Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Problemstellung und Ziel der Arbeit
2. Der Ordoliberalismus und die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft
3. Die Entwicklung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und der Einfluss des Bundesverbandes der Deutschen Industrie
3.1 Kontroversen in der Entstehungszeit und ein „Papiertiger“ im Resultat
3.1a Die Rolle der Alliierten und die wettbewerbspolitische Position des BMWi
3.1b Die wettbewerbspolitische Position des BDI
3.1c Der BDI-Einfluss auf Parlamentarier und erste Erfolge
3.1d Erste Auflockerungen des Gesetzes im zweiten Bundestag
3.1e Taktisches motiviertes Entgegenkommen in der Kartellfrage
3.1f Ein „Papiertiger“ im Resultat
3.1g Die Faktoren erfolgreicher Interessenvertretung
3.2 Die 2. GWB-Novelle: Verschärfte Fusionskontrolle
4. Fazit und Bewertung
5. Literaturverzeichnis
1. Problemstellung und Ziel der Arbeit
Als „Grundgesetz der Wirtschaft“[1] sah Ludwig Erhard das Kartellgesetz, das durch ein allgemeines Kartellverbot und einer Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen den freien Leistungswettbewerb befeuern und damit der Sozialen Marktwirtschaft[2] zum Durchbruch verhelfen sollte. Sie war die „Zauberformel“ für den wirtschaftlichen Erfolg und Aufstieg breiter Gesellschaftsschichten in der jungen Bonner Republik. Während sowohl das Kartellgesetz als auch die Soziale Marktwirtschaft in der Öffentlichkeit mit dem Namen Erhard verbunden werden, geht die Konzeption in der Theorie auf die Vertreter des Ordoliberalismus um die prominentesten Köpfe Walter Eucken und Alfred Müller-Armack zurück. Aus den „konstituierenden und regulierenden Prinzipien“[3] (Eucken) der Theorie entstanden zwischen 1949 und 1957 die wichtigsten Gesetze und Institutionen, die sich fortan haben messen müssen an ihren Ansprüchen und stets Kritik ausgesetzt waren aufgrund ihrer Unvollkommenheiten.
Besonders der Aspekt des „Sozialen“ ist dabei vielfach in der Fachliteratur einer kritischen Überprüfung unterzogen worden. Diese Arbeit befasst sich dagegen mit der Wettbewerbsordnung, die, gegen Monopolismus und Vermachtung der Märkte gerichtet, Garant sein soll für die Freiheit und maximale Wohlfahrt des Menschen. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Staat, welcher die Durchsetzung des Ordnungsrahmens unabhängig von Einzelinteressen sicherstellen soll. Gleichzeitig soll er sich aber, ganz im Sinne einer liberalen Theorie, mit weiteren Interventionen zurückhalten und auf seine Kernaufgaben konzentriert bleiben. Es stellt sich also die Frage, ob ein Staat überhaupt den gewünschten Ordnungsrahmen durchsetzen kann? Ihm entgegen stellen sich Interessengruppen, die Einfluss auf die Gesetzgebungsprozesse nehmen wollen. Für diese Untersuchung soll beispielhaft der Einfluss des BDI auf die Kartellgesetzgebung untersucht werden, da der BDI als Vertreter der Industrieinteressen in starker Opposition zu dem Gesetz stand. Der Untersuchungszeitraum ist auf die Zeit von der Entstehung des Gesetzes ab 1949 bis zur 2. Novellierung 1973 mit der Einführung der Fusionskontrolle begrenzt, da hier zum einen die bedeutendsten Entwicklungen des Gesetzes passiert sind und zum anderen die Quellenlage sehr günstig ist. Robert (1976) und Jäckering (1977) haben jeweils Monographien über die Entstehung des GWB bzw. der 2. Novellierung veröffentlicht, Ortwein (1998) und Kurzlechner (2008) haben Abhandlungen über die Entstehung des Bundeskartellamtes verfasst. Dazu sind zahlreiche Büchern über die Soziale Marktwirtschaft verfügbar.
Bei der Untersuchung wird zunächst aufgrund erster Literatursichtung von der Hypothese ausgegangen, dass der Staat, wenn auch mit Konzessionen an die Benachteiligten, in der Lage ist, einen Ordnungsrahmen durchzusetzen. Um dies zu überprüfen muss in einem ersten Schritt das theoretische Konzept der Ordoliberalen, insbesondere im Hinblick auf die Aufgaben des Staates, dargestellt werden. In der anschließenden Analyse muss geklärt werden, welche ordoliberalen Vorstellungen auf die Gesetzgebung eingewirkt haben, um dann die Einflussnahmen des BDI zu rekonstruieren und analysieren. Schließlich werden die Stränge in einem Fazit zusammengeführt und mit Blick auf die Forschungsfrage ausgewertet.
2. Der Ordoliberalismus und die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges sah sich die junge Bundesrepublik vor die Aufgabe gestellt, über die zukünftige Form des Wirtschaftens und die Aufgabe des Staates in dieser Ordnung entscheiden zu müssen. Eine bedeutende Rolle erlangten in diesem Zusammenhang die Ideen der Ordoliberalen[4], die als Gruppe von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen und mit verschiedenen Wertvorstellungen bereits unter dem Nationalsozialismus mit der Neuinterpretation der Wirtschaftspolitik begannen[5] ; deren Arbeiten aber mitnichten als ein „geschlossenes Theoriegebäude“[6] angesehen werden können.
Ursprünglich auch als deutsche Neoliberale bezeichnet[7], wandten sich die Sympathisanten dieser Denkrichtung in ihren normativen Grundannahmen mit Vehemenz gegen jeglichen wirtschaftsplanenden Politikansatz und waren sich einig in der für die menschliche Selbstverwirklichung herausragenden Bedeutung der individuellen Freiheit und Unabhängigkeit[8], die nur in einem marktwirtschaftlichen System mit rechtsstaatlich garantierten Eigentums- und Freiheitsrechten realisiert werden könne.[9] Freiheit wurde verstanden im negativen Sinne als die Begrenzung von politischer und wirtschaftlicher Macht[10] sowie im positiven Sinne als die Öffnung von Entfaltungsspielräumen zur Betätigung im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozess.[11]
Der Wettbewerb als zentrales Instrument dieser Konzeption sichert durch seine überlegene ökonomische Effizienz basierend auf den Prinzipien von Leistungsanreiz und Eigeninitiative das Versprechen des „Wohlstand für alle“, muss aber letztlich immer ein Mittel bleiben, um gesellschaftspolitische Wertvorstellungen zu realisieren[12], über die aber „jenseits von Angebot und Nachfrage“[13] entschieden wird. Alexander Rüstow sagte zur Funktion der Ökonomie: „All social, ethical, cultural and human values are more important than the economy, yet the economy must prepare the ground for their fullest development.”[14]
Die größte Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs sahen die Ordoliberalen in der Vermachtung der Märkte und der daraus erwachsenden Abhängigkeit des Einzelnen von bestimmten Machtgruppen[15], welche gleichzeitig im Sinne ihrer Partikularinteressen einen gezielten und machtvollen Einfluss auf den politischen Gesetzgebungsprozess ausüben können.[16] Das Idealbild ist deshalb der vollständige Wettbewerb im Sinne der neoklassischen vollkommenen Konkurrenz, in der die Marktteilnehmer im Gleichgewichtszustand Preisnehmer sind und die Macht Einzelner durch den dezentralen Marktmechanismus begrenzt wird.[17]
Die wichtigste Grundüberzeugung der Ordoliberalen ist jedoch, dass eine freie marktwirtschaftliche Ordnung immer zur Monopolbildung und dem Entstehen von industriellen Machtblöcken tendiert[18] und deshalb die Marktwirtschaft nur innerhalb der Grenzen einer staatlich garantierten Wettbewerbsordnung ihre freiheitssichernde Funktion erfüllen kann.[19] So wird Wettbewerb zur „staatlichen Veranstaltung“[20], da dem Staat die Aufgabe zukommt, Monopole zu beseitigen und industrielle Machtkonzentrationen zu entflechten[21]: „Economic policy, therefore, should not direct itself against abuse of power by existing monopolies, but rather against their very existence.“[22] Um eine solche Politik durchsetzen zu können, ist zwingend ein starker Staat notwendig, der den Einflussnahmen der verschiedenen und teils sehr mächtigen Interessengruppen widerstehen und als „Vertreter der Allgemeinheit“[23] agieren kann.[24] Allerdings ist unter einem starken Staat unbedingt ein unabhängiger und keinesfalls ein sich ausdehnender Staat zu verstehen, der immer mehr in das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger eingreift.[25] Staatliche Macht muss gerade ausreichend sein, um ökonomische Macht zu begrenzen.[26] Eucken sprach davon, dass der Staat „die Formen, das institutionelle Rahmenwerk, die Ordnung, in der gewirtschaftet wird“ beeinflussen, nicht aber den „Wirtschafts prozeß selbst […] führen“ [Herv. durch Verfasser] solle.[27] Mit diesen Vorstellungen grenzten sich die Ordoliberalen deutlich von Vertretern des klassischen „Laissez-faire“-Liberalismus ab, die jegliche Staatsintervention jenseits von Infrastrukturstrukturpolitik und Bereitstellung von öffentlichen Gütern ablehnten.
Neben dem Einstehen für die in einer geordneten Marktwirtschaft verwirklichte individuelle Freiheit waren sich die Ordoliberalen auch einig darin, dass ein Zustand sozialer Gerechtigkeit das Ziel jeder Gesellschaftsordnung sein muss.[28] Eine Überzeugung, die zum Teil aus einem konservativen Geschichtsverständnis, vor allem aber aus Einflüssen der christlichen Soziallehre resultierte.[29] Der vehementeste Vertreter dieser Position, Alfred Müller-Armack, sah die wichtigste Funktion der Sozialen Marktwirtschaft darin, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden“.[30] Während Müller-Armack also für eine „sozialpolitische Einkommensumleitung“[31] eintrat, betonten andere Ordoliberale im Kontext der Sozialpolitik eher den Aspekt der Chancengerechtigkeit, die im Dienste der individuellen Freiheit hergestellt werden soll.[32] Auch bei der Sozialpolitik ist wieder ein starker, unabhängiger Staat gefordert, dessen Eingriffe in die Wirtschaft aber stets „marktkonform“ sein müssen.[33]
Auch wenn die Väter der Sozialen Marktwirtschaft nicht die Blaupause für einen institutionellen Rahmens lieferten und die konkrete Ausgestaltung den wirtschaftspolitischen Praktikern überließen, so leisteten sie doch einen bedeuteten Beitrag zur Rehabilitation des Kapitalismus im Nachkriegsdeutschland.[34] Mit dem klaren Bekenntnis zur individuellen Freiheit und damit zur Marktwirtschaft positionierten sie sich gegen aufkommende Ideen zu einer kollektivistischen, zentralverwalteten Planwirtschaft.[35] Gleichzeitig grenzten sie sich ab sowohl von der staatskapitalistischen Kriegswirtschaft des faschistischen Deutschlands als auch vom klassischen liberalen Kapitalismusverständnis, da beide Formen nicht die Funktionsfähigkeit des Marktes gegen Monopolisierungstendenzen verteidigen könnten.[36] Damit konnte sich die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft als „Dritter Weg zwischen Kapitalismus und totalitärem Sozialismus“[37] präsentieren und als „sozialer Kapitalismus“[38] eine neue und gangbare Perspektive für die Wirtschaftspolitik in der zukünftigen Bundesrepublik Deutschland bieten. Als solche fand sie Einzug in die Düsseldorfer Leitsätze von 1949, die das Wirtschafts- und Gesellschaftsprogramm für den ersten Bundestagswahlkampf der CDU bildeten.[39] In der dort formulierten Definition bekennen sich die Christdemokraten klar zum Leistungsprinzip im Wettbewerb und zur Bekämpfung von Monopolstellungen:
Die ‚soziale Marktwirtschaft‘ ist die sozial gebundene Verfassung der gewerblichen Wirtschaft, in der die Leistung freier und tüchtiger Menschen in eine Ordnung gebracht wird, die ein Höchstmaß von wirtschaftlichem Nutzen und sozialer Gerechtigkeit für alle bringt. Diese Ordnung wird geschaffen durch Freiheit und Bindung, die in der ‚sozialen Marktwirtschaft‘ durch echten Leistungswettbewerb und unabhängige Monopolkontrolle zum Ausdruck kommt.[40]
Nach dem Wahlsieg der CDU war dann ab 1949 Ludwig Erhard als Wirtschaftsminister maßgeblich für die praktische Umsetzung und die Verteidigung ihrer Grundsätze gegenüber Gegnern aus allen Lagern verantwortlich.[41]
[...]
[1] Ludwig Erhard, zitiert nach Jäckering 1977: 11
[2] Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ wird in dieser Arbeit zurückgehend auf dessen Namensgeber Alfred Müller-Armack entgegen den Regeln der deutschen Orthographie mit einem großen „S“ geschrieben.
[3] Walter Eucken, zitiert nach Schlecht 1990: 18
[4] Der Name geht zurück auf die 1948 von Walter Eucken und Franz Böhm gegründete Zeitschrift „ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft“. Mitgearbeitet am ordoliberalen Werk haben neben Eucken und Böhm v.a. Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke, Friedrich A. Lutz, Leonard Miksch, Fritz W. Meyer und K.F. Maier; Vgl.: Schlecht 1990: 12
[5] Vgl. Vogel 2008: 30
[6] Aßländer und Ulrich 2009: 14
[7] Die Namensgebung erfolgte als Abgrenzung zu den Anhängern eines klassischen „Laissez-faire“-Liberalismus
[8] Vgl. Schmidt 2009: 198, vgl. auch Brodbeck: 46f
[9] Vgl. Schmidt 2009: 198f
[10] Vgl. Schlecht 1990: 11
[11] Vgl. Goldschmidt 2009: 28
[12] Vgl. Schmidt 2009: 199
[13] Wilhelm Röpke zitiert nach Goldschmidt 2009: 30
[14] Alexander Rüstow zitiert nach Barry 1989: 108
[15] Vgl. Schlecht 1990: 11
[16] Vgl. Barry 1989: 116
[17] Vgl. Brodbeck 2009: 55
[18] Vgl. Barry 1989: 115
[19] Vgl. Schlecht 1990: 11
[20] Leonard Miksch zitiert nach Goldschmidt: 29
[21] Vgl. Barry 1989: 115
[22] Walter Eucken zitiert nach Barry 1989: 115f
[23] Wilhelm Röpke zitiert nach Goldschmidt: 29
[24] Vgl. Barry 1989: 116f
[25] Vgl. Goldschmidt 2009: 29
[26] Vgl. Schlecht 1990: 11
[27] Schlecht 1990: Präambel
[28] Vgl. Aßländer und Ulrich 2009: 13
[29] Ebd.
[30] Alfred Müller-Armack zitiert nach Schmidt 2009: 198
[31] Schlecht 1990: 13
[32] Vgl. Schmidt 2009: 198
[33] Vgl. Barry 1989: 117f
[34] Vgl. Schlecht 1990: 15
[35] Vgl. Welteke 1976: 35ff
[36] Ebd.
[37] Schmidt 2009: 198
[38] Welteke 1976: 42
[39] Vgl. Wagner 1978: 7
[40] Ebd.
[41] Vgl. Schlecht 1990: 12