen Legitimation derselben geführt hat. Zugespitzt soll die Frage lauten: Plädierte die Aufklärung für ein Recht auf den eigenen Tod? Exemplarisch soll dies an der Debatte zwischen David Hume und Immanuel Kant nachvollzogen werden. Die Entscheidung begründet sich damit, dass jene beiden Philosophen eine klare Zäsur innerhalb des philosophiegeschichtlichen Diskurses um den Suizid darstellen. Beide vereinen, wobei sie antagonistischer kaum sein könnten, spezifisch moderne, aufklärerische Elemente hinsichtlich ihrer Argumentationsweise, und besonders bei Kant in formaler Hinsicht, die sich insgesamt auf Säkularisierung moralischer Normen beruft.
Nach einem knappen einführenden philosophie- geschichtlichen Überblick über die wichtigsten Persönlichkeiten in diesem Zusammenhang soll dann schließlich der Übergang zur aufklärerischen Philosophie vollzogen werden, in deren Kontext die beiden Positionen gegenübergestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Über das Verhältnis von Aufklärung und das Recht auf den eigenen Tod
- Säkulare Tendenzen
- Unversöhnliche Positionen: Das radikale Für und das radikale Wider den Suizid
- Liberalisierung der Suizid-Problematik?
- David Hume: Apologet des Selbsttötung?
- Immanuel Kant: Altes Verbot, neues Gewand
- Säkulare Tendenzen
- Fazit
- Quellen
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht, ob die Aufklärung und die damit verbundenen Veränderungen im Menschenbild zu einer moralischen Legitimation der Selbsttötung in der Gesellschaft geführt haben. Im Fokus steht die Frage, ob die Aufklärung für ein Recht auf den eigenen Tod plädiert.
- Der Wandel der gesellschaftlichen Bewertung der Selbsttötung in der Aufklärung
- Die Rolle von Säkularisierung und Emanzipation im Diskurs über Suizid
- Die philosophischen Positionen von David Hume und Immanuel Kant zur Selbsttötung
- Die Bedeutung des moralphilosophischen Diskurses über Suizid seit der Antike
- Die Unterscheidung zwischen "Selbstmord" und "Freitod" und ihre impliziten moralischen Bewertungen
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt den historischen Kontext der Selbsttötung in der Frühen Neuzeit dar. Sie betont das christliche Tötungsverbot und die Ablehnung des Suizids als Straftat. Zudem wird die Bedeutung der Aufklärung für den Wandel der moralischen Bewertung des Suizids hervorgehoben.
- Über das Verhältnis von Aufklärung und das Recht auf den eigenen Tod: Dieses Kapitel analysiert die säkularen Tendenzen im Diskurs über Suizid während der Aufklärung. Es beleuchtet die unversöhnlichen Positionen des radikalen Für und Wider des Suizids sowie die Frage nach einer möglichen Liberalisierung der Suizid-Problematik.
- David Hume: Apologet des Selbsttötung?: Das Kapitel untersucht die Position von David Hume zur Selbsttötung und analysiert, ob er als Apologet des Suizids angesehen werden kann. Hume wird als ein Vertreter der Aufklärung präsentiert, der sich mit neuen moralischen Argumenten für den Suizid auseinandersetzt.
- Immanuel Kant: Altes Verbot, neues Gewand: Dieses Kapitel widmet sich der philosophischen Position von Immanuel Kant zum Suizid. Es untersucht, inwiefern Kant das alte Verbot des Suizids in ein neues Gewand kleidet und welche aufklärerischen Elemente in seinen Argumenten zum Ausdruck kommen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Schlüsselbegriffen Selbsttötung, Suizid, Aufklärung, Säkularisierung, Emanzipation, moralische Bewertung, Menschenbild, David Hume, Immanuel Kant, Freitod, Selbstmord, historische Suizidforschung. Der Fokus liegt auf dem Wandel der moralischen Bewertung des Suizids im Kontext der Aufklärung und der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen philosophischen Positionen zu diesem Thema.
- Arbeit zitieren
- René Haase (Autor:in), 2012, Über das Verhältnis von Aufklärung und das Recht auf den eigenen Tod, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197575