Bereits 1898 stellte Sigmund Freud in seinem vielbeachteten Aufsatz „Die Sexualität in der
Ätiologie der Neurosen“1 fest: „[…] theoretisch wäre es einer der größten Triumphe der
Menschheit […] wenn es gelänge, den verantwortlichen Akt der Kinderzeugung zu einer
willkürlichen und beabsichtigten Handlung zu erheben […].“2 Heute, 113 Jahre später,
blicken wir auf den 50. Geburtstag dieses Triumphes zurück und feiern die gesellschaftliche
Selbstbestimmung mit all ihren weitreichenden Folgen für die Gesellschaft sowie den
einzelnen Menschen. Doch so offensichtlich die Erfolge der kurz als Pille bezeichneten oralen
Kontrazeptiva sind, so unbekannt scheint auch ihre Herkunft, weshalb diese Arbeit die
Vordenker und Entwickler des globalen Erfolgsprodukts ins Zentrum stellt: Ludwig
Haberlandt, Carl Djerassi und Gregory Pincus.
INHALT
1. Schriftliche Ausarbeitung
2. Bibliografie
2.1. Literaturverzeichnis
2.2. Quellenverzeichnis
1. Schriftliche Ausarbeitung
Bereits 1898 stellte Sigmund Freud in seinem vielbeachteten Aufsatz „Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen“1 fest: „[] theoretisch wäre es einer der größten Triumphe der Menschheit [] wenn es gelänge, den verantwortlichen Akt der Kinderzeugung zu einer willkürlichen und beabsichtigten Handlung zu erheben […].“2 Heute, 113 Jahre später, blicken wir auf den 50. Geburtstag dieses Triumphes zurück und feiern die gesellschaftliche Selbstbestimmung mit all ihren weitreichenden Folgen für die Gesellschaft sowie den einzelnen Menschen. Doch so offensichtlich die Erfolge der kurz als Pille bezeichneten oralen Kontrazeptiva sind, so unbekannt scheint auch ihre Herkunft, weshalb diese Arbeit die Vordenker und Entwickler des globalen Erfolgsprodukts ins Zentrum stellt: Ludwig Haberlandt, Carl Djerassi und Gregory Pincus.
Parallel zum Erscheinen des bedeutungsvollen Satzes Freuds befassten sich Forscher erstmalig ernsthaft mit dem Feld der Fortpflanzungsbiologie, sodass diese bereits 1901 die Existenz eines Hormons, welches zentral im Gehirn und in den Eierstöcken gebildet die Menstruation bedinge, beschreiben konnten. Dies als Ausgangspunkt nehmend, gelang es schließlich Ludwig Haberlandt ein Grundkonzept oraler Kontrazeptiva zu definieren. 1885 geboren befasste sich der österreichische Physiologe hauptsächlich mit der inneren Sektion sowie der Herzphysiologie, bei welcher es ihm gelang, ein Herzhormon nachzuweisen. Doch den Grundstein zum elementaren Vordenker des Prinzips der Pille legte er 1919, indem er nach Transplantationsversuchen von Eierstöcken trächtiger Kaninchen und Meerschweinchen in nicht trächtige Artgenossen die Hemmung des Eisprungs nachweisen konnte. Hierbei konnte Haberlandt schnell beweisen, dass eine „zeitweilige, hormonale Sterilisierung weiblicher Tiere […] möglich ist.“3 Diese These bekräftigte er zwischen 1921 und 1923 durch Injektionsversuche mit dem Eierstockpräparat Ovarialopton, das der Pharmahersteller Merck von trächtigen Kühen gewann. Ferner gelang es empfängnisfähige Tiere gleichfalls durch Placetaopton, ein Mutterkuchenextrakt von Merck, vorübergehend zu sterilisieren. In sich anschließenden Fütterungsversuchen wurden weiße Mäuse schließlich mittels der genannten Präparate temporär hormonal sterilisiert.4
Haberlandt, der 1932 den Freitod wählte, kann somit zweifelsfrei als biologischer Pionier auf dem Gebiet der hormonalen Empfängnisverhütung identifiziert werden, wenn auch die von ihm bewusste Geburtenregelung im Sinne einer „rassenhygienische[n] Perspektive für die Zukunft“5 zugunsten einer „Vermeidung von minderwertiger Nachkommenschaft in der jetzigen Zeit und auch für die weitere Zukunft“6 ethisch stark kritisiert werden muss. Der frühe Tod Haberlandts und die sich im Dritten Reich anschließende Flucht und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, die einen überdurchschnittlichen Anteil an der deutschen Wissenschaftselite stellte, verzögerten die Entwicklung oraler Kontrazeptiva um eine Dekade, wenn auch 1934 der Biochemiker Adolf Butenandt die eisprunghemmende Wirkung des aus dem Eierstöcken von Schweinen gewonnenen Steroidhormons Progesteron nachweisen konnte und Forscher dieses zeitgleich erstmals aus der tropischen Yamswurzel gewinnen konnten - Leistungen, die die Verlagerung des Forscherschwerpunkts vom biologischen in den chemischen Bereich vorzeichneten.7
Somit war Progesteron in den 1940er Jahren zu einem in der Fachwelt anerkannten Kontrazeptiva avanciert, welches allerdings zur Entfaltung seiner empfängnisverhütenden Eigenschaften täglich injiziert werden musste und somit von den führenden Pharmaunternehmen mit mangelndem Forscherelan betrachtet wurde. Erst der für das mexikanische Unternehmen Syntex tätige und 1923 geborene Carl Djerassi nahm die Erkenntnisse Haberlandts, welchen er als den „Großvater der Pille“ bezeichnet, erneut auf und versuchte als Chemiker ein oral wirksames Analogon von Progesteron zu synthetisieren. Dies gelang ihm, indem Djerassi zunächst die Methylgruppe in Stellung 19 des Progesterons abspaltete und das so gewonnene vier- bis achtmal stärker wirkende 19-Norprogesteron in einer weiteren Synthese zum Norethisteron umwandelte. Dieses Steroid war das bis dato oral wirksamste Kontrazeptiva, sodass der sich selbst als „Mutter der Pille“ beschreibende Djerassi es am 15.Oktober 1951 zum Patent anmeldete. Wird dieses Datum heute als Geburtstag der Pille bezeichnet, stand Syntex als kleines Unternehmen vor dem Problem einer fehlenden Versuchseinrichtung, um das neue Wundermittel gezielt testen und fortan vermarkten zu können. Doch die mittlerweile nicht mehr von der Hand zu weisende Wirkung veranlasste den Pharmariesen Searle, vor allem auf Initiative von Gregory Pincus, dieses Forschungsfeld weiter voranzutreiben.8
Der Physiologe Gregory Pincus forschte zu diesem Zeitpunkt zunehmend auf dem Gebiet der hormonalen Empfängnisverhütung durch Ovulationshemmer, wobei er vor allem der entschlossenen Bitte der US-Feministin Margaret Sanger folgte, die von ihren Erlebnissen als Krankenschwester gezeichnet auch für die finanzielle Unterstützung der Forschungsarbeiten durch Katherine McCormick Rechnung trug und an dieser Stelle, mit dem Verweis auf den Umfang dieser Arbeit, keine ausreichende Würdigung finden kann. Indem der 1903 geborene Pincus Tieren zunächst ausschließlich das norethisteronähnliche Norethinodrel verabreichte, stellte er eine Unterdrückung der Menstruation fest, weshalb er das Gestagen ab 1953 mit einem Östrogen mischte. Folgende Versuche an Tieren sprachen für eine solche Zugabe bei gleichbleibender empfängnisverhütender Wirkung, sodass 1956 erste klinische Tests mit puerto-ricanischen Frauen stattfanden. Hierbei konnte der Eisprung bis auf einen gezielten Tag im Monat unterdrückt werden, wenn auch die Präparate 200mal stärker dosiert waren, als heutige Arzneimittel. Durch die Ergebnisse überzeugt gab das US- Gesundheitsamt FDA das Produkt bereits 1957 als Mittel gegen Menstruationsschwierigkeiten und Unfruchtbarkeit frei, wobei hiermit zunächst die positive Nebenwirkung der Kontrazeptiva vermarktet werden durfte. Schnell bewies Pincus in weiteren Test die Tauglichkeit des von Searle produzierten „Enovid“, weshalb es am 18.August 1960 auf dem amerikanischen Markt offiziell als Verhütungsmittel zugelassen wurde.9
Aufgrund der Überdosierung traten zwar zunächst Nebenwirkungen wie Thrombose und Gewichtszunahme auf, doch war der Erfolg der Pille nicht mehr aufzuhalten: Vier Jahre nach der Einführung nahmen bereits vier Millionen Amerikanerinnen die Pille; Schering vertrieb seit dem 1.
[...]
1 Im Original erschienen: Wiener Klinische Rundschau, 5/1898.
Vgl. URL: http://www.psychanalyse.lu/Freud/FreudSexualitatNeurosen.pdf (letzter Zugriff: 14.06.2011)
2 Ebd.: S.10.
3 Haberlandt, Ludwig: Die hormonale Sterilisierung des weiblichen Organismus, Jena 1931, S.3.
4 Vgl.: Ebd. S.2-8. Köstering, Susanne: „Etwas besseres als das Kondom“. Ludwig Haberlandt und die Idee der Pille, in: Staupe, Gisela/Vieth, Lisa (Hrsg.): Die Pille. Von der Lust und von der Liebe, Berlin 1996, S.119-120. 3
5 Haberlandt, Ludwig: Die hormonale Sterilisierung des weiblichen Organismus, Jena 1931, S.17.
6 Ebd.: S.14.
7 Kinas, Sven: Adolf Butenandt (1903-1995) und seine Schule, Berlin 2004, S.18.
8 Vgl. Djerassi, Carl: Die Mutter der Pille. Eine Autobiografie, Zürich 1992, S.80-91. Diskussion „Pille oder Petrischale“ zur Präimplantationsdiagnostik mit Carl Djerassi und Barbara Orland vom 11.November 2010 URL: http://wissen.dradio.de/gentechnik-pille-oder-petrischale.88.de.html?dram:article_id=6757&sid= (letzter Zugriff: 16.06.2011)
9 Vgl. Djerassi, Carl: Die Mutter der Pille. Eine Autobiografie, Zürich 1992, S.92-95. Hoonakker, Ernst W.: Die Geschichte der Empfängnisverhütung, München 1994, S.116-118. URL: http://wissen.dradio.de/gentechnik- pille-oder-petrischale.88.de.html?dram:article_id=6757&sid=. Guillebaud, John: Die Pille, Hamburg 1982, S.32- 33.
- Arbeit zitieren
- Eric Kresse (Autor:in), 2011, Die Entwicklung oraler Kontrazeptiva und deren beginnende industrielle Verwertung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198235