Das Teilen von Nahrung ist kein seltenes Phänomen unter Primaten. Meist kann dieses Verhalten auf Basis der Verwandtschaftsselektion erklärt werden. Betrachtet man jedoch das Teilen von Nahrung bei Bonobos, fallen zwei Besonderheiten auf. Erstens teilen am häufigsten die aufgrund der patrilinearen Gruppenstruktur nicht oder nur entfernt verwandten Weibchen die Nahrung miteinander (Kano, 1980), was die Frage aufkommen lässt, welche Faktoren dieses Verhalten zwischen nicht-verwandten Tieren begünstigen. Zweitens tritt das Teilen von Nahrung oft zeitnah zu sexueller Interaktion auf (Kuroda;1984 zit. nach Blount, 1990; de Waal, 1991). De Waal (1998) beschreibt Situationen, in denen die Bereitschaft eines Männchens zum Teilen von Nahrung mit einem Weibchen durch eine vorangegangene Kopulation positiv beeinflusst zu sein schien. Sowohl Weibchen als auch Männchen forderten dabei zur Kopulation auf, wobei Weibchen anschließend stets von der Nahrung des Männchens fressen konnten. Seine Beobachtungen interpretierte de Waal (1998) dahingehend, dass Männchen Nahrung gezielt dazu einsetzen, um mit Weibchen zu kopulieren und Weibchen ihrerseits die sexuelle Attraktion der Männchen nutzen, um Zugang zu Nahrung zu erhalten. In heterosexuellen Paarkonstellation kann dieses Verhalten durch die Begrenzungsfaktoren des reproduktiven Erfolges beider Geschlechter erklärt werden, welche für Weibchen durch den Zugang zu hochwertiger Nahrung und für Männchen durch den Zugang zu fruchtbaren Weibchen bestimmt sind. Parish (1994) beobachtete ein ähnliches Verhalten zwischen Weibchen untereinander. Wenn Weibchen die Nahrung miteinander teilten, kam es dabei ebenfalls häufig zur sexuellen Interaktion in Form des für Bonobo-Weibchen typischen Genito-Genital-Reibens (GG-rubbing). Parish (1994) vermutete einen engen Zusammenhang zwischen dem Teilen von Nahrung und dem Auftreten von Genital-Kontakt entsprechend eines Austausches von sexueller Interaktion und Nahrung zwischen den beteiligten Tieren .Sie konnte in einer experimentellen Studie an in Gefangenschaft lebenden Bonobos zeigen, dass dieser "Sex-for-Food-Exchange" regelmäßig unter Weibchen vorkommt. Bisher wurden jedoch keine Daten über den zeitlich direkten Zusammenhang von sexueller Interaktion und Nahrungsteilen zwischen weiblichen Bonobos erhoben. Ziel dieser Arbeit ist es deshalb, weitere Erkenntnisse über die Funktion von GG-rubbing im Sinne eines "Sex-for-Food-Exchange" zwischen Bonobo-Weibchen zu erlangen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Biologie und Lebensweise von Pan paniscus
- 2.1 Systematik
- 2.2 Geografische Verbreitung und Lebensraum
- 2.3 Gefährdung und Artenschutz
- 2.4 Merkmale
- 2.5 Ernährung
- 2.6 Werkzeuggebrauch
- 2.7 Sozialverhalten
- 2.7.1 Soziale Organisation
- 2.7.2 Soziale Hierarchie
- 2.7.3 Aggressionsverhalten
- 2.7.4 Komfortverhalten
- 2.8 Sexualverhalten
- 2.8.1 Kopulation
- 2.8.2 Genito-Genital-Reiben (GG-rubbing) zwischen Weibchen
- 2.8.3 Sexuelle Kontakte zwischen Männchen
- 2.9 Soziosexuelles Verhalten
- 2.9.1 Soziosexuelles Verhalten im Kontext „Aggression“
- 2.9.2 Soziosexuelles Verhalten im Kontext „Nahrung“
- 2.9.3 Soziosexuelles Verhalten im Kontext „Ausbildung sozialer Bindung“
- 3 Hypothesen und Prognosen
- 3.1 Häufigkeit von GG-rubbing in An- und Abwesenheit von Nahrung
- 3.2 Aufforderung zum GG-rubbing
- 3.3 Cofeeding
- 4 Material und Methoden
- 4.1 Versuchstiere
- 4.2 Haltung der Versuchstiere
- 4.2.1 Gehege
- 4.2.2 Reguläre Fütterungen
- 4.3 Versuchsmaterialien
- 4.4 Methoden
- 4.4.1 Prognose 1a: Häufigkeit von GG-rubbing
- 4.4.2 Prognose 1b: Häufigkeit von Owner-Bystander-Kontakt
- 4.4.3 Prognose 2: Aufforderung zum Owner-Bystander-Kontakt
- 4.4.4 Prognose 3: Cofeeding
- 5 Ergebnisse
- 5.1 Allgemeine Beschreibung
- 5.2 Prognose 1a: Häufigkeit von GG-rubbing
- 5.3 Prognose 1b: Häufigkeit von Owner-Bystander-Kontakt
- 5.4 Prognose 2: Aufforderung zum Owner-Bystander-Kontakt
- 5.5 Prognose 3: Cofeeding
- 6 Diskussion der Ergebnisse
- 7 Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist die Untersuchung des soziosexuellen Verhaltens von Bonobos, insbesondere die Überprüfung der "Sex-for-Food-Exchange-Hypothese". Die Arbeit analysiert den Zusammenhang zwischen Nahrungsverteilung und sexueller Interaktion, speziell dem Genito-Genital-Reiben (GG-rubbing) bei weiblichen Bonobos.
- Soziosexuelles Verhalten von Bonobos
- Die "Sex-for-Food-Exchange-Hypothese"
- Der Einfluss von Nahrung auf sexuelle Interaktionen bei weiblichen Bonobos
- Analyse des Genito-Genital-Reibens (GG-rubbing)
- Vergleich mit bestehenden Forschungsergebnissen
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik des Nahrung Teilens bei Primaten ein, insbesondere bei Bonobos. Sie hebt die Besonderheit des häufigen Nahrungstauschens zwischen nicht verwandten weiblichen Bonobos hervor und stellt die Frage nach den zugrundeliegenden Faktoren. Der Fokus liegt auf dem Zusammenhang zwischen Nahrungsverteilung und sexueller Interaktion, insbesondere der "Sex-for-Food-Exchange-Hypothese", die besagt, dass sexueller Kontakt als Tauschmittel für Nahrung dient. Die Arbeit zielt darauf ab, weitere Erkenntnisse über die Funktion von GG-rubbing im Kontext dieser Hypothese zu gewinnen.
2 Biologie und Lebensweise von Pan paniscus: Dieses Kapitel bietet einen umfassenden Überblick über die Biologie und Lebensweise der Bonobos. Es beschreibt die Systematik, die geografische Verbreitung und den Lebensraum, die Gefährdung und den Artenschutz, sowie die körperlichen Merkmale, die Ernährung, den Werkzeuggebrauch und das Sozial- und Sexualverhalten der Tiere. Der detaillierte Einblick in die Lebensweise der Bonobos legt die Grundlage für das Verständnis ihres soziosexuellen Verhaltens und der in der Studie untersuchten Interaktionen.
3 Hypothesen und Prognosen: In diesem Kapitel werden die Hypothesen und Prognosen der Studie formuliert. Es werden konkrete Erwartungen an die Häufigkeit von GG-rubbing in An- und Abwesenheit von Nahrung, die Aufforderung zum GG-rubbing und das Cofeeding (gemeinsames Fressen) aufgestellt. Diese Prognosen bilden den Rahmen für die empirische Untersuchung und die spätere Analyse der Ergebnisse.
4 Material und Methoden: Dieses Kapitel beschreibt detailliert die Methodik der Studie. Es umfasst Informationen zu den Versuchstieren, ihrer Haltung (Gehege, Fütterung), den verwendeten Materialien und den angewandten Methoden zur Datenerhebung. Die präzise Darstellung der Methodik gewährleistet die Reproduzierbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Studie.
5 Ergebnisse: Das Kapitel präsentiert die Ergebnisse der Studie, welche die erhobenen Daten zu den drei Prognosen (Häufigkeit von GG-rubbing, Aufforderung zum GG-rubbing und Cofeeding) zusammenfasst und beschreibt. Es bietet eine umfassende Darstellung der empirischen Befunde, die in der folgenden Diskussion interpretiert werden.
6 Diskussion der Ergebnisse: Die Diskussion analysiert und interpretiert die in Kapitel 5 präsentierten Ergebnisse im Kontext der aufgestellten Hypothesen. Es werden Zusammenhänge und mögliche Erklärungen für die beobachteten Phänomene erörtert. Der Bezug zu bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen wird hergestellt und die Ergebnisse werden im Lichte der "Sex-for-Food-Exchange-Hypothese" bewertet.
Schlüsselwörter
Bonobos, Pan paniscus, Soziosexuelles Verhalten, Genito-Genital-Reiben (GG-rubbing), "Sex-for-Food-Exchange", Nahrungstausch, sexuelle Interaktion, Primaten, Sozialverhalten, ethologische Forschung.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur wissenschaftlichen Arbeit: Soziosexuelles Verhalten von Bonobos
Was ist das Thema der wissenschaftlichen Arbeit?
Die Arbeit untersucht das soziosexuelle Verhalten von Bonobos (Pan paniscus) und konzentriert sich insbesondere auf den Zusammenhang zwischen Nahrungsverteilung und sexueller Interaktion, speziell dem Genito-Genital-Reiben (GG-rubbing) bei Weibchen. Ein zentraler Aspekt ist die Überprüfung der "Sex-for-Food-Exchange-Hypothese".
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel: Einleitung, Biologie und Lebensweise von Bonobos, Hypothesen und Prognosen, Material und Methoden, Ergebnisse, Diskussion der Ergebnisse und Fazit. Jedes Kapitel behandelt einen spezifischen Aspekt der Forschungsfrage, beginnend mit einer Einführung in die Thematik und endend mit einer zusammenfassenden Schlussfolgerung.
Was sind die zentralen Forschungsfragen und Hypothesen?
Die Arbeit untersucht, ob und inwieweit sexueller Kontakt (GG-rubbing) bei weiblichen Bonobos als Tauschmittel für Nahrung dient ("Sex-for-Food-Exchange-Hypothese"). Konkrete Prognosen beziehen sich auf die Häufigkeit von GG-rubbing in An- und Abwesenheit von Nahrung, die Aufforderung zum GG-rubbing und das gemeinsame Fressen (Cofeeding).
Welche Methoden wurden angewendet?
Die Studie beschreibt detailliert die Methodik, inklusive der Versuchstiere und ihrer Haltung (Gehege, Fütterung), der verwendeten Materialien und der angewandten Methoden zur Datenerhebung. Die präzise Darstellung gewährleistet die Reproduzierbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Studie. Die Datenanalyse konzentriert sich auf die Häufigkeit von GG-rubbing, Aufforderung zum GG-rubbing und Cofeeding in verschiedenen Kontexten.
Welche Ergebnisse wurden erzielt?
Das Kapitel "Ergebnisse" präsentiert die erhobenen Daten zu den drei Prognosen: Häufigkeit von GG-rubbing, Aufforderung zum GG-rubbing und Cofeeding. Eine umfassende Darstellung der empirischen Befunde wird gegeben, die in der anschließenden Diskussion interpretiert werden.
Wie werden die Ergebnisse interpretiert und diskutiert?
Die Diskussion analysiert und interpretiert die Ergebnisse im Kontext der aufgestellten Hypothesen. Zusammenhänge und mögliche Erklärungen für die beobachteten Phänomene werden erörtert. Die Ergebnisse werden im Lichte der "Sex-for-Food-Exchange-Hypothese" bewertet und mit bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen verglichen.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter umfassen: Bonobos, Pan paniscus, Soziosexuelles Verhalten, Genito-Genital-Reiben (GG-rubbing), "Sex-for-Food-Exchange", Nahrungstausch, sexuelle Interaktion, Primaten, Sozialverhalten, ethologische Forschung.
Was ist das Fazit der Arbeit?
Das Fazit fasst die wichtigsten Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Studie zusammen. Es bewertet den Beitrag der Arbeit zum Verständnis des soziosexuellen Verhaltens von Bonobos und der "Sex-for-Food-Exchange-Hypothese".
Für wen ist diese Arbeit bestimmt?
Diese Arbeit richtet sich an Wissenschaftler, Studenten und alle Interessierten, die sich mit dem soziosexuellen Verhalten von Primaten, insbesondere Bonobos, beschäftigen. Die Ergebnisse liefern wichtige Erkenntnisse für das Verständnis der komplexen sozialen Dynamiken innerhalb von Bonobo-Gruppen.
- Arbeit zitieren
- Katharina Reichert (Autor:in), 2010, Tausche Sex gegen Nahrung: Eine Untersuchung über das gleichgeschlechtliche soziosexuelle Verhalten weiblicher Bonobos (Pan paniscus) bei der Nahrungsaufnahme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198526