Das Phantastik-Konzept nach Tzvetan Todorov am Beispiel von Zack Snyders 'Watchmen'


Hausarbeit, 2009

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Phantastik-Konzept nach Tzvetan Todorov

3. Beispiel für eine fantastische Figur: Dr. Manhattan

4. Grenzen des Phantastik-Konzeptes
4.1 Walter Kovacs/Rorschach
4.2 Adrian Veidt/Ozymandias

5. Schluss

Quellen

1. Einleitung

Die folgende Arbeit befasst sich mit dem von Tzvetan Todorov erdachten Konzept der Phantastik. Es soll untersucht werden, ob sich dieses Konzept auf Verfilmungen der Graphic Novel anwenden lässt. Als Beispiel soll Zack Snyders Filmadaption von Alan Moores „Watchmen“ dienen, die im Jahr 2009 in den deutschen Kinos zu sehen war.

Todorovs Konzept bildet eine wichtige Grundlage in der Diskussion über phantastische Literatur. In seiner „Einführung in die fantastische Literatur“ schreibt er: „... jedes Werk ändert die Gesamtheit der möglichen Werke, jedes neue Beispiel ändert die Spezies.“[1]

Besonders deutlich wird das an „Watchmen“. Dieser Film bricht mit wahrscheinlich allem, was im Bereich Comic-Verfilmungen bisher üblich war. Damit erfüllt er insbesondere, was Todorov mit dem oben zitierten Satz ausdrücken wollte. Wenn man von wenigen Ausnahmen, wie etwa „Sin City“ absieht, dürfte es kaum einen Film dieses Genres geben, der die Superhelden auch abseits von Verbrecherjagd und Fototerminen zeigt und sie als Menschen mit allen dazu gehörenden Stärken und Schwächen präsentiert.

Im Folgenden werde ich zunächst die Bedingungen zusammenfassen, die ein Text bzw. Film erfüllen muss, um nach Todorov als „phantastisch“ gelten zu können. Danach werde ich mich dem Film „Watchmen“ zuwenden und ihn dahingehend untersuchen, ob sich in ihm phantastische Elemente finden. Ich werde dazu die Figur des Dr. Manhattan genauer untersuchen. In einem weiteren Schritt werde ich untersuchen, ob auch andere Figuren des Films die von Todorov genannten Bedingungen erfüllen, bevor ich schließlich zum Schluss meiner Arbeit kommen werde.

2. Das Phantastik-Konzept nach Tzvetan Todorov

In seiner „Einführung in die fantastische Literatur“ definiert Tzvetan Todorov das Fantastische wie folgt: „In einer Welt, die durchaus die unsere ist, […] geschieht ein Ereignis, das sich aus den Gesetzen eben dieser vertrauten Welt nicht erklären läßt.“[2]

Je nachdem, welche Erklärung dem Ereignis am Ende zugrunde gelegt wird, unterscheidet Todorov vier Kategorien, nämlich „unvermischt Unheimliches“, „Fantastisch-Unheimliches“, „Fantastisch-Wunderbares“ und „unvermischt Wunderbares“[3]. Die Unterscheidungskriterien richten sich auch danach, ob ein zunächst Übernatürlich erscheinendes Ereignis am Ende als natürlich enttarnt wird oder nicht, und nach der Reaktion des Lesers auf das Ereignis. Das Fantastische selbst definiert Todorov als „Trennungslinie zwischen dem Unheimlichen und dem Wunderbaren“[4]. Die Voraussetzung dafür, dass von einer fantastischen Geschichte gesprochen werden kann, ist der Zweifel einer der beteiligten Personen. Nach Todorov „währt das Fantastische nur so lange wie die Unschlüssigkeit [...]“[5]. Endet diese dadurch, dass eine den Naturgesetzen nach mögliche bzw. unmögliche Erklärung gegeben wird, begibt man sich automatisch in eine der beiden Kategorien, die neben dem Fantastischen existieren. Möglich ist die Kategorie „Unheimlich“ (bei einer den Naturgesetzen entsprechenden Erklärung) oder die Kategorie „Wunderbar“ (bei einer den Naturgesetzen widersprechenden Erklärung)[6]. Kann ein übernatürlich erscheinendes Ereignis am Ende erklärt werden, ohne den Naturgesetzen zu widersprechen, und reagiert niemand mit Unglauben darauf, wird die Geschichte als fantastisch-unheimlich bezeichnet[7]. Als unvermischt unheimlich gilt eine Geschichte dann, wenn von Dingen erzählt wird,

„die sich gänzlich aus den Gesetzen der Vernunft erklären lassen, die jedoch auf die eine oder andere Weise unglaublich, außergewöhnlich, schockierend, einzigartig, beunruhigend oder unerhört sind und aus diesem Grund in der Person und dem Leser eine Reaktion hervorrufen, die der ähnelt, die uns von fantastischen Texten her vertraut ist.“[8]

Fantastisch-wunderbar ist eine Geschichte, wenn sich die übernatürlich wirkenden Ereignisse nicht den Naturgesetzen entsprechend erklären lassen, sondern „mit der Anerkennung des Übernatürlichen enden.“[9] Die vierte Kategorie, die als unvermischt-wunderbar bezeichnet wird, beinhaltet ebenfalls Ereignisse, die den Naturgesetzen widersprechen. Sie unterscheidet sich allerdings insofern von der dritten Kategorie, als „die übernatürlichen Elemente weder bei den Personen noch beim impliziten Leser eine besondere Reaktion [...]“[10] auslösen.

Darüber hinaus schreibt Todorov:

„Das Fantastische verlangt die Erfüllung dreier Bedingungen. Zuerst einmal muß der Text den Leser zwingen, die Welt der handelnden Personen wie eine Welt lebender Personen zu betrachten, und ihn unschlüssig werden lassen angesichts der Frage, ob die evozierten Ereignisse einer natürlichen oder einer übernatürlichen Erklärung bedürfen. […] Dann ist noch wichtig, daß der Leser in bezug auf den Text eine bestimmte Haltung einnimmt: er wird die allegorische Interpretation ebenso zurückweisen wie die »poetische« Interpretation. […] Die erste und die dritte konstituieren tatsächlich die Gattung; die zweite kann auch unerfüllt bleiben. […] Die dritte Bedingung schließlich ist allgemeineren Charakters und geht über die Einteilung in Aspekte hinaus: es handelt sich um eine Wahl zwischen mehreren Modi (und Ebenen) der Lektüre.“[11]

3. Beispiel für eine fantastische Figur: Dr. Manhattan

Wie Todorov in seiner „Einführung in die fantastische Literatur“ erläutert, können Ereignisse auch dann durchaus rational erklärt werden, wenn sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht naturwissenschaftlich erfassbar sind. Als ein Beispiel dafür nennt er das „naturwissenschaftliche Wunderbare [...]“[12]. Er schreibt: „Hier wird das Übernatürliche auf rationale Weise erklärt, aber anhand von Naturgesetzen, die die gegenwärtige Naturwissenschaft nicht anerkennt.“[13] Das kann durchaus für Dr. Manhattan gelten.

Seine Verwandlung vom Nuklearphysiker Jon Osterman zu einer Kreatur mit übernatürlichen Kräften wird mit einem Unfall im Labor begründet (vgl. Talkshow-Master:

„...ein renommierter Atomwissenschaftler, der seit einem schrecklichen Unfall eine Vielzahl phantastischer Fähigkeiten besitzt. Allen voran die Fähigkeit, durch Gedanken Materie zu formen. Heutzutage kennt die ganze Welt ihn als: Dr. Manhattan.“)[14]

Dies wirkt zwar zunächst wie eine durchaus logische Erklärung. Denn Mutationen sind nach dem Einsatz nuklearer Technologie durchaus denkbar. Das zeigt das Beispiel Tschernobyl, wie auch die Beispiele Hiroshima und Nagasaki. Nach dem Abwurf von Atombomben auf diese beiden japanischen Städte kam es dort überdurchschnittlich oft zu Fehlbildungen bei Neugeborenen. Bisher hat es allerdings auf der ganzen Welt noch keinen nuklearen Unfall gegeben, bei dem das Opfer dadurch übernatürliche Fähigkeiten gewonnen hätte. Im Gegenteil, wie die genannten Beispiele gezeigt haben, sind die Folgen eines solchen Unfalls in aller Regel verheerend. Ein Unfall wie der im Film geschilderte erscheint daher auch Menschen mit eher lückenhaften Kenntnissen der Nuklearphysik sehr unrealistisch. Er wird aber im Film „als factum brutum in der vom Werk aufgebauten fiktiven Welt [...]“ akzeptiert.[15] Dieter Penning schreibt darüber hinaus: „Es ist wichtig festzuhalten, daß in der Phantastik noch so außergewöhnliche Erlebnisse Anspruch auf Objektivität bzw. intersubjektive Nachvollziehbarkeit erheben.“[16] Auch das ist bei Dr. Manhattan der Fall. Das betrifft aber nicht allein seine Verwandlung. Interessant sind hier vor allem die übernatürlichen Kräfte, die Dr. Manhattan nach seinem Unfall gewonnen hat. Er kann unter anderen ohne Mühe Materie umformen

(vgl. Blake: „Du hättest die Knarre in Dampf, die Kugeln in Quecksilber, und die..., die Flasche in 'ne Schneeflocke verwandeln können, aber das hast Du nicht!“)[17]

und sich und andere teleportieren, wohin immer er will (vgl. Dr. Manhattan: „Ich bin auf dem Mars. Und gleich führen wir beide dort ein Gespräch.“)[18]. Gleichzeitig ist seine Wahrnehmung der Zeit eine andere als die der Menschen (vgl. Dr. Manhattan: „Könntest Du die Zeit doch bloß so wahrnehmen, wie ich das tue.“)[19] und es gibt niemanden auf dem gesamten Planeten, der in der Lage wäre, Dr. Manhattan in einem Kampf zu besiegen (vgl. Dr. Manhattan: „Der klügste Mensch der Welt bedroht mich nicht in größerem Maße, als die klügste Termite der Welt.“)[20] In der wirklichen Welt jemanden zu finden, der all das vorweisen kann, ist nicht möglich. Und doch wird es in diesem Fall logisch erklärt. Somit ist die Existenz Dr. Manhattans ein Beispiel für das „...was man heute Science-Fiction nennt.“[21] Dr. Manhattan ist also eine fantastische Figur, bis die Erklärung für seine Verwandlung gegeben wird. Mit dem Zeitpunkt, an dem sein Zustand erklärt wird, tritt er aus dem Fantastischen heraus. Er entpuppt sich als unvermischt-wunderbare Figur. Todorov formuliert darüber hinaus eine weitere Bedingung:

„Beim Wunderbaren rufen die übernatürlichen Elemente weder bei den Personen noch beim impliziten Leser eine besondere Reaktion hervor. Nicht die Haltung gegenüber den berichteten Ereignissen charakterisiert das Wunderbare, sondern die Natur dieser Ereignisse selbst.“[22]

Auch das trifft auf Dr. Manhattan vollkommen zu. Niemand bezweifelt seine Existenz oder seine übernatürlichen Fähigkeiten. Er wird von Anfang an von allen als real akzeptiert und nicht ein einziges Mal im gesamten Film wird seine Existenz oder seine Vorgeschichte kritisch hinterfragt.

[...]


[1] Todorov, Tzvetan: „Einführung in die fantastische Literatur“, S. 9

[2] Todorov, S. 25

[3] Ebd., S. 43

[4] Ebd., S. 27

[5] Ebd., S. 40

[6] Vgl. Todorv, S. 40

[7] Ebd., S. 43

[8] Ebd., S. 44-45

[9] Ebd., S. 49

[10] Ebd., S. 51

[11] Todorov, S. 33

[12] Ebd. S. 53

[13] Ebd. S. 53

[14] „Watchmen“, Regie: Zack Snyder, Paramount Pictures, Warner Brothers Pictures, 2009

[15] Penning, Dieter: „Eine Bilanz zur Theorie der Phantastik“, S. 36

[16] Penning, S. 36-37

[17] „Watchmen“

[18] Ebd.

[19] Ebd.

[20] Ebd.

[21] Todorov, S. 53

[22] Todorov, S. 51

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Phantastik-Konzept nach Tzvetan Todorov am Beispiel von Zack Snyders 'Watchmen'
Hochschule
Universität Trier
Veranstaltung
Phantastik in Literatur und Film
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
17
Katalognummer
V197879
ISBN (eBook)
9783656242017
ISBN (Buch)
9783656242567
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
phantastik-konzept, tzvetan, todorov, beispiel, zack, snyders, watchmen
Arbeit zitieren
Christoph Ewen (Autor:in), 2009, Das Phantastik-Konzept nach Tzvetan Todorov am Beispiel von Zack Snyders 'Watchmen', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/197879

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