"Prozess der Individualisierung". Frage des Fortschreitens der Individualisierung in der heutigen Gesellschaft


Hausarbeit, 2012

19 Seiten


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung und Überblick

2. Versuch einer Systematisierung
2.1 Theorietradition nach Max Weber
2.2 Theorietradition nach Emile Durkheim
2.3 Theorietradition nach Georg Simmel

3. Gesellschaftliche Veränderungen

4. Risiken und Chancen der Individualisierung
4.1 Das Individuum als Gewinner und Verlierer der Individualisierung
4.2 Anpassung an die neue Wirklichkeit

5. Der Staat und das Individuum

6. Die Deutschen – Ein individualisiertes Volk?

7. Fazit

Literaturverzeichnis / Quellen

1. Einführung und Überblick

Unser Leben hängt von Entscheidungen ab. Sei es die Frage, welchen Schulabschluss wir machen, welche berufliche Laufbahn wir einschlagen, ob und wann wir eine Familie gründen und wie wir unseren Lebensabend gestalten wollen. In der modernen Gesellschaft ist es scheinbar jedem freigestellt, sich für seinen eigenen Lebensweg zu entscheiden und die Möglichkeiten der Wahl von Alternativen zu nutzen.

Der sogenannte „Prozess der Individualisierung“, beschäftigt seit mehr als 25 Jahren die Soziologie. Beginnend mit der Frage „Jenseits von Stand und Klasse?“[1] und dem 1986 erschienenen Werk „Risikogesellschaft“ von Ulrich Beck, begann ein soziologischer Diskurs darüber, inwiefern sich unsere heutige Gesellschaft, von früheren unterscheidet, welche Merkmale sie besitzt und welche Chancen und Risiken diese neue Gesellschaft dem Menschen bieten.

Im weiteren Verlauf des Textes, soll daher auf die Frage des Fortschreitens der Individualisierung in der heutigen Gesellschaft Stellung genommen werden.

Leben wir in einer Gesellschaft von egozentrischen Individuen oder schränkt die Gesellschaft Individuen so weit ein, dass es nur den Anschein hat, der Mensch lebe in einer individualisierten Welt. Welche Rolle spielt der Staat im Individualisierungsprozess und welche Voraussetzungen benötigt das Individuum, um sich in der modernen Gesellschaft durchsetzen zu können?

Um sich dem weiten Feld des Themas „Individualisierung“ zu nähern, wird zunächst ein kurzer Überblick zu den Anfängen der verschiedenen Theorientraditionen gegeben. Abschließend stellt sich dann die Frage, nach den verschiedenen Aspekten der Individualisierung und ihrer Ausprägung, speziell innerhalb der deutschen Gesellschaft.

2. Versuch einer Systematisierung

Seit Langem schon wird in der Soziologie, seit einigen Jahren zunehmend auch in der allgemeinen Öffentlichkeit, über die möglichen Auswirkungen der Individualisierung auf die Gesellschaft diskutiert. Existiert die Individualisierung überhaupt und wenn ja, welche Veränderungen gehen damit einher? Ist es möglich von einer Individualisierung im Allgemeinen zu sprechen, oder sollte man nicht vielmehr einzelne Individualisierungsprozesse und -diagnosen betrachten?[2]

Es empfiehlt sich ein Blick auf die klassischen Theorietraditionen der Soziologie und deren Vertreter, um so die „unterschiedlichen Traditionslinien .., die sich bis in die Gegenwart hinein zurückverfolgen lassen“[3] zu beschreiben.

Daraus schließend, erklären sich die verschiedenen Ansichten zur Individualisierung und geben so einen Anhalt zu den heute existierenden Theorien.

Individualisierung bezeichnet im Allgemeinen den Prozess des Herauslösens des Individuums aus gesellschaftlichen Zusammenhängen und deren Wandel. Das Individuum wird somit zum Träger aller Entscheidung und Verantwortung.[4] Jedoch lassen sich aus dieser Definition verschiedene Schlüsse über die Auswirkung von Individualisierung auf den einzelnen Menschen ziehen.

Die zentrale Frage bei der es sich im Zusammenhang mit dem Begriff der Individualisierung dreht ist, ob der Mensch durch diesen Prozess mehr Freiheiten gewinnt oder in diesen eingeschränkt wird, bzw. er die Chance hat unabhängiger zu werden oder in Abhängigkeiten zu geraten.[5]

Da der Begriff der Individualisierung eine enorme Facettenvielfalt aufweist und es nahezu unmöglich ist, ein einheitliches und allgemein verbindliches System der Individualisierung aufzustellen[6], soll sich an dieser Stelle, zum Zwecke der Übersichtlichkeit, auf die drei Theorieansätze nach Max Weber, Emile Durkheim und Georg Simmel beschränkt werden.

In seinem Aufsatz „Individualisierte Gesellschaft“ (2000) beschreibt Markus Schroer drei Grundlegende Theorieansätze zum Thema Individualisierung, welche ihren Ursprung in den bereits genannten „Klassikern“ der Soziologie haben.

2.1 Theorietradition nach Max Weber

Schon Anfang des letzten Jahrhunderts begannen Soziologen sich mit dem Wandel der Gesellschaft zu beschäftigen. Die mit der industriellen Revolution einhergehenden Veränderungen innerhalb des Staates, die Zugehörigkeit der Individuen zu bestimmten Klassen und Ständen und die zunehmenden Forderungen nach persönlicher Freiheit und Mitbestimmung dominierten die damalige Diskussion. Das Individuum rückte dabei in den Fokus der Aufmerksamkeit.

Max Weber sah in diesem Zusammenhang besonders die zunehmende Bürokratisierung als Problem des Individuums und befürchtete eine Existenz in einem „Gehäuse für die neue Hörigkeit“[7].

Er sah die Individualität des Einzelnen durch eine immer größer werdende Bürokratie seitens des Staates gefährdet.

Markus Schroer bezeichnet diesen Theorieansatz als „Pseudoindividualisierung“. Anstatt eines Gewinns an Freiheit durch den Wegfall von gesellschaftlichen Zwängen, entsteht ein durch die zunehmende Kontrolle des Staates und seiner Organe „gefährdetes Individuum“[8]

In dieser Theorietradition stehend, den Ansatz des Individuums als „schutzbedürftiges Wesen“[9] verfolgend, können auch die Autoren der sogenannten „Kritischen Theorie“ gesehen werden.[10]

Grundlegend hierbei, ist die Einschätzung, dass es einen Schutz des Individuums vor den Eingriffen der Gesellschaft geben muss, um so dem Individuum ein gewisses Maß an Individualität zu sichern.

2.2 Theorietradition nach Emile Durkheim

Im Kontrast zur Ansicht des „gefährdeten Individuums“ steht die Theorietradition, welche sich auf Emile Durkheim zurückverfolgen lässt. In diesem Zusammenhang spricht Schroer vom „gefährlichen Individuum“ oder auch einer „Hyperindividualisierung“.[11]

Dieser Ansicht nach, führt eine zunehmende Individualisierung zu einer Situation, in der das einzelne Individuum zur „Gefahr für die Gesellschaft“[12] wird und letztendlich sogar zu deren Zerfall führen kann.

Ein Verfall von Normen und Werten und das Zurückziehen des Individuums auf sich selbst, führen so zu einer übersteigerten Individualität und lassen die „Schattenseiten der Individualisierungsprozesse“[13] hervortreten.

Diese Theorietradition hat ihre Wurzeln im Menschenbild des Thomas Hobbes. Die Gesellschaft muss geschützt werden vor dem Individuum, welches durch Institutionen eingebunden werden muss, um so einen übersteigerten Individualismus zu verhindern.

2.3 Theorietradition nach Georg Simmel

Während Weber für einen Schutz des Individuums vor der Gesellschaft plädiert und Durkheim auf der anderen Seite die Gefahr eines zu sehr gesteigerten Individualismus sieht, ist Georg Simmel der Ansicht, dass es einen „differenzierteren Umgang mit dem Phänomen der Individualisierung“[14] braucht. Es bedarf somit eines genaueren Blickes auf die Vor- und Nachteile der Individualisierung.

Besonders Ulrich Beck greift diese ambivalente Sichtweise in seinem Werk „Jenseits von Stand und Klasse“ auf, indem er Individualisierung, als „historisch widerspüchliche[n] Prozeß [!] der Vergesellschaftung“[15] beschreibt.

Beck sieht darin einen historisch einmaligen Prozess, einen „ gesellschaftlichen Individualisierungsschub von … unerkannter Reichweite … unter dem Deckmantel weitgehend konstanter Ungleichrelationen“[16]. Als Motor dieser Entwicklung sieht Beck die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, die Notwendigkeit von Bildung, das Verlangen nach Mobilität und ein ständiger Konkurrenzkampf, auf Grund der „Austauschbarkeit der Qualifikationen und Personen“.[17] Konsequenz dieser Entwicklung ist, dass erstmals in der Geschichte der Menschheit eine große Anzahl von Individuen aus „traditionellen Klassenverbindungen und Versorgungsbezügen der Familien herausgelöst und verstärkt auf sich selbst und ihr individuelles .. Schicksal … verwiesen“[18] wird.

[...]


[1] Beck, Ulrich, Riskante Freiheiten, 1994, S.43-60

[2] Vgl. Junge, Matthias, Individualisierung, 2002, S.9

[3] Schroer, Markus, Individualisierte Gesellschaft, 2000, S.158

[4] Vgl. dazu Endruweit/ Trommsdorff, Wörterbuch, 2002, S.227 ff.

[5] Vgl. dazu Schroer, Markus, Individualisierte Gesellschaft, 2000, S.159

[6] Vgl. hier Junge, Matthias, Individualisierung, 2002, S.15

[7] Weber, Max, Politische Schriften 1988, S.63

[8] Schroer, Markus, Individualisierte Gesellschaft, 2000, S.162

[9] Schroer, Markus, Individualisierte Gesellschaft, 2000, S.163

[10] „Kritische Theorie“: Eine von den Vertretern der sog. „Frankfurter Schule“ entwickelte Sozialphilosophie. Hauptvertreter dieses Konzeptes: Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas; Vgl. und nähere Informationen dazu: Waschkuhn, Arno, Kritische Theorie, 2000, S.1-15

[11] Schroer, Markus, Individualisierte Gesellschaft, 2000, S.164

[12] Schroer, Markus, Individualisierte Gesellschaft, 2000, S.165

[13] Heitmeyer, Wilhelm, Desintegrationsprozesse, 1994, S.392

[14] Schroer, Markus, Individualisierte Gesellschaft, 2000, S.160

[15] Beck, Ulrich, Riskante Freiheiten, 1994, S.45

[16] Beck, Ulrich, Riskante Freiheiten, 1994, S.44

[17] Beck, Ulrich, Riskante Freiheiten, 1994, S.47-48

[18] Beck, Ulrich, Riskante Freiheiten, 1994, S.44

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Details

Titel
"Prozess der Individualisierung". Frage des Fortschreitens der Individualisierung in der heutigen Gesellschaft
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V199150
ISBN (eBook)
9783668734432
ISBN (Buch)
9783668734449
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
prozess, individualisierung, frage, fortschreitens, gesellschaft
Arbeit zitieren
Dirk Sippmann (Autor:in), 2012, "Prozess der Individualisierung". Frage des Fortschreitens der Individualisierung in der heutigen Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199150

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