Es scheint eine Ironie des Schicksals zu sein, dass die gemeinsame Beziehung zwischen den Türken und Juden vom Aufeinandertreffen im Meer geprägt ist. So ließ vor über 500 Jahren der Osmanische Sultan Bayezid II. ein Schiff Richtung Spanien aufbrechen, um die vertriebenen Sephardim aufzusammeln und ihnen Schutz im Osmanischen Reich zu gewähren. Ob dies jedoch aus reiner Nächstenliebe geschah, ist, vor allem nach einer Aussage des Sultans, anzuzweifeln: „Ihr nennt Ferdinand einen weisen König, der durch die Vertreibung der Juden sein Land ärmer, und mein Land reicher gemacht hat“.1 Die Aufnahme der Juden im Osmanischen Reich versprach eine erfolgreiche und friedliche Zusammenarbeit für beide Seiten, solange die Juden natürlich nach den osmanischen Regeln handelten.
Über 500 Jahre später kam es im Mittelmeer zu einem weit unangenehmeren Zusammentreffen zwischen den Juden und einem türkischen Schiff: Die „Mavi Marmara“, ein mit Hilfsgütern beladenes Schiff versuchte ungenehmigter Weise am 31. Mai 20102 das inzwischen von Israel besetzte Palästina zu erreichen und verursachte dadurch ein politisches Dilemma zwischen zwei Staaten, die bis vor Kurzem noch freundschaftliche Beziehungen zueinander führten.
Es hat sich zwischen beiden Ereignissen viel getan, liegt hier doch über 500 Jahre gemeinsame Geschichte dazwischen. Palästina ist zu einem gordischen Knoten mutiert, den keine politische Macht lösen zu können scheint. Nachdem das Osmanische Reich Palästina im ersten Weltkrieg verlor3, gab sie somit ein Reich aus der Hand, dass es nie ernst nahm, doch immer wieder pflegte und reformierte, um das persönliche „Heilige Land“ zu behalten.
Palästina war für die Osmanen hauptsächlich ein Pilgerweg nach Mekka und hatte keinen ökonomischen bzw. strategischen Wert. Es war eher religiöser Natur und dies kann man vor allem an der Tatsache erkennen, dass fast ausschließlich nur die Pilgerroute und Jerusalem instandgehalten wurde.4
Heute werden Palästina und das Land Israel kritisch beäugt. Türken gehen auf die Straße, protestieren gegen die israelische Besatzungspolitik und in den Medien fordern hochrangige Politiker eine Entschuldigung für das, was der Hilfsflotte im Mittelmeer passiert ist. Es herrscht ein allgemeiner Stimmungswechsel.5
[...]
1 Kohen S.21
2 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,697642,00.html
3 Segev S. 62
4 Krämer S. 69
5 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,698063,00.html
Einleitung
Es scheint eine Ironie des Schicksals zu sein, dass die gemeinsame Beziehung zwischen den Turken und Juden vom Aufeinandertreffen im Meer gepragt ist. So liefi vor uber 500 Jahren der Osmanische Sultan Bayezid II. ein Schiff Richtung Spanien aufbrechen, um die vertriebenen Sephardim aufzusammeln und ihnen Schutz im Osmanischen Reich zu gewahren. Ob diesjedoch aus reiner Nachstenliebe geschah, ist, vor allem nach einer Aussage des Sultans, anzuzweifeln: ,,Ihr nennt Ferdinand einen weisen Konig, der durch die Vertreibung der Juden sein Land armer, und mein Land reicher gemacht hat“1 Die Aufnahme der Juden im Osmanischen Reich versprach eine erfolgreiche und friedliche Zusammenarbeit fur beide Seiten, solange die Juden naturlich nach den osmanischen Regeln handelten.
Uber 500 Jahre spater kam es im Mittelmeer zu einem weit unangenehmeren Zusammentreffen zwischen den Juden und einem turkischen Schiff: Die ,,Mavi Marmara“, ein mit Hilfsgutern beladenes Schiff versuchte ungenehmigter Weise am 31. Mai 20102 das inzwischen von Israel besetzte Palastina zu erreichen und verursachte dadurch ein politisches Dilemma zwischen zwei Staaten, die bis vor Kurzem noch freundschaftliche Beziehungen zueinander fuhrten.
Es hat sich zwischen beiden Ereignissen viel getan, liegt hier doch uber 500 Jahre gemeinsame Geschichte dazwischen. Palastina ist zu einem gordischen Knoten mutiert, den keine politische Macht losen zu konnen scheint. Nachdem das Osmanische Reich Palastina im ersten Weltkrieg verlor3, gab sie somit ein Reich aus der Hand, dass es nie ernst nahm, doch immer wieder pflegte und reformierte, um das personliche ,,Heilige Land“ zu behalten. Palastina war fur die Osmanen hauptsachlich ein Pilgerweg nach Mekka und hatte keinen okonomischen bzw. strategischen Wert. Es war eher religioser Natur und dies kann man vor allem an der Tatsache erkennen, dass fast ausschliefilich nur die Pilgerroute und Jerusalem instandgehalten wurde.4
Heute werden Palastina und das Land Israel kritisch beaugt. Turken gehen auf die Strafie, protestieren gegen die israelische Besatzungspolitik und in den Medien fordern hochrangige Politiker eine Entschuldigung fur das, was der Hilfsflotte im Mittelmeer passiert ist. Es herrscht ein allgemeiner Stimmungswechsel.5
Den scheint es auch in der turkischen Geschichtsschreibung zu geben bzw. gegeben zu haben. Dieser Wechsel zeichnet sich zeitlich bereits seit den 1970ern ab. Reinkowski bemerkt in seinem Werk „Filastin, Filistin und Eretz Israel. Die spate osmanische Herrschaft uber Palastina in der arabischen, turkischen und israelischen Historiographies neuere Tendenzen seit 1970.6 Geht man heute in der Turkei in einen Buchladen und stobert in der Abteilung fur Geschichtsbucher, findet man zum Teil provokante Titel wie: ,Filistin. Osmanliyi yikan Cephe“ (Palastina. Die Front, die den Osmanen vernichtete) von Ramazan Balci oder ,,Olum Batakligi Ortadogu“ (Treibsand des Todes Mittlerer Osten) von Berkay Sadi Turkol. Hier bekommt man schnell den Eindruck, in eine subjektive Welt der Geschichtsschreibung gestofien zu werden und dennoch finden sich wissenschaftlich recherchierte Werke wie Sabit Dumans ,,Modern Ortadogu'nun Olusumu“ (Die Entstehung des modernen Mittleren Ostens) oder ,,Osmanli Imparatorlugu, Siyonizm ve Filistin Sorunu (1880-1914)“ (Das Osmanische Reich, der Zionismus und die Palastinafrage 1880-1914) von Mim Kemal Oke.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Perspektive der turkischen Historiographie auf Palastina anzunehmen und zu erklaren. Hierfur muss allen voran das wichtigste Organ fur die Geschichtswissenschaft der Turkei in Betracht gezogen werden, die Turk Tarih Kurumu. Im Jahr 1931 gegrundet, stellt sie die wichtigsten Forschungsergebnisse und das wichtigste Material fur die turkische Geschichtsschreibung. Danach wird auf die turkische Historiographie bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts eingegangen. Als wichtige Quelle erweist sich hier die Sammlung in dem bereits erwahnten Werk Reinkowskis. Auf den modernen Blick seit den 70ern darf hier naturlich nicht verzichtet werden, so helfen hier neben den anfanglich erwahnten Quellen noch weitere, die im Laufe der Arbeit vorgestellt werden. Da das Thema uber die turkische Historiographie und ihre Betrachtung von Palastina nicht grofi verbreitet ist, muss hauptsachlich auf selbst recherchiertes Quellenmaterial zuruckgegriffen werden. Erst wird der Blick auf Palastina gewandt, und dies mit dem Blick auf den Staat Israel erganzt. Um das Werk abschliefien zu konnen, muss auch der Zionismus aus turkischer Sicht betrachtet werden, da auch hier einige turkische Werke vorliegen und dadurch ein sehr starker Einfluss auf den turkisch-historischen Blick auf Palastina ausgeubt wird.
Turkische Geschichtsschreibung vor 1948
1.1 Turk Tarih Kurumu
Die Idee, eine Gesellschaft fur historische Anliegen zu grunden, entwickelte Mustafa Kemal Ataturk, der als Grunder der modernen turkischen Republik gilt, einige Jahre nachdem er die Republik ausgerufen hatte. Als Antwort auf die „barbarische“ und „zweitklassige“ Darstellung der Turken in westeuropaischen Geschichtsbuchern sollte die Turk Tarih Tedkik Heyeti, die Kommission zur Uberprufung turkischer Geschichte, am 28. April 1930 mit 16 Mitgliedern den Weg zur ersten Gesellschaft fur Turkische Geschichte vorbereiten, um die turkische Geschichte vollstandig zu erfassen und diese zuganglich zu machen.7 Nach einigen Anderungen in der Namensgebung kam die Turk Tarih Kurumu (Turkische Historische Gesellschaft) im Jahre 1935 zu ihrer bis heute bestehenden Bezeichnung. Unter Artikel 134 der turkischen Verfassung ist diese auch mit all ihren Zielen verankert: „Zu dem Zweck, das kemalistische Denken, die Prinzipien undReformen Ataturks, die turkische Kultur, die turkische Geschichte und die turkische Sprache auf wissenschaftlichem Wege zu erforschen, bekannt zu machen und zu verbreiten sowie Veroffentlichungen herauszugeben, wird unter der geistigen Schutzherrschaft Ataturks unter Aufsicht und mit Unterstutzung des Prasidenten der Republik sowie in Anbindung an das Premierministerium die aus dem Ataturk-Forschungszentrum, der Turkischen Sprachgesellschaft, der Turkischen Geschichtsgesellschaft und dem Ataturk-Kulturzentrum mit juristi-scher Personlichkeit des offentlichen Rechts bestehende Hohe Ataturk-Gesellschaftfur Kultur, Sprache und Geschichte gegrundet. ... Aufbau, Organe, Arbeitsverfahren und Personalangelegenheiten sowie die gegenuber den in ihre Organisation eingefugten Gesellschaften bestehenden Kompetenzen der Hohen Ataturk Gesellschaft fur Kultur, Sprache und Geschichte werden durch Gesetz geregelt.“8
Trotz ihrer vielversprechenden Ziele und Anliegen, sollten die Veroffentlichungen der Turk Tarih Kurumu mit Bedacht gelesen werden, da sie als Instrument der kemalistischen Ideologie verwendet wird: „1932 verpflichtete sich die Historikerkommission auf einem Kongrefi dem Anliegen einer offiziosen Geschichtsschreibung und der Umsetzung staatlicher Ideologie in den historischen Werken“9
Wirft man einen Blick auf die fruh veroffentlichten Werke, fallt die fehlende Information uber den Zionismus auf. In der 1940 herausgegebenen Islam Ansiklopedisi (1940-1980) finden sich keine Eintrage uber die wichtigen Akteure des osmanischen undjudischen Lagers in Palastina bzw. der zionistischen Bewegung (Cemal Pasa; Herzl).10
Hier ist die politische Motivation der fruhen Geschichtsschreibung erkennbar: Die sich unter Ataturk dem sakularen, westlich orientierten Staat zugewandten Historiker sehen in Palastina ein fruhes Bild des Osmanischen Reiches, welches in ihren Augen noch stark der arabischen Kultur gewandt war. Deswegen findet man in den fruhen Veroffentlichungen der staatlichen Turk Tarih Kurumu kaum Literatur uber Palastina und die zionistische Bewegung. So formuliert auch Reinkowski: „In den Standartwerken der fruhen Republikzeit wird die Abtrennung der arabischen Gebiete,..., nicht als Verlust gesehen, sondern als Schritt zur nationalen Selbstbesinnung.“11 Es hat den Anschein, als wurde die turkische Geschichtsschreibung sich in die Moderne schreiben wollen, indem sie sich von ihrer arabischen Vergangenheit abgrenzt.
1.2 Palastina und der Zionismus
Nimmt man die Werke zur Hand, die nicht von der Turk Tarih Kurumu herausgegeben wurden, kann man erkennen, dass Stichworter wie „Herzl“ „Zionismus“ nicht vollends ausgelassen wurden. So finden sich diverse Eintrage uber Palastina und dem Zionismus in der turkischen Enzyklopadie (Turk Ansiklopedisi) 1946-1984. Aber auch hier wird die Trennung von Palastina nicht als Verlust gesehen, und dem gesamten Thema Palastina, Zionismus und Juden keine Bedeutung beigemessen. Reinkowski zieht mehrere Beispiele heran, um diese Aussage zu bestatigen.12
So findet man heraus, dass in dem zehnbandigen Standartwerk uber die turkische Revolutionsgeschichte (Turk inkilabi Tarihi 1940-1967) mit keinem Wort auf die Haltung Abdulhamdis gegenuber Herzl und den Zionisten eingegangen wird. Im achtbandigen Osmanli Tarihi findet man im achten Band nur einen kleinen Abschnitt uber die zionistische Bewegung. Diese Reichsgeschichtsschreibung entfernt Palastina formlich aus der gemeinsamen Vergangenheit, da sie nichts mit dem sakularen Verstandnis der neuen Republik gemein haben und nicht in das neu erschaffene Bild der modernen Turkei hineinpassen. Palastina erscheint nur in Verbindung mit dem Ersten Weltkrieg als Gegenstand der Geschichtsschreibung und bekommt keine weitere Rolle mehr zugeschrieben. Der Zionismus bekommt ebenso eine kleine Rolle und wird zuletzt „als eine politische Stromung innerhalb der judischen Gemeinde“13 abgeschrieben. Diese Tendenz sollte sichjedoch ab den 1970ern andern.
2. Turkische Geschichtsschreibung seit 1970
In den 1950ern setzte eine politische Pluralisierung in der Turkei ein, was zur Folge hatte, dass sich die turkische Historiographie diversifizierte und sich vermehrt den turkisch- arabischen Beziehungen zuwendete.14
Hier entstand nun ein mosaikartiges Bild uber die Rolle des Osmanischen Reiches in Palastina. Wahrend viele Autoren die Herrschaft und die damit verbundene Niederlage der Osmanen im Nahen Osten nuchtern betrachten, geht es unter anderem soweit, dass manche Autoren diese Niederlage als Grund fur den Untergang des Osmanischen Reiches sehen.15 Andere Historiker beschranken ihre Sicht auf die Rolle der Turkei als „Mittler“ zwischen Ost und West - die gemeinsame Vergangenheit in Palastina- wo sie ja bekanntlich als Osmanisches Reich auch eine Fuhrungsposition zwischen Juden und Arabern innehatte, verstarkt das hier das Interesse. So schrieb der turkische Historiker Ilter Turan 1982: „Die Turkei hat in den letzten Jahren verstanden, dass sie genauso ein Teil der ostlichen Welt (Kultur) ist, sowie sie ein Teil der westlichen ist. In der Heutigen Zeit verstarken sich unsere politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen mit den Landern des mittleren Ostens.“16
2.1 Palastina als Schwachepol des osmanischen Reiches
Wie oben bereits erwahnt, geniefit der Begriff „Palastina“ in der modernen turkischen Geschichtsschreibung kein allzu positives Ansehen. Haufig kommt es gar zu populistischen Tendenzen, wenn da beispielsweise uber die Grundung Israels geschrieben wird:
[...]
1 Kohen S.21
2 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,697642,00.html
3 Segev S. 62
4 Kramer S. 69
5 http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,698063,00.html
6 Reinkowski S. 68
7 http://www.ttk.org.tr/index.php?Page=Sayfa&No=l
8 http://www.tuerkei-recht.de/downloads/verfassung.pdf
9 Reinkowski S. 64
10 Islam Ansiklopedisi: Islam Alemi Tarih, Cografya, Etnografya ve Biografya Lugati. Istanbul 1986
11 Reinkowski S. 65
12 Reinkowski S. 65-67
13 Reinkowski S. 67
14 Reinkowski S. 68
15 Ramazan Balci: Filistin. Osmanliyi yikan cephe
16 Oke Einleitung
- Arbeit zitieren
- Cagdas Cicek (Autor:in), 2011, Die Rolle der Türkein für den Zionismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198586