Bereits mit dem erstmaligen Lesen von Hebbels „Maria Magdalena“, fesselte mich dieser Text, was eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Werk nach sich ziehen sollte. [...] Zudem erschien mir, und erscheint auch nach wie vor, Leonhard als ein sehr vielschichtiger und interessanter Charakter. Besonders seine sittlichkeitsphilosophische Aussage dem Tischler Anton gegenüber in I, 5 ließ mich aufmerken.
Während der Beschäftigung mit einschlägiger Sekundärliteratur [...] gerieten mir die genannte Aussage Leonhards und ihre scheinbare Widersprüchlichkeit zu dessen Charakter wieder in den Sinn. Da der von mir überschaute literaturwissenschaftliche Diskurs [...] keine angemessen vollständig erscheinende Antwort auf meine Frage nach dem Sinn dieses Widerspruchs zu geben schien, hielt ich es für interessant, dieser Frage nachzugehen. Schließlich kristallisierte sich folgende Hypothese zum Charakter des Leonhard heraus:
Leonhard ist ein ambivalenter Charakter, wodurch sich die von Hebbel bezeichnete Gebrochenheit des Individuums auch in Form seines Charakters zeigt.
[...]
Im Zuge meiner Auseinandersetzung mit dem Dramentext und dem zugehörigen Vorwort wurde mir bewusst, für wie ungemein gewinnbringend ich jenes Vorwort auf der Suche nach der Antwort auf die gestellte Frage halte.
Daher werde ich mich im Folgenden vor allem der sozialgeschichtlichen Methode bedienen, mit dem Vorwort als Schwerpunktquelle der sozialhistorischen Zusammenhänge. Ich werde aber auch hermeneutische Züge der Betrachtung mit einfließen lassen, da mir auch eine Betrachtung des allgemeinen Zusammenhanges, beispielsweise sozialhistorische Hintergründe und Umstände im Drama, in ihren Auswirkungen auf ganz konkrete Situationen im Stück zu dessen Verstehen nützlich scheinen.
Es kann, schon aus Kapazitätsgründen, nicht Ziel dieser Arbeit sein, eine umfassende Interpretation der „Maria Magdalena“ abzuliefern. Auch kann in diesem Rahmen keine umfassende Strukturanalyse des Redeanteils Leonhards in Bezug auf andere Charaktere gegeben werden, was ich gleichfalls aber für eine sehr spannende Aufgabe für andere Auseinandersetzungen halte. Dort, wo solche Analysen allerdings existentiell notwendig werden, wird auf sie eingegangen.
Generell soll es im Folgenden aber ganz konkret um Leonhard in seinem Verhalten bezüglich seines Umfeldes und um entsprechende Rückwirkungen auf ihn in Bezug auf von Hebbel getroffene Aussagen im Vorwort zum Drama gehen, um meinem Forschungsanspruch gerecht zu werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Vorüberlegungen bezüglich des Vorwortes
- Die Beziehung zwischen Zustand, Idee und dem sittlichen Zentrum
- Der Welt- und Menschenzustand als Umbruch und die Rolle der Institutionen
- Der Welt- und Menschenzustand als Gebrochenheit des Einzelnen
- Leonhard als gebrochener Charakter im Handlungsverlauf
- Bild des Bildungsbürgers in I,3.
- Auftritte als Intrigant und Mitgiftjäger
- Leonhard als Verfechter des sittlichen Zentrums in I, 5?
- Leonhards charakterliche Ambivalenz anhand seiner Schuldgefühle
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Figur des Leonhard in Friedrich Hebbels Drama „Maria Magdalena". Die Hauptzielsetzung besteht darin, die Ambivalenz seines Charakters zu analysieren und inwiefern sie die von Hebbel beschriebene „Gebrochenheit des Individuums“ verkörpert. Hierzu werden die Aussagen des Vorwortes in Bezug auf die Beziehung zwischen „Zustand, Idee und dem sittlichen Zentrum“ herangezogen und mit Leonhards Verhalten und seinen Handlungsweisen im Drama verglichen.
- Die „Gebrochenheit des Individuums" in Hebbels Drama
- Das Verhältnis zwischen dem „Welt- und Menschenzustand" und der „Idee"
- Die Ambivalenz des Charakters Leonhard
- Die Rolle des „sittlichen Zentrums" im Kontext des Dramas
- Die Interpretation des Vorwortes als Schlüssel zur Analyse der Figur Leonhard
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung erläutert die Motivation für die Untersuchung der Figur Leonhard und stellt die zentrale Forschungsfrage nach der Ambivalenz seines Charakters in Bezug auf Hebbels Konzept der „Gebrochenheit des Individuums" dar. Die Arbeit konzentriert sich auf die Analyse des Vorwortes, welches als wichtige Quelle für die Interpretation der Figur und des Werkes dient.
Der zweite Teil, „Vorüberlegungen bezüglich des Vorwortes", beleuchtet die Bedeutung des Vorwortes für das Verständnis des Dramas und erläutert Hebbels Vorstellung von „Zustand, Idee und dem sittlichen Zentrum".
Das dritte Kapitel, „Leonhard als gebrochener Charakter im Handlungsverlauf", betrachtet Leonhards Charakter und seine Handlungen im Stück, insbesondere seine Ambivalenz und seine Rolle im Spannungsfeld zwischen „Idee“ und „Zustand".
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Schlüsselbegriffen „Gebrochenheit des Individuums", „Welt- und Menschenzustand", „Idee", „sittliches Zentrum", „Ambivalenz", „Charakteranalyse", „Vorwort", „Friedrich Hebbel", „Maria Magdalena". Dabei stehen die Interpretation des Vorwortes, die Analyse der Figur Leonhard und die Untersuchung seiner Charakterambivalenz im Mittelpunkt.
- Arbeit zitieren
- Martin Riebel (Autor:in), 2011, „Das Brechen der Weltzustände [kann] ja nur in der Gebrochenheit der individuellen erscheinen“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/198646