Der Stellenwert islamischer Autorinnen und Autoren in der postkolonialen Literatur


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2012

17 Seiten


Leseprobe


Der Stellenwert islamischer Autorinnen und Autoren
in der postkolonialen Literatur

Die Rolle islamischer Autorinnen und Autoren im gegenwärtigen englischsprachigen Roman kann als ambivalent angesehen werden. Zum einen schreiben sie aus der Perspektive von Moslems, zum anderen als englischsprachige Schriftsteller mit Migrationshintergrund. In dieser Grundkonstellation erweisen sich diese Romane einerseits als eine (späte) literarische Reaktion auf koloniales Schreiben, andererseits aber auch als eine (moderne) Variante postkolonialer Literatur. Das Schlagwort „postkoloniale Literatur“ unterliegt generell einer schwierigen Kategorisierung, da es im Zusammenhang mit mehreren gesamtgesellschaftlichen, politischen und literarischen Entwicklungen gesehen werden muss. Man kann ihm deshalb durchaus Prozesscharakter zuordnen.[1] Von der Bestimmung des Begriffs als solchem ausgehend, kann die postkoloniale Literatur zunächst in Verbindung mit dem Ende des britischen Kolonialismus beziehungsweise dem Empire sowie der gesamten europäischen imperialen Aggression gesehen werden. Die literarische Reaktion fungierte in diesem Zusammenhang als starkes Medium, um all diejenigen Erfahrungen aufzuarbeiten, die von den vorherrschenden gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Gegebenheiten vorgegeben wurden. Hierunter zählen die beiden erwähnten Kräfte eines Kolonialismus und Imperialismus, sowie das moderne Phänomen der Globalisierung (Shoat, 1992, S.31/32; 103; Childs/Williams, 1997, S.1-3; Walder, 1998, S.1-6; Erll/Nünning, 2008; Erll/Rigney, 2009).

Said (1994) betont in diesem Zusammenhang vor allem die Rolle der Intellektuellen, die sich gegen die permanente Machtausübung des Westens gegenüber anderen Kulturen wehren sollen. Für ihn geht es dabei um die Frage, wie viel Macht in einer Kultur steckt, wie es um Machtausübung und Machtmissbrauch in einer Gesellschaft steht und wie in diesem Spannungsfeld die Rolle der Intellektuellen zu sehen ist.[2] Said(1994) schneidet hier eine zentrale Thematik in der Darstellung „Islam und Westen“ an, die auch die Arbeit islamischer Autoren prägt. Wenn wir von dem Eigenen ausgehen, um das Fremde oder andere zu verstehen, dann stellt sich die Frage, ob das Eigene nicht Ethnozentrismus ist. Der (westliche) Orientalismus als wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Orient unterwirft einen fremden Kultur- und Religionsraum eigenen Deutungsschemata und Wertmaßstäben. Das Resultat war (und ist) eine Herabsetzung der fremden Kultur, um die eigene zu erhöhen. Ethnozentrismus mündet allzu oft in Imperialismus oder Rassismus (Said, 1978, S.3;204). Man sollte aber einen Schritt weiter gehen und auf diejenigen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Veränderungen hinweisen, die parallel zum historischen Ende des Empire enorme Auswirkungen auf die neue kulturelle Tätigkeit vieler afrikanischer oder asiatischer Autoren hatten (Mohamed, 1985, S.1). Beschränkte sich diese literarische Eigenständigkeit zunächst auf das eigene Land im Zusammenhang mit den Kolonialerfahrungen (King, 1980, S.31-39; 48), so entwickelte sich im Zuge der zunehmenden Migration und Globalisierung eine bereits erwähnte literarische Verlagerung ins Mutterland England.[3]

Spätestens Anfang der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts vollzog sich ein neues literarisches Gefühl“[…] when Third World intellectuals have arrived in First World academe“ (Dirlik, 1994, S.329). Dieses intellektuelle Ankommen in Großbritannien hat bis heute angehalten und befindet sich in einer permanenten Weiterentwicklung, über die Childs/Williams (1997) sagen:

“As we have already pointed out in this section, postcolonial can in no sense be regarded as a fully achieved state“ (ebd., S.7).

Die Forschung unterscheidet terminologisch die Begriffe „koloniale“, „anti-koloniale“ und „postkoloniale“ Literatur. Die Dreiteilung sollte jedoch keiner allzu strengen Trennung unterzogen werden, da die Übergänge fließend sind und durch Begriffe wie „Migrationsliteratur“ oder „neuere englische Literatur“ ergänzt werden.[4] Die theoretische Aufarbeitung dieser drei Unterscheidungen geschieht meist unter dem Schlagwort „postkoloniale Theorie“. Hierunter versteht man die in den70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts vorgestellten Untersuchungen, die sich mit der literarischen Aufarbeitung des Orients durch den Westen beschäftigten.

Das literarische Ergebnis war zunächst eine Demontage der alten, künstlich konstruierten Vorstellung der Kolonien und Kolonialvölker unter der imperialistischen Ideologie als reinem Unterdrückungsinstrument. Es ist das Verdienst der postkolonialen Kritik dieser Zeit, deutlich zu machen, dass die durch den britischen Imperialismus implantierten Werte kultureller und religiöser Art Stereotype und Mythen waren.[5]

Die Grundlage dieses Mythos lag zum einen in der militärischen Eroberung, zum anderen in dem dann verstärkt einsetzenden Imperialismus und seiner militärischen, kulturellen und religiösen Rechtfertigung sowohl in den Kolonien als auch im Kernland Großbritannien. Hauptargumente waren u.a., dass Europäer eine überlegene Rasse darstellen, Kolonien und England voneinander profitieren und Kolonialdienst selbstlose christliche Nächstenliebe verkörpere.

[...]


[1] Die Vorsilbe "post" bedeutet keine Überwindung des Kolonialismus und ist bis heute Gegenstand kontrovers geführter Debatten (vgl. u. a. Mayanja, 1999, S.37-55; Ashcroft/Griffiths/Tiffin, 2000, S.187 ff.). Auffallend ist im Zusammenhang mit der Diskussion in der postkolonialen Literatur der Hinweis auf die Bedeutung des Begriffs „hybrid“. Zum Zugang von hybriden Texten aus einem translationswissenschaftlichen Blickwinkel betrachtet vgl. Schäffner/Adab (2001). Zur Bedeutung des Hybriditätsbegriffs im linguistischen, politischen und rassistischen Zusammenhang vgl. u.a. Ashcroft/ Griffiths/Tiffin, 2000,S.279. Zur Kritik am Begriff „postkolonial“ in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts vgl. Slemon, 1995, S.7; Huggan, 2001, S.279. Bakhtin (2002) sieht diesen hybriden Ansatz für Literatur im Allgemeinen und für den Roman im Besonderen, wenn er sagt: “Every novel, taken as the totality of all the languages and consciousnesses of language embodies in it, is a hybrid” (ebd., S.237).

[2] Zur Kritik an Said s. bes. MacKenzie (1995); vgl. auch Hanna (2009).

[3] Dort erfolgte durch diese Autorengruppe eine Komplettierung der klassischen Themen, wie race, gender, class durch religion und (wie bei farbigen Schriftstellern) eine Betonung des Aspektes location durch den Handlungsort einer Global City (Procter, 2003; Cuevas, 2008; Rupp, 2010). Schabert (2006) spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls von einer enormen literarischen Aktivität und Kreativität der Vertreter dieser Immigrantenliteratur, die zunächst wegen der großen Anzahl afrikanischer Autoren unter dem Schlagwort „Black“ subsumiert wurden. Schabert stellt ebenfalls fest, dass die meisten Erstlingswerke dieser Autorengruppen autobiografisch waren; Hauptthemen waren Anpassungsschwierigkeiten basierend auf unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen im Mutterland England. Seit Neuestem ist ein Trend zur Beschreibung des Lebens in England festzustellen (ebd., S.379/380). Stein (2004) betont im Zusammenhang mit den Schlagwörtern „Black Literature“ und „Asian British“ die Bedeutung der Veränderung der Protagonisten und der sie umgebenden englischen Gesellschaft. Im dritten Kapitel vertieft er diese Idee von der Konzeption des Bildungsromans herkommend dahingehend, dass es für die Hauptpersonen keine Rückkehr ins Mutterland geben kann. Zentraler Begriff für Stein ist in Anlehnung an den Hybriditätsbegriff eine „postcolonial polyphony“ (ebd., S.14). Anzumerken bleibt, dass der Migrationsbegriff in der Forschung zusehends durch die Bezeichnung „Exil“ ersetzt wird. Für farbige Autoren scheint der Begriff cultural memory eine zentrale Rolle einzunehmen (Rupp, 2010). Zur weiteren Analyse der Begriffe memory und identity im gegenwärtigen englischen Roman vgl. Birke (2008).

[4] Das Schlagwort „postkolonial“ kann aber als Reaktion und Folge von Kolonialismus angesehen werden. Kolonialismus selbst beschreibt diejenige Zeitspanne, die die wirtschaftliche und kulturelle Ausbeutung der europäischen Kolonialländer in ihren Kolonien abdeckte. Dieser Zeitraum war gekennzeichnet durch die Gegensätze von Ausbeutung der verschiedensten Art. Um die wirtschaftliche und kulturelle Ausbeutung zu legitimieren, kam das Schlagwort von der Bürde des weißen Mannes auf. Kipling trifft den Nerv der Zeit mit seinem Gedicht The White Man's Burden(1899). Hier kulminiert die Theorie der Polarität zwischen gebildeten weißen Gebenden und ungebildeten und ungehorsamen Wilden. Das Resultat war eine europäische Interpretation von Kultur, Politik und Religion in den Kolonien. Historiker benutzen den Begriff „postkolonial“ als chronologische Entwicklung für den Zeitraum nach der Entkolonisierung. Nichtsdestoweniger wurde diese Terminologie seit den späten 70er Jahren des letzten Jahrhunderts von Literaturkritikern vermehrt dazu benutzt, um die kulturellen Auswirkungen von Kolonisation sowie deren politische und linguistische Konsequenzen zu beleuchten. Postkoloniale Literatur ist somit ein Produkt ehemaliger Kolonialländer oder deren sprachliches Resultat . Unter „kolonialen“ Autoren werden zum Beispiel Joseph Conrad, Rudyard Kipling, Somerset Maugham, Lawrence Durell oder Joyce Cary mit Teilen ihrer Werke subsumiert. Zu den „antikolonialen“ Vertretern zählt die Forschung u.a. Chinua Achebe oder Ngugi wa Thiong`o, zu den „postkolonialen“ Vertretern Qaisra Shahraz, Hanif Kureishi oder Salman Rushdie. Die Begriffe „Kolonialismus“ und „Postkolonialismus“ spielen, unterschwellig betrachtet, eine tragende Rolle in vielen modernen Romanen, da diese ohne die Erfahrung und Beschreibung von Kolonialisierung und postkolonialen Entwicklungen nicht hinreichend verstanden werden können. Denn “postcolonialism is both the aftermath and the reaction against colonialism” (Whitla, 2010, S.306). Die literarische Nähe dieser beiden Begriffe, ist durch das Bemühen gekennzeichnet, eine andere Perspektive des Erzählens einzubringen, über die Khair (2009) zutreffend, wenn auch einschränkend, sagt:“But again and again, postcolonialism runs into the problem of narrating otherness“ (ebd., S.147). Die Vielfalt dieser Beschreibung des anderen reicht dabei von den Themen „Geschlecht“, „Sexualität“, „Rasse“, „Kultur“, „Klasse“, „Nationalität“ oder „Religion“hin zu einer Mischung dieser Themenfelder (Edwards, 2008, S.1; 132; 171). Das Ergebnis dieser Analyse kolonialer und postkolonialer Existenz ist die Beschreibung von Menschen, deren Leben gerade den westlichen Leser zum Nachdenken anleiten möchte, denn “… postcolonial life-writing may prove equally useful in teaching the West a more credible and crediable conception of its place in the contemporary world“ (Moore-Gilbert, 2009, S.130),

[5] Diese Mythen zeigen sich vor allem im westlichen Bild des Orients, das ein Konstrukt von Romantik, Exotik und Abenteuer war. Islamisch geprägte Autorinnen und Autoren kehren dieses Bild um und verweisen darauf, dass Islam und Islamismus eine beträchtliche Rolle in der modernen politisch- intellektuellen Kultur einnehmen und damit Teil unserer Welt sind (Said, 1995, S.91; vgl. auch Said, 1978; Bhabha, 1994). Als Produkt des “cultural transfer” (Mitchell, 1995a, S.475) steht diese Gruppe zwischen den schwach gewordenen imperialen Mächten und deren ehemaligen Kolonien, und die Pole ihres Schreibens rangieren zwischen Widerstand und Repräsentieren. Dabei verweisen sie auch auf die Diskrepanz des Selbstbildes Europas als tolerantem multiethnischem Staatenverbund und seinen Anspruch mit ethnischer Diskrepanz umzugehen (Hutchinson, 1996, S.375).

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Details

Titel
Der Stellenwert islamischer Autorinnen und Autoren in der postkolonialen Literatur
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V199485
ISBN (eBook)
9783656257585
Dateigröße
27383 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
stellenwert, autorinnen, autoren, literatur
Arbeit zitieren
Matthias Dickert (Autor:in), 2012, Der Stellenwert islamischer Autorinnen und Autoren in der postkolonialen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199485

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