Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Fauststoff
2.1. Merkmale der Faust-Figur
2.2 Englischsprachige Faustdichtungen
3. Faustische Motive in „The Picture Of Dorian Gray“
3.1 Dorian Gray und Faust
3.2 Lord Henry Wotton/Mephisto und Basil Hallward/Gott
3.3 Dorian/Sibyl und Faust/Gretchen
4. Unterschiede zum Fauststoff
4.1 Genussstreben statt Erkenntnissuche
4.2 Der Pakt mit dem Teufel für die ewige Jugend
5. Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Die Faust-Geschichte ist ein ‚Schlüsselmythos der Neuzeit‘. Laut Ian Watt sind Faust, Don Quijote, Don Juan und Robinson Crusoe […] die Gestalten der neuzeitlichen Literatur, die besonders eindrucksvoll wichtige Aspekte des modernen Individualismus verkörpern.“[1]
Diese Behauptung soll anhand Oscar Wildes ‚The Picture of Dorian Gray‘ und Goethes ‚Faust‘ überprüft werden. Die Arbeit soll klären, inwiefern Dorian Gray „faustisch“ ist und in welchem Ausmaß man Goethes Faust als Dekadent bezeichnen könnte. Des Weiteren werden auch andere Figuren der Werke verglichen und mögliche Parallelen gezogen. Beispielweise wird untersucht in wie weit Lord Henry Wotton und Mephistopheles einen vergleichbaren Einfluss auf die Protagonisten ausüben oder ob Basil Hallward und Goethes Darstellung von Gott Gemeinsamkeiten in den Stücken aufweisen. Die Analyse der Berührungspunkte führt zu den Unterschieden. Es soll aufgezeigt werden, was die beiden Werke verbindet und was sie voneinander trennt, und inwiefern sich die Handlung, der Aufbau und die Figuren entsprechen oder unterscheiden.
2. Der Fauststoff
2.1. Merkmale der Faust-Figur
Der Begriff des „Faustischen“ unterliegt einer Entwicklung, die dem heutigen Literaturwissenschaftler die Benutzung, auf Grund der unüberschaubaren Bedeutungsentstehung, erschwert.[2] Somit muss vorangestellt werden, „[…] daß der Begriff des „Faustischen“, falls man ihn durchaus verwenden will, immer abhängig bleibt von der jeweiligen Interpretation und kein vorgegebener Allgemeinbegriff sein kann […]“[3]. Das „Faustische“ meint in dieser Arbeit die Eigenschaften Fausts in Goethes Tragödie. Im Folgenden soll geklärt werden, was „faustisch“ an Faust ist und inwiefern diese Eigenschaften in anderen Helden wieder zu finden sind.
Goethes Faust möchte wissen „[…] was die Welt/ Im Innersten zusammenhält, […]“[4] und erkennt, dass er trotz Anhäufung allen, zu dieser Zeit denkbaren, Wissens dieses Ziel mit den Möglichkeiten des Menschen nicht erreichen kann. Seine Sehnsucht nach mehr als dem Menschen zusteht, macht ihn zu einem Grenzgänger. Aus diesem Grund werden die Faust-Figuren mit dem Begriff des Titanismus verbunden. Das Bewusstsein, dass er im Prinzip nichts weiß, quält ihn. Seine innere Zerrissenheit, angesichts seines unendlichen Wissensdurstes und Erkenntnisverlangens, führt zu einer depressiven Stimmung und lässt Faust verzweifeln. Den einzigen Ausweg den er sieht, ist die Auflösung seiner irdischen Existenz, denn „Es möchte kein Hund so länger leben!“[5] Sein Zustand gipfelt in der Absage an Vernunft, Wissenschaft, und Tradition und einem Selbstmordversuch. Die Flucht vor der Realität ist als Charakteristikum bei Faust-Gestalten gehäuft zu beobachten[6]. „Faustische“ Figuren sind Charaktere, „die sich über die naturgegebene Ordnung hinwegsetzen möchten“[7] und vor diesem Hintergrund bereit sind ein Pakt mit dem Teufel zu schließen. Fausts Fluch über alles was dem Menschen Sinn geben kann[8], signalisiert bei ihm die Bereitschaft sich auf den Teufel einzulassen. Er schließt einen Pakt mit Mephisto, um zur absoluten Erkenntnis zu gelangen. Der Traum von der Selbstverwirklichung und das Streben nach dem Unerreichbaren stürzen ihn in tragische Schuld. In vielen Faust-Dichtungen wird aufgezeigt, dass „das Aufbegehren der Faust-Gestalten gegen die den Menschen gezogenen Grenzen […] mithin einen Doppelcharakter [hat; N.H.]. Die Verleugnung und Verletzung solcher Grenzen hat zunächst etwas Befreiendes an sich.“[9] Auf den zweiten Blick jedoch führen sie ins Verderben, denn „bei dem Versuch, ihre Träume und Wünsche zu verwirklichen, verletzen sie Tabus, handeln wider die eigene Natur (Verkauf der Seele), vergehen sich an anderen Menschen und verstricken sich in Schuld.“[10] Im Hinblick auf den Pakt mit dem Teufel „[…] dominieren in vielen Faust-Dichtungen Motive wie der Verlust des Seelenheils, ewige Verdammnis, Verzweiflung, Nihilismus und Tod.“[11] Es ist ein Zwiespalt zwischen dem Wunsch der Herrschaft des Individuums und der gleichzeitigen Bestrafung der Grenzüberschreitung. Faust-Figuren stehen zwischen Himmel und Hölle, zwischen Gut und Böse. Wie Paul Goetsch aufzeigt, „[…] träumen Faust-Gestalten seit dem Volksbuch von der Herrschaft über die Zeit und die Natur, von politisch-gesellschaftlicher Macht, dichterischem Ruhm und Einfluss sowie sexueller Freizügigkeit und sinnlichen Genüssen.“[12]
Diese Eigenschaften sind bei vielen Helden verschiedenster Werke wieder zu finden. Der nächste Punkt soll einen kurzen Einblick in die Vielfalt der englischen Faust-Dichtungen geben.
2.2 Englischsprachige Faustdichtungen
Der Zeitraum von 1770 bis 1830 ist für „[…] die Entdeckung der deutschen Literatur und Geistesgeschichte in der englischen Vorromantik und Romantik charakteristisch.“[13] Allerdings erlangte die Rezeption von Goethes Faust im englischsprachigen Raum erst im Laufe des 19. Jahrhunderts richtig an Bedeutung, da es bis zu diesem Zeitpunkt keine vollständigen und guten Übersetzungen gab. Goethes „[…] Werk faszinierte vor allem, weil es weltanschauliche Bedürfnisse der Zeit ansprach.“[14] Diese Faszination bewirkte viele Nachahmungen, Weiterführungen oder Umdichtungen des Fauststoffes. Eine der bedeutendsten Verwandlungen des Werkes ist Christopher Marlowes “Doctor Faustus“. Auch Shakespeare mit “Macbeth“ und Thomas Mann mit „Doktor Faustus“, um ein deutsches Beispiel zu nennen, nahmen sich die Faust-Gestalt zum Vorbild. Die Liste der Faustdichtungen ist lang und in den jeweiligen Ausführungen variierend. Im weiteren Verlauf soll Oscar Wildes englischsprachige Faustdichtung “The Picture of Dorian Gray“ genauer untersucht werden.
3. Faustische Motive in „The Picture Of Dorian Gray“
3.1 Dorian Gray und Faust
In direktem Vergleich von Oscar Wildes “The Picture of Dorian Gray“ und Goethes „Faust“ findet man übereinstimmende Wesensarten der Protagonisten und Parallelen in der Handlung. Was die Helden verbindet ist, dass sowohl Dorian als auch Faust als Versuchsobjekte einer höheren Instanz bezeichnet werden können. Fausts „[…] Bewährungsprobe [dient; N.H.] der Bestätigung des positiven Verantwortungsbewußtseins des Menschen für sich selbst“[15], von dem Gott ausgeht und Mephisto erlaubt, dieses auf die Probe zu stellen. Dorian wird das Versuchsobjekt der Lebensphilosophie von Lord Henry Wotton. Somit steht Dorian zwischen Basil Hallward, der nur sein Bestes will und Lord Henry der ihn in Versuchung führt, wie Faust zwischen Gott und dem Teufel. Beide Erzählungen führen „Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“[16]. Goethes „Faust“ beginnt mit dem Aufeinandertreffen von Gott und dem Teufel in der Szene „Prolog im Himmel“. Das erste Kapitel in „Dorian Gray“ stellt mit der Szene im Atelier des Malers eine vergleichbare Situation dar.
[...]
[1] Paul Goetsch, Machtphantasien in englischsprachigen Faust-Dichtungen: Funktionsgeschichtliche Studien (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2008) S. 13.
[2] Hans Schwerte, „ ‚ Das Faustische’ – Eine deutsche Ideologie,“Aufsätze zu Goethes Faust I, Hrsg. Werner Keller (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1974) S. 86-106.
[3] Ebd., S. 86-106, S. 99.
[4] Johann Wolfgang Goethe, Faust: Erster und zweiter Teil (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2006) S. 17.
[5] Ebd., S. 17.
[6] Goetsch, Machtphantasien, S. 14.
[7] Ebd., S. 74.
[8] Goethe, Faust, S. 49.
[9] Goetsch, Machtphantasien, S. 15.
[10] Ebd., S. 15.
[11] Ebd., S. 74.
[12] Goetsch, Machtphantasien, S. 14.
[13] Ebd., S. 25.
[14] Ebd., S. 29.
[15] Horst Hartmann, Faustgestalt, Faustsage, Faustdichtung (Berlin: Volkseigener Verlag, 1979) S. 59.
[16] Ebd., S. 53.