Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen
2.1 Definition Gleichnis
2.2 Inhaltliche Gliederung
2.3 Realienabklärung
3. Vergleiche
3.1 Synoptischer Vergleich: Lk 15, 1-7 und Mt 18, 12-14
3.2 Gleichnis von der verlorenen Drachme (Lk 15, 8-10)
4. Intention
5. Schluss
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
1. Einleitung
Das Gleichnis vom verlorenen Schaf ist eine bei Kindern beliebte Bibelstelle. Diese Erfahrung habe ich persönlich sowohl bei der Gestaltung von Kindergottesdiensten als auch im Religionsunterricht in der Primar- und Sekundarstufe gemacht. Doch warum ist das so und was verbirgt sich genau hinter diesem Gleichnis?
Die vorliegende Arbeit soll das Gleichnis vom verlorenen Schaf nach Lukas durch Vergleiche mit anderen Bibelstellen genauer erläutern und die Intention des Gleichnisses in seinem jeweiligen Kontext darlegen.
Dazu werden zunächst die Grundlagen zum Thema geklärt und dargestellt. Dabei wird zuerst die Gattung „Gleichnis“ definiert, bzw. untersucht, wie sich diese Definition im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat. Darauf folgt die inhaltliche Gliederung des Gleichnisses vom verlorenen Schaf, also das Nachgehen der Frage „Um was geht es im Gleichnis überhaupt und welches Thema wird behandelt?“. Den Abschluss des ersten Abschnitts bildet die Realienabklärung, wodurch die Bedeutung der Begriffe „Schaf“ und „Hirte“ in ihrem Zusammenhang näher beleuchtet werden. Der nächste Teil der Arbeit besteht aus einem synoptischen Vergleich des Gleichnisses bei Lukas und bei Matthäus und einer Gegenüberstellung vom Gleichnis vom verlorenen Schaf und dem von der verlorenen Drachme. Abschließend werden im letzten Punkt die Intention des Textes und die erwartete Wirkung auf den Zuhörer herausgearbeitet.
Die Bibeltexte, die in dieser Arbeit genannt und verwendet werden, sind im Anhang abgedruckt.
2. Grundlagen
2.1 Definition
Bei einem Gleichnis handelt es sich um eine „Redegattung, in der ein bestimmter Gedanke mit Hilfe eines Bildwortes veranschaulicht wird“[1]. Diese allgemeine Definition wurde von Zeit zu Zeit durch verschiedene Theorien erweitert. Zunächst wurden alle Gleichnisse als Allegorien verstanden, also als „Aneinanderreihungen einzelner Metaphern, die je für sich ‚übersetzt‘ werden müssten und deren Zusammenhang erst dann verstanden wäre, wenn die Bedeutung der je einzelnen Metaphern bekannt ist“[2]. Zum Anfang des 20. Jahrhunderts wandte sich der Exeget Jülicher von dieser Theorie ab und hielt daran fest, dass ein Gleichnis aus einer Bild- und aus einer Sachhälfte besteht, welche durch das „tertium comparationis“ verbunden sind. Seiner Auffassung nach ist bei einem Gleichnis also immer nur ein einziger Hauptgedanke vorzufinden[3]. Diese Ansicht wird heute jedoch kritisch betrachtet, da sie als streng und mechanisch gilt: „Gleichnisse seien nicht bildhafte Entkleidungen von Sachverhalten, die im Grunde auch in ‚eigentlicher‘, definitorischer Rede ausgesagt werden können; vielmehr sei das im Gleichnis Gesagte – also die Gottesherrschaft – tatsächlich im Gleichnis präsent (Jüngel), weshalb es unsachgemäß sei, nach einem tertium comparationis wie nach einem ‚Übersetzungsschlüssel‘ zu fragen“[4].
Inhaltlich bezieht sich ein Gleichnis also auf „die kommende Herrschaft Gottes und de[n] Anspruch Jesu, deren Bringer zu sein“[5]. Es behandelt und schildert ein alltägliches Geschehen, welches den Menschen der damaligen Zeit bekannt ist. „Es entnimmt seinen Stoff also der Wirklichkeit. […] Ein Gleichnis wird so knapp wie möglich formuliert. Ausschmückungen sind stets als spätere Zutaten verdächtig.“[6].
2.2 Inhaltliche Gliederung
Zum besseren Verständnis der Handlung des Gleichnisses vom verlorenen Schaf ist eine Gliederung des Textes sinnvoll und hilfreich. Der Inhalt von Lk 15, 1-7 lässt sich in die folgenden drei Sinnabschnitte einteilen.
Die Verse 1 bis 3 beschreiben einleitend die gegebene Situation: Zöllner und Sünder suchen Jesus auf, um ihm zuzuhören. Dieser Zustand stößt bei den Pharisäern und Schriftgelehrten auf Unverständnis. „Wie deren Protest im Nachhinein verdeutlicht, wird die Begegnung zwischen Jesus und den Sündern deshalb als anstößig empfunden, weil sie sich in der Tischgemeinschaft vollzieht“[7]. Als Antwort auf diesen „Einspruch der Opposition“[8] wird in Vers 3 ein Gleichnis Jesu angekündigt.
Das eigentliche Gleichnis vom verlorenen Schaf wird daraufhin in den Versen 4 bis 6 geschildert. Ein Hirte hütet hundert Schafe, von denen ihm eines abhandenkommt. Infolgedessen entfernt er sich von den übrigen neunundneunzig und sucht so lange nach dem verlorenen Schaf, bis er es aufspürt. Als er es wiederentdeckt, freut sich der Hirte und trägt es auf seinen Schultern mit. Zurück in der Heimat lädt er seine Bekannten ein, sich mit ihm zu freuen und erzählt ihnen von seinem Erlebnis.
Vers 7 bildet den Abschluss, in dem das Gleichnis erklärt wird. Das verlorene Schaf, welches wiedergefunden wurde, steht für einen Sünder, der umgekehrt ist. Jesus verdeutlicht, dass dieser im Himmel mehr Freude auslöst als die übrigen neunundneunzig. Diese Gerechten sind nicht darauf angewiesen, überhaupt umzukehren.
2.3 Realienabklärung
Schafe wurden und werden als Nutztiere aufgezogen, die zum einen zur Ernährung (Milch und Fleisch), zum anderen für Textilien, die aus der Schafswolle hergestellt werden, Erträge bringen. Sie gelten als Herdentiere[9], die sich nicht mehr zurechtfinden, wenn sie auf sich allein gestellt sind. Kommt ein einzelnes Schaf dennoch von den anderen ab, befindet es sich in einer hilflosen Lage. Es besteht nicht nur das Problem, dass es nicht mehr zurückfindet, sondern auch, dass es gefährliche Feinde anlockt, indem es beispielsweise durch Schreien auf sich aufmerksam macht[10]. Jeremias beschreibt die Situation wie folgt: „Ein von der Herde abgekommenes Schaf, das umhergeirrt ist, pflegt sich mutlos niederzulegen und ist nicht mehr zu bewegen, aufzustehen und zu laufen. Es bleibt dem Hirten nichts anderes übrig, als es zu tragen.“[11].
Schafhirten haben die Aufgabe, ihre Herde zusammenzuhalten und „vor dem Einbruch der Dunkelheit rechtzeitig zu sammeln und in die sicheren Gehege heim zu rufen“[12]. Den Ort, an dem die für die Tiere am besten geeignete Nahrung zu finden ist, bestimmen die Schafe weitgehend selbst. Dafür gibt es innerhalb der Herde Leittiere, denen die anderen hinterherlaufen. Der Hirte achtet dabei besonders auf schwache und kranke Tiere, die der Herde nicht mehr folgen können oder dies nicht wollen, weil sie sich mit der Weide, auf der sie sich befinden, zufrieden geben. Diese müssen vorangetrieben werden, da ein zu langes Verweilen auf der gleichen Weide schädliche Folgen haben kann, z.B. durch die Aufnahme von eigenen Exkrementen[13]. Unterstützend sind oft Hunde oder weitere Hirten auf den Weiden dabei[14]. Eine Herde bestand zur Zeit Jesu aus 20 bis 200 Tieren und spiegelte je nach Größe den Reichtum des Besitzers wider[15].
3. Vergleiche
3.1 Synoptischer Vergleich: Mt 18, 12-14 und Lk 15, 1-7
Das Gleichnis vom verlorenen Schaf ist sowohl in Lk 15, 1-7 als auch in Mt 18, 12-14 vorzufinden. Die Texte dieser beiden Evangelisten überschneiden sich sehr häufig mit dem Markus-Evangelium, woraus geschlossen werden kann, dass dieses als Vorlage für die anderen beiden diente. Darüber hinaus gibt es aber auch Passagen bei Lukas und Matthäus, die sich nicht mit dem Markus-Text decken, wie z.B. das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Diese Tatsache bedeutet, dass die beiden eine weitere Quelle verwendet haben: die Logienquelle Q[16]
[...]
[1] Baum 2005, S. 429
[2] Conzelmann/Lindemann 1995, S. 102
[3] vgl. Bucher 1990, S. 21
[4] Conzelmann/Lindemann 1995, S. 102
[5] Baum 2005, S. 430
[6] Linnemann 1969, S, 18f.
[7] Harnisch 2001, S. 227
[8] ebda
[9] vgl. Zisler 2005, S. 968
[10] vgl. Drewermann 2008, S. 62
[11] Jeremias 1962, S. 134
[12] Eirich 2011, S. 11
[13] vgl. Eirich 2011, S. 11
[14] vgl. Drewermann 2008, S. 64
[15] vgl. Jeremias 1962, S. 132f.
[16] vgl. Conzelmann/Lindemann 1995, S. 68-74