Kein Autor hat Rahel Varnhagen beeindruckt wie Goethe und kein Buch hat sie Zeit ihres Lebens ähnlich gefangengenommen wie die „Lehrjahre“. Der Varnhagensche Salon war durch das Gespräch über den bedeutenden Literaten geprägt. Aber Rahel war nicht nur eine
prominente Anhängerin des „Geheimrates“, sie war ein fester Bestandteil des geistigen Lebens ihrer Zeit. In ihrem Salon trafen sich Größen wie Kleist, Humboldt, Heine, Brentano oder Schleiermacher zu Geselligkeit und anregendem Gespräch. In zahlreichen Aufzeichnungen ihrer Zeitgenossen wird Rahels besondere Ausstrahlung und ihr Konversationstalent hervorgehoben.
Daß die Salonniere dennoch keineswegs eine feste Heimat in der Gesellschaft finden konnte, daß sie im Gegenteil an dieser litt, lag vor allem an dem verbreiteten Judenhaß in der Bevölkerung. Alle Versuche, ihrerseits die Mauern des Vorurteils zu durchbrechen, blieben weitgehend wirkungslos.
Vor dem Hintergrund dieser Situation muß Rahels Entwicklung verstanden werden. An vielen Stellen ihrer Aufzeichnungen kommt das Thema Judentum offen zur Sprache. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, wie die „jüdische Rolle“ ihr Selbstverständnis, ihre Identität beeinflußt hat und welche Auswirkungen sich daraus für ihr Handeln ergaben. Anhand ausgewählter Stellen aus der Korrespondenz mit Pauline Wiesel werden
Motive und Themen vorgestellt, die auf das zugrundeliegende Selbstverständnis der Autorin geprüft werden. Solche sind das „Freundschafts-Motiv“, das Bild von der Gesellschaft
und die Probleme der „Selbstbehauptung“ in diesem Kontext. Zudem sollen mögliche Parallelen im Erleben der Schreiberinnen berücksichtigt werden. Zum besseren Verständnis wird die
Untersuchung durch einen Bericht über die Wurzeln des modernen Antisemitismus in Deutschland eingeleitet. Gleichzeitig interessiert an dieser Stelle die Beziehung Rahel Varnhagens zu den jüdischen Traditionen und Verhaltensmustern. Neben der Frage wie Rahels
jüdische Herkunft ihr Denken und ihre Einstellungen beeinflußte, soll der literarische Wert des Briefwechsels erörtert werden. Es gilt der Tendenz zu begegnen, die Briefe und Tagebuchaufzeichnungen
Rahel Varnhagens einzig als geschichtlich-biographische Quelle zu
funktionalisieren. Die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung werden abschließend zusammengefaßt und diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
- Der jüdische Kontext
- Wurzeln des Antisemitismus in Deutschland
- Rahels Bild vom Judentum
- Der Briefwechsel zwischen Rahel Varnhagen und Pauline Wiesel
- Das Freundschafts-Motiv
- Gesellschaft und Konventionen
- Zwischen Selbstbehauptung und Wahnsinn
- Der Briefwechsel als Kunstwerk
- Schlußbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den Briefwechsel zwischen Rahel Varnhagen und Pauline Wiesel und analysiert, wie die „jüdische Rolle“ Rahels Selbstverständnis und Identität prägte.
- Die Auswirkungen des Antisemitismus auf Rahels Leben und Handeln
- Das „Freundschafts-Motiv“ im Briefwechsel
- Das Bild von der Gesellschaft und die Herausforderungen der „Selbstbehauptung“
- Mögliche Parallelen im Erleben der Schreiberinnen
- Der literarische Wert des Briefwechsels
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet den historischen Kontext des Briefwechsels, indem es die Wurzeln des Antisemitismus in Deutschland im 18. Jahrhundert beschreibt. Es werden die Argumentationslinien der Gegner der jüdischen Emanzipation und deren Kritik am „jüdischen Charakter“ vorgestellt. Das zweite Kapitel fokussiert auf den Briefwechsel selbst. Es werden das Freundschafts-Motiv, die Rolle von Gesellschaft und Konventionen sowie die Schwierigkeiten der „Selbstbehauptung“ im Kontext des Antisemitismus analysiert. Das dritte Kapitel widmet sich der künstlerischen Qualität des Briefwechsels.
Schlüsselwörter
Antisemitismus, jüdische Identität, Rahel Varnhagen, Pauline Wiesel, Briefwechsel, Selbstverständnis, Gesellschaft, Emanzipation, Freundschafts-Motiv, Selbstbehauptung, literarischer Wert.
- Quote paper
- Thorsten Beck (Author), 1999, Der trügerische Schein von Freiheit - Briefwechsel Rahel Varnhagen - Pauline Wiesel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198373