Reflexive Inszenierungen in Helge Schneiders Filmen "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" und "00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

21 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Person Helge Schneider

3. Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem
3.1 Über den Film
3.2 Handlung
3.3 Reflexive Inszenierungen in Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem

4. 00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter
4.1 Über den Film
4.2 Handlung
4.3 Reflexive Inszenierungen in 00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter

5. Fazit

6. Quellenverzeichnis

7. Bildanhang

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Seminars Medien und Formate von Inszenierungen. Ziel des Seminars war es, unterschiedliche Formen von reflexiven Inszenierungen zu ermitteln und zu analysieren. Als reflexiv werden Inszenierungen bezeichnet, welche ihren eigenen Inszenierungscharakter thematisieren und ausstellen, bzw. sich ihrem Darbietungs-Charakter gewahr werden.

Gegenstand dieser Untersuchung sind Helge Schneiders Filme Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem und 00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter. Anhand dieser beiden Beispiele sollen Szenen reflexiver Inszenierung beleuchtet werden, um ferner ihre Bedeutung für die Humorrezeption in Schneiders Werk zu ermitteln. Wo liegt bei Helge Schneider die Grenze zwischen Improvisation und Absicht? Um diese Fragen weitreichend beantworten zu können, bedarf es sicherlich einer umfassenden Auseinandersetzung mit Schneiders Gesamtwerk. Diese Arbeit stellt den Versuch an, anhand zweier Filmbeispiele herauszufinden, wie sich Schneiders Vorliebe für die Improvisation auf die Reflexivität ihrer Darbietung auswirkt und inwieweit sie für Schneiders Humorverständnis notwendig ist. Da der primäre Fokus dieser Arbeit auf den reflexiven Inszenierungen dieser beiden Filme liegt und die inhaltliche Filmanalyse für diese Untersuchung irrelevant ist, wird es jeweils lediglich eine kurze Zusammenfassung der Handlung geben.

Der eigentlichen Untersuchung werden einige in unserem Zusammenhang nennenswerte Informationen über die Person Helge Schneider vorangestellt, die seine künstlerischen Absichten und seine Arbeitsweise möglicherweise ein Stück weit beleuchten werden. Um die beschriebenen Szenen reflexiver Inszenierung greifbarer zu gestalten, sind im Bildanhang Screenshots hinterlegt, um dem Leser die dargelegten Szenarien nahe zu bringen, bzw. ins Gedächtnis zurück zu rufen.

2. Zur Person Helge Schneider

Der Grund dafür, dass Schneider bevorzugt skurril wirkende Charaktere kreiert, lässt sich möglicherweise auch durch seine Familie erklären. Sein Vater war lediglich 1,50 m groß und hatte eine Buckel, die Mutter hinkte und seine stets präsente und prügelnde Tante watschelte.[1] Vor allem sind es reale Erlebnisse des Alltags, die den 1955 in Mühlheim an der Ruhr geborenen Künstler inspirieren. Seine fiktiven Charaktere beruhen zumeist auf tatsächlichen Vorbildern, die Schneider mit Vorliebe in Stehcafés beobachtete. „Ich bin jetzt seit über zwanzig Jahren Stammgast bei Eduscho oder Tschibo, in allen Städten, wo ich hinkomme, gehe ich dahin. (…) Die Bewegungen und Stimmen, vor allen die unglaublichen Gesprächsthemen, einfach klasse.“[2] Die Komik im Alltäglichen zu finden, den ganz normalen Wahnsinn der facettenreichen menschlichen Natur zu erkennen und dies künstlerisch zu verarbeiten, ist maßgeblich für Schneiders Arbeit. Seine Auffassung von Humor widerspricht wohl dem, was ein Großteil der Gesellschaft als lustig empfindet. Über seinen Freund und Kollegen Charly Weiss sagt er: “Charly kann gut Witze erzählen, oft macht er sie selbst, sie haben gar keine Pointe und sind sehr sehr lang.“[3] Die Absurdität der Situation besitzt für Schneider ein viel größeres Humorpotential , als ein Witz, der einzig dahingehend konstruiert wurde, um Gelächter zu evozieren. Beispielhaft dazu lässt sich eine Konversation zwischen Schneiders Mutter und seiner Tanten nennen: „Hast du die Haare selbst gemacht, Anneliese?“ „Nein! Erna hat mir die Haare gemacht.“ „Ja, ich hab der Anneliese die Haare gemacht! Und mir selbst! Na? Wie hab ich das gemacht?“ „Ganz prima, Erna!“ „Ja! HERVORRAGEND! Der Kuchen ist auch lecker!“ „Was macht Günter?“ „Ich sach der Kuchen Anneliese, der Kuchen!“ „Will noch jemand Kaffee?“ „Günter hat schwarze Füße.“ „Lecker, der Kaffee!“ „Will noch jemand Kaffee?“ „Ich sach der Kuchen, Erna! DER KUCHEN!“ (…).[4]

Die Gesprächspartner sprechen, ohne sich etwas zu sagen zu haben. Die Substanzlosigkeit dieser Unterhaltung steht stellvertretend für Schneiders Humorverständnis und zieht sich wie ein roter Faden durch sein künstlerisches Schaffen. Schneider hat ein Gespür für unfreiwillige Komik, bewusst widersetzt er sich der allgemein anerkannten Perfektionierungs- und Optimierungslogik.[5] Der Autor und Philosoph Jörg Seidel beschreibt Schneider als Genie der Mittelmäßigkeit, da er einen Typus verkörpert, der miserabel sein kann, weil er gut ist. Denn um das Ideal permanent verfehlen zu können, muss es bereits erreicht worden sein, vergleichbar mit dem Spielen einer absichtlich falschen Melodie, denn um sie falsch zu interpretieren, muss sie vollständig beherrscht werden. Während das wahre Mittelmaß nicht in der Lage ist, das Höchstmaß zu erreichen, hat das Genie des Mittelmaßes dies längst überschritten und kann deshalb die Anstrengung angehen, das Maß zu unterbieten.[6] In der Rezeption Schneiders taucht seitens der Kritiker häufig der Begriff Nonsens auf. Doch der Künstler wehrt sich gegen Absolutierungen diese Art. „Die meisten Kritiker meinen, ich mache Nonsens. Aber das ist genau das falsche Wort dafür. Wenn ich behaupte, Quatsch zu machen, dann meine ich Spaß und Spaß bedeutet eben auch Ernst.[7]

3. Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem

3.1 Über den Film

Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem erschien 1993 und war der erste Kinofilm Helge Schneiders. Regie, Drehbuch, Hauptrolle und Musik übernahm der Künstler selbst. Die Low-Budget-Produktion spielt mit Klischees des Western-Genres, wie beispielsweise der Banküberfall, das Duell oder der Whiskey im Saloon. Dennoch lässt sich der Film nicht als Westernparodie klassifizieren, eher als Parodie von Westernparodien.[8] Die meisten Dialoge und Szenen wurden improvisiert, so verfolgt der Film keine konsequenten Plot.

3.2 Handlung

Nach jahrzehntelanger Abwesenheit kehrt Doc Snyder in seine Heimatstadt Texas zurück, um sich seine Schmutzwäsche von seiner Mutter waschen zu lassen. Auf dem Weg überfällt er eine Postkutsche und verliert dabei seinen Wäschesack. Der Revolverheld Nasenmann wird bei dieser Gelegenheit ausgeraubt und sinnt auf Rache; beim Zweikampf im Duell erliegt er jedoch Synder. Im Haus seiner Mutter erfährt Doc Snyder, dass sein Bruder Hank gehängt werden soll. Gemeinsam mit der Mutter gelingt es ihm, den Todgeweihten zu befreien. Zum Ende des Films überlappen sich die Zeitebenen. Kommissar 00 Schneider erscheint mit Assistent Körschgen. Die beiden fahren mit Blaulicht aus der Stadt Texas heraus, wobei sie Doc Snyder überfahren.

3.3 Reflexive Inszenierungen in Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem

Was bei gewöhnlichen Dreharbeiten dem Schnitt anheim fällt, wird im Film Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem[9] als dramaturgisches Element in die Erzählung übernommen. Das reflexive Moment der Inszenierung beginnt, als Doc Snyder auf seiner Mundharmonika zu spielen anfängt und während der Schlussakkorde direkt in die Kamera blickt (00:06:10) [Abb. 01]. Da Doc Snyder in dieser Szene nicht in Interaktion mit einem weiteren Darsteller tritt und es sich somit nicht um eine Schuss-Gegenschuss[10] Einstellung handelt, wird der direkte Blickkontakt mit dem Zuschauer insofern reflexiv, als dass die Darbietung sich ihrer selbst gewahr wird. In der darauffolgenden Szene nimmt Doc Synder eine Gitarre in die Hand und spielt das Instrument tanzend auf der Veranda seines Elternhauses. Er bewegt sich aus dem Bühnenbild heraus, bis ein Lattenzaun zu erkennen gibt, dass es sich nicht mehr um die eigentliche Filmkulisse handelt. Er bemerkt dies erst einige Sekunden später und kommentiert: „Oh, die Wand. Scheiße.“ (00:07:02) [Abb. 02] Ob das Austreten aus dem Filmset tatsächlich ein Versehen war oder bewusst eingeplant war, bleibt ungewiss.

Eine weitere reflexive Inszenierung findet sich kurz darauf. Doc Snyder betrachtet ein Plastikhuhn, das über einem Lagerfeuer schmort (00:09:57) [Abb. 03]. In der nächsten Einstellung kommt ein junger Mann im Anzug mit einer E-Gitarre ins Bild (00:12:08) [Abb. 04]. Er wirkt wie ein Set-Assistent, der sich für den Kameraauftritt in Schale geworfen hat, da sein Outfit nicht zu den sonstigen Kostümen passt. Der junge Mann hängt Doc Snyder die Gitarre um, woraufhin dieser zu improvisieren beginnt. Die Reflexivität kommt dadurch zum Tragen, dass der Assistent die Gitarre nicht in die Szene hätte bringen müssen. Das Instrument hätte auch vorher ins Bildgeschehen integriert werden können, ähnlich wie die Gitarre, die auf der mütterlichen Veranda ebenfalls an der Fassade befestigt war.

Schneider wendet sich nochmals eindeutig an den Zuschauer, er spricht sogar in die Kamera (00:22:39) [Abb. 05]: “Guten Tach, mein Name ist 00 Schneider (...)“. Diese Szene besitzt eine parodierenden Dokumentations-Charakter, da Doc Snyder den Zuschauer über seine Person und seine Mission unterrichtet. Reflexiv an dieser Szene ist, dass sie wie ein Outtake[11] wirkt, dass spaßeshalber in einer Drehpause gefilmt wurde, aber dennoch in den Film integriert wurde. Ein weiteres Indiz ist, dass diese Szene zwischen zwei Szenen eingebaut wurde, in denen Docs Mutter ihrer zweiten Sohn Henk im Gefängnis besucht. Demnach besitzt die Ansprache Doc Snyders keine dramaturgische Relevanz für den Film; hätte man sie entfernt, wäre gleichwohl ein nahtloser Übergang gewährleistet. Diese Taktik wird im Verlauf des Filmes ein weiteres Mal aufgegriffen (01:09:07) [Abb. 06] Schneider spricht nach einem Erdbeben in die Kamera: “Ein Erdbeben ist eine wunderschöne Sache, wenn man nicht dabei ist. Die Menschen, die hier jetzt umgekommen sind, kenn ich kaum, denn ich, euer Kommissar 00 Schneider, komme ja aus einer anderen Zeit. Aus der Zeit der Twilight Zone. Ein Erdbeben ist deswegen so gefährlich, weil es eventuell auch Nachbeben gibt.“

Weiterhin ist die absichtliche Präsentation von Attrappen als reflexiv zu bezeichnen. Die Szene, in der Doc Synder einen Spielzeug-Wellensittich in der Hand hält (00:52:09) [Abb. 07], folgt direkt nach einer Einstellung, in der ein echtes Tier gezeigt wird (00:51:21) [Abb. 08]. Die Identifikation des Spielzeugs wird auf den ersten Blick ersichtlich, seine Erscheinung entpuppt ihn in ostentativer Weise als Kuscheltier. Es wird demnach gar nicht erst der Versuch gestartet, dem Zuschauer die Illusion von Authentizität zu vermitteln. Der Witz entsteht durch den gewollten Dilettantismus. Die Inszenierung wird sich insofern ihrer selbst bewusst, als dass sie Trickelemente entlarvt, anstatt sie möglichst wirkungsvoll zu kaschieren.

Ähnlich verhält es sich mit dem manipulierten Revolver, den der Nasenmann (00:57:56) [Abb. 09] an seiner eigenen Hand auf seine Funktion hin überprüft. Die Waffe, die erst nach einigen Fehlzündungen eine Kugel abfeuert, sprengt dem Nasenmann den linken Mittelfinger weg. Doch auch in dieser Szene entpuppt sich die Hand als offensichtliche Attrappe. Ebenso hier fungiert der beabsichtigte Dilettantismus als Humorträger, da die Hand des Nasenmannes in späteren Szenen unversehrt ist. Die Komik hat eine ähnliche epistemologische Struktur wie die List. Die Unwissenheit des Listopfers steht der Überlegenheit des Listanwenders gegenüber.[12] So ist der Zuhörer oder Betrachter am Schluss so reich wie der Listanwender; er lacht über die epistemologische Armut des Listopfers, weil er denkt, er sei klüger als dieser. Die Freude in diesem Beispiel liegt darin, dass sich der Rezipient der eingeschränkten Sicht der Dinge des Gegenspielers (des Listopfers) bewusst ist und infolgedessen glaubt , er sei gescheiter als er.[13] Die Schadenfreude über die unüberlegte Handlung des Nasenmannes zeigt, dass der erkenntnisreichere Rezipient immer über den Dümmeren lacht. Die eindeutige Attrappe der Hand unterstützt zusätzlich als reflexives Element die Komik der absurden Situation.

Der forcierte Makel schlägt sich auch in der Erscheinung von Doc Synders Mutter (gespielt von Andreas Kunze) nieder. Helge Schneider verzichtet darauf, Kunze mit weiblichen Attributen auszustatten. Zwar trägt der Schauspieler eine Perücke und ein Kleid, doch spricht er in männlichen Tonfall und tritt in einem geradezu übertriebenen virilen Habitus auf (00:04:45) [Abb. 10]. Schneider sagte über Andreas Kunze, er sei der einzige Schauspieler, der überzeugend in eine Frauenrolle schlüpfen könne, indem er gar nicht erst versucht, eine weibliche Rolle zu spielen, sondern sich selbst in seiner Weiblichkeit auszuleben versucht.[14]

Schneiders Reflexivität drückt sich jedoch auch durch die Vermischung von Zeitebenen aus. Ein Telefonklingeln bildet den Übergang zwischen zwei Szenen; Doc Snyder zu Pferd wird gefolgt von einer Einstellung, in der ein Telefon auf einem Armaturenbrett befestigt ist (01:20:23) [Abb. 11]. Am Steuer des Peugeot sitzt Doc Snyder, auf dem Beifahrersitz Helmut Körschgen, der am Telefon mit „Hier Kommissar Schneider“ antwortet und dann den Hörer an Snyder weiterreicht. Körschgen fragt den Kommissar nach Blaulicht und als dieser die Frage bejaht, richtet sich Körschgen an die Kamera und sagt: “Blaulicht!“ (01:20:55) [Abb. 12]. Mit quietschenden Reifen fahren die beiden los und der Zuschauer sieht die Rückwände der Kulissen, als sie die Stadt verlassen. Trotz der ansonsten recht authentischen Western-Atmosphäre integriert Schneider Elemente des technischen Zeitalters in die historische Umgebung. Wie bereits in der vorigen Szene, als Schneider aus der Kulisse heraus tanzt und plötzlich vor einem Lattenzaun steht, wird die dargebotene Funktion der Kulisse zum Ausdruck der reflexiven Inszenierung.

4. 00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter

4.1 Über den Film

00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter kam 1994 in die Kinos. Helge Schneider schrieb das Drehbuch der Komödie unter dem Synonym Brötchen, zudem spielte er die Musik ein, führte Regie und spielte sowohl Haupt- als auch Nebenrollen; die Kamera führte Christoph Schlingensief. Hauptdrehorte waren Schneiders Heimatstadt Mühlheim an der Ruhr und Gelsenkirchen.

4.2 Handlung

Im Apollo Zirkus wird der Clown Metulskie erschlagen aufgefunden. Der eigentlich pensionierte Kommissar 00 Schneider soll mit seinem Assistenten Körschgen den Mörder ausfindig machen. Die Spur führt die beiden Ermittler zu dem eigenwilligen Kunstsammler Nihil Baxter. Dieser hat Metulski ein Auto abgekauft hat – unwissend, dass dieses kaputt ist. Um sich ein Alibi zu verschaffen, malt Baxter ein Gemälde, das einen Kirchturm mit dem Datum der Tat zeigt. Doch Schneider und Körschgen finden heraus, dass eben dieser Kirchturm in Wirklichkeit keine Datumsanzeige besitzt. Nachdem Baxter eine Skulptur in der Praxis von Dr. Hasenbein klaut, will er nach Rio de Janeiro flüchten, doch Kommissar Schneider ist ebenfalls mitsamt eines Ermittlerteams inkognito an Bord, um ihn zu überführen.

4.3 Reflexive Inszenierungen in 00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter

Die Verkleidung Kunzes als Tiger im Gehege des Apollo Zirkus darf als erste reflexive Inszenierung in 00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter[15] gedeutet werden (00:02:38) [Abb. 13]. Die Kostümierung ist offensichtlich und stellt keinerlei Anspruch an Authentizität. Die Reflexivität wird im Verlauf des Films nochmals verstärkt, indem der Kommissar das laute Aufstoßen des „Tigers“ dahingehend kommentiert, als dass er sich an seine Frau erinnert fühlt (00:34.51) [Abb. 14]. Das Kostüm lässt das Gesicht des Darstellers frei. Kennt man Schneiders Filme, so wird augenblicklich klar, dass wir Kunze auch in 00 Schneider wieder in Frauengarderobe erleben dürfen. Anders als in Texas, trägt Kunze in der Rolle als Ehefrau des Kommissars seine Brust gepolstert und spricht in einer deutlich höheren Tonlage. Dass er dadurch keineswegs weiblicher erscheint, ist durchaus beabsichtigt. „In der Phantasie geht alles“ proklamierte Schneider zuvor bereits in Texas und diese Aussage kann auch als Leitmotiv der Komik in 00 Schneider verstanden werden.

Die Inszenierung wird sich ihrer selbst auch in dem Moment bewusst, als Assistent Körschgen während der Autofahrt einige Sekunden fragend in die Kamera blickt (00:31:27) [Abb. 15]. Diese Szene wirkt beinah so, als hätte Schlingensief Körschgens Unsicherheit provoziert. Die Kamera zeigt das Ermittlergespann zunächst aus verschiedenen Kamerawinkeln, bis sie schließlich auf Körschgen für einen Moment zum Ruhen kommt. Körschgens irritierter Blick und seine nicht zu benennende Daumengeste kommunizieren direkt mit der Kamera; somit inszeniert sich die Kamera selbst, indem sie ihre Rolle als agierendes Element präsentiert.

Die teilweise suspekten Drehorte, amüsieren ebenso Schneider selbst, der Zuschauer bekommt auch die Szenen zu sehen, in denen er sich nicht mehr zusammenreißen kann. Schneider muss einen Lachanfall unterdrücken, als er in einem Naturkundemuseum einen Neandertaler in zeitgenössischer Kleidung sieht (00:36:48) [Abb. 16]. Auch achtet er darauf, dass seine Pfeife als Accessoire stets gut zu erkennen ist. Als sich ein zum Leben erweckter Urzeitmann auf die Flucht begibt, nehmen Schneider und Körschgen die Verfolgung auf. Der Auferstandene hüpft über die Terrasse eines Cafés, woraufhin sich sämtliche Gäste von ihren Stühlen erheben. Die Choreographie der Café-Besucher, die sich fast zeitgleich von ihren Stühlen erheben, sowie die Spannungssteigerung der Musik erinnern an einen Musicalfilm (00:38:50) [Abb. 17]. Körschgen der sich nach der Verfolgungsjagd erschöpft zu Boden legt und Schneider, der vor dem Eingang des Cafés steht, erwecken mit der stehenden Kundschaft im Hintergrund eher den Eindruck eines Bühnenauftritts, weniger den eines Filmset. Ein weiteres Beispiel für in den Film übernommene Lachanfälle ist die Szene, in der Kommissar Schneider den im Krankenhaus liegenden Körschgen mit einem Auftritt von Johnny Flash überraschen will (01:01:36) [Abb. 18]. Dieser, ebenfalls von Helge Schneider gespielt, betritt das Krankenzimmer und stimmt ein Lied auf seiner Gitarre an. Bereits nach den ersten Textzeilen, kann er das Lachen nicht mehr unterdrücken und sagt: „Ich komm nochmal rein, also..., das kann ich anbieten.“ Bei dieser Aussage bleibt zweifelhaft, ob sie sich an das Filmteam oder an Körschgen richtet. Beim zweiten Versuch kann er den Lachanfall etwas länger hinauszögern, doch die sonderbare Situation bringt Schneider dazu, nochmals von vorne zu beginnen.

[...]


[1] Vgl. Schneider, Helge: Guten Tach. Auf Wiedersehen. Autobiographie, Teil I, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1992, S.

34.

[2] Schneider, Helge : Guten Tach. Auf Wiedersehen. Autobiographie, Teil I, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1992, S. 91.

[3] Ebd. S. 77

[4] Ebd. S. 31.

[5] Vgl. Seidel, Jürgen: Helge Schneider und die Philosophie, Focus Verlag, Giessen 2005, S. 134.

[6] Ebd.

[7] Schneider, Helge in: Seidel, Jürgen: Helge Schneider und die Philosophie, Focus Verlag, Giessen 2005, S. 135.

[8] Vgl. Seidel, Jürgen: Helge Schneider und die Philosophie, Focus Verlag, Giessen 2005, S. 33.

[9] Der Lesbarkeit halber, wird der Filmtitel im Folgenden mit Texas abgekürzt.

[10] (engl. Shot-Reverse-Shot): Gebräuchliche Filmschnitt-Technik, bei der Dialogpartner abwechselnd gezeigt werden.

[11] Zumeist humorvolles Filmmaterial, das in der Regel nicht im Film verwendet wird.

[12] Vgl. Schwarz, Alexander (Hrsg.): Bausteine zur Sprachgeschichte der deutschen Komik, Verlag Olms, Hildesheim 2000, S. 123.

[13] Vgl. Ebd.

[14] Vgl. Seidel, Jürgen: Helge Schneider und die Philosophie, Focus Verlag, Giessen 2005, S. 34.

[15] Der Lesbarkeit halber, wird der Filmtitel im Folgenden mit 00 Schneider abgekürzt.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Reflexive Inszenierungen in Helge Schneiders Filmen "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" und "00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter"
Hochschule
Universität Hildesheim (Stiftung)
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
21
Katalognummer
V198546
ISBN (eBook)
9783656249450
ISBN (Buch)
9783656250319
Dateigröße
2345 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
reflexive, inszenierungen, helge, schneiders, filmen, texas, snyder, welt, atem, schneider, jagd, nihil, baxter
Arbeit zitieren
Sarah Müller (Autor:in), 2012, Reflexive Inszenierungen in Helge Schneiders Filmen "Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem" und "00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198546

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