Das Besondere am russischen Realismus besteht darin, dass seine Entwicklung von
einer Reihe fast oberbürtiger und gleichgestellter Vertreter getragen wurde, wie
Turgenev, Dostoewskij, Goncarov, Leskov, dass aber jeder von ihnen seine eigene
Spielart realistischer Kunst mit großer Individualität in die russische Literatur brachte.
Unübersehbar unter diesen Schriftstellern ist die geniale Kunst des Grafen Leo
Tolstoj. Sein Bestreben nach einer „treffenden Präzision des Gedankens, nach einer
Wahrhaftigkeit des stilistischen Ausdrucks“1 schaffte seinen individuellen Stil, dessen
Gipfel zwei riesige Romane „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“ bilden.
„Anna Karenina“ fasziniert nicht nur mit seinem Sujet, seiner Vielfältigkeit der
Themen, die im Roman zum Diskussionsstoff werden, sondern auch mit der
künstlerischen Genialität, mit deren Leo Tolstoj seine Romanhelden dargestellt hat.
Jeder Figur wurde von dem Autor ein besonderer Abriss von äußerlichen Merkmalen
verliehen, der keinem anderen der Protagonisten in seinen Details glich. Und wie
jeder andere Autor versuchte auch Tolstoj beim Porträtieren eines Menschen mehr
als nur die äußere Gestalt wiederzugeben.
Die Körpersprache, Mimik und Gestik der Figuren trugen bei Tolstoj in verschiedener
Hinsicht zum Sinn-, und Wirkungspotenzial des Romans bei. Körperhaltung und
Raumverhalten, Gesichtsausdruck, Blicke und Gesten, seien sie bewusst und
unbewusst, ließen auf Charakterzüge, mentale Befindlichkeiten und interpersonale
Beziehungen der Figuren schließen.
Die Protagonisten wurden von Tolstoj meistens indirekt beschrieben - durch ihre
Handlungen und Äußerungen, durch ihre Gestik und Mimik. [...]
1 Stender-Petersen, Adolf. Geschichte der russischen Literatur. München: Beck, 1978,
S. 379
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Die Physiognomie in der Literatur des 19. Jahrhunderts
- Körper als Zeichensystem im westeuropäischen Realismus
- Die physiologische Methode in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts
- Körper, Mimik und Gestik als Bedeutungsträger im Roman „Anna Karenina“ von Leo Tolstoj
- Annas Augen als Leitmotiv im Roman „Anna Karenina“
- Charakterisierende Funktion der Augen Annas
- Annas Augen als Ausdruck der Gefühle und des inneren Zustandes der Protagonistin
- Kommunikative Funktion Annas Augen
- Schlusswort
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Tolstojs Methode der Darstellung von Mimik, Gestik und Bewegungen der Protagonisten in „Anna Karenina“, wobei der Fokus auf Annas Augen liegt und deren verschiedene Funktionen im literarischen Text analysiert werden. Dies erfordert eine breitere Betrachtung der realistischen Methode des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Physiognomie und deren Einfluss auf die Literatur. Die Arbeit beleuchtet den Zusammenhang zwischen Physiognomie und Realismus und analysiert, wie sich diese Methode in der Figurenzeichnung Tolstojs ausdrückt.
- Tolstojs Darstellungstechniken in „Anna Karenina“
- Die Rolle der Physiognomie im Realismus des 19. Jahrhunderts
- Die Funktion von Annas Augen als Ausdruck von Charakter, Gefühlen und Kommunikation
- Der Einfluss der Physiognomie auf die realistische Literatur
- Vergleichende Betrachtung des west- und osteuropäischen Realismus
Zusammenfassung der Kapitel
Einführung: Die Einführung stellt Leo Tolstoj und seinen Roman „Anna Karenina“ vor. Sie hebt Tolstojs Bestreben nach „treffender Präzision des Gedankens“ und „Wahrhaftigkeit des stilistischen Ausdrucks“ hervor und betont die Bedeutung der Körpersprache, Mimik und Gestik in seiner Darstellung der Figuren. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, Tolstojs Methode der Darstellung von Mimik, Gestik und Bewegungen, insbesondere an Annas Augen, zu untersuchen und deren Funktion im Roman zu analysieren. Der Bezug zur Physiognomie als Methode des Realismus wird hergestellt, um den methodischen Rahmen der Arbeit zu etablieren.
Die Physiognomie in der Literatur des 19. Jahrhunderts: Dieses Kapitel untersucht den Einfluss der Physiognomie auf den Realismus des 19. Jahrhunderts. Es beschreibt den Realismus als Kunstrichtung, die die sozialen und geistigen Antagonismen des Jahrhunderts widerspiegelt und eine neue, naturwissenschaftlich geprägte Betrachtung der Realität einführt. Der Realismus strebte danach, das Leben und die Lebensumstände detailgetreu und beschreibend einzufangen. Die Physiognomie, die sich im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte, beeinflusste die realistische Methode maßgeblich, indem sie eine neue Auffassung von Literatur und ihrer Funktion ermöglichte.
Körper, Mimik und Gestik als Bedeutungsträger im Roman „Anna Karenina“: Dieses Kapitel analysiert, wie Tolstoj durch Körpersprache, Mimik und Gestik die Charakterzüge, mentalen Befindlichkeiten und interpersonale Beziehungen seiner Figuren in „Anna Karenina“ vermittelt. Er beschreibt seine Protagonisten indirekt, durch Handlungen, Äußerungen, Gestik und Mimik, wodurch sie als „Verhaltende, Redende, Denkende, Fühlende“ präsentiert werden, und ihre Seelenleben sich in ihren Äußerungen, Bewegungen und Blicken offenbaren. Dieses Kapitel legt den Grundstein für die detaillierte Analyse von Annas Augen in den folgenden Kapiteln.
Schlüsselwörter
Leo Tolstoj, Anna Karenina, Realismus, Physiognomie, Körpersprache, Mimik, Gestik, Augen, Charakterisierung, innere Zustände, Kommunikation, russische Literatur, west-europäischer Realismus.
Häufig gestellte Fragen zu: Analyse der Physiognomie in Leo Tolstojs "Anna Karenina"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese wissenschaftliche Arbeit analysiert die Darstellung von Mimik, Gestik und Körperbewegungen, insbesondere der Augen Annas, in Leo Tolstojs Roman "Anna Karenina". Der Fokus liegt auf der Funktion dieser Elemente als Bedeutungsträger im literarischen Kontext und deren Beziehung zur physiognomischen Methode des Realismus.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Physiognomie im 19. Jahrhundert, sowohl im west- als auch im osteuropäischen Kontext, und ihren Einfluss auf den Realismus. Sie untersucht Tolstojs Darstellungstechniken in "Anna Karenina", die Rolle der Physiognomie in der Figurenzeichnung, die Funktion von Annas Augen als Ausdruck von Charakter, Gefühlen und Kommunikation, und den Vergleich zwischen west- und osteuropäischem Realismus.
Welche Methoden werden angewendet?
Die Arbeit analysiert die literarischen Techniken Tolstojs, indem sie die Körpersprache, Mimik und Gestik der Figuren, insbesondere Annas Augen, detailliert untersucht. Es wird eine vergleichende Betrachtung des west- und osteuropäischen Realismus im 19. Jahrhundert durchgeführt, um den methodischen Rahmen der Analyse von Tolstojs Werk zu etablieren.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einführung, ein Kapitel zur Physiognomie im 19. Jahrhundert, ein Kapitel zur Bedeutung von Körper, Mimik und Gestik in "Anna Karenina", ein Kapitel zur Analyse von Annas Augen als Leitmotiv und ein Schlusswort. Jedes Kapitel behandelt spezifische Aspekte der Thematik.
Welche Rolle spielt die Physiognomie in der Analyse?
Die Physiognomie dient als theoretischer Rahmen für die Analyse. Die Arbeit untersucht, wie die physiognomische Methode, die eine Verbindung zwischen Aussehen und Charakter herstellt, in Tolstojs realistischen Darstellung der Figuren in "Anna Karenina" zum Ausdruck kommt, insbesondere durch die detaillierte Beschreibung von Annas Augen.
Was ist die zentrale These der Arbeit?
Die zentrale These ist, dass Tolstojs detaillierte Beschreibungen von Mimik, Gestik und Körperbewegungen, insbesondere von Annas Augen in "Anna Karenina", nicht nur zur Charakterisierung der Figuren beitragen, sondern auch deren innere Zustände und Beziehungen zueinander offenbaren und somit die realistische Darstellung des Romans maßgeblich prägen. Diese Darstellung wird im Kontext der physiognomischen Methode des Realismus des 19. Jahrhunderts analysiert.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Leo Tolstoj, Anna Karenina, Realismus, Physiognomie, Körpersprache, Mimik, Gestik, Augen, Charakterisierung, innere Zustände, Kommunikation, russische Literatur, west-europäischer Realismus.
Für wen ist diese Arbeit bestimmt?
Diese Arbeit richtet sich an Wissenschaftler und Studenten der Literaturwissenschaft, die sich mit dem Realismus des 19. Jahrhunderts, der russischen Literatur und der literarischen Analyse von Körpersprache befassen. Sie eignet sich auch für alle, die sich für die literarischen Techniken Leo Tolstojs und die Interpretation seines Romans "Anna Karenina" interessieren.
- Citar trabajo
- Elvira Nafikova (Autor), 2002, Tolstoj, Leo - Anna Karenina: Annas Augen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19796