Dieses Buch beleuchtet die politischen Strukturen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), die im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union, also der so genannten „Zweiten Säule“ des Unionsvertrages, betrachtet werden. Die Untersuchungen orientieren sich an der zentralen Fragestellung, welche institutionellen Rahmenbedingungen gegeben sind, welche Handlungsoptionen sich daraus ergeben, wo Defizite auftreten und welche Lösungsansätze entwickelt werden können. Die Möglichkeiten und Grenzen der außenpolitischen sowie der militärischen Handlungsfähigkeit der EU sollen aufgezeigt werden.
Aufgrund der politischen Aktualität des Themas, ständig neuer Entwicklungen und Diskussionsbeiträge bezieht sich die Arbeit schwerpunktmäßig auf den Ist-Zustand im ersten Halbjahr 2003. An einigen Stellen wird unter Einbeziehung der Ergebnisse des Europäischen Verfassungskonvents und des Entwurfs eines europäischen Verfassungsvertrages ein Ausblick auf künftige Strukturen gegeben.
Um den behandelten Politikbereich näher zu betrachten, werden grundlegende Fragen und Hintergründe, die Zielsetzung der Sicherheitspolitik und der geschichtliche Hintergrund erarbeitet. Schwerpunkt ist die Analyse der politischen Strukturen der ESVP, die im institutionellen Rahmen der GASP vorgenommen wird und sowohl die Akteure als auch deren Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen mit einbezieht. Die operativen Möglichkeiten der Europäischen Union werden für den militärischen und für den zivilen Sektor näher untersucht, wobei der militärischen und institutionellen Zusammenarbeit mit der NATO aufgrund der Bedeutung der Allianz innerhalb der ESVP ein eigenes Kapitel gewidmet wird.
Inhaltsverzeichnis
II. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
1.1. Thema und Vorgehensweise
1.2. Grundlegende Fragestellungen
2. HINTERGRUND
2.1. Aktualitätsbezug
2.1.1. Erfahrungen aus vergangenen Krisen
2.1.2. Konfliktpotenzial der Zukunft
2.2. Begriffsdefinitionen
2.3. Theorie internationaler Beziehungen
3. ZIELSETZUNG DER ESVP
3.1. Ziele
3.2. Gemeinsame Interessen der Staaten der EU
3.3. Petersberg-Aufgaben
3.4. Legitimitätsaspekte
3.4.1. Völkerrechtliche Situation
3.4.2. Interinstitutionelle Legitimation
3.5. Option eines gemeinsamen außenpolitischen Leitbildes
3.5.1. Sicherheits- und Verteidigungspolitische Leitlinien der EU .17
3.5.2. Zum Vergleich: Strategische Konzepte der NATO
4. ENTWICKLUNG VERTEIDIGUNGSPOLITISCHER STRUKTUREN
4.1. Erste Bündnisstrukturen nach dem 2.Weltkrieg
4.2. Die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)
4.3. Gründung und Aufbau der GASP nach Maastricht
4.4. Stärkung der militärischen Integration nach dem Europäischen Rat von Köln
5. INSTITUTIONELLER RAHMEN DER ESVP
5.1. Einordnung
5.1.1. Das Säulenmodell der Europäischen Union
5.1.2. ESVP als Bestandteil der GASP
5.2. Die intergouvernmentalen Strukturen
5.2.1. Der Europäische Rat
5.2.2. Die Mitgliedstaaten
5.2.3. Der Rat der Europäischen Union
5.2.4. Der Hohe Vertreter (HV) für die GASP und das Generalsekretariat
5.2.5. Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK)
5.2.6. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV)
5.2.7. Der Militärausschuss
5.2.8. Der Militärstab
5.2.9. Ausschuss für Zivile Aspekte des Krisenmanagements
5.2.10. Ausschuss der beitragenden Länder
5.2.11. Der Politische Stab
5.2.12. Das Gemeinsame Lagezentrum
5.2.13. Arbeitsgruppen
5.2.14. Sonderbeauftragte
5.2.15. Satellitenzentrum, Institut für Sicherheitsfragen
5.3. Die supranationalen Strukturen
5.3.1. Die Kommission
5.3.2. Das Europäische Parlament
5.4. Interinstitutionelle Zusammenarbeit
5.5. Zusammenfassung und Bewertung
5.6. Ausblick: Beschlüsse des Europäischen Konvents
6. INSTRUMENTE UND VERFAHREN DER ESVP
6.1. Handlungsinstrumente
6.1.1. Leitlinien
6.1.2. Gemeinsame Strategie
6.1.3. Gemeinsame Aktionen
6.1.4. Gemeinsame Standpunkte
6.1.5. Abschluss internationaler Übereinkünfte
6.1.6. Zusammenfassung und Bewertung
6.2. Beschlussfassungsverfahren
6.2.1. Mehrheiten - Konsens oder qualifizierte Mehrheit
6.2.2. Konstruktive Enthaltung
6.2.3. Bewertung
6.3. Verstärkte Zusammenarbeit (VZ)
6.3.1. Verfahrensgrundsätze und Regelungen
6.3.2. Möglichkeiten und Probleme
6.4. Finanzierungsverfahren
6.4.1. Europäische Haushaltsverfahren
6.4.2. Nationale Verteidigungshaushalte
6.5. Rüstungspolitik
6.5.1. Rahmenbedingungen
6.5.2. Beispiele europäischer Rüstungskooperation
6.5.3. Bewertung europäischer Rüstungskooperation
6.5.4. Ausblick
6.6. Zusammenfassung und Bewertung
7. MILITÄRISCHE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN DER EU
7.1. Herausforderungen multinationaler Streitkräfte
7.2. Aufstellung gemeinsamer europäischer Streitkräfte
7.2.1. Streitkräfteplanung
7.2.2. Defizite
7.2.3. Möglichkeiten und Wege für mehr Handlungsfähigkeit
8. ZUSAMMENARBEIT MIT DER NATO
8.1. Die besonderen Positionen ausgewählter Nationalstaaten..88
8.1.1. Deutschland
8.1.2. Frankreich
8.1.3. Vereinigtes Königreich (Großbritannien)
8.1.4. Vereinigte Staaten von Amerika (USA)
8.1.5. Türkei
8.1.6. Neutrale Staaten
8.2. Ziele der Zusammenarbeit
8.3. Verfahren der Zusammenarbeit
8.4. Rückgriff der EU auf NATO-Fähigkeiten
8.4.1. Combined Joint Task Forces Concept (CJTF)
8.5. Zusammenfassung und Bewertung
9. NICHTMILITÄRISCHE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN DER EU
9.1. Möglichkeiten
9.2. Kohärenzaspekte
9.3. Prioritäten nichtmilitärischer Krisenbewältigung
9.4. Zusammenfassung und Bewertung
10. ZUSAMMENFASSUNG, BEWERTUNG UND AUSBLICK
ANHANG I - Staaten Europas und deren Zugehörigkeit
LITERATURVERZEICHNIS
II Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. EINLEITUNG
1.1. Thema und Vorgehensweise
Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die politischen Strukturen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), die im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union, also der so genannten „Zweiten Säule“ des Unionsvertrages betrachtet werden. Die Untersuchungen orientieren sich an der zentralen Fragestellung, welche institutionellen Rahmenbedingungen gegeben sind, welche Handlungsoptionen sich daraus ergeben, wo Defizite auftreten und welche Lösungsansätze entwickelt werden können. Die Möglichkeiten und Grenzen der außenpolitischen sowie der militärischen Handlungsfähigkeit der EU sollen aufgezeigt werden.
Aufgrund der politischen Aktualität des Themas, ständig neuer Entwicklungen und Diskussionsbeiträge bezieht sich die Arbeit auf den IstZustand im ersten Halbjahr 2003. An einigen Stellen wird unter Einbeziehung der Ergebnisse des Europäischen Verfassungskonvents und des Entwurfs eines europäischen Verfassungsvertrages ein Ausblick auf künftige Strukturen gegeben, die aber nicht im Detail beleuchtet werden können.
Die politischen Strukturen der ESVP sind ein weit reichendes Feld der internationalen Politik, von dem in der vorliegenden Analyse aufgrund des Umfangs nicht alle Aspekte vollständig behandelt werden können. Eine Konzentration der Betrachtung erfolgt deswegen auf den Bereich der Strukturen innerhalb der Europ ä ischen Union, andere Institutionen wie OSZE und auch die Vereinten Nationen können nur am Rande Beachtung finden.
Um den behandelten Politikbereich näher zu betrachten, werden in den ersten Kapiteln grundlegende Fragen und Hintergründe, die Zielsetzung der Sicherheitspolitik und der geschichtliche Hintergrund erarbeitet.
Schwerpunkt ist die Analyse der politischen Strukturen der ESVP, die im institutionellen Rahmen der GASP vorgenommen wird und sowohl die Akteure als auch deren Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen mit einbezieht. Die operativen Möglichkeiten der Europäischen Union werden für den militärischen und für den zivilen Sektor näher untersucht, wobei der militärischen und institutionellen Zusammenarbeit mit der NATO aufgrund der Bedeutung der Allianz innerhalb der ESVP ein eigenes Kapitel gewidmet wird.
1.2. Grundlegende Fragestellungen
Die Europäische Union hat sich auf der Tagung des Europäischen Rates in Köln 1999 zum Ziel gesetzt, auf internationale Krisen, Konflikte und Spannungen, sowohl innerhalb Europas als auch global, zukünftig besser reagieren zu können. Dazu reichen rein diplomatische F ä higkeiten nicht aus, wie vergangene Auseinandersetzungen und Konflikte gezeigt haben. Vielmehr ist es erforderlich, dass die Staatengemeinschaft Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung hat, mit denen sie Druck auf die Krisenregion ausüben kann, um ihre Ziele zu erreichen. Dazu verfügt die EU über eine breite Palette an nichtmilit ä rischen Optionen, die sie im Rahmen der Gemeinschaftspolitiken einsetzen kann. Sollte eine Zusammenfassung dieser Maßnahmen keine Wirkung auf die Konfliktparteien zeigen, so ist als letztes Mittel der Einsatz von Streitkr ä ften denkbar. Eine Kombination dieser drei Bereiche kann die Sicherheit für die EU erhöhen und die Glaubwürdigkeit des Handelns der Union verstärken.
Die große Chance der EU als außenpolitischer Akteur besteht in der Verbindung ziviler Mittel des Krisenmanagements mit militärischen Handlungsmöglichkeiten. Dafür sind in beiden Bereichen personelle und materielle Kr ä fte in ausreichender Qualität und Quantität erforderlich, welche der EU von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren werden Strukturen benötigt, die eine Verknüpfung der Bereiche sicherstellen können.
Die Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist als Prozess zu betrachten, der die internationale Handlungsf ä higkeit der Union verbessern soll. Der Aufbau der Strukturen und Kräfte auf europäischer Ebene ist notwendigerweise mit Kompetenzabgabe der Nationalstaaten verbunden. Die Souver ä nit ä tsvorbehalte der Mitgliedstaaten vor allem in Fragen mit verteidigungspolitischen Bezügen verlangsamen den Integrationsprozess und erschweren die Schaffung kohärenter, effizienter Strukturen, die die Glaubwürdigkeit der Union stärken können. Dafür garantieren sie größtmögliche Handlungsfreiheit der einzelnen Länder: „Man gibt seine (außenpolitische) Souveränität niemals ab, man teilt sie höchstens - und das nur dort, wo man alleine nicht weiter kommt.“[1]
Die Verteidigungspolitik der EU kann nicht losgelöst von dem institutionellen Kontext betrachtet werden, was insbesondere die Diskussion über eine Einbeziehung der Fähigkeiten, Mittel und Strukturen der NATO erfordert. Hier stehen die verbesserten militärischen Möglichkeiten und die Einbeziehung der transatlantischen Partner einer Forderung nach autonomen Fähigkeiten der EU entgegen.
Die bei der Analyse und Bewertung der ESVP zu betrachtenden Fragen resultieren somit im Wesentlichen auf folgenden Kernbereichen:
- Einrichtung politischer und militärischer Beschlussfassungsgremien unter dem Dach der EU ergänzend zu dem Rahmen der GASP
- Entwicklung eigener militärischer Kapazitäten
- Verbesserung der Fähigkeiten zum nichtmilitärischen Krisenmanagement
- Ausarbeitung von Zusammenarbeitsmechanismen zwischen EU und NATO
Die Umsetzung dieser Bereiche entscheidet über Funktionsweise, Wirksamkeit und Erfolg der ESVP der Europäischen Union.
2. HINTERGRUND
2.1. Aktualitätsbezug
2.1.1. Erfahrungen aus vergangenen Krisen
Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des Warschauer Paktes Ende der 1980er stand Europa vor einer Neuordnung. Der Wegfall der Blockkonfrontation hatte eine Öffnung Westeuropas nach Osten und eine damit verbundene neue Sicherheitslage für die europäischen Staaten zur Folge, die sich bis heute weiter stabilisiert hat.
Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass Konflikte und Krisen die Defizite und Schwierigkeiten der Sicherheits- und Verteidigungspolitik offen legen und dadurch auch die Weiterentwicklungen in diesem Politikbereich beeinflussen können.
In den 1990er Jahren kam es in Europa zu zahlreichen Krisensituationen, vor allem auf dem Balkan,[2] die offenbarten, dass die Europäische Union im Rahmen der Krisenintervention auf die Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika angewiesen ist.[3] Gründe dafür sind in dem Mangel an einem gemeinsamen politischen Willen, in fehlenden eigenen Kapazitäten und in ungenügend schnellen Entscheidungsstrukturen der EU zu suchen.[4] Die Folge daraus ist die Belastung durch Aufbauleistungen und Flüchtlingsströme, die die Kosten einer zielgerichteten Prävention weit übersteigen.[5] Die Union reagierte und es bildete sich der politische Willen nach eigenen militärischen Handlungsfähigkeiten, der ab 1999 schrittweise umgesetzt wurde.
Die Terroranschläge vom 11.September offenbarten die Intergouvernmentalität der GASP, da die handelnden Akteure nicht die EU-Politiker Prodi und Solana, sondern die Staats- und Regierungschefs Schröder, Chirac und Blair waren.[6] Zwar konnte die Europäische Kommission den Erfolg vorweisen, bereits eine Woche nach den Anschlägen ein Rahmenkonzept für die Terrorismusbekämpfung erarbeitet zu haben, die unterschiedlichen Positionen und Aktionen der Nationalstaaten und vor allem deren darauf folgendes Engagement im Rahmen des Afghanistan-Krieges zeigen jedoch das Ausmaß der nationalstaatlichen Handlungsfreiheiten.[7]
Die unterschiedlichen Interessenslagen der Mitgliedsländer wurden in den Standpunkten zum Irakkrieg 2003 besonders deutlich. Während Frankreich und Deutschland sich konsequent gegen ein militärisches Engagement im Irak aussprachen, unterstrich Großbritannien seine besonderen Beziehungen zu den USA. „In etwaigen Konfliktfällen wird sich England vermutlich noch auf lange Zeit nahezu bedingungslos an die Seite der USA stellen. Eine gegenüber Europa rücksichtslose amerikanische Strategie kann die Kohäsion der Europäischen Union überfordern.“[8] In diesem Zusammenhang ergab sich zudem die Frage nach der völkerrechtlichen Legitimation des Einsatzes. Deutlich wurde auch die Bedeutung bestimmter militärischer Fähigkeiten in der aktuellen Krisenintervention. Vor allem der Einsatz von Präzisionswaffen, Satellitenaufklärung, strategischer Transportfähigkeit und Lufthoheit sind Schlüsselfähigkeiten bei einem militärischen Engagement,[9] um eigene personelle Verluste so gering wie möglich zu halten. Der Vorsprung der USA in diesen Bereichen ist sehr groß und erfordert große Anstrengungen der EU, um ihn zu verringern und damit die Unabhängigkeit von den Mitteln der NATO und den USA zu vergrößern.[10]
2.1.2. Konfliktpotenzial der Zukunft
„Die ESVP war entsprechend den Herausforderungen und Bedrohungen, wie sie in den 1990er Jahren eingeschätzt wurden, definiert und entwickelt worden. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese Definition der Bedrohung infolge der internationalen Geschehnisse überholt ist. Seit dem 11. September kann die Bedrohung nicht mehr als ein Konfliktrisiko zwischen Staaten oder Volksgruppen definiert werden. Wir befinden uns nun eher in einer Situation der globalen Unsicherheit, die durch diffusere Risiken gekennzeichnet ist, einschließlich derer, die von internationalen Terrororganisationen oder einem Einsatz von Massenvernichtungswaffen ausgehen und sich den Mitteln entziehen, die für die Konfliktbewältigung im traditionellen Sinne vorgesehen sind.“[11]
Auch die globalen Bedrohungen des gerade begonnenen 21.Jahrhunderts beeinflussen in letzter Konsequenz die europäische Sicherheitslage und sind somit im Kontext der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu betrachten:[12]
- Bevölkerungswachstum, Wasserknappheit, globale Klimaveränderungen, Verarmung und damit verbundene Flüchtlingsströme
- Internationale, organisierte Kriminalität
- Verstärkt auftretende ethische und religiöse Konflikte
- Steigende, unübersichtlichere Anzahl mit Massenvernichtungswaffen bewaffneter Staaten
Der rein nationale Ansatz, diesen Bedrohungen zu begegnen, reicht nicht mehr aus, vielmehr sind Bündnispartner, politische sowie militärische, unverzichtbar für einen erfolgreichen Ansatz in der Konfliktbewältigung[13].
2.2. Begriffsdefinitionen
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Strukturen europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es bedarf einer Erläuterung dieser beiden Grundbegriffe, um den Inhalt dieses Politikfeldes zu überschauen.
Sicherheit
Sicherheit ist die Grundfrage menschlicher Existenz.[14] Im Kontext der ESVP wird der Begriff oftmals mit äußerer, politischer, militärischer Sicherheit assoziiert, wobei das nicht alle Dimensionen umfasst. Auch die soziale, finanzielle, wirtschaftliche und innere Sicherheit spielen in diesem Politikfeld eine Rolle.[15] Zur Erreichung der Ziele müssen die Maßnahmen die „Gesamtheit staatlichen Handelns gegen Gefahren von außen sowie die aktive Beeinflussung und Gestaltung aktueller Herausforderungen und Chancen eines Staates im Sinne nationaler Interessen“[16] erfassen.
Sicherheit kann durch Aufrüstung, Abschreckung und einem daraus resultierenden Gleichgewicht der Kräfte erreicht werden, bei dem jeder Staat eigenverantwortlich handelt[17] oder durch internationale Organisationen kollektiver Verteidigung sichergestellt oder zumindest vergrößert werden (z.B. NATO, WEU), wobei auch andere Organisationen vertrauens- und damit sicherheitsschaffend wirken können (z.B. VN, OSZE, EU). Weitere Möglichkeiten der Schaffung von Sicherheit sind Wahrung der institutionellen Handlungsfähigkeit, Verhinderung von Krisen durch präventive Außenpolitik, verstärkte Integration, wirtschaftliche Stärke (dadurch Sanktionsmöglichkeiten), gute zwischenstaatliche Beziehungen, weltweite Stabilisierung.[18] Friedenserhaltung und Friedensschaffung werden hier als gemeinschaftliche Aufgabe gesehen.
Der Sicherheitsbegriff unterliegt zudem einem starken Wandel; aktuelle Bedrohungslagen werden mit einbezogen und sowohl von der Gesellschaft als auch von der politischen Klasse als vorrangig erachtet, wobei die Art der Bedrohung völlig differieren kann.[19] Als Beispiele seien angeführt:[20]
- 1950er Jahre: militärisch geprägter Sicherheitsbegriff; Aufrüstung und Abschreckung
- 60er: Internationale Krisenherde, nukleare Bedrohung, z.B. Kuba
- 70er: Ost-West-Konflikt und deren Entspannung
- 80er: Nord-Süd-Frage, Umweltproblematik, Entwicklungspolitik
- 90er: Wirtschaftliche Sicherheit; Drogen und organisierte Kriminalität
- 2000er (Ausblick): Terrorismus-Gefahr; „Schurken-Staaten“.
Verteidigungspolitik
Verteidigungspolitik kann als „Bereitstellung und Entfaltung der Mittel, Aufwendungen und Maßnahmen, die eine Gesellschaft benötigt, um ihre Sicherheit gegen Bedrohung von außen zu gewährleisten“[21] definiert werden. Somit kann man die Verteidigungspolitik als die militärische Komponente der Sicherheitspolitik bezeichnen, die Friedenssicherung mit militärischen Mitteln zum Ziel hat.[22] Zu diesem Zweck können unterschiedliche militärische Konzeptionen zugrunde liegen, wie z.B. Abschreckung, Intervention, Prävention, u.v.m (vgl.3.5).
2.3. Theorie internationaler Beziehungen
Der Untersuchungsgegenstand, die politischen Strukturen der ESVP, werden politiktheoretisch von zwei unterschiedlichen Positionen aus betrachtet:
Realistische Ansätze
Die realistische Schule sieht die rational handelnden Nationalstaaten im Mittelpunkt, ohne dem jeweiligen institutionellen Kontext größere Bedeutung beizumessen.[23] Anarchie ist dabei das vorherrschende Ordnungsprinzip, da eine Instanz über den Staaten fehlt. Die internationalen Organisationen haben nur marginalen Einfluss auf staatliche Akteure, die ihrerseits darauf bedacht sind, ein Maximum an Souveränität und Macht zu wahren.[24] Im Falle einer Krise ist die Selbsthilfe das entscheidende Mittel zur Konfliktlösung, da es über den Staaten keine Sanktionskompetenz gibt, auf die die beteiligten Parteien zurückgreifen könnten.[25] Zwischenstaatliche Kooperation erfolgt nur dann, wenn mehrere Nationalstaaten eine gemeinsame Bedrohung wahrnehmen, der sie alleine nicht gewachsen sind und sie somit aus rationalen Gründen eine Souveränitätsabgabe akzeptieren müssen.[26] Diese birgt nach Ansicht der Vertreter des Realismus allerdings auch die Gefahr, betrogen zu werden, weswegen sie auf ein Minimum reduziert wird.
Neoliberale Ansätze
Dagegen stehen die neoliberalen Ansätze, die sich mit der Analyse der Wechselwirkungen von internationalen Systemen und Staaten auseinander setzten. Grundannahme ist die These, dass die einzelstaatliche Außenpolitik nicht unabhängig von politischen Systemen betrachtet werden kann und dadurch die von der realistischen Schule in den Vordergrund gestellten Faktoren Macht und Interesse relativiert werden.[27] Dabei sind die internationalen Organisationen von großer Bedeutung, sie vertreten das gemeinsame Interesse von Staaten und beeinflussen andererseits deren Handlungsmuster. Insbesondere ergeben sich für die Staaten durch Kooperation oder sogar Integration die Vorteile des Sicherheitsgewinns, da durch Aufbau einer Vertrauensbasis der Anreiz zum Betrug sinkt, sowie der Vorteil eines Einsparungspotenzials durch Kostenteilung. Internationale Organisationen gelten als Sicherheitsorgane, die kooperatives Verhalten ihrer Mitglieder fördern und somit zu Friedensleistungen fähig sind.[28]
Bewertung der Ansätze
Für beide Ansätze lassen sich zahlreiche Beispiele in der Geschichte der europäischen Integration finden.
Die realistische Betrachtungsweise bietet Gegnern der Integration gute Argumente. So kann man anführen, dass die Vereinigten Staaten sich im Kampf gegen den Terrorismus aufgrund unterschiedlicher nationaler Interessen nicht auf ihre Bündnispartner verlassen können und dadurch eigenständig handeln müssen. Der gesamte Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist besonders sensibel, wenn die Souveränitätsabgabe einzelner Staaten erforderlich ist, denn jeder Staat möchte seine eigene Handlungs- und Verteidigungsfähigkeit erhalten und sich zur Wahrung der eigenen Sicherheit nicht ausschließlich auf andere verlassen müssen.
Allerdings zeigen gerade Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg, dass die Erklärungsansätze des Neoliberalismus besser greifen. So war es seitdem das Bestreben der großen Mehrheit der Staaten, einem Verteidigungsbündnis beizutreten; die Vereinten Nationen gewannen immer mehr Staaten dazu und erhielten, zumindest theoretisch, das Interventionsmonopol; die europäische Integration wurde immer weiter vorangetrieben, was zu starken Vertrauensgewinnen und Sicherheitsvorteilen innerhalb der Union geführt hat; der KSZE/OSZEProzess hatte ebenfalls zahlreiche vertrauensbildende Maßnahmen zur Folge, bis hin zur Rüstungskontrolle und Abrüstungsverträgen; schließlich ist die NATO gestärkt aus dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes hervorgegangen, anstatt sich aufzulösen.[29] Diese Entwicklungen sind mit dem Realismus nur schwerlich zu erklären[30] und es ist auch wahrscheinlich, dass in Zukunft die Bündnisse eher Bedeutung gewinnen als verlieren.[31] Aus diesem Grunde werden in den weiteren Betrachtungen die neoliberalen Sichtweisen im Mittelpunkt stehen.
3. ZIELSETZUNG DER ESVP
3.1. Ziele
Schon in der Präambel des EU-Vertrages ist als Ziel der GASP (auch der ESVP) beschrieben, „die Identität und Unabhängigkeit Europas zu stärken, um Frieden, Sicherheit und Fortschritt in Europa und in der Welt zu fördern“.[32] Dahinter steckt das Bedürfnis nach Sicherheit für jeden einzelnen Staat der EU, das befriedigt werden soll durch die Schaffung einer „Friedensmacht Europa“[33], die als „Zivilmacht mit militärischen Mitteln“[34] auftreten soll, was die Kombination verschiedener Instrumentarien zur Konfliktprävention und -bewältigung impliziert.
Besonders die eigenständige, militärische Handlungsfähigkeit wird durch die Einbeziehung der ESVP in die Strukturen der EU deklariert, damit die Verteidigungspolitik „zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte“[35]. Schwerpunkte in der Zielsetzung setzt die EU im Bereich der Sicherung der gemeinsamen Werte und Interessen, der Menschenrechte, der Demokratisierung, der Rechtsstaatlichkeit sowie Grundfreiheiten, wobei die Beachtung der Charta der Vereinten Nationen explizite Erwähnung findet.[36],[37]
3.2. Gemeinsame Interessen der Staaten der EU
Im Gegensatz zu den Zielen, die allgemein formuliert für jeden evaluierbar im EU-Vertrag verankert sind, geht die Analyse der dahinter stehenden Interessen darüber hinaus und beschreibt, aus welchem Antrieb die Nationalstaaten und die Europäische Union handeln.
- Die Europäische Union ist als Wirtschaftsunion gegründet worden und in der historischen Entwicklung standen immer wirtschaftliche Interessen im Vordergrund. So schaffte die wirtschaftliche Integration auch ein Interesse an gemeinsamer Außenpolitik, da in einem stabilen Umfeld jeder Staat finanziellen Profit erlangen kann.
- Durch eigene militärische Handlungsfähigkeit soll die Unabhängigkeit von der NATO und insbesondere von den USA vergrößert werden. Die Teilweise praktizierte „Arbeitsteilung“, bei der die USA den Luftkrieg mit Präzisionswaffen führt und die EU den langwierigen und teuren Wiederaufbau in den Krisenregionen leistet, kann dadurch verschoben werden.[38] Allgemein ist die Steigerung des internationalen Einflusses durch Kumulation von Einzelinteressen durchaus auch für große,[39] insbesondere aber für kleinere Mitgliedstaaten interessant, welches beispielsweise durch ein einheitliches Abstimmungsverhalten in anderen internationalen Organisationen erreicht werden kann. Als Beispiel kann dienen, dass als Ergebnis von über 500 Konsultationen der EU-Staaten in den VN innerhalb eines Jahres über 90% der Abstimmungen gemeinsam erfolgten.[40] „Die Herausbildung einer globalen Ordnungsmacht und Gleichrangigkeit gegenüber den USA“[41] kann aus Sicht der EU-Staaten der Ansatz sein für eine „Korrektur der unipolaren Weltsicherheitsordnung“.[42]
- Als einer der weltweit größten Geldgeber für humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe besteht seitens der EU ein Interesse an Mitsprache für die Verwendung von Hilfeleistungen.
- Angesichts der bevorstehenden Erweiterung auf 25 Mitgliedstaaten dient eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch der Vertrauensbildung unter den Mitgliedstaaten.[43]
- Die Vermeidung von Migration ist im Interesse aller EU-Mitgliedstaaten. Diese kann durch Stabilisierung der nahen und weiter entfernten Krisenregionen vermieden werden und so die Asyl-, Einwanderungsund Flüchtlingspolitik entlasten.[44] Das ist nur ein Beispiel dafür, dass es durchaus rentabel sein kann, Ursachenbekämpfung zur Konfliktprävention durchzuführen, statt gegen die Folgen einer Auseinandersetzung ankämpfen zu müssen.[45]
- Auch die als Ziele definierten, humanitären Vorstellungen (Wahrung des Friedens, der Demokratie, u.v.m.) sind im Rahmen einer friedlichen Welt im Interesse aller Bürger.
- Nicht nur sachliche, sondern auch emotionale Interessen können den Aufbau einer ESVP leiten. So äußerte z.B. der Tschechische Präsident Vaclav Havel 1999 zum Jugoslawienkrieg, dass Milosevic nun die „Rechnung für seine Politik“ bekäme,[46] was einem Ruf nach Vergeltung gleich kommt.
Es gibt eine Reihe artikulierter und nicht artikulierter Interessen, die das Handeln der Nationalstaaten begründen. Oben wurden vor allem gemeinsame Interessen beschrieben, die in jedem Fall noch durch die spezifischen, einzelstaatlichen Interessen ergänzt werden, denen ein eigenes Kapitel gewidmet wird (vgl. 8.1). Auf dieser Grundlage zeigt sich, dass leicht verschiedene Standpunkte verschiedener Länder entstehen, die einen gesamteuropäischen Konsens verhindern können, so ist beispielsweise die geographische Nähe einer Krise zu dem jeweiligen Mitgliedsland ebenso entscheidend wie die gewachsenen außenpolitischen Bindungen.
3.3. Petersberg-Aufgaben
Am 19.06.1992 tagte auf dem Petersberg in Bonn der Ministerrat der Westeuropäischen Union (WEU), um künftige Aufgaben der Institution festzulegen. Mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages von 1997 wurden die Aufgaben in die EU integriert.[47] Damit war festgelegt, dass sich das Interesse der EU nicht auf Konflikte in unmittelbarer Nähe zu ihrem Gebiet beschränkt, sondern die Union sich der „Übernahme größerer Verantwortung in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik“[48] stellen möchte, da die Aufgaben, die im folgenden „Petersberg-Aufgaben“ genannt werden, nicht geographisch beschränkt sind.
Die Aufgaben werden klassifiziert nach dem Einsatz an militärischen Mitteln zur Erreichung der Ziele und gliedern sich in drei Stufen, die auch als „unteres“, „mittleres“ und „oberes“ Spektrum der Aufgaben bezeichnet werden können:
Humanitäre Einsätze[49] beinhalten Hilfs- und Unterstützungseinsätze von Streitkräften (=bewaffnete, reguläre Kräfte eines Staates) au ß erhalb des eigenen Staatsgebietes. Des Weiteren gehören zu dieser Kategorie die Rettungseins ä tze,[50] bei denen militärische (Spezial)kräfte aufgrund einer politischen Entscheidung au ß erhalb des eigenen Staatsgebietes eingesetzt werden, um dort in Not geratene Staatsbürger des eigenen Staates oder befreundeter Nationen zu befreien.
Wenn Streitkräfte das Mandat für friedenserhaltende Ma ß nahmen[51] erhalten, dann sind sie legitimiert, alle Maßnahmen in ihrem Einsatzgebiet zur Eindämmung oder Beendigung von Feindseligkeiten durchzuführen, ohne Waffengewalt zur Erreichung der Ziele anzuwenden. Mittel der Zielerreichung sind unter anderem Überwachungen, Kontrollen, Entwaffnungen, Flüchtlingsoperationen, humanitäre Aktionen, Unterstützung ziviler Kräfte.
Kampfeins ä tze[52], auch friedensschaffende Ma ß nahmen oder Ma ß nahmen zur Friedensgewinnung genannt, legitimieren den Einsatz von Waffengewalt zur Erzwingung des Friedens.
Der Europäische Verfassungskonvent unterstützt die Übernahme der Aufgaben durch die EU, macht aber auch weiter gehende Ergänzungsvorschläge.[53] Die Konfliktverhütung sollte danach in das Aufgabenspektrum integriert werden, was die Frühwarnung und vertrauensbildende Maßnahmen impliziert. Ebenso werden eine gemeinsame Abrüstung, militärische Beratung eines Drittlandes und auf Ersuchen eines Staates die Unterstützung bei der Terrorbekämpfung gefordert, um den veränderten Bedrohungslagen im Rahmen eines klar definierten Aufgabenspektrums gerecht werden zu können.
3.4. Legitimitätsaspekte
Die NATO führte seit 1990 verschieden legitimierte militärische Operationen durch:[54]
- Kampfeinsätze im Rahmen eines Mandates des VN-Sicherheitsrates (z.B. Golfkrieg 1991)
- Friedenserhaltende „Blauhelm“-Einsätze im Rahmen eines UN-Mandats (z.B. IFOR, SFOR 1995 in Jugoslawien)
- Friedenserhaltende Einsätze auf Ersuchen der Konfliktparteien hin (z.B. Mazedonien-Einsatz „Essential Harvest“ 2001)
- Militärische Einsätze im Rahmen des Bündnisfalls nach Artikel V (Afghanistan-Krieg nach den Terroranschlägen vom 09.11.2001)
- Selbstmandatierte Einsätze zur Erzwingung eines politischen Verhaltens (z.B. Kosovo-Krieg 1999)
Diese Aufstellung zeigt, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Mandate gibt, mit denen eine Staatengemeinschaft einen Einsatz durchführt. Diese Optionen werden sich auch für die EU im Rahmen der PetersbergAufgaben ergeben, nicht alle erfüllen jedoch offensichtlich die hohen Anforderungen, „legitime“ Einsätze zu sein.
3.4.1. Völkerrechtliche Situation
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat seit 1990 einige
„Ermächtigungen“ ausgesprochen,[55] die Grundlage für militärische Interventionen waren. Insbesondere das Mandat an die NATO wurde legitimiert durch Art.53 ChVN,[56] nach dem regionale Einrichtungen von den VN beauftragt werden können, „Zwangsmaßnahmen“ durchzuführen; der gleiche Artikel beschränkt jedoch auch die Durchführung eigenm ä chtiger Zwangsmaßnahmen, d.h. ohne Legitimation des Sicherheitsrates der VN, so dass ein solcher Eingriff i.d.R. auf Art.51 ChVN beruht (Recht auf Selbstverteidigung).[57] Die häufige Anwendung dieses als Ausnahme gedachten Artikels birgt die Gefahr, dass das Gewaltverbot der Einzelstaaten unterlaufen wird.[58] Die zwischenstaatliche Konfrontation ist nach 1990 in den Hintergrund getreten und innerstaatliche, innerethische Konflikte und die asymmetrische Bedrohung durch nicht-staatliche Akteure sind die aktuellen Sicherheitsgefährdungen.[59] Das Völkerrecht umfasst Interventionen bei Konflikten dieser Art nicht vollständig. Es ergibt sich die Frage, ob man sich aufgrund dieses Mangels über die bestehenden Regelungen hinweg setzen darf.[60] Es tritt an dieser Stelle das Problem auf, ob es Legitimität nur durch Recht (objektives Kriterium) oder auch durch Gerechtigkeit (subjektives Kriterium) geben kann.[61] Der völkerrechtliche Aspekt wird in dieser Arbeit nicht weiter gehend behandelt, insbesondere nicht die an dieser Stelle auftretende Problematik der Rechtspersönlichkeit der EU. Die Ausführungen zu diesem Thema sollen zeigen, dass die mit der GASP/ESVP befassten Institutionen und Personen Richtlinien und Konzepte entwickeln müssen, die eine Legitimität des jeweiligen Einsatzes sicherstellen und festlegen, welche Maßstäbe an Recht und Gerechtigkeit angelegt werden sollen. Dabei ist zu beachten, dass Konflikte in naher Umgebung zum eigenen Staats- oder Unionsgebiet auf der einen Seite einen schnelleren, ggf. „selbst legitimierten“ Eingriff rechtfertigen, wenn mit Flüchtlingsströmen zu rechnen oder sogar die Stabilität der gesamten Region gefährdet ist,[62] andererseits jedoch das zwischenstaatliche Gewaltmonopol der VN auch in so einem Fall rechtlich zu berücksichtigen ist. In jedem Fall muss jedoch bei der Krisenintervention der Grundsatz gelten, dass notwendige Bedingungen solcher Militäraktionen die zeitliche Begrenzung sowie das Prinzip der Deeskalation und Verhältnismäßigkeit der Mittel sind.[63]
3.4.2. Interinstitutionelle Legitimation
„Bei Entscheidungen, die den gemeinsamen Einsatz bewaffneter Streitkräfte und damit Menschenleben betreffen, muss wie in keinem anderen Bereich die demokratische Legitimation sichergestellt sein.“[64] Das hat zur Folge, dass das Europäische Parlament stark in die Entscheidungsprozesse involviert sein muss.
Es hat jedoch nur Anhörungs- und Informationsrechte, keine Entscheidungsrechte,[65] weil die Souveränitätsabgabe in diesem sensiblen Bereich von den Mitgliedstaaten nicht gewollt wird und der Politikbereich intergouvernmental geprägt ist. Außerdem ist eine schnelle Handlungsfähigkeit gefragt, so dass parlamentarische Arbeitsweisen zu zeitintensiv sind, um sie für jede Entscheidung heran ziehen zu können.[66] Schließlich sprechen noch Gründe wie Geheimhaltungsstufen und verschiedene Rollen der nationalen Parlamente gegen eine stärkere Einbeziehung des Europäischen Parlaments in die Strukturen der ESVP. Möglichkeiten, die Rolle des Europäischen Parlaments aufzuwerten, werden in Kapitel 5.3.2 angesprochen.
3.5. Option eines gemeinsamen außenpolitischen Leitbildes
3.5.1. Sicherheits- und Verteidigungspolitische Leitlinien der EU
Die EU hat im Vertrag von Amsterdam die Petersberg-Aufgaben mit in ihr Aufgabenspektrum integriert. Obwohl 1997 noch keine militärischen Strukturen der EU bestanden, und somit die tatsächlichen Handlungsoptionen stark von den idealtypischen Vorstellungen divergierten, ergab sich für die EU damit die Möglichkeit, weltweit zu intervenieren. Vor dem Hintergrund der Legitimitätsproblematik und unterschiedlicher Einzelinteressen der Mitgliedstaaten ist es für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union sehr wichtig, ein gemeinsames Leitbild zu entwickeln, nach dem künftige Krisen bewältigt werden können. Im Bereich der ESVP ist eine schnelle, flexible und kohärente Arbeitsweise wichtig, die nur gewährleistet werden kann, wenn Grundsätze existieren, an denen sich die folgenden Entscheidungen orientieren können. Um ein solches konsensfähiges Leitbild zu entwickeln, bedarf es vielfältiger Überlegungen, von denen hier exemplarisch einige ausgeführt werden sollen.
- Reichen aufgrund der aktuellen, neuen Bedrohungen die „PetersbergAufgaben“ von 1992 aus? Der EU-Verfassungskonvent schlägt vor, Maßnahmen zur Konfliktverhütung (Frühwarnsystem), Abrüstung (Rüstungskontrolle), militärischen Beratung, Stabilisierung nach Konflikten sowie (auf Ersuchen) zur Terrorismusbekämpfung zu ergänzen, um solche Einsätze auf eine vertragliche Grundlage zu stellen.[67]
- Welche räumliche Dimension soll das Engagement zur Konfliktbewältigung haben? Der Europäische Rat von Feira hat als Anhaltspunkt einen Radius von 4000 km um Brüssel herum festgelegt, während die EU den Vereinten Nationen Unterstützung bei der Wahrung des Weltfriedens zugesagt hat.[68] Die NATO hat mit ihrer Intervention zum Schutz der Albaner im Kosovo einen nicht (von den VN) legitimierten Einsatz durchgeführt, der toleriert wurde, obwohl er völkerrechtlich bedenklich war.[69]
- Welche Instrumente (in Reihenfolge der Eskalation) werden verwendet, um einer Krise zu begegnen: Humanitäre Hilfe, Wirtschaftliche Unterstützung, Unterstützung bei Erhalt von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung von Menschenrechten, politischem
Dialog, Sanktionen, präventive Streitkräfte-Stationierung, Friedenserzwingung mit militärischen Mitteln? Es können auch mehrere dieser Optionen parallel durchgeführt werden, um das oberste Ziel, die Schaffung sowie den Erhalt von Stabilität, zu erreichen.[70]
- Welche institutionelle Zuordnung erfüllt die Anforderungen? Dabei ist der Schwerpunkt auf die Betrachtung zu setzen, inwieweit kohärenteres Handeln, mehr parlamentarische Legitimation und effizientere, supranationale Strukturen möglich sind, ohne die Souveränitätsansprüche der Nationalstaaten zu übergehen.[71] Eine denkbare Möglichkeit wäre, die Grundsatzentscheidung über einen Einsatz dem Europäischen Rat zu überlassen, die weitere Planung und Durchführung supranationalen Institutionen zu übertragen, um Kohärenz zu sichern.
- Wie wirkt sich eine mögliche Intervention aus? Bei Eingriffen in laufende Konflikte besteht die Gefahr einer „Selbstdynamik“ und damit einer Eskalation.[72]
- Wie werden Einsätze künftig finanziert?
Eine allgemeine Klärung dieser Fragen kann Handlungssicherheit verleihen, kann aber auch kritisch unter dem Hinweis betrachtet werden, dass jede Krise ihre Eigenheiten hat und somit allgemeine Konzepte nicht zutreffen.[73]
3.5.2. Zum Vergleich: Strategische Konzepte der NATO
Die Hauptaufgabe der NATO ist die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses, und nach dem Ende des Kalten Krieges kamen Konfliktverhütung, Krisenintervention, also die Petersberg-Aufgaben, und die Öffnung nach Osten hinzu. Während der Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden immer wieder neue Handlungsmuster erforderlich, um auf veränderte globale Sicherheitslagen zu reagieren, was die NATO mit der Anpassung ihrer Strategischen Konzepte umsetzte:[74]
- 1950 wurde die Forward Strategy begründet, deren Ziel eine Verteidigung war, die so weit östlich wie möglich, also auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland, ansetzte, um einen Angriff abzuwehren.
- Verursacht durch massive Aufrüstung und der damit verstärkten Blockkonfrontation versuchte die NATO ab 1954 durch Massive Retaliation (massive Vergeltung), eine maximale Abschreckung bei tragbarem Kostenaufwand zu erreichen.
- Verfeinert wurde die Strategie 1967 durch Flexible Response, die Eskalationsstufen (konventionelle Waffen Æ nukleare Kurz- und Mittelstreckensysteme Æ interkontinentale, strategische Nuklearwaffen) vorsah, um einer Krise zu begegnen
- Angepasst wurden diese Pläne erst 1999 durch das Strategic Concept, das auf dem NATO-Gipfel 1999 in Washington verabschiedet wurde und folgende Kernfunktionen der NATO festlegt:[75]
- Sicherheit: Bildung eines stabilen euro-atlantischen Umfeldes mit Bekenntnis zur friedlichen Streitbeilegung
- Konsultation: Schaffung eines transatlantischen Kommunikationsforums
- Abschreckung und Verteidigung
- Stärkung von Sicherheit und Stabilität durch
Konfliktverhütung, Krisenbewältigung, Intervention, Partnerschaft und Kooperation
Die NATO reagiert damit auf die veränderte Bedrohungslage und Gefahrenanalyse, die von weniger bedrohten Territorien bei größerer Sicherheits- und Stabilitätsgefährung des euro-atlantischen Raumes und stärkerer Belastung durch den internationalen Terrorismus ausgeht, insgesamt also von einer unübersichtlicheren Lage als vor 1990.[76] Sie hat damit die normative Grundlage für ihr Handeln geschaffen, auf deren Basis sie Operationen durchführen kann.[77]
Für die EU ist ein vergleichbarer Schritt durchaus denkbar, und wie oben gezeigt, für die Wahrnehmung der Petersberg-Aufgaben, auch erforderlich.
4. ENTWICKLUNG VERTEIDIGUNGSPOLITISCHER STRUKTUREN
Die Geschichte der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist so alt wie die europäische Integration selbst. Um die aktuellen Entwicklungen und Institutionensysteme verstehen zu können, ist es erforderlich, den Prozess der Entstehung europäischer Verteidigungspolitik zu betrachten, wobei die vorliegende Arbeit sich auf den Verlauf nach dem Zweiten Weltkrieg und auf die wesentlichen Entwicklungen beschränkt, da eine genaue Analyse der Geschichte der verteidigungspolitischen Integration über den Rahmen dieser Arbeit hinausgeht. Insbesondere aber wird deutlich, dass die europäischen Prozesse im sicherheitspolitischen Kontext nicht losgelöst von der NATO betrachtet werden können.
4.1. Erste Bündnisstrukturen nach dem 2.Weltkrieg
Der Beginn der Debatte über die Integration der Nachkriegs-Europa kann auf den 19.09.1946 datiert werden, als Winston Churchill in seiner „Züricher Rede“ die Gründung der „Vereinigten Staaten von Europa“ anregte.[78] Insbesondere die verteidigungspolitische Integration ist ausschließlich ein „Relikt der Nachkriegsordnung“.[79] In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre bestand die Konzentration der Verteidigungspolitik darin, sich vor einer Wiederbewaffnung oder eines Angriffs Deutschlands zu schützen. Vor diesem Hintergrund schlossen Großbritannien und Frankreich im D ü nkirchener Vertrag einen Zweierbund, der die gegenseitige Beistandspflicht im Falle einer Wiederaufnahme deutscher Angriffspolitik zur Folge hatte. Doch die Bedrohungslage verschob sich und so schlossen am 17.03.1947 Frankreich und England sowie die Benelux-Staaten den Br ü sseler Pakt, auch Westunion genannt, um sich vor der wachsenden Bedrohung durch kommunistische Staaten zu schützen.
Durch die Gründung der NATO am 04.04.1949 wurde anschließend die Voraussetzung für die Einbindung der USA geschaffen.[80] Die Staaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Portugal, USA gründeten auf Grundlage des Art.51 ChVN das kollektive Verteidigungsbündnis, dem 1952 Griechenland und die Türkei, 1955 die Bundesrepublik, 1982 Spanien und 1999 Polen, Tschechien und Ungarn beitraten. Kern der Vereinbarungen bildet die gegenseitige Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs auf eines der Mitgliedstaaten (Art.V des NATOVertrages).
Dieses Bündnis wurde 1954 ergänzt durch die Umwandlung des Brüsseler Pakts in den Br ü sseler Vertrag, der die Grundlage der Westeuropäischen Union (WEU) darstellt.[81] Ziele waren die Wiederbewaffnung Deutschlands bei gleichzeitiger Rüstungskontrolle sowie die Sicherheit Europas durch ein kollektives Verteidigungsbündnis und, durch Verzicht auf eigene militärische Strukturen, Vermeidung von Duplizierungen mit der NATO.[82] Durch die Londoner Neunm ä chtekonferenz (02.10.1954) sowie die Pariser Vertr ä ge (23.10.1954) wurden die Weichen für einen Beitritt Deutschlands und Italiens zum Brüsseler Vertrag und zur NATO gestellt.[83] Die gegen Deutschland gerichteten Grundgedanken wurden zugunsten der Förderung der Einheit Europa ersetzt, Deutschland verpflichtete sich im Gegenzug auf umfangreiche militärische Beschränkungen. Die Rolle der WEU blieb der der NATO bis Mitte der 1980er Jahre untergeordnet.[84]
Mit dem Ziel der kontrollierten Wiederbewaffnung Deutschlands arbeitete der französische Ministerpräsident René Pleven einen Plan aus, der eine supranational organisierte, europäische Armee zum Inhalt hatte, die einem europäischen Verteidigungsminister unterstehen und in die alle deutschen Truppen vollständig integriert werden sollten.[85] Damit wäre dem französischen Interesse an der Kontrolle der deutschen Wiederbewaffnung, dem amerikanischen an einer Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich sowie dem deutschen an Sicherheitsgarantien durch die Westmächte Rechnung getragen worden. Auf Grundlage dieses Plans wurde das Konzept der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) erstellt, die den Kern einer Europäischen Politischen Union bilden sollte. Diese Konzeption scheiterte am 30.04.1954 in der Pariser Nationalversammlung, vor allem deshalb, weil Frankreich einen großen, auch nuklearen Souveränitätsverlust befürchtete. Auf die sonstigen Debatten, die im Zusammenhang mit diesem Konzept standen (z.B. die Wiederbewaffnung Deutschlands, der Indochina-Krieg Frankreichs, die Saarfrage, Integrationsvorbehalte Großbritanniens, u.v.m.), kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden.
In den frühen 1960er Jahren erarbeitete der Franzose Christian Fochet Pläne einer konföderativen politischen Union aus, die sich durch Intergouvernmentalität auszeichnen sollten; sie scheiterten an der Sorge vor dem Verlust der integrativen Wirkung der EWG und EURATOM sowie aus dem Interesse, die führende verteidigungspolitische Rolle der USA zu wahren.
4.2. Die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)
1970 wurden erstmals offizielle Kooperationsstrukturen in der Außenpolitik gebildet, die als „zaghafter und selektiver“[86] Versuch zu beurteilen sind. Es fanden dabei regelmäßige, informelle Treffen mit dem Ziel statt, gegenseitiges Verständnis zu fördern und Solidarität zu stärken. Die EPZ grenzte sich klar von den bestehenden wirtschaftlichen Strukturen ab, um den dortigen Integrationsprozess nicht zu gefährden, so bot sie einen Rahmen für Annäherung und Dialog.
Die Diskussionen um den NATO-Doppelbeschluss[87] Anfang der 1980er Jahre 1984 belebten die Bestrebungen einer europäischen Verteidigungspolitik, die ihre Entsprechung im ersten Treffen der Außen und Verteidigungsminister der WEU fanden, um dem Bündnis neue Bedeutung zu verschaffen. Mit der Einheitlichen Europ ä ischen Akte (EEA) wurde die EPZ 1986 auf eine vertragliche Grundlage gestellt.[88] Die
„ Haager Plattform Europ ä ischer Sicherheitsinteressen “ (1987) war von Bedeutung für die Entwicklung der neuen Rolle der WEU.
4.3. Gründung und Aufbau der GASP nach Maastricht
Die 1990er Jahre waren geprägt von der Auflösung der Blockkonfrontation, dem Zusammenbruch der UdSSR, dadurch stärkerer Globalisierung und Unübersichtlichkeit durch eine steigende Anzahl staatlicher Akteure. Die territoriale Bedrohung für Europa bestand nicht mehr, was die Ausweitung des sicherheitspolitischen Interesses (geographisch und inhaltlich) ebenso zur Folge hatte wie Reduktion von Verteidigungsetats und Rüstungsabbau. An die Stelle von Konfrontation und Abschreckung traten nun Dialog und Intervention (z.B. Jugoslawienkriege, Golfkrieg 1991, Somalia, Kambodscha, u.v.m.). Hier zeigte sich oft die militärische Handlungsunfähigkeit der Europäischen Union. Vor dem Hintergrund dieser, hier nur kurz umrissenen neuen Herausforderungen, stellte sich für die EU die Frage, wie diesen zu begegnen sei. Dabei bezieht sich die Notwendigkeit politischer Neugestaltung auf zentrale Bereiche, wie die normative Frage, ob ein regionaler oder globaler Ansatz zur Krisenbewältigung gewählt wird, wie sich das interinstitutionelle Verhältnis NATO, EU, WEU, OSZE, VN darstellt und welcher institutionelle Ansatz der Europäischen Union gewählt werden kann.[89]
Ähnliche Fragen ergaben sich auch für die NATO, die nach dem Verlust ihrer genuinen Funktion, der kollektiven Verteidigungsfähigkeit, neue Aufgaben gesucht hat. Ihr gelang die Umorientierung, die Umstellung von Konfrontation auf Dialog und Intervention durch Kooperation mit ehemaligen Gegnern[90] sowie der Übernahme von Petersberg-Aufgaben.[91]
Die bis dahin praktizierte Arbeitsteilung, nach der das Bündnis für die äußere Sicherheit garantiert, während die europäische Integration sich auf wirtschaftliche Bereiche bezieht, konnte nicht mehr fortbestehen.[92] Stattdessen wurden neue Formen der Zusammenarbeit gesucht, z.B. die Ausgestaltung der ESVI auf dem Gipfeltreffen der NATO in Berlin 1996 (vgl. 8.5), auf Basis der Gründung des CJTF-Konzeptes (vgl. 8.4.1).
Die Europäische Union reagierte auf die neue Situation auf dem Gipfel von Maastricht (10.12.1991), dessen Vertrag am 1.11.1993 in Kraft trat und die formale Gründung der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) beinhaltete. Auch vor dem Hintergrund, Gesamtdeutschland zu integrieren, verbunden mit dem Interesse v.a. Frankreichs, das wiedervereinigte Deutschland nicht zu stark werden zu lassen, wurde im Vertrag zur Begründung der EU die GASP[93] als „Zweite Säule“ mit intergouvernmentalen Strukturen, sozusagen als Ausbau der EPZ, verankert.[94] Im Bereich der Verteidigungspolitik wuchs die Bedeutung der WEU, die von der EU zur Durchführung militärischer Operationen „ersucht“ werden konnte,[95] und somit sowohl zum militärischen Arm in der EU als auch zum europäischen Pfeiler in der NATO wurde. Auch die operativen Fähigkeiten sollten durch Kräfte gestärkt werden, die von Mitgliedstaaten der WEU zur Verfügung gestellt wurden („ Forces Answerable to WEU “ , FAWEU), allerdings unter Beibehaltung der Souveränität der Staaten über ihre Einheiten.[96] Nach dem WEU-Ministerrat von 1997 in Erfurt erfolgte eine institutionelle Erweiterung der WEU, die den Strukturen der ESVP Anhalte gaben.[97] Deutschland, Frankreich und Italien signalisierten schon 1991 die Bereitschaft zu eigenen, militärischen Kapazitäten der EU, die USA sowie England und auch Dänemark befürchteten aber eine Aushöhlung der Rolle der Vereinigten Staaten in Europa.
Die Regierungskonferenz von Amsterdam (02.10.1997) mit dem daraus resultierenden Vertrag, der am 01.05.1999 in Kraft trat, fand unter dem Eindruck mangelnder Handlungsfähigkeit im Balkan-Konflikt statt.[98] Die EU legte die Grundlage für die Übernahme größerer Verantwortung in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch Schaffung neuer Regelungen für die GASP:[99]
- Gründung einer „Strategieplanungs- und Frühwarneinheit“ (vgl. 5.2.11)
- Schaffung des Instruments der „Gemeinsamen Strategie“ (vgl. 6.1.2)
- „Troika“ als EU-Außervertretung (vgl. 5.4.)
Auch mit der ESVP befasste sich der Amsterdamer Vertrag:[100]
- Einstimmigkeitsregelung bei ESVP-Entscheidungen wird explizit festgelegt
- Leitlinienkompetenz der Europäischen Rates gegenüber der WEU wird fixiert; die WEU kann nun von der EU „in Anspruch genommen“ und nicht mehr „ersucht“ werden, was die Stärkung der Bedeutung der EU gegenüber der WEU zeigt, ohne der WEU vollständig die Kompetenzen zu entziehen
- Übernahme der Petersberg-Aufgaben durch die EU; die EU will sich zunehmend eine aktive Rolle in der internationalen Sicherheitspolitik sichern
Der Vertrag von Amsterdam bot einige institutionelle Fortschritte, aber „eine substanziell handlungsfähigere GASP ist auch nach Amsterdam
[...]
[1] Elisabeth Guigou zitiert in Anl. an MÜLLER-BRANDECK-BOCQUET, G., 2002, 9 (16). 3
[2] Die sicherheitspolitische Analyse der Balkan-Konflikte ist zu komplex, um hier näher darauf einzugehen.
[3] Vgl. FRÖHLICH, S., 2002, S. 3.
[4] Vgl. PATTEN, C., in: Integration 01/2000, 7 (9).
[5] Ebenda.
[6] Vgl. FRÖHLICH, S., 2002, S. 37.
[7] Vgl. ALGIERI, F., 2002, 585 (597).
[8] SCHMIDT, H., 2000, S.71. Schmidt tätigte die Aussage schon vor dem Irakkrieg.
[9] Vgl. CLEMENT, R., in: Europäische Sicherheit 05/2003, 7 (7f.)
[10] Ebenda.
[11] Vgl. Europäischer Konvent: Schlussbericht der Gruppe VIII Verteidigung, Ziffer 45
http://register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/00461d2.pdf, (letzter Aufruf 04.07.2003).
[12] Vgl. SCHMIDT, H., 2000, S.34ff.
[13] Vgl. FUNKE, R., in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden 02/2002, 85 (85). 6
[14] Ebenda, S. 19.
[15] Vgl. FÖHRENBACH, G., in: Europäische Sicherheit 04/2003, 7 (7).
[16] SOUCHON, Lennart: Europäische Sicherheitspolitik und Strategie im Umbruch, in: FORNDRAN, E., LEMKE, H.D.: Sicherheitspolitik für Europa zwischen Konsens und Konflikt, 1999, in Anl. an FABISCH, G., 1999, S.21.
[17] Vgl. FABISCH, G., 1999, S.20.
[18] Vgl. FUNKE, R., in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden 2/2002, 85 (85ff.).
[19] Ebenda.
[20] Ebenda.
[21] Schwarz, K.-D. (1981), Sicherheitspolitik, Bad Honnef, 1981, S.11, in Anl. an FABISCH, G., 1999, S.21.
[22] Vgl. FABISCH, 1999, S.21f.
[23] Vgl. Ebenda, S.17.
[24] Ebenda.
[25] Vgl. CZEMPIEL, E.-O., 2002, S.78.
[26] Vgl. KREFT, M., 2002, S.25.
[27] Vgl. FABISCH, G., 1999, S.18.
[28] Ebenda, S.25.
[29] Vgl. KREFT, M., 2002, S.25.
[30] Vgl. CZEMPIEL, E.-O., 2002, S.52.
[31] Vgl. FABISCH, G., 1999, S.27.
[32] EUV, Präambel, http://europa.eu.int/eur-lex/de/treaties/dat/EU_consol.pdf (letzter Aufruf am 08.07.2003).
[33] ERHART, H.-G., in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden 2/2001, 50 (50).
[34] Ebenda.
[35] EUV, a.a.O, Präambel.
[36] EUV, a.a.O., Art.11.
[37] Siehe zu den Zielen der GASP auch Europäischer Konvent: Schlussbericht der Gruppe VII Außenpolitisches Handeln, S.3
http://register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/00459d2.pdf (letzter Aufruf am 16.07.2003).
[38] Vgl. HUBER, R., in: Europäische Sicherheit 04/2002, 45 (48).
[39] SCHARPING, R., in: Europäische Sicherheit 01/2002, 14 (16): „Die europäische Stimme wird in der Welt entweder gemeinsam gehört oder sie wird überhört werden.“
[40] Vgl. ARNOLD, H, in: Das Parlament B 24/2002 vom 14.6.2002, 22 (27).
[41] FRÖHLICH,S., 2002, S.3.
[42] Vgl. JOPP, RECKMANN, REGELSBERGER, in: Integration 03/2002, 230 (230). Vgl. auch KREFT, M., 2002, S.21.
[43] Vgl. JOPP, RECKMANN, REGELSBERGER, in: Integration 03/2002, 230 (231).
[44] PRADETTO, A. in: Das Parlament B 24/2002 vom 14.6.2002, 12 (15).
[45] Vgl. MEIERS, F.-J., 2000, S.7.
[46] PRADETTO, A. in: Das Parlament B 24/2002 vom 14.6.2002, 12 (15).
[47] Vgl. MEIER, ROßMANITH, SCHÄFER, 2003, S.310.
[48] Vgl. Ebenda, S.109.
[49] Vgl. Ebenda, S.164.
[50] Vgl. Ebenda, S.329.
[51] Vgl. Ebenda, S.129.
[52] Vgl. Ebenda, S.190.
[53] Vgl. Vgl. Europäischer Konvent: Schlussbericht der Gruppe VIII Verteidigung, Ziffer 51, a.a.O.
[54] Vgl. PRADETTO, A., in: Das Parlament B 24/2002 vom 14.6.2002, 12 (12).
[55] Beispielsweise: USA im Irak, Russland in Georgien, USA in Somalia, Frankreich in Ruanda, NATO in Bosnien-Herzegowina. Vgl. MEYER, B., 2001, S.363.
[56] Abrufbar unter http://www.uno.de/charta/charta.htm (letzter Aufruf am 04.07.2003).
[57] Zum Beispiel bediente sich die USA im Golfkrieg 2003 dieser Argumentation 15
[58] Vgl. MEYER, B., 2001, S.364.
[59] Vgl. FRÖHLICH,S., 2002, S.34.
[60] Ebenda.
[61] Vgl. FISCHER, K., in: Europäische Sicherheit 05/2003, 9 (9).
[62] Vgl. MEYER,B., 2001, S.367.
[63] PRADETTO, A., in: Das Parlament B 24/2002 vom 14.6.2002, 12 (15). 16
[64] KREMER/SCHMALZ, in: Integration 02/2001, 167 (172).
[65] Vgl. MITTAG, J., in: Integration02/2003, 152 (153).
[66] Ebenda, 152 (157).
[67] Vgl. Europäischer Konvent: Schlussbericht der Gruppe VIII Verteidigung, a.a.O.
[68] Vgl. FRISCH, T., in: Europäische Sicherheit 02/2002, 7 (9).
[69] Vgl. FRÖLICH, S., 2002, S.33f.
[70] Vgl. ERHART, in: Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden 02/2001, 50 (52). 18
[71] Vgl. KREMER/SCHMALZ, in: Integration 02/2001, 167 (174).
[72] Der Eingriff der internationalen Gemeinschaft zugunsten Bosnien-Herzegowinas gegen Serbien in den 1990er Jahren „ermutigte“ Albaner, ebenfalls Gewalt gegen Serben auszuüben. Vgl. PRADETTO, A., in: Das Parlament B 24/2002 vom 14.6.2002, 12 (15).
[73] Vgl. SCHMIDT, H., 2000, S.187 .
[74] Vgl. MEIER, ROßMANITH, SCHÄFER, 2003, S.275ff. Ebenda auch genauere Ausführungen zu den Strategien.
[75] Vgl. „Das Strategische Konzept des Bündnisses“ in: Bulletin der Bundesregierung Nr. 24 vom 03.05.1999.
[76] Vgl. MEIER, ROßMANITH, SCHÄFER, 2003, S.259.
[77] Vgl. PRADETTO, A., in: Das Parlament B 24/2002 vom 14.6.2002, 12 (12). 20
[78] Vgl. GEHLER, M., 2002, S.80.
[79] FABISCH, G., 1999, S.23.
[80] Vgl. zum Entstehen der NATO und des Brüsseler Vertrages: VARWICK, WOYKE, 2000.
[81] Vgl. GEHLER, M., 2002, S.80.
[82] Vgl. FABISCH, G., 1999, S.41f.
[83] Vgl. MEIER, ROßMANITH, SCHÄFER , 2003, S.306.
[84] Vgl. zu Entwicklung der WEU: SCHELL, P., 1991.
[85] Vgl. FABISCH, G., S.39.
[86] MÜLLER-BRANDECK-BOCQUET, G., 2002, 9 (9)
[87] Ministerratsbeschluss vom 12.12.1979 über die Modernisierung nuklearer Mittelstreckenraketen bei gleichzeitigem Angebot an die Sowjetunion, über Rüstungskontrolle zu verhandeln. Vgl. MEIER, ROßMANITH, SCHÄFER , 2003, S.266.
[88] Vgl. THIEL, E., 1999, S.150.
[89] Vgl. dazu FABISCH, G., 1999, S.78-83
[90] z.B.:
[91] Ebenda, S.84.
[92] Ebenda, S.98.
[93] Art. J4, Abs.1 Vertrag von Maastricht.
[94] Vgl. MÜLLER-BRANDECK-BOQUET, G., 2002, 9 (9) .
[95] Art. J4, Abs.2 Vertrag von Maastricht.
- Gründung des NATO-Kooperationsrates (NAKR)
- Abschluss der NATO-Russland-Grundakte mit dem Ziel, Mechanismen für Konsultationen und Zusammenarbeit mit dem neuen Partner Russland zu entwerfen; vgl. dazu MEIER, ROßMANITH, SCHÄFER, 2003, S.274.
- 1994 Gründung des Programms „Partnership for Peace“ (PfP), das vertiefte Beziehungen im militärischen Bereich mit den osteuropäischen Teilnehmerstaaten (durch gemeinsame Planungen, Ausbildung, Übungen, u.v.m.) mit dem Ziel der Durchführung gemeinsamer Operationen von NATO- und PfP-Staaten) beinhaltet. Vgl. dazu MEIER, ROßMANITH, SCHÄFER, 2003, S. 308 sowie CZSCHEMPIEL, E.-O., 2002, S.86-87.
- Erweiterung des Bundnisses nach Osten: 1999 Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns; auf dem Gipfel in Washington im Mai 1999 wurde die Bereitschaft für eine weitere Ost-Erweiterung erklärt und ein Aktionsplan für die Kandidaten erstellt.
[96] Vgl. Teil II der Petersberger Erklärung des WEU-Ministerrates vom 19.06.1992, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr.68 vom 23.06.1992, 649 (651)
[97] Vgl. Erklärung des WEU-Ministerrates vom 18.11.1997, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr.96 vom 03.12.1997, 1229 (1232)
[98] Vgl. MÜLLER-BRANDECK-BOQUET, G., 2002, 9 (10) .
[99] Vgl. WEIDENFELD, W., 1998, S. 46-47.
[100] Ebenda.
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