Umsetzung eines nachhaltigen Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen. Handlungsspielräume und Grenzen für regionale Akteure


Diplomarbeit, 2000

151 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Nachhaltige Entwicklung. Ein globales Konzept mit regionalen Handlungsanforderungen
1. Nachhaltige Entwicklung: Diskurs und Konkretisierung des Begriffs
1.1 Ableitung der Nachhaltigkeit - Gesellschaftlicher Wert Nachhaltigkeit
1.2 Nachhaltigkeitsdiskurse in der internationalen Debatte
1.3 Eckpunkte der Nachhaltigen Entwicklung im Kontext dieser Arbeit
2. Ansatzpunkte für Nachhaltigkeit in der Gesellschaft
2.1 Gewerbliche Produktion
2.2 Landwirtschaft
2.3 Stadtentwicklung und Lokale Agenda 21
2.4 Verkehr
2.5 Energie

II. Strukturpolitische Steuerung von Nachhaltiger Entwicklung im Strukturwandel
1. Strukturwandel und Strukturpolitik
2. Zur Beziehung von Strukturwandel und Nachhaltigkeit
3. Systemische Wettbewerbsfähigkeit als Konzept des ökonomischen und ökologischen Strukturwandels
4. Bedeutung der Region für Systemische Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit
5. Politische Handlungsspielräume

III. Zwischenergebnis: „Lessons learned“ für eine regionale Nachhaltigkeitsstrategie

IV. Nordrhein-Westfalen: Ein Fallbeispiel
1. Das Land Nordrhein-Westfalen
1.1 Politische Struktur
1.2 Wirtschaftliche und sozioökonomische Struktur
2. Strukturpolitik in NRW
Die Internationale Bauausstellung Emscherpark als Beispiel neuer Wege der Strukturpolitik
3. Nachhaltige Entwicklung in NRW
3.1 Gewerbliche Produktion
3.2 Landwirtschaft
3.3 Stadtentwicklung und Lokale Agenda 21
3.4 Verkehr
3.5 Energie
Schlußfolgerungen
4. Partizipation, Diskurs, Lernprozesse: kognitive Elemente eine nachhaltigen Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen

V. Quo Vadis NRW ?

Literatur

Anhang
Exkurs I Konkretisierung der Managmentregeln
Exkurs II Polity, Policy uns Politics: Zum Politikbegriff
Exkurs III Zum Begriff der Region
Tabellen und Abbildungen
Abbildung 15 Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der BRD, NRW und KVR
Abbildung 16 Verkehrsentwicklung in Deutschland
Abbildung 17 Primärenergieverbrauch für wirtschaftliche Zwecke in Deutschland
Tabelle 2 Arbeitslosenquote in Nordrhein-Westfalen 1975, 1985, 1991-1999 in Prozent
Tabelle 3 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in NRW 1990 - 1997
Tabelle 4 Geleistet Arbeiterstunden, Betriebe und Umsatz im produzierenden Gewerbe in Nordrhein-Westfalen 1990 - 1999
Tabelle 5 Mittel der europäischen Strukturfonds für Maßnahmen mit einem Schwerpunkt auf dem vorsorgenden Umweltschutz
Tabelle 6 Radwegebau in NRW
Tabelle 7 Entwicklung der durchschnittlichen Verkehrsstärke in NRW in Kfz pro 24h
Tabelle 8 Verkehrsleistungen im Güterverkehr in Deutschland in Mrd Tonnenkilometer
Tabelle 9 Verkehrsleistungen im Personenverkehr in Deutschland in Mrd Personenkilometer
Tabelle 10 Verkehrsleistungen im Öffentlichen Personennahverkehr in Mio Personen und Mio. pkm
Tabelle 11 Bestand an Kraftfahrzeugen in NRW in 1.000 jeweils zum 1. Juli
Tabelle 12 Beförderte Güter in NRW 1998 in 1000t
Tabelle 13 Primärenergieverbrauch in Deutschland nach Energieträgern und 1999 in Mio. t SKE und Anteile in Prozent
Tabelle 14 Endenergieverbrauch des Produzierenden Gewerbes in Deutschland 1990 -1998 in Mio. t SKE
Tabelle 15 Primärenergieverbrauch in NRW nach Energieträgern 1990 - in Mio. t SKE
Tabelle 16 Primärenergieverbrauchs in Deutschland Anteile der Energieträger 1990 - 1998 in %
Tabelle 17 Struktur des Primärenergieverbrauchs in NRW 1990 - 1998 in % XII
Tabelle 18 Struktur des Endenergieverbrauch in Deutschland nach Verbrauchergruppen 1990 - 1997 in %
Tabelle 19 Struktur des Endenergieverbrauch in NRW nach Verbrauchergruppen 1990 - 1997 in %
Liste der Interviewpartner
Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Spätestens seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahre 1992, wo sich Vertreter von über 170 Nationalstaaten trafen, ist in der internationalen politischen Debatte bekannt, daß die Grenzen der Tragfähigkeit und Belastbarkeit der Erde erreicht sind. Neben Klimaveränderungen, als Folge der Verbrennung von fossilen Energieträgern und des Ozonabbaues, die das Leben der rasch wachsenden Menschheit bedrohen, sieht der Planet sich weiteren globalen Umweltveränderungen ausgesetzt, die anthropogen bedingt sind. Hierzu gehören der Rückgang der biologischen Vielfalt, die fortschreitende Degeneration und der Verlust von Böden als Basis der Ernährung, zunehmende Verknappung von Trinkwasser, die zu zum Teil gewalttätigen Verteilungskonflikten führt und das Bevölkerungswachstum selbst.

Auch wenn Katastrophenszenarien, die den baldigen Untergang des Planeten prognostizieren, sicher übertrieben sind, legen wissenschaftliche Analysen nahe, daß die gegenwärtige Lebens- und Wirtschaftsweise der Menschheit (vor allem der Industrienationen) nicht zukunftsfähig ist. Diese Erkenntnis bedingt die Forderung nach einer umweltverträglicheren Entwicklung, die in dem Konzept der Nachhaltigen Entwicklung zu einem „ökologischen und sozialen Imperativ“ geworden ist.

Dieses Konzept erfordert u.a. einen ökologischen Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft auf globaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene, der die wirtschaftliche Existenz der Menschheit sichert, aber auch die ökologischen Grundlagen als deren Voraussetzung insgesamt erhält und soziale Gerechtigkeit schafft und sichert.

In diesem Zusammenhang erscheinen zwei Kernelemente von herausragender Bedeutung. Zum einen benötigt eine Nachhaltigkeitsstrategie eine konsequente Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen (Dematerialisierung). Zum anderen erscheint ein Bewußtseinswandel bei den Hauptakteuren unabdingbar zu sein.

Es ist festzustellen, daß Umwelt- und Entwicklungsfragen auf der politischen Agenda nicht an oberer Stelle stehen. Themen wie Standortwettbewerb in der Globalisierung, Arbeitslosigkeit und Steuerreform dominieren die politische Debatte in Deutschland. Dadurch ist das Thema „Wettbewerbsfähigkeit“ zu einem Imperativ geworden (Sachs, 1997, S. 100), jedoch ohne das eine Verknüpfung zu den Themen der „Rio-Konferenz“ hergestellt wurde. Häufig wird dabei verkannt, daß beide Komplexe (Standortwettbewerb bzw. ökonomischer Strukturwandel und Nachhaltige Entwicklung) entscheidende Schnittpunkte und Synergien aufweisen.

Diese Arbeit analysiert den Strukturwandel des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen (NRW)unter den Kriterien von Nachhaltigkeit.

Der Strukturwandel und die Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen, die seit 1968 von der Landesregierung koordiniert betrieben wird, kann als eine weitgehend positiv zu bewertende Politik der Umgestaltung und Erneuerung des Wirtschaftsstandortes betrachtet werden.

Strukturpolitik wird in diesem Bundesland seit 10 Jahren auf regionaler Ebene betrieben. NRW kann damit auf einen langjährigen Erfahrungshorizont zurückblicken. In dieser Zeit ist es gelungen, die bedeutendste Industrieregion Deutschlands als einen leistungsfähigen und exportstarken Wirtschaftsstandort zu erhalten. Zudem gelang es, auch soziale Belange für abhängig Beschäftigte in diesen Prozeß mit einzubeziehen. Dies trug dazu bei, daß tiefgreifende soziale Konflikte weitgehend ausblieben.

Die Erfolge können aber nicht über die nach wie vor bestehenden Probleme des Landes hinwegtäuschen. So liegt die Arbeitslosenquote in dieser Region weiterhin deutlich über dem Durchschnitt der alten Bundesländer und es ist in absehbarer Zeit auch keine Entspannung in diesem Bereich zu erwarten. Zugleich ist der Strukturwandel oft zu Lasten der ökologischen Grundlagen der Ökonomie vonstatten gegangen. Die „Ökologiefrage“ innerhalb der Strukturpolitik besaß dieser Analyse zufolge eher eine nachgeordnete Priorität.

Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, den Stand der Nachhaltigen Entwicklung im Rahmen des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen darzustellen. Bei der Analyse stehen zwei konkrete Fragestellungen im Mittelpunkt:

1) Inwieweit finden die Anforderungen der Nachhaltigkeit in einzelnen Bereichen des Landes bzw. innerhalb der Strukturpolitik Berücksichtigung?
2) Inwieweit ist das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung in der Wahrnehmung der zentralen Akteure des nordrhein-westfälischen Strukturwandels vorhanden? Ist dies der Fall, inwiefern findet das Bewußtsein auch in Handlungskonzepten Ausdruck?

Während die zweite Frage mittels offenen Interviews auf der Basis eines Leitfadens evaluiert wurde, erfolgte die Analyse der ersten Frage vornehmlich anhand von Primärdaten und Sekundärliteratur. Für den Analyserahmen wurde ein Konzept ausgearbeitet, daß Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang bringt und zugleich seine Herausforderungen hervorhebt.

Die Arbeit setzt den Schwerpunkt der Analyse auf die regionalisierte Strukturpolitik, weil ihr eine entscheidende Bedeutung in der Dematerialisierung zukommt. Zugleich ermöglicht die regionale Ebene die besten Umsetzungschancen eines solchen Konzeptes.

Die Arbeit gliedert sich im wesentlichen in 5 Teile. Die ersten drei Teile, die der eigentlichen Untersuchung vorangestellt sind, sollen sich mit dem theoretischen Rahmen befassen indem diese Arbeit steht. Da gerade im Hinblick auf den Nachhaltigkeitsbegriff eine Vielfalt an Interpretationen bestehen, die sich zudem teilweise widersprechen, soll in Kapitel I die von mir verwandte Interpretation erläutert werden.

Ähnliches gilt für die Begriffe Wettbewerbsfähigkeit, Strukturwandel und Steuerung, die in Kapitel II der Arbeit umrissen werden. Der dritte Teil will eine Synthese der beiden ersten Kapitel mit den zentralen Anforderungen eines nachhaltigen Strukturwandels auf regionaler Ebene darstellen.

Das Untersuchungsobjekt, eben das Land Nordrhein-Westfalen und dessen wirtschaftliche, soziale und ökologische Struktur werden im vierten Kapitel betrachtet. Dies soll geschehen, um einen Eindruck über den Rahmen zu geben, in dem das theoretische Konstrukt der Etablierung von nachhaltiger Strukturpolitik zu verstehen ist. Hier werden auch die Wahrnehmungen, Vorstellungen und Maßnahmen landespolitisch relevanter Institutionen und Akteure im Rahmen der Nachhaltigen Entwicklung untersucht und die sektorale Betrachtung aus dem ersten Kapitel auf NordrheinWestfalen übertragen.

Letztlich erfolgt im fünften Kapitel eine Aus- und Bewertung der empirischen Untersuchung und eine Darstellung des Standes des Strukturwandels im Rahmen der Nachhaltigkeit.

I. Nachhaltige Entwicklung. Ein globales Konzept mit regionalen Handlungsanforderungen

1. Nachhaltige Entwicklung: Diskurs und Konkretisierung des Begriffs

Das Leitkonzept des „Sustainable Development“ der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung ist in der Folgezeit von einer Vielzahl von Definitionsversuchen geprägt worden, ohne daß es zu einer eindeutigen Definition gekommen ist. Die potentielle Mehrdeutigkeit des Begriffs hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Ein Vorteil liegt sicherlich darin, daß der Begriff als Leitbild-Containerbegriff von einer Vielzahl von Akteuren benutzt wird und somit eine große Breitenwirkung besitzt. Dadurch wird die Chance eröffnet mit dem Leitbild alle für die Zukunftsgestaltung relevanten Politik- und Gesellschaftsbereiche zu durchdringen. Diese große Breitenwirkung ist aber gleichzeitig auch der größte Nachteil, da jedem Akteur sein eigenes Begriffsverständnis ermöglicht wird, das er an seinem Problemverständnis, grundlegenden Wertvorstellungen sowie spezifischen Interessenslagen ausrichten kann (Brückner, 2000, S. 9). Dadurch können in der Debatte Differenzen im Sinngehalt des Begriffs auftreten und somit notwendige Diskurse an der Thematik vorbei gehen. Dies läßt auch die unterschiedlichen Ausgestaltungen des Begriffs durch verschiedene Akteure (Unternehmen, Regierungen, NGOs oder internationale Organisationen) erkennen[1]. Ein weiterer Nachteil der Definitionsfülle ist, daß keine allgemein gültigen, aus dem Konzept ableitbaren Parameter und Handlungsanleitungen verfügbar sind. Die Eingrenzung und Konkretisierung des Begriffs ist für die weitere Analyse notwendig.

Erstmals tritt der Begriff in den internationalen Konferenzen von Paris (Biosphärenkonferenz) und Washington (Konferenz über die ökologischen Aspekte internationaler Entwicklung) des Jahres 1968 in der internationalen Politik auf. Dabei wurde auf die Verantwortung der Staaten für die Umwelt bei der Planung ihrer Entwicklungspolitik hingewiesen ( Schmitz, 1996, S. 103f.).

Der aus der Forstwirtschaft stammende Begriff (Binder, 1999) erfuhr 1987 eine entscheidende Prägung durch den Bericht der, von den UN-Konferenz in Nairobi 1982 eingesetzten Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (BrundtlandtKommission) „Our Common Future“ (Hauff, 1987), der ihn definiert als eine "Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können”.

Diese relative offen gehaltene Basisdefinition erfordert neben der Konkretisierung die Beantwortung der Frage, wie ein solch weitreichendes Konzept der Verantwortung für die Zukunft begründet und vermittelt werden kann.

1.1 Ableitung der Nachhaltigkeit - Gesellschaftlicher Wert Nachhaltigkeit

Die Forderung nach Nachhaltiger Entwicklung im oben genannten Sinn läßt sich weder zufriedenstellend aus der Ökologie noch aus den Wirtschaftswissenschaften begründen. Beide Disziplinen können zwar helfen, die Wirksamkeit von Maßnahmen in Richtung des Konzepts zu beurteilen, jedoch liefern sie keine befriedigende Erklärung für die Notwendigkeit der Nachhaltigen Entwicklung. Diese kann nur aus einer ethischen Perspektive abgeleitet werden (Renn, 1996, S. 93f.). Basis müßte eine Ethik der Verantwortung sein, die Max Weber folgend, nicht gesinnungslos ist, sondern auch realistisch nach den vorhersehbaren Folgen des Handelns fragt und dafür Verantwortung übernimmt. Daraus entsteht das Umfeld für eine Nachhaltigkeitsstrategie.

Dieses Umfeld wird von drei Eckpunkten geprägt:

(1) gesellschaftliches Wertesystem
(2) Motivation
(3) Bewußtseinswandel

Die zentrale Frage ist dabei: Welche Umwelt (ökologisch und sozial gesehen) will eine Gesellschaft für sich und was will sie künftigen Generationen hinterlassen ? Dabei hängt die „Umweltqualität“, die eine Gesellschaft anstrebt, in hohem Masse davon ab welchen Stellenwert sie Freiheit und Wohlstand beimißt. Daher ist eine Wertedebatte zwingender Teil der Nachhaltigkeitsdebatte (Heister, 1997, S. 20), da überholte Werte und Verhaltensmuster in Frage gestellt werden müssen. Ein verbindliches gesellschaftliches Wertesystem[2] mit daraus abgeleiteten sozialen Verhaltensnormen nötig, kann aber nicht einseitig durch hierarchische Entscheidun gen des Staates oder einer anderen Autorität (z.B. der Kirche) gesetzt werden, sondern müssen in einem gesellschaftlichen Diskurs politisch erstellt und etabliert werden. Hierdurch werden alle gesellschaftlich Tätigen zu Akteuren einer Nachhaltigkeitsstrategie. Ausgangspunkt ist dabei das Postulat der Chancengleichheit für alle Menschen, einschließlich derer in einer zukünftigen Generation.

Dies zeigt die Problematik der Umsetzung von Nachhaltiger Entwicklung. Auf das Individuum bezogen spricht nahe zu alles gegen die Praktikabilität der Zukunftsverantwortung auf der die Nachhaltige Entwicklung basiert. Die zur Nachhaltigkeit notwendigen Vorleistungen können unmöglich durch entsprechende Gegenleistungen der künftigen Generationen kompensiert werden, daher bedingt die Anonymität des Zukünftigen die Frage nach dem Zweck der Vorsorge für künftige Generationen (Birnbacher/ Schicha, 1996, S. 154). Infolgedessen hängt die Nachhaltige Entwicklung von der ethischen Motivation einer Gesellschaft ab. Häufig ist diese aber nicht vorhanden bzw. stehen andere Interessen im Vordergrund.

Zur Stiftung der Motivation ist eine Bewußtseinsänderung beim Einzeln nötig. Dabei kommt es darauf an, ein Bewußtsein der eigenen zeitlichen Position in der Kette der Generationen und damit ein Generationen übergreifendes Gefühl der Gemeinschaft zu entwickeln (Küng, 1998, S. 72). Nachhaltigkeit heißt dann das Gegenteil zu fordern was bloße Erfolgsethik oder Machiavelliismus genannt werden kann. Jedoch ist der Nachhaltigkeitsprozeß auch immer von Macht und Interessen geprägt. Dies bildet den ökonomischen Teil der Wertedebatte. Es muß deutlich werden, daß, wer sich ethisch (nachhaltig) verhält nicht unökonomisch handelt, sondern im Sinne der Verantwortungsethik krisenprophylaktisch.

Die Frage nach einer Nachhaltigkeitsethik zielt also auf intrinsisch gesteuerte Verhaltensweisen der Gesellschaft ab (Heister, 1997, S. 30). Der gesellschaftliche Diskurs hilft Lernprozesse auszulösen, die letztlich zu einem Bewußtseinswandel bei den Akteuren führt und damit allmählich zu einen Wandel im gesellschaftlichen Wertesystem beträgt. Dies bedeutet, daß neben den konkreten Handlungen der Akteure auch deren Einstellungen und der Diskurs darüber von Bedeutung ist. Ich halte diese diskursiven bzw. kognitiven Teile einer Nachhaltigkeitsstrategie sogar für wichtiger als die konkreten Maßnahmen, da mit einem Bewußtseinswandel meist automatisch auch ein Handlungswandel des Individuums einher geht.

Herrschaftsanspruch des gesellschaftlichen Wertesystems schwächen und somit einen Wertepluralismus ermöglichen (Heister, 1997,S. 19).

Letztlich kann aber nur durch eine Kombination „von kognitiven sowie antezedenten und konsequenten Verhaltensstrategien zum Erfolg“ (Kruse-Graumann, 1996, S. 135) bei Bestrebungen zur Nachhaltigen Entwicklung führen.

1.2 Nachhaltigkeitsdiskurse in der internationalen Debatte

In Gesellschaft, Politik und Wirtschaft besteht zwar heute weitgehend Konsens über das Leitbild, auch zukünftigen Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Die Konfliktlinien brechen aber an der Umsetzung, d.h. an dem „Wie“, des Leitbildes auf. Diese Frage nach dem „Wie“ der gesellschaftlichen Organisation muß durch den gesellschaftlichen Diskurs beantwortet werden. Nachhaltigkeit ist eben kein reines „Managementproblem“ das sich mit klaren Zielen und geeigneten Instrumenten effizient realisieren läßt. Sondern sie ist ein „zukunftsbezogener gesellschaftlicher Lern-, Such- und Gestaltungsprozeß, der durch weitgehendes Unwissen, Unsicherheit und vielfältige Konflikte gekennzeichnet ist“ (Minsch u.a., 1998, S. VIII)

Das Verständnis der Brundtland-Kommission erhebt Nachhaltige Entwicklung zu einem normativen Konzept, das mit den drei Dimensionen Sicherung der ökologischen Lebensgrundlagen, ökonomische Stabilität und soziale Gerechtigkeit verknüpft wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2

Das Konzept versucht die verschiedenen, aber gleichrangigen Dimensionen, zwischen denen durchaus Zielkonflikte bestehen können, miteinander zu vereinbaren und visionalisiert dies mit dem von der Weltbank entwickelten „NachhaltigkeitsDreieck“ (Abbildung 1). Alternativ zum Nachhaltigkeits-Dreieck wurde von der World Conservation Union (IUCN) das so genannte „Nachhaltigkeits-Ei“ entwickelt (Abbildung 2), das eine Unterscheidung nur in Humansphäre und Biosphäre vornimmt und ohne eine komplexe Zielbeschreibung auskommen will (Hodge, 1997; Najam, 1997)[3], aber eine deutliche Hierarchisierung der Zieldimensionen vornimmt. Der grundlegende Unterschied liegt aber in der Zugangsweise. Die Humansphäre (oder Anthroposphäre) wird als Subsystem der Ökosphäre gesehen. D.h. die Ökologie hat einen eindeutigen Vorrang vor den anthropogenen Zielen: soziale Belange und Ökonomie. Während das Dreieck als komplexes Zieldimensionskonzept grundsätzlich keine Begrenzung aufweist, verdeutlicht das Ei dies durch die Hierarchisierung.

Auf der oben beschriebenen Basis entwickelten sich verschiedene Positionen zur Nachhaltigen Entwicklung, die je nach Kategorisierung in unterschiedlich viele Diskurse gegliedert werden können. Gemeinsam ist den Diskursen, daß sie in der Regel nicht in Reinform auftreten, sondern innerhalb der verschiedenen Ansätze unterschiedliche „Schattierungen“ bestehen.

Hier sollen in knapper Form drei unterschiedliche Definitionskonzepte für Nachhaltige Entwicklung dargestellt und bewertet werden, die auf den Klassifizierungen von Wolfgang Sachs (1997) und Bas Arts (1994) basieren. Anschließend erfolgt eine Konkretisierung des Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung für diese Arbeit auf der dargestellten Basis.

Neoklassischer Diskurs

Die erste Position geht von der Ersetzbarkeit (Substituierbarkeit) der Umwelt aus. Sie ist stark von der neoklassischen Umweltökonomie geprägt und kann als "schwache ökologische Zukunftsfähigkeit" bezeichnet werden (Pearce u.a., 1994). Sie sieht die Natur, ähnlich wie die neoklassische Umweltökonomie, als natürliches Kapital, also als Investitionsgut. Es wird demzufolge angenommen, daß die Natur durch andere Produktionsfaktoren substituiert werden kann.[4] Der nachfolgenden Generation wird im Hinblick auf Sustainable Development ein Wohlstandspaket überlassen, "welches sich aus einer konstanten oder ansteigenden Summe aus materiel lem und natürlichem Kapital zusammensetzt" (BUND/ Misereor, 1996, S. 25). Mit anderen Worten wird davon ausgegangen, daß der überwiegende Teil der natürlichen Systeme und Prozesse durch Elemente eines künstlichen Kapitalstocks, d.h. durch ökonomische Produktion ersetzt werden kann, da sie substitutiv zueinander stehen. Es besteht „daher immer Raum für Abwägungsprozesse, absolute Umweltbelastungsgrenzen existieren nach diesem Konzept nicht“ (Gerken/ Renner, 1996, S. 11). Dies bedeutet, daß bei einer Schädigung der Natur (Abnahme des natürlichen Kapitals) die Zukunftsfähigkeit durch eine verstärkte Produktion von Sachwerten (Erhöhung des materiellen Kapitals) erreicht würde, indem der Wert des Wohlstandspakets konstant gehalten wird und so die Lebensgrundlage der nachfolgenden Generation gewährleistet wäre.

Eine Nachhaltigkeitsstrategie erfordert demnach zwei Prämissen:

1) Es muß gewährleistet sein, daß die relativen Preise die „ökologische Wahrheit“ ausdrücken, es zu dementsprechenden Allokationen kommt und damit Marktversagen überwunden wird. Dabei wird ein paretooptimaler Verschmutzungsgrad gesucht, bei dem „die Höhe der Grenzschäden und die der Grenzvermeidungskosten ... übereinstimmen.“ (ebenda).
2) Es müssen Innovationspotentiale entwickelt werden, die zur Substitution von natürlichem Kapital beitragen.

Diese Argumentation verkennt jedoch, daß die Natur in ihren wesentlichen Teilen nicht für die Humansphäre ersetzbar ist (BUND/ Misereor, 1996, S. 25). So sind die Lebenserhaltungsfunktionen der Umwelt wie erträgliches Klima, Schutz vor Strahlung und regenerierbare Ressourcen als Basis für Nahrungsmittel, eine Art Fundamentalausstattung menschlichen Lebens und nicht substituierbar (Cansier, 1996, S. 64f.)

Zudem kommt, daß es kein Produkt in einer Ökonomie gibt, das „nicht in irgendeiner Weise auf natürliche Vorleistungen oder Nachleistungen angewiesen ist“ (Renn, 1996, S. 98). Die Gesetze der Thermodynamik geben auch der Recyclingfähigkeit von Rohstoffen Grenzen auf, da jede Produktion ein Prozeß der Transformation von Materialien und Energie ist und Abfallstoffe somit nicht wieder zu vollwertigen Rohstoffen umgewandelt werden können.

Konzept der Ökologischen Ökonomie

Aus der Kritik am neoklassischen Konzept hat sich eine zweite Position herausgebildet, die zwar auch ökonomisch geprägt ist, aber von einem konstanten bzw. wachsendem Naturkapital und einer ethischen Grundannahme ausgeht.[5] Die Erde ist demnach jeder Generation von ihrer vorherigen Generation für die nächste treuhänderisch übergeben worden. Dadurch entsteht die Verpflichtung, den „kommenden Generationen eine intakte Natur unabhängig davon zu hinterlassen, wie hoch die produzierten Wohlstandsleistungen sind.“ (BUND/ Misereor, 1996, S. 26) Hier wird also nicht von der Substituierbarkeit der Natur durch Kapital ausgegangen, sondern von einem feststehenden „Umfang“ an Natur, der nur "genutzt" werden kann aber nicht "verbraucht" werden darf. Vereinfacht gesagt soll jede Generation von den „Zinsen“ des Naturkapitals leben.

Kernforderungen dieser Position sind die Erhaltung der Biodiversität und der wichtigsten ökologischen Prozesse sowie eine naturverträgliche Nutzung der natürlichen Ressourcen. Andererseits darf auch die Notwendigkeit zur Entwicklung, d.h. zum Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern aber auch den Industriestaaten nicht unberücksichtigt bleiben.

Die „Ökologische Ökonomie“ betrachtet die Wirtschaft als ein Subsystem des Humansystems und beschreibt systematisch die Interaktionen der verschiedenen Subsysteme.

Das `Sustainable Development - Konzept` sollte demnach als Verbesserung der menschlichen Lebensqualität innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen der globalen Ökosysteme verstanden werden, das den Anspruch hat, einen Ausgleich zwischen beiden Belangen zu schaffen und somit die Grundlage für menschliches Leben und Wirtschaften zu erhalten. Dieser Ausgleich ist „ein komplizierter und voraussichtlich schmerzlicher Prozeß des politischen Wandels“ (Simonis, 1991, S. 3), der immer weiter fortzuführen ist.

Die Bedingungen innerhalb derer sich dieser Prozeß der Entwicklung abspielen muß, kann man als Leitplanken des Prozesses verstehen. Diese Leitplanken werden durch die Anforderungen der Nachhaltigen Entwicklung gebildet und dürfen zur Erhaltung der Zukunftsfähigkeit nicht überschritten werden. Innerhalb dieser Leitplanken sollen sich aber die humanen Subsysteme selbst steuern.

Anti-Modernisierungsansatz

Die beiden oberen Ansätze stellen die Form der wirtschaftlichen Entwicklung grundsätzlich nicht in Frage und den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der folgende Ansatz distanziert sich davon aus einer anti-modernistischen bzw. romantisch-traditionellen Perspektive. In diesem Kontext kann Nachhaltige Entwicklung als umfassende Aufrechterhaltung der ökologischen Vielfalt umschrieben werden. Er geht also ebenfalls von einer starken ökologischen Nachhaltigkeit aus, verwendet aber einen ökozentrischen Zugang (Arts, 1994, S. 20). Dazu wird auf Traditionen und Kulturen Bezug genommen, die Natur nicht als ein Hilfsmittel oder gar Produktionsfaktor betrachten, sondern in ihr ein beseeltes und damit zu respektierendes Lebewesen sehen. Dies bedingt, daß die traditionellen Kulturen des Südens (die als solche verstanden werden) zu erhalten sind und die Expansion der westlichen Kultur, die als Hauptursache der „Nichtnachhaltigkeit“ identifiziert wird, zu stoppen sei.

Der Ansatz unterscheidet nach dem Verständnis von Shiva (Shiva, 1989) drei unterschiedliche Wirtschaftsformen bzw. Haushalte:

(1) den der Natur, der alle ökologischen Prozesse und Systeme umfaßt
(2) den des Menschen, der das Überleben im Sinne von Ernährung, Kleidung und Behausung umfaßt
(3) und den Haushalt des Kapitals, der die Kreisläufe von Geld, Vermögen und Mehrwert umfaßt

Die Ausweitung des letztgenannten (Wirtschaftswachstum), was als Modernisierung bezeichnet wird, erzeugt letztlich Knappheiten in den beiden anderen. Daher unterscheidet Shiva auch zwei unterschiedliche Formen der Nachhaltigkeit: Zum einen die Nachhaltigkeit wie sie im Brundtland-Bericht zum Ausdruck kommt und in der Mensch und Natur als Hilfsmittel für das Kapital verstanden würden. Zum anderen die Nachhaltigkeit von Mensch und Natur selbst, wo Produktion und Kapital nicht im Mittelpunkt stehen, sondern die Reproduktion und Regeneration innerhalb der Ökosysteme. Shiva sieht diese Form als die bessere an, da die Biodiversität die Vorbedingung für menschliches Leben ist (Arts, 1994, S. 21). Nachhaltigkeit der Wirtschaft wird demgegenüber ausgeschlossen bzw. als nicht relevant angesehen, da sie sich ausschließlich auf Kapital und Produktion bezieht und dieses in Frage gestellt wird. In der Dimension Soziale Nachhaltigkeit wird der Fokus auf „Gemeinschaft“ und „Gemeinschaftseigentum“ gelegt, da diese in den traditionellen Kulturen die vorherrschenden Organisationsprinzipien seien und Privat- und Staatseigentum dort kaum existiere.

Gegen diese Position ist einzuwenden, daß die Ansicht traditionelle Kulturen oder

„Naturvölker“ würden mit ihrer Umwelt schonender umgehen, oft idealisiert und verklärt wird. Auch in solchen Gesellschaften gab und gibt es Umweltprobleme und Raubbau an der Natur (Radkau, 1996). Zudem bedingt jede Wirtschaftsweise, wenn sie nicht von einer Jäger- und Sammler-Gesellschaft ausgeht, die Umgestaltung der Natur in das Kulturgut „Umwelt“[6]. Letztlich ist dieser Ansatz nicht tragend, da er nicht von Entwicklung im Sinne eines zentralen Bestandteils des Sustainable Development-Konzepts ausgeht und in der Umsetzung als unrealistisch anzusehen ist.

Auf der Basis der vorgestellten Konzepte wird im folgenden der Referenzrahmen von Nachhaltiger Entwicklung dargelegt, der als Grundlage der Analyse dieser Arbeit dienen soll.

1.3 Eckpunkte der Nachhaltigen Entwicklung im Kontext dieser

Arbeit

Die Grundlage des in dieser Arbeit ausgearbeiteten Konzepts der Nachhaltigkeit bildet die Ökologische Ökonomie. Damit wird ein anthropozentrischer Ansatz herangezogen. Letzterer ist grundsätzlich offen und entwicklungsfähig. Er bietet damit die Möglichkeit der Integration vieler Aspekte der beiden anderen dargestellten Ansätze. Für das Konzept dieser Arbeit soll u.a. der Natur ein Eigenwert zugestanden werden, der über den Nutzen der Natur für den Menschen hinausgeht[7]. Im Zentrum steht aber nicht die Natur selbst, sondern die Wohlfahrt der Menschen, d.h. der materielle und immaterielle Wohlstand dieser und der nächsten Generationen auf der Basis einer Ökosphäre, die diese Wohlfahrtsleistung für die Humansphäre ermöglicht.[8]

Dies bedingt neben der ökologischen Nachhaltigkeit auch den Einbezug von sozialen, politischen und auch ökonomischen Aspekten. Zudem sollen Aspekte der evolutorischen Ökonomie einbezogen werden, die sich auf die Entwicklung von Innovationen beziehen[9].

Ich werde mich in dieser Arbeit, im Gegensatz zum ganzheitlichen Ansatz von Nachhaltiger bzw. Zukunftsfähiger Entwicklung, vorwiegend auf die intergenerationalen Aspekte beschränken und somit weitgehend die Diskussion über die Nord-SüdDimension (intragenerational) außen vor lassen[10], wenn auch an einzelnen Stellen auch auf diesen Aspekt Bezug genommen wird. Dies geschieht im Bewußtsein, daß der intragenerationelle Aspekt einen wesentlichen Teil des Nachhaltigkeitskonzepts darstellt, würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Auch ist kein globales Konzept in Sicht, das es leisten kann alle Aspekte der Nachhaltigkeit gleichrangig zu berücksichtigen

Nachhaltigkeit als „Dreieck“ oder „Ei“ ? Zur Konzeption der Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit umfaßt, wie schon erwähnt, grundsätzlich mehrere Dimensionen. Denn nicht nur die Ökologie ist für eine Nachhaltige Entwicklung relevant, sondern auch soziale und politische Belange müssen berücksichtigt werden. Jedoch sind politische und soziale Aspekte so zu verstehen, daß sie zwar eigenständige Nachhaltigkeitsziele darstellen, die jedoch die Erreichung der ökologischen Nachhaltigkeit unterstützen sollen bzw. dazu eine notwendige Voraussetzung sind. Ökonomische Aspekte sollen als Instrumente zur Nachhaltigen Entwicklung bzw. zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele verstanden werden, sind aber keine eigenständigen Nachhaltigkeitsziele.

Mit anderen Worten, der Entwicklungsprozeß von Gesellschaften muß in sozialer und ökologischer Hinsicht tragfähig sein (Ziele) und dazu ist die Ökonomie ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Mittel.

Da der Mensch von einer intakten Natur abhängig ist (er benötigt sie als Rohstofflieferant und Aufnahmemedium für Emissionen und Abfälle), eine umgekehrte Beziehung aber nicht besteht, soll in dieser Arbeit der ökologische Problemzugang genutzt werden und zur Visionalisierung eine Konzeption verwandt werden, die auf dem „Nachhaltigkeits-Ei“ der IUCN basiert. Das Konzept wird aber um drei Subkategorien (Politisches System, Ökonomie und Sozialpolitiksystem innerhalb des „Eigelb“ (Humansphäre) erweitert (Abbildung 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3

Neben den oben bereits erwähnten zentralen Unterschieden der beiden Konzeptionen suggeriert das „Nachhaltigkeits-Dreieck weiterhin, daß die drei Teilbereiche weitgehend unabhängig von einander sind und zwischen ihnen Subsititutionsmöglichkeiten bestehen. Dagegen macht das Konzept der IUCN deutlich, daß das Gesamtsystem nur im Gleichgewicht (nachhaltig) sein kann, wenn beide Teilsysteme, Ökosphäre und Humansphäre, im Sinne der Nachhaltigen Entwicklung im Einklang sind und insbesondere die Humansphäre den Nachhaltigkeitskriterien entspricht, d.h. daß die Systeme in diesem Sinne voneinander abhängig sind. „Das Ei schmeckt nur dann gut, wenn sowohl Eigelb als auch Eiweiß genießbar sind. Nicht-nachhaltig ist hingegen jede Gesellschaft, bei der entweder die Ökosysteme oder die Humansysteme einzeln betrachtet `schlecht´ sind oder beide Bereiche gleichzeitig den Anforderungen nicht entsprechen.“ (Fues, 1998b, S. 34) Daher müssen die Subsysteme der Humansphäre in ihren Zielvorstellungen in Übereinstimmung mit den Stabilitätsbedingungen der Ökosphäre gebracht werden (ebenda, S. 48).

Dies macht deutlich, daß die Subsysteme der Humansphäre einen gesellschaftlich gesetzten ökologischen und sozialen Ordnungsrahmen bedürfen. Innerhalb des Subsystems Ökonomie bedarf es der Sicherstellung der Allokationseffizienz von Gütern und Dienstleistungen auf hohem Niveau auf der Grundlage der gesellschaftlichen Standards für ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und politische Partizipationsmöglichkeiten (Enquete-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" des 13. Deutschen Bundestags, 1998, S. 38)

Das Umweltraumkonzept

Der gesellschaftlich gesetzte Ordnungsrahmen soll den Handlungsrahmen, in dem der Mensch die natürliche Umwelt nutzen kann, ohne wesentliche Eigenschaften und Funktionen nachhaltig zu beeinträchtigen, beschreiben. Ein Modell hierfür ist das niederländische Umweltraumkonzept (Institut für sozialökologische Forschung, 1993), das meines Erachtens einen starken Bezug zum „Nachhaltigkeits-Ei“ der IUCN besitzt und daher in dieser Arbeit genutzt werden soll. Der Umweltraum ergibt sich nach diesem Modell aus der ökologischen Tragfähigkeit der Ökosysteme[11], der Regenerationsfähigkeit natürlicher Ressourcen und der Verfügbarkeit von Ressourcen.“ (BUND/ Misereor, 1996, S. 27) Er bezieht sich also auf Materialien, die aus der natürlichen Umwelt entnommen werden können (biotisch und abiotisch) und auf die Fähigkeit der Biosphäre, Abfälle aufzunehmen und zu absorbieren (Abbildung 4).

Der Umweltraum kann auch durch Regeneration geschädigter Ökosysteme, wie Aufforstungen, Flächenentsiegelung, usw. erweitert werden, da die regenerierte Biosphäre ihrerseits wieder „Senkenkapazitäten“ enthält und dadurch die Tragfähigkeit des gesamten Ökosystems erweitert wird.[12]

Dieser Umweltraum soll für alle Menschen gleich groß sein, egal ob sie dieser oder einer künftigen Generation angehören, oder ob sie in einem industrialisierten Staat des Nordens oder einem Staat des Südens leben. D.h., das Konzept geht von gleichen Pro-Kopf-Nutzungsrechten für alle global zugänglichen Ressourcen oder Emissionen aus, es sei denn, für einzelne Ressourcen sind spezielle Höchstmengen oder Reduktionsziele festgelegt, wie z.B. für CO2, ozonschädigende, klimawirksame oder toxische Stoffe.

Quelle: Hinterberger/ Luks/ et. al, 1996, S. 37

Abbildung 4

Jedoch ist für die OECD-Staaten zu konstatieren, daß sie ihren Umweltraum überbeanspruchen, während die Staaten des Südens noch ihre Beanspruchung des Umweltraums ausweiten können.[13] Zur Umsetzung der gleichen Pro-KopfNutzungsrechte ist daher eine Doppelstrategie notwendig, wenn der Umweltraum global betrachtet nicht übernutzt werden soll. Das heißt, notwendig ist zum einen eine Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und damit der Emissionen vor allem in den Industrieländern, zum anderen eine Ausweitung des globalen Umweltraums.

Zur Erreichung dieses Ziels sind Regeln notwendig, die eine Übernutzung der Natur verhindern sollen. Diese Regeln werden oft als Managementregeln für Sustainability bezeichnet, beziehen sich aber in erster Linie auf ökologische Aspekte. Sie sind sicherlich inzwischen Konsens in der (ökologischen) Sustainable Development Debatte [14]:

(1) Die Nutzung erneuerbarer Ressourcen darf nicht größer sein als ihre Regenerationsrate.
(2) Die Freisetzung von Stoffen darf nicht größer sein als die Aufnahmefähigkeit der Umwelt.
(3) Die Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen muß minimiert werden. Ihre Nutzung soll nur in dem Maße geschehen, in dem ein physisch und funktionell gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Ressourcen geschaffen wird.
(4) Das Zeitmaß der menschlichen Eingriffe muß in einem ausgewogenen Verhältnis zum Zeitmaß der natürlichen Prozesse stehen, sei es der Abbauprozesse von Abfällen, der Regenerationsrate von erneuerbaren Rohstoffen oder Ökosystemen.

(BUND/ Misereor, 1996, S. 30)

Ohne diese Verhaltens- und Nutzungsregeln kann das Umweltraumkonzept nicht eingehalten werden. Jedoch benötigen diese Regeln eine Konkretisierung, da sie sehr allgemein gehalten sind und daher die Bedingungen für Nachhaltigkeit nicht vollständig wiedergeben (Cansier, 1996, 65ff.). Diese Konkretisierung kann oft nicht naturwissenschaftlich erarbeitet werden, sondern bedarf einer politischen Bewertung. Der politischen Dimension kommt damit einer hohen Bedeutung zu (vgl. Exkurs I im Anhang).

Dies bedarf jedoch eines politischen Diskurses über die Nachhaltigkeit. D.h. die Strategien bedürfen der Unterstützung der Politik, die wiederum einen gesellschaftlichen Konsens zur Nachhaltigkeit erfordert. Dieser muß sich in erster Linie auf Suffizienzstrategien beziehen, da technologische Effizienzstrategien nicht ausreichen werden, die Managementregel zu erfüllen.

2. Ansatzpunkte für Nachhaltigkeit in der Gesellschaft

Die Ausarbeitung einer geeigneten Strategie für eine Nachhaltige Entwicklung erfordert die Beschreibung der Bedingungen, von denen ausgegangen wird. Wenn Nachhaltigkeit auch eine gesellschaftliche Herausforderung darstellt, lassen sich einige Bereiche identifizieren, die eine Art Schlüsselrolle zur Umsetzung einnehmen.[15] Diese Bereiche sollen im folgenden als zentrale Ansatzpunkte für eine Nachhaltigkeitsstrategie beschrieben werden. Diese Bereiche sind: (1) Gewerbliche Produktion; (2) Landwirtschaft; (3) Stadtentwicklung und Lokale Agenda 21; (4) Verkehr und (5) Energie. Ziel ist es, die Erfordernisse in den jeweiligen Schlüsselbereichen kenntlich zu machen und deren Auswirkungen für das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung aufzuzeigen. Grundlage dafür sind stets die oben genannten Managementregeln.

Eine komplette Aufarbeitung aller dieser Einflußmöglichkeiten kann selbstverständlich in dieser Arbeit nicht erbracht werden, da das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung, insbesondere so wie es in dieser Arbeit verstanden wird, Einfluß auf nahezu alle Aspekte der Gesellschaft hat. Daher hat die Darstellung nur Modellcharakter für eine mögliche Nachhaltigkeitsstrategie und beschränkt sich auch innerhalb der Schlüsselbereiche nur auf Teilaspekte. Die jeweiligen gesellschaftlichen Bereiche sind untereinander stark verzahnt und können daher nicht separat betrachtet werden, wenn auch die Darstellung separiert erfolgt.

Die Darstellung bildet später den Referenzrahmen für die Analyse der Nachhaltigen Entwicklung in Nordrhein-Westfalen in Kapitel IV.

Da ein „Zusammenhang zwischen der ökologischen Stabilität und der Abnahme des Materialaufwandes für menschliche Tätigkeiten“ (Schmidt-Bleek, 1997, S. 145) besteht, erfordert das hier dargestellte Nachhaltigkeitskonzept, insbesondere das Umweltraumkonzept, eine Reduzierung des Verbrauchs an natürlichen Ressourcen und damit des Eintrags von Emissionen und Abfällen in den Umweltraum - welche als Stoffströme bezeichnet werden. Werden die anthropogen verursachten Stoffströme systematisch verringert, sinken automatisch auch Abfallmengen, Energieverbrauch, Flächenverbrauch und Emissionen. Aus technischer Sicht ist eine Reduzierung des Materialaufwandes, zumindest in den OECD-Staaten, um den Faktor zehn oder mehr in den nächsten Jahrzehnten als durchaus möglich anzusehen (ebenda, S. 145). Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie kommt in seiner im Auftrag von BUND und Misereor durchgeführten Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ (BUND/ Misereor, 1996), die die Basis dieser Betrachtung ist, zu der Einschätzung, daß zur Erhaltung der globalen ökologischen Stabilität eine Reduzierung der globalen anthropogenen Stoffströme, also in den OECD-Staaten und den Staaten des Südens, um 50% in den nächsten 5 Dekaden notwendig ist. Der intragenerativen Chancengleichheit zufolge erfordert dies das von den Industrienationen gesetzte Ziel die materiellen Stoffströme in den nächsten 50 Jahren um 90% zu reduizieren. Dies kommt einer jährlichen Rate von 4,5% gleich, (ebenda, S. 191), die auch für Deutschland bzw. NRW als Maßstab gelten sollte. So könnte den Entwicklungsländern die Möglichkeit zu einem weiteren Wirtschaftswachstum und einer damit aufholenden Entwicklung ermöglicht und den nachfolgenden Generationen die ihnen zustehenden Gestaltungsspielräume zugestanden werden.

Tabelle 1

Notwendige Reduktionsziele für ein Zukunftsfähiges Deutschland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: (BUND / Misereor, 1996, S. 80)

Wenn auch die Problematiken im Rahmen der Nachhaltigen Entwicklung anders gelagert sind als in den Industrienationen, werden Entwicklungsländer dadurch nicht von der „Pflicht“ befreit das ihnen Mögliche zu tun um ihrerseits einen nachhaltigen Entwicklungspfad zu beschreiten.[16]

Dieser, als Dematerialisierung bezeichnete Ansatz bildet den Ausgangspunkt für die Beschreibung der Erfordernisse in den darzustellenden Sektoren. Er betrifft alle Bereiche der Gesellschaft und bildet damit das Hauptziel des quantitativen Aspekts der Nachhaltigkeit. Er bezieht sich nicht auf ein Umweltproblem, sondern kann auf eine Vielzahl von Folgen auf der Entnahmeseite und der Senkenseite hinweisen. Der Ansatz der Stoffstromreduzierung ist inzwischen auch von internationalen Institutionen aufgegriffen worden[17]

Eine Möglichkeit zur Stoffstromreduzierung ist die Regionalisierung bislang überregionaler wirtschaftlicher Verflechtungen, wo dies ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist. [18] Regionale Wirtschaftsstrukturen „haben den Vorteil, überschaubarer und in ihren ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen kalkulierbarer zu sein.“ (Adam, 1997, S. 137). Vor allem durch die Verringerung unnötiger Transporte tragen sie zu einer Reduzierung des Energieverbrauchs und damit zur Stoffstromreduzierung bei. Es können dezentrale Märkte entstehen, die näher am Endverbraucher angesiedelt sind, bislang ruhende ökonomische Potentiale mobilisieren und damit neue Chancen für Menschen geschaffen werden, die in der jetzigen Ökonomie nicht wettbewerbsfähig sind (BUND/ Misereor, 1996, S. 202ff.). Diese Form der Regionalisierung im Sinne einer fortschreitenden Verflechtung regionaler Wirtschaftskreisläufe darf jedoch nicht als Abschottung verstanden werden. Vielmehr muß das Prinzip „Wettbewerb und Kooperation“ gelten (Messner, 1995, S. 17). Lernen aus internationalen Best-Practice-Beispielen muß der Handlungsmaßstab sein, während die weltweit negativen Erfahrungen aus vergangenen Strategien der Importsubstitution und des Protektionismus als abschreckende und lernresistente Beispiele dienen sollten. Letztere würden durch die Reduktion von Wettbewerb den Druck auf Unternehmen reduzieren, ressourceneffizientere Produktionsweisen und Innovation zu entwickeln (MeyerStamer, 1997). Zudem hilft eine in dieser Form zugleich kritische und innovative Herangehensweise, unterkomplexe Handlungsvorschläge zu verwerfen.

Eine Verflechtung regionaler Wirtschaftskreisläufe kann zugleich nicht einen vollständigen Anspruch verfolgen. Nicht jedes Produkt oder jede Dienstleistung kann regional oder lokal erzeugt werden. Nationale und internationale Verflechtungen bilden damit nicht nur aus der Logik von Lerneffekten, sondern auch aus rein versorgungstechnischen Gründen einen Imperativ. Allerdings sollten die makroökonomischen Rahmenbedingungen Anreize schaffen, die Produkte dort zu beziehen, wo es aus ökologischen und ökonomischen Aspekten am sinnvollsten ist. Es geht demnach um eine sinnvolle und bewußte Integration in den Weltmarkt, nicht durch Protektionismus, sondern durch ökonomische Anreize und eines nachhaltigen Wertesystems.

Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft. Innovationsfähigkeit ist für die Entwicklung neuer Techniken und Produkte, die zur Dematerialisierung führen, die Grundlage. In den folgenden fünf Abschnitten wird daher vereinzelt darauf zurückgekommen und im Kapitel II auf die grundsätzliche Bedeutung - auch der Innovationsförderung - näher eingegangen.

2.1 Gewerbliche Produktion

Den wichtigsten Sektor (gemessen an der Bruttowertschöpfung) der deutschen Ökonomie bildet nach dem Dienstleistungssektor die gewerbliche Produktion. Die Ausgestaltung des Produktionssystems bildet daher auch einen Grundpfeiler für eine zukunftsfähige Gesellschaft. In diesem Sektor kann nicht nur der größte Teil der notwendigen gesellschaftlichen Dematerialisierung geleistet werden, auch die soziale Dimension der Nachhaltigkeit (in Form von Beschäftigung) ist hier von Bedeutung. Denn Ziel der Stoffstromreduktion ist neben der ökologischen Funktion des Ansatzes auch ein höherer Einsatz des Faktors Arbeit (d.h. Schaffung von Arbeitsplätzen) als soziale Komponente.

Als Indikator für den Ansatz soll der Rohstoff- und Energieverbrauch der Wirtschaft verwandt werden. Rohstoffverbrauch wird gemessen in der Entnahme von abiotischen Stoffen (verwertete Rohstoffe und importierte abiotische Güter) aus der Natur. Der Energieverbrauch kann durch den Primärenergieverbrauch gemessen werden. Qualitativ ist der Primärenergiemix als Indikator zu nutzen. Als Ziel im Rahmen des verfolgten Ansatzes wird von einer Reihe von Autoren[19] eine Reduktion der Entnahme nicht erneuerbarer Ressourcen ausgehend vom Stand 1990 um 25% bis 2010 und 80 - 90% bis 2050 als notwendig erachtet. Dies entsprich einer jährlichen Materialproduktivitätssteigerung von 4 - 6%. Zwar ist die Materialentnahme[20] aus der Natur (ohne Wasser) zwischen 1991 bis 1997 schon um 17% zurückgegangen, dies ist aber in erster Linie auf die deutliche Reduzierung des Braunkohlentagebaus in den neuen Ländern zurück zuführen.

Demgegenüber sind die importierten Materialen (in erster Linie importierte Energieträger) um 11,3% gestiegen (Statistisches Bundesamt , 1999). Dies führt dazu, daß ein wesentlicher Teil der Umweltbelastungen in andere Länder exportiert wurden und kann nicht als eine Verbesserung im Sinne des Leitbild Nachhaltige Entwicklung gesehen werden.

Im Bereich des Energieverbrauchs sollte eine Steigerung der Energieproduktivität um jährlich 3 - 5% angestrebt werden. Langfristig ist das Ziel einer Umstellung der Wirtschaftsweise auf eine solarenergetische Grundlage anzustreben (BUND/ Misereor, 1996, S. 193.), um die nötigen Einsparungen im Verbrauch fossiler Energieträger erreichen zu können (dazu näher im Kapitel I.2.5). Diese Beschreibung macht deutlich, daß die Ressourcen- und Energieproduktivität des Produzierenden Gewerbes und der Einsatz des Faktors Arbeit in den nächsten Jahren wesentlich erhöht werden muß, wenn man den Anforderungen der beschriebenen Dematerialiserungsziele genügen will.

Die Umstellung auf eine solarenergetische und ressourcenschonende Wirtschaftsweise sollte im Rahmen der normalen betriebswirtschaftlichen Investitionszyklen sukzessive bis zum Jahr 2050 erfolgen. Allerdings kann mit heute schon verfügbaren Techniken und Maßnahmen der Materialverbrauch erheblich gesenkt werden (Scheelhaase, 1999, S. 580). Eine Möglichkeit dazu ist eine konsequente Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft, da die industrielle Produktion ohne eine solche nicht nachhaltig sein kann (Quennet-Thielen, 1996, S. 18).

Jänicke (1993) weißt darauf hin, daß eine teilweise Deindustrialisierung bei umweltbelastenden Branchen (also ein intersektoraler Wandel) oft deutlich weniger ökologische Entlastungen bringt, als die Modernisierung innerhalb (intrasektoraler Wandel) der Industriebranchen (Jänicke, 1993, S. 19). Dies macht eine doppelte Strategie der Dematerialisierung notwendig.

Zum einen eine fortzuführende Stoffstromreduktion innerhalb der Branchen. Dies ist in einigen industriellen Bereichen auch schon in den letzten Jahren gelungen. Ein sehr gutes Bespiel stellt sicherlich die Mikroelektronik dar, die ihre Materialintensität überdurchschnittlich reduzieren konnte. Dieses Beispiel macht auch die große Bedeutung von Innovationen zur Erzielung der Dematerialisierung deutlich.

Zum anderen ist ein intersektoraler Wandel notwendig, der Branchen die in besonderer Weise nicht nachhaltig sind (z.B. die Chlorchemie) durch nachhaltige Branchen ersetzt. Eine solche Branche ist die nachsorgende Umweltschutzindustrie. Umweltschutz ist auch angesichts des verschärften Wettbewerbs ein innovativer Wirtschaftsfaktor, der aber gestärkt werden muß (Mink-Zaghloul, 1999). Neben dem Nutzen für die Ökosysteme können aus solch einer Strategie auch Vorteile für die Beschäftigung erzielt werden. Eine Studie der Prognos AG im Auftrag von Greenpeace (Greenpeace, 1999) bilanzierte die dauerhaften Beschäftigungsgewinne durch eine nachhaltige Wirtschaftsweise auf mindestens 163.000 zusätzliche Arbeitsplätze bis zum Jahr 2020. Diese Berechnung ist als eher zu niedrig zu betrachten, da Effekte einer Verteuerung von Material und Energie und die Verbilligung des Faktors Arbeit nicht mit eingerechnet wurden. Zu berücksichtigen ist aber, daß die größten Beschäftigungseffekte in der Landwirtschaft und im Baugewerbe zu verzeichnen sind (Scheelhaase, 1999). Da die effektiv 78.100 neuen Arbeitsplätze in der Landwirtschaft nicht hier mit eingerechnet werden können, bleiben für die Sektoren des produzierenden Gewerbes rund 85.000 neue Arbeitsplätze. Die Beschäftigungsgewinne im Baugewerbe sind nach der PrognosUntersuchung auf einen Zuwachs in der Nachfrage nach Infrastruktur im ÖPNV, bei der Bahn und für Radwege (siehe Kapitel I.2.4) und eine höhere Nachfrage nach Wärmedämmaßnahmen (siehe Kapitel I.2.5) zurück zuführen. Natürlich wird es mit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise Branchen geben, die Beschäftigungsverluste hinnehmen müssen, jedoch ergab die Studie das gesamtwirtschaftlich ein positiver Effekt zu erwarten sei.

Der Geist der nachhaltigen Wirtschaftsweise läßt einen besonderen Fokus den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zukommen. Insbesondere das Handwerk hat sehr hohe Potentiale in der nachhaltigen Wirtschaft, da die Strategie zur Reduzierung der Stoffströme auf langlebige und reparaturfreundliche Produkte setzen muß. Hier ist das Handwerk direkt angesprochen, um notwendige Wartungsund Reparaturarbeiten durchzuführen. Weitere Potentiale hat das Handwerk durch die Ökologisierung der Energieversorgung und der damit verbundenen Umstellung und Wartung von „ökologischer“ Haustechnik (Mendius, 1999, S. 625).

Daher sollte sich auch die Wirtschaftsförderung einen besondern Fokus auf KMUs legen und für eine verstärkte Ansiedlung von Handwerksbetrieben und für eine vermehrte Reparatur und Wiederverwendung von Produkten eintreten.

Die verbreitete Ansicht bei kleinen Unternehmen, daß Nachhaltigkeit und Strategien nachhaltiger Unternehmenspolitik nur etwas für Großunternehmen sei, kann somit nicht aufrecht erhalten werden.

Neben dem Wirtschaftssystem kommt jedem einzelnen Unternehmen eine besondere Verantwortung für die Nachhaltige Entwicklung zu. Diese Verantwortung erstreckt sich auf eine ökologische und soziale Unternehmenspolitik, die sich u.a. auf eine ökologisches Ressourcenmanagement bezieht und eine ökologische Produktpolitik, die den gesamten Lebenszyklus eines Produktes berücksichtigt..

In Europa haben Unternehmen die Möglichkeit sich nach zwei verschiedenen Standards für ihre ökologische Unternehmenspolitik zertifizieren zu lassen. Die erste Möglichkeit ist das s.g. Öko-Audit nach EG-Verordnung 1836/93. Danach müssen Unternehmen eine Umwelterklärung erstellen und diese von einem unabhängigen Umweltgutachter zertifizieren lassen. Danach kann das Unternehmen die Eintragung in das Verzeichnis der zertifizierten Unternehmensstandorte beantragen. Diese Registrierung wird in Deutschland von den Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern übernommen.

Die zweite Möglichkeit ist die internationale Norm ISO 14000. Diese Zertifizierung erstreckt sich auf die Erstellung eines Umweltmanagementsystems für das Unternehmen. Die Zertifizierung nach ISO 14000 ist nicht veröffentlichungs- oder bekanntmachungspflichtig, daher können die zertifizierten Unternehmen in Deutschland nur geschätzt werden. Das Umweltbundesamtes schätzt das rund 7.500 Unternehmen nach ISO 14001 zertifiziert sind.

Die Durchführung eines solchen Umweltmanagementsystem bringt für das Unternehmen natürlich auch Kostenvorteile. Ein nachhaltiges Unternehmen betreibt vorsorgendes Risikomanagement, da potentielle Kosten für umweltbedingte Produktionsausfälle, Schadensbeseitigungen oder auch Kosten für Nachrüstungen bei Unterlassung rechtzeitiger Umstellung vermieden werden (Klimke, 1998, S. 37). Eine zukunftsfähige Unternehmenspolitik kann sich aber nicht auf ökologische Aspekte beschränken, sondern muß auch soziale Aspekte mit berücksichtigen (Leitschuh-Fecht/ Hermann, 1998).

Im Bereich der Produktpolitik sollte, wie erwähnt, der Schwerpunkt auf Produkte gelegt werden, die langlebig und reparaturfreundlich sind und einen möglichst kleinen „ökologischen Rücksack“ (Hinterberger u.a., 1996), d.h. einen geringen Ressourcenaufwand, haben. Als Indikator der Reduzierung von Stoffströmen bezogen auf ein Produkt kann das von Schmidt-Bleek am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie entwickelte Konzept der Materialintensität Pro Serviceeinheit (MIPS) als Hilfestellung dienen (Schmidt-Bleek, 1997). Dieses Konzept berücksichtigt alle Materialbewegungen und den Energiebedarf, die für ein Produkt pro Dienstleistungseinheit von der „Wiege bis zur Barre“ - also von der Produktion bis zur Entsorgung / Wiederverwertung - verwendet werden. Die verbrauchten Stoffmengen für dienstleistungsfähige Endprodukte können in Kilogramm bzw. Tonnen meßbar gemacht werden und damit dem Nutzen des Endproduktes direkt gegenüber gestellt werden.

So erhält der Konsument eine Hilfe sich für ökologische und materialextensive Produkte entscheiden zu können. Wenn der Konsument den Nutzen in ökologiegerechten Produkten erkennt wird er diese auch kaufen (siehe Kapitel I.3.4). Dadurch entsteht für Unternehmen und auch deren Mitarbeiter (Ingenieure, Entwickler, Marketingleute und Facharbeiter) die Aufgabe Produkte so zu gestalten, das sie langlebig, reparierbar, aufrüstbar, wiederverwendbar und schadstofffrei sind. Jedoch werden sich die Präferenzen der Konsumenten nicht automatisch ändern. Dazu müssen durch politische Maßnahmen Anreize geschaffen werden. Hierfür eignen sich gerade Abgaben auf Energie und Material, wie sie nunmehr von der neuen Bundesregierung mit der „Ökosteuer“ verfolgt werden.

Durch die preisliche Belastung von Energie und Material entstehen wieder staatliche Einnahmen, die entweder dazu genutzt werden können, den Faktor Arbeit durch Senkung der Lohnnebenkosten zu verbilligen. Oder diese Mehreinnahmen werden zur Finanzierung von Energie- und Materialeinsparungsmaßnahmen bzw. andere ökologische Projekte genutzt. In beiden Fällen können wiederum zusätzliche positive Beschäftigungseffekte erzielt werden.

Auch der Wirtschaftsförderung des Staates kommt eine bedeutende Rolle in der Umgestaltung des Wirtschaftssystems zu einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft zu. Staatliche Wirtschaftsförderungsprogramme sollten verstärkt Nachhaltigkeitsaspekte mit einbeziehen und Innovationen für Nachhaltige Entwicklung fördern. Dadurch könnten Innovationsbarrieren die gerade im Handwerk bestehen (Mendius, 1999) überwunden werden und die Potentiale einer Nachhaltigen Marktwirtschaft für Ökonomie und Ökologie weitgehend ausgenutzt werden.

2.2 Landwirtschaft

Ein weiterer Bereich, der ökonomisch zwar eine eher untergeordnete Bedeutung in der Bundesrepublik hat, allerdings politisch bzw. gesellschaftlich einen hohen Stellenwert besitzt, ist die Landwirtschaft. Auch im Hinblick auf eine Nachhaltige Entwicklung hat die Landwirtschaft eine hohe Bedeutung. Landwirte übernehmen heute neben der Nahrungsmittelproduktion auch landschaftspflegerische Aufgaben. Somit sind sie Akteure mit direktem Einfluß auf die Qualität der Natur.

Die konventionelle Landwirtschaft setzt heute im hohen Maße zur Ertragssteigerung auf Monokulturen und den Einsatz von Pestiziden, Herbiziden und Düngemittel (insbesondere Gülle aus der Massentierhaltung). Diese Wirtschaftsweise führt zu erheblichen Folgewirkungen auf Ökosysteme und auch den Menschen. Die Agrarund Lebensmittelskandale der letzten Jahre (z.B. BSE, Schweinepest oder Dioxin im Viehfutter) zeigen dies überdeutlich. VerbraucherInnen sehen sich einer zunehmenden Schadstoffbelastung ihrer Lebensmittel ausgesetzt. Dies führt zu einem nachhaltigen Vertrauensverlust in die Herstellung und Verarbeitung von Nahrungsmitteln. Aber auch soziale und ökonomische Schäden werden von der konventionellen Landwirtschaft verursacht. Das Einkommen der in der Landwirtschaft beschäftigten Menschen bleibt deutlich hinter dem gewerblichen Vergleichslohn zurück, zudem werden Arbeitsplätze in der Landwirtschaft reduziert (Schepper, 1997). Volkswirtschaftlich wirkt die konventionelle Landwirtschaft ebenfalls belastend, da inzwischen im Durchschnitt die Hälfte des Betriebsgewinns eines landwirtschaftlichen Betriebs aus staatlichen Direktzahlungen stammt. Die in Geld bewertete Wertschöpfung der Landwirtschaft liegt seit Jahren aber „unter dem Niveau der von Bund, Ländern und Europäischer Union bereitgestellten finanziellen Hilfen im Sektor Landwirtschaft.“ (ebenda, S. 196). Trotzdem kommen nur 35% der öffentlichen Zuschüsse bei den landwirtschaftlichen Betrieben an. Der überwiegende Teil bleibt im Großhandel, Verabeitungs- und Transportgewerbe stecken (ebenda). Ökologisch gesehen wird insbesondere die regenerierbare und komplexe Ressource Boden[21] in seiner Regenerationsfähigkeit stark belastet. Der Boden ist das Hauptumweltmedium für die Landwirtschaft. Er erfüllt eine Reihe von Funktionen, die auch für den Menschen von existenzieller Bedeutung sind.

So bildet der Boden die Lebensgrundlage für viele Lebewesen, inklusive für den Menschen (Lebensraumfunktion), er stellt Flächen für Siedlungs-, Verkehrs- und Erholungszwecke und zur Versorgung bzw. Entsorgung zur Verfügung (Trägerfunktion). Der Boden ist die Grundlage für land- und forstwirtschaftliche Produktion und für die Rohstoffgewinnung (Produktionsfunktion), er filtert und absorbiert Schadstoffe der biotischen und abiotischen Stoffumwandlung und dient als Filter, Puffer und Speicher für Wasser (Regelungsfunktion) (Brückner, 2000, S. 14). Die Belastung des Bodens durch die Landwirtschaft hängt in vielen Fällen direkt von der Produktionsintensität ab. Insbesondere Überdüngung und damit Nitratauswaschungen wirken hier außerordentlich belastend auf Boden und Wasser. Aber auch hinsichtlich der Artenvielfalt werden durch eine produktionsintensive Landwirtschaft und der übermäßigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und der eingeschränkten Anzahl von Tier- und Pflanzenarten negative Wirkungen verursacht.

Daher widerspricht die konventionelle Landwirtschaft extrem dem hier vertretenen Verständnis von Nachhaltigkeit.

Demgegenüber sollte eine Nachhaltige Landwirtschaft auf Vielfalt im Pflanzenbau und Tierbestand setzen, wodurch eine Regeneration der Böden und eine Begrenzung des Schädlingsbefall auf natürliche Weise ermöglicht wird Ein Beispiel für solch eine Form der Landwirtschaft ist der ökologische Landbau. Der Begriff des ökologischen Landbau ist heute von der Europäischen Union durch eine Verordnung formell vorgegeben (Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 1991). Diese Verordnung regelt umfangreich „die Erzeugung, Kontrolle und Etikettierung von Erzeugnissen des ökologischen Landbaus“ (Oberheitmann, 1995, S. 191).

Das Prinzip des ökologischen Landbau liegt in „der Organisation eines weitgehend geschlossenen Betriebsorganismus mit aufeinander abgestimmter Erzeugnisstruktur auf der Basis sich selbst regulierender Agrarökosysteme.“ (ebenda) Insbesondere gilt ein weitgehender Verzicht auf mineralischen Dünger und chemisch-syntetischer Pflanzenschutzmittel und ein stärkerer Einsatz der menschlichen Arbeitskraft als kennzeichnend für den ökologischen Landbau. Der Ansatz stellt damit „die konsequenteste Form einer dauerhaft umweltgerechten, effizienten und damit zukunftsfähigen Landwirtschaft“ (Schepper, 1997, S. 197) dar. Vor allem durch die wesentlich extensivere Bewirtschaftung des Landes kann diese Form zumindest im ökologischen Sinn als nachhaltig bezeichnet werden.

Aber auch ökonomisch bzw. sozial ist der ökologische Landbau der konventionellen Landwirtschaft vorzuziehen. Wie schon in Kapitel I.3.1 erwähnt, schätzt die Untersuchung der Prognos AG die direkten Beschäftigungseffekte durch eine weitgehende Umstellung der Landwirtschaft zum ökologischen Landbau[22] auf brutto 85.100 neue Arbeitsplätze. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in vor- und nachgelagerten Sektoren (Chemie, Nahrung und Genuß) ein Beschäftigungsverlust von rund 7.000 Arbeitsplätzen zu verzeichnen ist und der netto Beschäftigungseffekt bei etwa 78.100 zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft liegt. Eine schrittweise Umstellung der Landwirtschaft auf einen ökologischen und sozialgerechten Landbau, ist daher eine notwendige Voraussetzung für eine Nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. Zu bedenken ist allerdings auch, daß durch die geringere Produktivität des ökologischen Landbaus, wahrscheinlich die Preise für Agrarprodukte wieder steigen werden und die privaten Haushalte eine größeren Anteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Trotz dieser negativen Begleiterscheinung, ist die Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft zu befürworten, da durch die Folgewirkungen der konventionellen Landwirtschaft, wie beschrieben, die konservative Form des Landbaus letztlich nicht durchzuhalten ist.

Die flächendeckende Umstellung der Landwirtschaft auf ökologische Belange ist in der Bundesrepublik durchaus möglich und auch wirtschaftlich. Dazu kann eine Umschichtung der finanziellen Mittel, die heute zur Vernichtung landwirtschaftlicher Überproduktion verwandt werden, in den ökologischen Strukturwandel in der Landwirtschaft beitragen. Eine Umstellung der Landwirtschaft scheint in einem Zeitraum von 20 Jahren machbar zu sein. Landwirte haben in diesem Zeitrahmen genügend Zeit zur Umstellung (ggf. im Rahmen der Generationenfolge), es wird verhindert, das Investitionsgüter von einer weiteren Nutzung ausgeschlossen werden und Marktkräfte können einen Großteil des Strukturwandels unterstützen.

Der Strukturwandel kann durch die gezielte Förderung von Märkten für Produkte des ökologischen Landbaus erzielt werden. Dazu kann in erster Linie die europäische Agrarpolitik beitragen indem die Agrarsubventionen umstrukturiert werden (BUND/ Misereor, 1996, S. 240). Die heutige Agrarpolitik trägt in hohen Maße zu der Problematik der konventionellen Landwirtschaft bei (Schepper, 1997, S. 196). Daher ist eine Reformierung der Agrarpolitik notwendig - wenn dies auch auf europäischer Ebene geschehen muß.

So müssen reine Stützungen der Preise für europäische Agrarprodukte auf dem Weltmarkt eingestellt werden, da diese zur Produktion von Überschüssen führen. Hierdurch erfolgt eine Verzerrung des Marktes und die sensiblen Agrarmärkte der Entwicklungsländer laufen Gefahr zusammen zu brechen.

Stattdessen sollte ein Anreiz zum ökologischen Landbau gegeben werden, indem die europäischen Ausgleichszahlungen an die Verfolgung von sozialen und ökologischen Zielen gebunden werden.

Eine Umwidmung von umwelt- und sozialschädlicher Fördermittel aus der Gemeinschaftsaufgabe Landwirtschaft und Küstenschutz zugunsten des ökologischen Landbaus kann eine weitere Unterstützung auf der Angebotsseite für einen Strukturwandel sein.

Eine gezielte Unterstützung des Absatzes von landwirtschaftlichen Produkten aus der Region könnte die Rahmenbedingungen für die Schaffung von regionalwirtschaftlichen Produktions- und Absatzstrukturen schaffen bzw. stärken. Dies kann letztlich zu der erwünschten Extensivierung der Landwirtschaft und damit zur Ökologisierung beitragen. Auch kleinere landwirtschaftliche Betriebe würden dadurch gefördert.

Hier zeigt sich aber auch eine Verknüpfung zu anderen Bereichen, um eine nachhaltige Landwirtschaft umsetzen zu können. Denn nicht nur die Angebotsstruktur ist von Bedeutung, sondern auch die Nachfrage nach Produkten aus dem ökologischen Landbau. Dies bedingt auch eine Änderung der Ernährungsweise der Haushalte, was in den Bereich der Lebensstile hineinreicht. Hierzu ist eine Kennzeichnung der Lebensmittel in Herkunft, Produktionsweise und Behandlungsmethoden notwendig (BUND/ Misereor, 1996, S. 250). Auch hier könnte ein Berechungsmaß wie das MIPS-Konzept für die gewerbliche Produktion sinnvoll sein. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, daß regionale Produkte grundsätzlich nachhaltiger sind. So ist es z.B. sinnvoller Produkte, die nur mit einem hohen Aufwand an Energie regional produziert werden können, aber anderswo ökologischer hergestellt werden können, zu importieren. In ein Nachhaltigkeitskonzept für die Landwirtschaft müssen demnach auch importierte / angeeignete Tragfähigkeiten[23] einbezogen werden. Denn jede Region verbraucht Ressourcen und belegt Land in anderen Teilen der Welt (Mohr, 1996). Daher kann sich eine Nachhaltigkeitsstrategie nicht nur auf einen umwelt- und auch sozialverträglichen Landbau in der eigenen Region beschränken, sondern muß auch ihren Einfluß auf andere Regionen in das Konzept mit aufnehmen[24]. Auf der Angebotsseite könnte auch eine langfristig angelegt, steigende Besteuerung des Primärenergieverbrauchs zur Förderung des ökologischen Landbaus beitragen, da der ökologische Landbau im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft eher von Fixkosten abhängig ist und von einem wesentlich geringeren Energieverbrauchsniveau ausgeht. Zudem ist der Effekt der Energieverteuerung in der konventionellen Landwirtschaft durch den hier vergleichsweise höheren Zukaufanteil von energieintensiven Vorleistungen (insbesondere chemische Düngemittel) größer. Die direkten Energiekosten haben demgegenüber in beiden Landbewirtschaftungsformen, mit 3% der Gesamtkosten einen nur geringen Anteil (Oberheitmann, 1995). Andererseits kann die Verwendung der im ökologischen Landbau zwar nicht in so großen Mengen anfallenden Gülle als Lieferant für Biogas in einer hofeigenen Biogasanlage, wiederum eine Einkommensquelle in nicht zu unterschätzendem Ausmaß sein (siehe Kapitel I.2.5).

Weiterhin kann man sich die Erhebung einer gestaffelten Flächennutzungsabgabe durch die Kommune oder einer regionalen Instanz je nach Art der Nutzung vorstellen. Diese Maßnahme sollte allerdings nicht in erster Linie bzw. ausschließlich auf landwirtschaftliche Betriebe angewendet werden. Es wird daher im Rahmen der Stadtentwicklung noch einmal auf diese Maßnahme zurück gekehrt. Zur Landwirtschaft muß im weiteren Sinne auch die Forstwirtschaft gerechnet werden. Hier wird zwar im deutschen Forstrecht schon ein umfassendes Nachhaltigkeitsverständnis vertreten (§ 1 Abs. 1 Bundeswaldgesetz). Jedoch stellt sich hier wiederum die Frage nach der Qualität der Bewirtschaftung. Wenn auch die Waldgesetze gewisse Mindestnormen vorschreiben (Schutz hiebunreifer Bestände usw.), ist dies noch nicht als eine Bewirtschaftung im Sinne der Nachhaltigen Entwicklung zu verstehen. So werden, um ein Beispiel zu nennen, auch in der deutschen Forstwirtschaft immer noch schnellwachsende Monokulturen angebaut, die später mit bodenverdichtenden und somit bodenzerstörenden Maschinen geerntet werden.

Ziel sollte die sukzessive Steigerung der Bewirtschaftung auf einen flächendeckenden naturnahen Waldbau, mit einer verstärkten Nutzung heimischer Baumarten, bis 2010 sein. Dies betrifft in erster Linie den privaten Waldbau.

2.3 Stadtentwicklung und Lokale Agenda 21

Neben dem Wirtschaftssystem und der Produktionsweise von Produkten, auf die in den vorherigen Abschnitten eingegangen wurde, ist die Siedlungsstruktur (insbesondere in urbanen Räumen) ein wichtiger Bestandteil einer Nachhaltigkeitsstrategie. Schon in der AGENDA 21 der Rio-Konferenz wurde die große Bedeutung von lokalen Räumen mit einem eigenen Kapitel (Kapitel 28) unter dem Stichwort „Lokale Agenda 21“ gewürdigt (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), o.J.).

Gerade für die dichtbesiedelte Bundesrepublik und insbesondere die Ballungszentren in Nordrhein-Westfalen ist die Lokale Agenda 21 von hoher Bedeutung. Im Rahmen dieser Arbeit soll nicht auf alle Aspekte dieses Komplexes eingegangen werden, da in anderen Abschnitten bereits auf Teilaspekte eingegangen wurde bzw. wird. In diesem Abschnitt soll sich in erster Linie auf den Teilaspekt der Flächennutzung bzw. der Raumplanung und die Notwendigkeit von kooperativen Umsetzungsstrategien bezogen werden. Wie später noch genauer zu zeigen sein wird, kann eine Nachhaltigkeitsstrategie, so auch die Lokale Agenda 21, nicht von der Politik oder der Verwaltung alleine umgesetzt werden. Zur Umsetzung des Konzepts sind alle in der Kommune tätigen Akteure zum Handeln aufgefordert. Abbildung 5 zeigt die wichtigsten Akteure im Prozeß der Lokalen Agenda 21. Ein wichtiges Problem im Zusammenhang mit lokaler Nachhaltigkeit ist die zunehmende Ausdehnung der Städte in das Umland und die zunehmende räumliche Trennung von Wohnen, Arbeiten und Versorgungseinrichtungen (mit Auswirkungen auf das Verkehrsvolumen). Die Siedlungsstruktur wird zunehmend diffuser und hat in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen. Die Anforderungen an eine nachhaltige Siedlungsstruktur werden vor diesem Hindergrund nicht erreicht werden können. Daher erlebt die Diskussion über die negativen räumlichen Konsequenzen und die daraus resultierenden politischen Handlungsanforderungen eine Boomphase (Tönnies, 1999, S. 59). Die Raumplanung erhält die Aufgabe, die Grunddaseinsfunktionen räumlich so zu organisieren, daß möglichst wenig Fläche, Material und Energie benötigt werden. Die nachhaltige Siedlungsentwicklung steht also ebenfalls für einen „sparsamen, ökologisch tragfähigen und kosteneffizienten Umgang mit den begrenzten natürlichen Ressourcen“ (Bergmann/ Siedentop, 1998, S. 196). So ist auch für den Sektor der Stadtentwicklung bzw. der Raumplanung die Ressourceneffizienz von Bedeutung. Insbesondere bezieht sich in diesem Zusammenhang die Effizienz auf eine ressourceneffiziente Flächennutzung. Mit dem Indikator Flächenverbrauch, gemessen in der Inanspruchnahme von Fläche als Siedlungs- und Verkehrsfläche[25] (qkm) können auch andere Indikatoren, wie Energie- und Materialverbrauch, und wichtige Belastungspotentiale, wie Versiegelung des Bodens[26], Lärm- und Schadstoffemissionen und Zerschneidung von Landschaftsräumen, zusätzlich indiziert werden (Birkmann, 1999). Weiterhin ist noch die Art und Intensität der Flächennutzung als qualitativer Indikator relevant.

Akteure einer kommunalen Nachhaltigkeitsstrategie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Hucke, 1996, S. 649

Abbildung 5

[...]


[1] Zu einem Überblick Bruckmeier (1994)

[2] Wertesysteme sollen in Gesellschaften zwei Funktionen erfüllen: Individuelle Werte sollen als Richtschur für die befriedigende Gestaltung des eigenen Lebens dienen und gesellschaftliche Werte im Gegenzug die Grundlage für eine soziale Moral und Verhaltensregeln schaffen, die Konflikte in der gesellschaftlichen Interaktion vermeiden und diese damit ermöglichen. Beide Funktionen stehen in einem Spannungsverhältnis, da individuelle Werte in Konflikt mit denen anderer oder mit gesellschaftlichen Werten geraden können. Daher wirkt das gesellschaftliche Wertesystem homogenisierend auf die Individuen. An ein gesellschaftliches Wertesystem stellen sich dadurch zwei Herausforderungen: Es muß sich an sich immer schneller wandelnde gesellschaftliche Bedingungen anpassen und berücksichtigen das individuelle Entfaltungsmöglichkeiten den

[3] Bei der Konkretisierung des Nachhaltigkeitsbegriffs soll eine kurze Abwägung der beiden Visionalisieungen der Nachhaltigkeit vorgenommen werden

[4] Diese Einschätzung wurde u.a. von der Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht 1992 (Weltbank, 1992, S. 44ff.) vertreten.

[5] Dieses Verständnis von Nachhaltiger Entwicklung wird u.a. vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie vertreten

[6] Mit Umwelt ist nicht die objektive Natur im Sinne der Naturwissenschaften gemeint , sondern ein „subjetives Korrelat menschlichen Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns“ Kruse-Graumann, 1996, S. 127). Die gesellschaftliche Konstruktion von Umwelt weist kulturspezifische Unterschiede auf und ist den jeweiligen sozio-kulturellen und politisch-ökonomischen Gegebenheiten abhängig (ebenda).

[7] Dies bezieht sich vor allem auf eine pathozentrische Perspektive des Einbezugs von empfindungsfähigen Tieren in Form von Vorsorge gegen Leiden und Erhaltung der Diversität, also des Verbots der irreversiblen Ausrottung einer Art durch anthropogene Einflüsse.

[8] Zur Auseinandersetzung zwischen anthropozentrischem Ansatz vs. ökozentrischer Ansatz siehe (Heister, 1997) und (Renn, 1996).

[9] Zur Evolutorischen Ökonomie vgl. u.a. Priddat/Wegner, 1996; Penz /Wilkop, 1996

[10] Zur Nord-Süd-Dimenssion der Nachhaltigkeit, der Bundesrepublik und Nordrhein-Westfalens, siehe Fues, 1998a;Fues, 1998c, Fues, 1999

[11] Die Tragfähigkeit eines Ökosystems ist dessen Eigenschaft, für eine oder mehrere Spezies dauerhaft eine Lebensgrundlage zu bilden. Die ökologische Tragfähigkeit ist also “die größte Zahl von Individuen einer bestimmten Biospezies, die eine definierte Raumeinheit tragen kann (Maximal Population).” (Brückner, 2000, S. 12) Für Tiere ist die Tragfähigkeit eines Ökosystems eine exogene Größe. Der Mensch dagegen kann sie durch die „Umgestaltung der Natur in eine produktive Umwelt (Kulturlandschaft) beeinflussen.“ (Renn, 1996, S. 85)

[12] Diese Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme hat für NRW, insbesondere das Ruhrgebiet, zentrale Bedeutung.

[13] Es ist festzuhalten, daß 20% der Erdbevölkerung (die der OECD-Staaten und fortgeschrittenen Schwellenländer) rund 80% der jährlichen globalen Ressourcennutzung beanspruchen und 45% der klimarelevanten Emissionen freisetzen. Vor allem die Schwellenländer Asiens (und hier China) holen im Ressourcenverbrauch und den Emissionen (insbesondere CO2) im Vergleich zu den OECD-Staaten rasant auf (u.a. Krägenow, , Hauchler u.a., 1999, S. 311).

[14] Diese Regeln des Sustainable Developments werden in einer Vielzahl von Publikationen erwähnt. Vgl. u.a. (Meadows u.a., 1993); (Enquete-Kommission des 12. Deutschen Bundestags ”Schutz des Menschen und der Umwelt” , 1994). Auch im Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung werden diese Regeln erwähnt (Hauff, 1987).

[15] Vor allem für das Fallbeispiel Nordrhein-Westfalen sind dies meiner Meinung nach die Zentralsektoren der Nachhaltigen Entwicklung. Daher wird die Analyse im empirischen Teil für das Land Nordrhein-Westfalen noch einmal wiederholt.

[16] Zu den Erfordernissen der Nachhaltigen Entwicklung in Entwicklungsländern siehe Günther, 2000.

[17] So sieht die Commission on Sustainable Development (CSD) die Dematerialisierung als notwendig für die Implementation der Kyoto-Ziele an (UN-Sekretariatsbericht für die CSD Sixth Session 20.4. - 3.5.98, Artikel 48). Der Global Environmental Outlook des UNEP nimmt ebenfalls explizit Bezug auf den Ansatz (UNEP , 1997, S. 135).

[18] Zur These der besseren Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie durch Regionaliserung der Wirtschaftsstrukturen vgl. u.a. Adam, 1997; BUND/ Misereor, 1996; Hey/ Schleicher-Tappeser, 1998; Sauerborn, 1996

[19] vgl. u.a.: BUND/ Misereor, 1996; Institut für sozialökologische Forschung, 1993;Meadows u.a., 1972; Östereichische Bundesregierung, 1996

[20] Der Indikator Materialentnahme bilanziert nach dem Ansatz der umweltökonomischen Gesamtrechnung zusätzlich zu den für den Indikator Rohstoffentnahme (verwertete Rohstoffe und importierte Güter) auch die nicht verwerteten Rohstoffe. Es wird zwischen der unmittelbaren Materialentnahme (verwertete und nichtverwertete Rohstoffentnahme aus der inländischen Natur sowie importierte Materialien) und mittelbare Materialentnahme (zur Erzeugung der importierten Güter entstandenen Materialentnahmen in der übrigen Welt) unterschieden.

[21] Unter der Ressource Boden wird „der Übergang von der Erdkruste zur Atmosphäre, Biosphäre und Hydrosphäre“ verstanden (Brückner, 2000, S. 14). Mit diesen bildet der Boden ein eng vernetztes Ökosystem.

[22] Die Prognos AG geht von einem Anteil von 53% des ökologischen Landbau an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in 2020 aus (Scheelhaase, 1999, S. 582).

[23] Importierte Tragefähigkeiten sind Ressourcen und Landflächen die Gesellschaften durch wirtschaftliche Verflechtungen und Austauschvorgänge außerhalb ihres Territoriums beanspruchen (Mohr, 1996, S. 51)

[24] Einen ersten Ansatz hierzu bittet Thomas Fues, der ein Indikatorensystem zur Nachhaltigkeit der Beziehungen zum Süden erstellt hat (Fues, 1998b)

[25] Zur Siedlungsfläche zählen Gebäude- und Freiflächen, Betriebsflächen ohne Abbauland, Erholungsflächen und Firedhöfe. Als Verkehrsfläche gelten Flächen für den Straßen-, Luft-, Schienen und Schiffsverkehr ohne Wasserflächen.

[26] Das Problem besteht darin, daß eine einmal versiegelte Fläche in ihrer Funktionsfähigkeit für das Ökosystem dauerhaft geschädigt ist und ihre Funktionen für Wasserhaushalt, Artenvielfalt und das Mikroklima nicht mehr erfüllen kann.

Ende der Leseprobe aus 151 Seiten

Details

Titel
Umsetzung eines nachhaltigen Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen. Handlungsspielräume und Grenzen für regionale Akteure
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2000
Seiten
151
Katalognummer
V19956
ISBN (eBook)
9783638239745
ISBN (Buch)
9783656834359
Dateigröße
879 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Umsetzung, Strukturwandels, Nordrhein-Westfalen, Handlungsspielräume, Grenzen, Akteure
Arbeit zitieren
Dirk Günther (Autor:in), 2000, Umsetzung eines nachhaltigen Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen. Handlungsspielräume und Grenzen für regionale Akteure, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19956

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