Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Diejunge Luftfahrt
2.1 Aufbruch und Hoffnung
2.2 Ängste und Schreckensszenarien
3. Die Luftfahrt im Ersten Weltkrieg
3.1 Der militärische Einsatz von Flugmaschinen
3.2 Wahrnehmung und Kontrastierung
4. Die Zwischenkriegszeit
4.1 Kulturelle Konstruktion und literarische Verargumentierung
4.2 Die Entgrenzung der Gewalt im Luftkrieg
4.3 Aufbruch in die „mythische Moderne“ - Aviatik und Faschismus
5.Zusammenfassung
6.Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bereits in der griechischen Mythologie ist die „Doppelgesichtigkeit“ der Luftfahrt auf bemerkenswerte Weise in der Sage von Ikarus und Dädalus vorgezeichnet: zwar gelingt es den beiden, mit Flügeln aus Wachs die Fähigkeit des Fliegens technisch zu realisieren, doch Ikarus wird schnell übermütig und fliegt zu hoch empor, sodass die Sonne die Wachsflügel auf seinem Rücken zum Schmelzen bringt und er ins Meer stürzt und stirbt. Diese technologische Hybris begleitet die Menschheit auch nach der Erfindung des modernen Flugzeugs bis zum heutigen Tage. „Der Traum vom Fliegen,“ so Helmuth Trischler, „beruht, wie interkulturelle Vergleiche zeigen, auf einer anthropologischen Konstante: dem Streben nach der Entgrenzung, nach der Befreiung von der realen Raum-Zeit-Struktur. Ballon, Luftschiff und Flugzeug lieferten die technische Basis für die Verwirklichung des Traumes von Dädalus, dem irdischen Labyrinth durch die Luft zu entfliehen.“1 Wie bei allen revolutionären technischen Neuerungen wurde auch die Erfindung des modernen motorisierten Flugzeugs durch die Gebrüder Wright und dessen darauffolgende stetige Weiterentwicklung - erst zur Attraktion, dann zur Kriegsmaschine und schließlich zum Massentransportmittel - nicht nur von Begeisterung und utopischen Hoffnungen begleitet, sondern auch von Skepsis und Schreckensszenarien. Kühne Erwartungen an das Flugzeug als Friedensbringer wurden spätestens mit dem Ersten Weltkrieg zunichte gemacht, während die Literatur der Zwischenkriegszeit, wie zu zeigen sein wird, oftmals apokalyptische Bilder einer fatalen Kombination aus Luft- und Gaskrieg, oder eines totalen Bombardements heraufbeschwor. Trotz der düsteren Farben, mit denen diese beiden Szenarien ausgemalt wurden, fand Ersteres im italienischen Abessinien-Krieg, und Letzteres im Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs eine gewisse Bestätigung. Gleichzeitig findet dabei eine Metamorphose des Fliegerhelden vom bürgerlich-individualistischen „Ritter der Lüfte“ zur im Dienste des faschistischen Kollektivs stehenden Verheißungsfigur statt.2
In dieser Arbeit soll daher insbesondere nach den negativen Bildern gefragt werden, die von der jungen Luftfahrt evoziert wurden. Hierbei soll weniger die Ereignisgeschichte im Zentrum der Betrachtung stehen, als vielmehr die Wahrnehmung derselben durch die Zeitgenossen, die in Zeitungen, Literatur und Kunst ihre Erwartungen und Ängste äußerten. Der zeitliche Rahmen dieser Arbeit soll nicht über die Zwischenkriegszeit hinausgehen, da der Zweite Weltkrieg zwar eine neue Qualität des Luftkriegs hervorbrachte, diese allerdings nur eine konsequente Weiterführung von Tendenzen war, die bereits zuvor vorgezeichnet wurden und deshalb auch antizipiert werden konnten - und wurden. Abschließend wird die Frage zu beantworten sein, ob die von der Etablierung der Luftfahrt eingeleitete Entgrenzung des Raums als einzigartiges Phänomen zu gelten hat, oder ob sich hier lediglich Muster wiederholten, die auch bei vielen anderen technischen Innovationen der Moderne anzutreffen sind.
2. Die junge Luftfahrt
2.1 Aufbruch und Hoffnung
Nach der Erfindung des ersten steuerbaren, motorisierten Flugzeugs auf der Basis des Prinzips „Schwerer als Luft“ durch die Gebrüder Wright im Jahre 1903 glaubten zunächst viele Menschen, dass dieser Durchbruch Kriege in Zukunft würde verhüten können.3 Gerade in dieser (Vorkriegs-)Zeit wurde der „länder- und völkerverbindenden Flugmaschine“ pauschal grenzüberschreitende Wirkung und internationale Bedeutung zugeschrieben.4 In der Tat geht die Annahme für einen friedlichen Einfluss der Luftfahrt auf die Menschheit noch viel weiter zurück. Nachdem Benjamin Franklin 1783 den ersten Aufstieg eines Menschen in einem Ballon bezeugt hatte, schrieb er an einen Freund:
„It appears to be a discovery of great importance and what may possibly give a new turn to human affairs. Convincing sovereigns of the folly of wars, may perhaps, be one effect of it, since it will be impracticable for the most potent of them to guard his dominions. Five thousand balloons, capable of raising two men each, could not cost more than five ships of the line; and where is the prince who can afford so to cover his country with troops for its defense, so that ten thousand men descending from the clouds might not, in many places, do an infinite deal of mischief before a force could be brought together to repel them?“5
Die Gebrüder Wright selbst hatten in ihrer Erfindung „ein sicheres Mittel zur Beendigungjedes Krieges“6 gesehen, und nach einem Flug mit Orville Wright erklärte der spätere Major General George Owen Squier, dass „the men who provoked wars have been pretty sure in the knowledge that their own skins were safe, and that others would have to do the fighting, now they will be in the thick of it and inclined to think twice before launching a war.“7 Ähnlich äußerte sich ein Beobachter im Jahre 1894, also fast zehn Jahre vor dem Durchbruch der Wrights: „When all the great nations have learnt how to 'fly' successfully, then possibly the long looked for millennium of peace may become inevitable, and the great armaments which have existed so long, happily become a thing of the past; for aerial warfare, unlike terrestrial or naval fighting, is one which is quite as disagreeable and dangerous to the rulers of a nation as to the poorest individual, to the king as to the beggar, for all then are equally open to attack.“8
Noch wesentlich weiter wurde diese gewagte These vom französischen Baron d'Estournelles de Constant entwickelt, über dessen pazifistisch begründete Forderung nach dem Bau militärischer Flugmaschinen die Review of Reviews mit Zustimmung und ohne Ironie berichtete:
Baron D'Estournelles [...] publishes in La Revue [...] a passionate vindication of his consistency in advocating the building of airships for warlike purposes with his well-known championship of international peace.[...] Baron D'Estournelles ridicules as absurd the demand that no airship shall drop explosives on fortresses, an invading army on the march, or a blockading fleet. The airship, he says, is a weapon of the poor, the defencesless, against their insolent and aggressive neighbours. [...] Formerly the weak, says the Baron, were crushed in advance. To-day science comes to them and enables them, if not to conquer, at least to give their assailant such a horrid bad time that he will think twice and even thrice before he faces the interior financial and international complications which a weak adversary can bring about. The airship tends to increase the dread with which mankind contemplates war. Therefore to encourage the building of airships is to promote the coming of international peace. [...] Baron D'Estournelles is right. The airship will ultimately lead to the abolition of war.9
Bemerkenswert ist hierbei insbesondere, dass das Potential von Flugmaschinen als mächtige Kriegswerkzeuge durchaus antizipiert wurde. Die friedensstiftende Wirkung wird aber eben gerade dieser Tatsache zugeschrieben: es wird angenommen, die potentielle Zerstörungskraft des Luftkrieges würde ausreichen, um einen auf Abschreckung basierenden Frieden zu erzwingen. Viele utopische Erwartungen an die Luftfahrt beinhalten also bereits einen Kern „Techno-Realismus“.
In Deutschland war lange unklar, ob das Flugzeug nach Bauart der Wrights oder das Luftschiff nach dem Vorbild des Grafen Zeppelin die Vorherrschaft in der Luft gewinnen würde.10 Letzterer flog im Juli 1908 in einem ersten Rundflug über den Bodensee, was bei den ansässigen Schwaben große Begeisterung auslöste. Die Schweizer auf der anderen Seite hatten jedoch bereits Bedenken, da sie den Schwund der Kontrolle über ihren nationalen Raum befürchteten. Der vertikale Schutz, den die Schweiz durch die Alpen seit jeher genoss, schien angesichts der neuen Luftmaschinen an Bedeutung zu verlieren.11 Hier deutet sich schon das Thema der (militärischen) Entgrenzung an, das mit der Luftfahrt immer schärfer in Erscheinung trat. In Deutschland jedoch entstand ein „regelrechter nationaler Zeppelinkult“, der sich beispielsweise dadurch ausdrückte, dass Berliner Schüler für die erwartete Ankunft des Zeppelins im August 1909 „zeppelfrei“ bekamen.12
2.2 Ängste und Schreckensszenarien
Negative Assoziationen der Luftfahrt konzentrierten sich freilich in erster Linie auf die militärische Nutzung von Flugmaschinen. So schrieb bereits im Jahre 1670 Pater Francesco de Lana-Terzi über ein in der Luft fliegendes Schiff, „aus dem Bomben auf feindliche Stellungen geworfen werden konnten“.13 Noch vor der Entwicklung zuverlässiger Flugmaschinen antizipierte der Boston Daily Globe 1892 die schrecklichen Konsequenzen eines Luftkriegs unter der Überschrift „Warships in the Clouds“: „Aerial warfare is a subject which has long received great attention among the European powers. Certain of these powers are in posession of powerful airships which, in case of war with this country, could be floated over any of our seaboard towns and, by dropping the new and terrible explosives from them, work incalculable destruction. [...] Such are the ghastly possibilities of coming wars, if common humanity of civilization shall suffer them to be applied. But surely there is no nation within the pale of Christianity that will not hesitate long before it resorts to the savagery of dropping the terrific modern explosives upon the innocent and helpless humanity that crowd the streets of great cities.“14
Zwar gab es auch grundlegende, kulturell begründete Skepsis, wie die des Kunsthistorikers und Kulturwissenschaftlers Aby Warburg. Dieser schrieb über die Gebrüder Wright als „verhängnisvolle^ Ferngefühl-Zerstörer, die den Erdball wieder ins Chaos zurückzuführen drohen“ und das „[b]ewußte[] Distanzschaffen zwischen sich und der Außenwelt“ als einen „Grundakt menschlicher Zivilisation“ unterminierten.[15] Solche Äußerungen blieben vor dem Ersten Weltkrieg allerdings die Ausnahme, zumal das Volk an den abenteuerlichen Flugpionieren, die sich der Öffentlichkeit auf Flugschauen präsentierten, großen Gefallen fand.16 So wurde die berühmte Flugwoche in Brescia im September 1909 unter anderem von dem Komponisten Giacomo Puccini sowie den Schriftstellern Gabriele D'Annunzio und Franz Kafka besucht, die das Treiben der betuchten Pioniere mit Interesse verfolgten.17 Der flugbegeisterte D'Annunzio, der später selbst als Pilot am Ersten Weltkrieg teilnehmen sollte, sah im neuen Typus des Fliegerhelden gar den von Nietzsche angepriesenen „Übermenschen“.18
[...]
1 Trischler, Helmuth, Die neue Räumlichkeit des Krieges: Wissenschaft und Technik im Ersten Weltkrieg, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Bd. 19 (1996), S. 95-103, hier S. 98.
2 Siehe hierzu insbesondere Esposito, Fernando, Mythische Moderne. Aviatik, Faschismus und die Sehnsucht nach Ordnung in Deutschland und Italien, München: Oldenbourg 2011.
3 Streit, Kurt W./Taylor, J. W R./Munson, Kenneth, Geschichte der Luftfahrt, Sigloch Edition, Künzelsau 1999, S. 52ff.
4 Zit. nach Marschik, Matthias, „Flieger grüss mir die Sonne ...“: Eine kleine Kulturgeschichte der Luftfahrt, Wien 2000, S. 50.
5 Zit. nach Willkie, Wendell L., Airways to Peace, in: The Bulletin of the Museum ofModern Art, Vol. 11, Nr. 1, Airways to Peace: An Exhibition of Geography for the Future (Aug. 1943), S. 3-21, hier S. 12.
6 Zit. nach Streit, S. 105.
7 Zit. nach Gross, Charles J., George Owen Squier and the Origins of American Military Aviation, in: The Journal of Military History, Bd. 54, Nr. 3 (Jul. 1990), S. 281-306, hier S. 286.
8 Johnson, V. E., Notes on Aerial Navigation., in: WestminsterReview, Jul. 1894, S. 261-267, hier S. 267.
9 "The Airship and the Peace of the World.", in: The Review of Reviews, Mrz. 1909, S. 234.
10 Asendorf, Christoph, Die Luftfahrt und der Wandel ästhetischer Leitvorstellungen um 1910, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1999/2, Berlin 1999, S. 51-62, hier S. 51.
11 Kaschuba, Wol/fane, Die Überwindung der Distanz. Zeit und Raum in der europäischen Moderne. Frankfurt am Main 2004, S. 195.
12 Ebd. 195f.
13 Zit. nach Streit, S. 104.
14 "Warships inthe Clouds.", in: BostonDaily Globe, 08.06.1892, S. 10.
15 Zit. nach Gombrich, ErnstH., Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie, Frankfurt am Main 1981, S. 303 und 382.
16 Asendorf, S. 51f.
17 Ebd.
18 Kaschuba, S. 194; Siehe auch Esposito, S. 151f.