Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
I. Einleitung
II. Rahmenbedingungen
1. Historische und biographische Umstände
III. Formanalyse und Interpretation
1. Die Lösung
2. Radwechsel
3. Heißer Tag
IV. Historizität und mögliche Absichten der Buckower Elegien
V. Schlusswort
VI. Literaturverzeichnis und Anhang
I. Einleitung
Ob in Lyrik der DDR, mittelalterlichen Werken, Nachkriegsliteratur oder fikti- ven Reiseromanen: Der Eindruck, ein Werk habe trotz ausbleibender direkter Erwähnung von Originalschauplätzen oder realen Personen etwas mit dem Leben des Autors zu tun, entsteht schnell. Ähnlich wie Oswald von Wolken- stein Mitte des 15. Jahrhunderts Auszüge seines Lebens in seine Lieder zu schrieb, erscheint ein Teil der Literatur nach 1945 ebenso zu verfahren.
Die vorliegende Arbeit wird sich im Verlauf mit Bertolt Brechts Buckower Ele- gien befassen und anhand ausgewählter Gedichte versuchen, Bezüge zu historischen Ereignissen und/oder Veränderungen in Brechts Leben aufzu- decken. Die Untersuchungen werden die Inhalte der Texte mit politischen und weltgeschichtlichen Ereignissen abgleichen und versuchen, dem Autor die Äußerung von persönlichen Gefühlen und Meinungen nachzuweisen, die durch Teile der Buckower Elegien unter Umständen ersichtlich werden. Ein Vergleich mit Briefen und dokumentierten Aussagen Brechts soll im Rahmen der Analyse der Gedichte dazu dienen, die möglichen Nachweise faktisch zu untermauern.
Im ersten Teil der Arbeit wird es daher von Bedeutung sein, die Jahre vor der Veröffentlichung 1953 und wichtige Daten unmittelbar vor dem Erscheinen der ersten Gedichte des Zyklus zu beleuchten. Ob Brecht nachweislich für oder gegen die Politik der DDR-Führung war, wird im Zuge der nachfolgenden Analyse ein wichtiger Interpretationsbestandteil sein.
Im Anschluss an die Formanalyse und die Interpretation der Gedichte „ Die Lösung “, „ Radwechsel “ und „ Heißer Tag “ wird es abschließend um die Frage gehen, ob diese Auszüge der Buckower Elegien durchgängig eine allgemeine Historizität im Sinne eines „Zur-Geschichte-Gehörens“ aufweisen und der jeweilige Inhalt historisch situierbar ist, oder eine Parallelisierung in Teilen oder gänzlich nicht eindeutig erkennbar ist.
II. Rahmenbedingungen
1. Historische und biographische Umstände
Konfrontiert mit mehreren historischen Ereignissen und politischen Verände- rungen im frühen Leben, kam der deutsche Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht auffallend oft mit Auswirkungen verschiedener Regierungen in Kon- takt. Nach seinem Studium widmete sich Brecht einer Vielzahl von genreü- bergreifenden Werken und entwickelte sich zunehmend zu einem überzeug- ten Kommunisten. Ab 1926 waren gehäuft politische Referenzen in seinen Werken auffindbar. Obwohl er nie in der KPD aktiv war, wurden einzelne Stü- cke wie der Lindberghflug (1929) durch marxistisches Gedankengut beein- flusst.
Ab 1930 litt Brecht deshalb sehr unter dem aufkommenden NS-Regime. Aufführungen wurden unterbrochen, Brecht selbst verließ notgedrungen sein Heimatland und seine Werke wurden ab 1933 verbrannt. Die deutsche Staatsbürgerschaft verlor er 1935.
Pendelnd zwischen einer Vielzahl von Standorten, darunter Paris, Svendborg in Dänemark, Marlebäck in Finnland, Stockholm und Helsinki, wurde Brecht 1941 ein Einreisevisum für die USA ausgestellt. Aufgrund seiner nachweisli- chen Abneigung gegenüber Amerika und dem Desinteresse der Amerikaner an seiner Arbeit jedoch, sollte seine Reise dort nicht enden. 1947 als Kom- munist angeklagt, verließ Brecht die Staaten wieder in Richtung Europa. Mit Zwischenstationen in Zürich und Prag kehrte Brecht erst 1948 nach Deutsch- land zurück. Da ihm die Einreise in die amerikanische Besatzungszone je- doch aufgrund seiner Vorgeschichte verwehrt blieb, ließ sich Brecht vorerst in Ost-Berlin nieder, wo er schnell Kontakt zu Parteifunktionären der SED fand. Der Ablehnung einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung der Schweiz im Frühjahr 1949 folgend, zog Brecht endgültig nach Ost-Berlin.
Trotz seiner grundsätzlichen Skepsis an Westdeutschland und dem Glauben, nur im Sozialismus läge eine Zukunft für das zerstörte Land, ließ Brecht sich selbst Möglichkeiten offen, außerhalb der DDR zu agieren. Die Rechte an seinem Werk übertrug er dem westdeutschen Verlag Peter Suhrkamps, des- sen Bekanntschaft er bereits kurz nach dem Studium schloss. Brecht selbst konnte aufgrund seiner 1950 erworbenen österreichischen Staatsbürger- schaft unabhängig vom DDR-Regime ein- und ausreisen. Im Juli 1952 zog Brecht mit Helene Weigel in ein Haus in Buckow, ein Ort circa 50 Kilometer östlich von Berlin.
Seine Arbeit in der DDR gestaltete sich recht schwierig. Zensur und der Ein- fluss des Regimes waren für ihn ein großes Problem und seine Werke finden wenig Anerkennung. Dennoch erhielt Brecht 1954 sein eigenes Theater, wel- ches er für die Aufführungen seines Berliner Ensembles nutzen darf. Einem Brief an Otto Grotewohl ist aber zu entnehmen, dass dies wohl auch politi- sche Gründe hatte. So schreibt Brecht kurz vor der Übergabe des Theaters, dass die Übernahme des Hauses seine Verbundenheit zur DDR „ deutlichst dokumentieren “ würde und Gerüchte im Westen über Zwistigkeiten zwischen ihm und der Republik dadurch entkräftet würden.1 Trotz der Erkenntnis, dass in der DDR Vieles nur mit der Unterstützung der Partei realisierbar war und man stets darauf bedacht sein sollte, dem Eindruck der Partei von sich als Schriftsteller nicht zu schaden, hatte Brecht ein großes Problem mit der Ein- schränkung seiner künstlerischen Freiheit durch das Regime.
Die Buckower Elegien, ein Gedichtzyklus aus dem Jahr 1953, zeigen Brechts Tendenz, sich mit politischen Ereignissen persönlich und gesellschaftlich zu befassen. Als Reaktion auf die Ereignisse des 17. Juni 1953 schildert er al- lem Anschein nach seine persönliche Sicht auf die politischen Verhältnisse in der DDR und eine Auseinandersetzung mit allgemeinem philosophischem Gedankengut.
Dem Verfassen der Elegien ging ein Massenprotest der DDR-Arbeiter vo- raus, dessen Ursachen auf die zweite Parteikonferenz der SED im Juli 1952 zurückgehen. Durch die dort beschlossenen Maßnahmen zum Aufbau des Sozialismus in der DDR kam es zu einem Rückgang der industriellen Pro- duktion und Hunger. Als die Einwohner der DDR darauf mit Protesten und Republikflucht reagierten, erließ man ein Gesetz, welches mit dem Ziel des Allgemeinwohls mehr Arbeit für den gleichen Lohn von den Bürgern forderte. Erneuten Protesten begegnete das Regime mit Militärgewalt.
In einer Erklärung, dass die Proteste faschistischen Ursprungs seien, drückt Brecht dem Regime gegenüber offiziell seine Verbundenheit aus. Das be- rühmte Telegramm an den SED Parteivorsitzenden Walter Ulbricht, worin er schreibt: „ Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Ver- bundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken.“2, beinhaltet jedoch nicht die ganze Wahrheit. Viele Jahre nach Brechts Tod erfuhr man, dass dieser Text nur ein kleiner Bestandteil ei- nes langen Briefes ist, den Brecht an Ulbricht geschrieben hatte. Darin machte er auch die Politik der Regierung für den Aufstand verantwortlich und wies auf die Notwendigkeit von Reformen hin. Das Telegramm, welches le- diglich das Ende des Briefes ausmacht, gibt ohne den Gesamtzusammen- hang daher ein verfälschtes Bild, welches Brecht zu Lebzeiten große Prob- leme mit den westdeutschen Bühnen bescherte. Die Welt berichtete im Sep- tember 1959 über die Erlebnisse eines DDR-Flüchtlings. Darin heißt es:
"Nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni hatte die Regierung viel Mühe, eine offizielle plausible Erklärung der kompromittierenden Ereignisse zu finden. Sie ließsich sogleich beraten. Auf einer der historischen Sitzungen mit der Akademie der Künste und dem Kulturbund bekam sie den originellen Einfall, den Aufstand als einen faschistischen Putschversuch zu bezeichnen, auf den das Volk wie eine dumme Hammelherde hereingefallen sei. Da erhob sich Bertolt Brecht und sagte ...: 'Ich habe eine Resolution vorzuschlagen. Da sich herausgestellt hat, daßunser Volk eine dumme Hammelherde ist, empfehlen wir der Regierung, sich ein anderes Volk zu wählen."3
Zwar war Brecht stets bemüht, den Dialog mit der Regierung aufrecht zu er- halten, fühlte sich anscheinend jedoch dem Volk verbunden. Der Balanceakt zwischen Selbstschutz durch die Signalisierung von regimetreuem Verhalten und der Sympathie für das geschädigte Volk war für Brecht keine leichte Auf- gabe. Zählt man zusätzlich noch das Ansehen in Westdeutschland hinzu, immerhin Brechts wichtigste Kunstplattform außerhalb der DDR, erscheint einem das Anliegen für das Verfassen einer Klage immer deutlicher. Öffent- lich äußert er keine aufwiegelnde Kritik, sondern gibt oftmals Ratschläge zur Verbesserung der Lage zugunsten der Bevölkerung. Nach dem Aufstand drängt Brecht zu einer Aussprache auf Augenhöhe und signalisiert die Be- reitschaft, „ der Regierung beim Ausmerzen der Fehler zu helfen, welche Un- zufriedenheit hervorgerufen haben und [die] unzweifelhaft großen sozialen Errungenschaften gefährden “4.
Vermutlich da Brecht seinen Unmut auf offiziellem Wege nur hinter vorgehaltener Hand äußern kann, beinhalten Teile der Buckower Elegien anscheinend direkte Referenzen auf seine persönliche Meinung, die er jedoch nicht in ausformulierter Form präsentiert, sondern sie teils offen, teils metaphorisch, vorsichtig umschreibt.
III. Formanalyse und Interpretation
Die Buckower Elegien werden von Brecht nach den Aufständen im Jahre 1953 verfasst. Die erste Sammlung aller Gedichte, die dem Zyklus nach heu- tigem Erkenntnisstand zugerechnet werden, erschien 1964. Einzelne Stücke wurden jedoch bereits im Vorfeld veröffentlicht. Der Grundton der Elegien entspricht ihrer wortwörtlichen Bedeutung. Viele Stücke klagen tatsächlich, die Stimmung ist nachdenklich und kritisch. In einer frühen Form übersandte Brecht dem Verleger Suhrkamp einige Werke unter dem Titel „Buckowlische Elegien“, einer Wortkomposition seines Aufenthaltsortes und bukolischer Dichtung, welche hauptsächlich das Leben von Hirten thematisiert. Beachtet man die Inhalte und die vielfältige Erwähnung von Führung, Führenden und Geführten, könnte man jene auch als Hirten und Herde sehen.
Benjamin Lorenz schreibt über die Form der Buckower Elegien:
„ Die Buckower Elegien sind eine Form von Lyrik, die lange Zeit als sehr ein- fach galt, tatsächlich jedoch sehr komplex strukturiert ist. Die Schwierigkeit besteht dabei in der Verschlüsselung realer Ereignisse durch sprachliche Bilder, die der Rezipient in seiner Vorstellung wieder in greifbare Bilder um- deuten muss. Bei der Interpretation [...] fällt es schwer, fiktives und reales Ich zu trennen. “ 5
Zentrale Motive wie Veränderung, Gesellschaftskritik, Kritik an der Regie- rung, Sichtweise auf die Kunst oder Bezüge zur Vergangenheit, werden da- her von großer Bedeutung sein, auch wenn die Teile der Elegien dies nur in- direkt äußern.
[...]
1 Vgl. Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 30, Briefe 3. Frankfurt am Main, 1998, S. 177.
2 Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 30, Briefe 3. Frankfurt am Main, 1998, S. 178.
3 Vgl. Leuschner, Burkhard: Bertolt Brecht. <http://www.burkhard-leuschner.de/lit/brecht.htm> (19. Februar 2012)
4 Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 23, Schriften 3. Frankfurt am Main, 1998, S. 250.
5 Lorenz, Benjamin: Bertolt Brechts Buckower Elegien. München, 2010, S. 7.