Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Rekonstruktion
1.1 ≫ Behauptende Kraft ≪ und ≫ Gedanke ≪
1.1.1 ≫ Behauptende Kraft ≪
1.1.2 ≫ Gedanke ≪
1.2 Das ≫ Dritte ≪
1.2.1 Negative Definition
1.2.2 Skala
1.2.3 Praktische Beispiele
1.2.4 Appendix
2 Kritik
Ich skizziere anhand dreier Abschnitte aus Freges Aufsatz Der Gedanke. Eine Logische Untersuchung [1] (63,23 - 64,26) Freges Unterscheidung zwischen dem Inhalt einer Satzäußerung und dem in ihr ausgedrückten Gedanken und kritisiere die Unterscheidung anschließend.
1 Rekonstruktion
Frege beschreibt in seinem Aufsatz Der Gedanke seine Konzeption des ≫ Gedankens ≪ als wahrheitswertfähigen und damit einzigen, für die Logik relevanten Teil sprachlicher Satzäußerungen. Um seine Konzeption des ≫ Gedankens ≪ schärfer herauszuarbeiten und abzugrenzen, beschreibt er auf der Form- und Inhaltsebene weitere Teile sprachlicher Satzäußerungen, die nicht zum Gedanken gehören. Er unterscheidet in einem Behaup- tungssatz
1. auf der Formebene die ≫ behauptende Kraft ≪ und
2. auf der inhaltlichen Ebene
2.1 den ≫ Gedanken ≪ und
2.2 das ≫ Dritte ≪, das er an anderer Stelle auch als ≫ Umhüllungen ≪ bezeichnet ([1, S. 150]).[2]
1.1 ≫ Behauptende Kraft ≪ und ≫ Gedanke ≪
1.1.1 ≫ Behauptende Kraft ≪
In der Form des Behauptungssatzes sprechen wir die Anerkennung der Wahrheit [eines Gedankens M.D.] aus. Dabei liege die ≫ behauptende Kraft ≪ . . . in der Form des Be hauptungssatzes. . . Allerdings gebe es auch Verwendungen von Behauptungssätzen ohne ≫ behauptende Kraft ≪ ([2] S. 63, Z. 1 - 16), weswegen ...auch bei dem, was sich der Form nach als Behauptungssatz darstellt, ... immer noch zu fragen [ist], ob er wirklich eine Behauptung enthalte. Und diese Frage ist zu verneinen, wenn der dazu nötige Ernst fehlt. ([2] S. 63, Z. 16 - 19)
Die behauptende Kraft ist das formale Mittel zum Ausdruck der Anerkennung der Wahr- heit eines Gedankens; des ≫ Urteils ≪ ([2] 62,38). Freges Ausführungen sind so zu inter- pretieren, daß bei Äußerung mit behauptender Kraft die Anerkennung der Wahrheit des Gottlob Frege, Der Gedanke. Eine logische Untersuchung, In: Beiträge zur Philosophie des deut- schen Idealismus 2, S. 58 - 77. 1918 - 1919. Die Angabe der Paginierung und Zeilenzählung nach der Erstausgabe. Zitate nach: Günter Patzig [Hrsg.] Gottlob Frege. Logische Untersuchungen, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht),41993.
Die Rekonstruktion der Trias orientiert sich an Künne4 S. 342, der statt vom ≫ Dritten ≪ als der möglichen Färbung oder Beleuchtung des Gedankens spricht.
Gedankens durch den Sprecher angenommen werden kann, sofern nicht die Umstände der Äußerung dagegen sprechen.
1.1.2 ≫ Gedanke ≪
Frege liefert dezidiert keine Definition des Begriffes ≫ Gedanke ≪ ([2] S. 60, Z. 52), sondern beschreibt den ≫ Gedanken ≪ als wahrheitswertfähigen Sinn eines Satzes. Der Gedanke ist der Teil des Satzes, . . . bei demüberhaupt Wahrheit in Frage kommen kann. ([2] S. 60, Z. 52). ≫ Gedanken ≪ werden nach Frege durch Sätze ≫ ausgedrückt ≪ ([2] S. ˙61, Z. 6).
1.2 Das ≫ Dritte ≪
In den drei Abschnitten ([2] S. 63,23 - 64,26) gibt Frege
1. eine negative Definition des ≫ Dritten ≪;
2. beschreibt eine Skala von ≫ strenger ≪ Wissenschaft bis zur Dichtung, um Vorkomm- nisse des ≫ Dritten ≪ in der Sprache einzugrenzen;
3. gibt praktische Beispiele für das Auftauchen des ≫ Dritten ≪, indem er Konnotatio- nen, Andeutungen und Umformungen von Aktivsätzen ins Passiv darstellt und
4. schließt mit einer zweckrationalen Begründung seiner Konzentration auf logische Phänomene in der Sprache.
Eine positive Definition Freges Konzeption des ≫ Dritten ≪ läßt sich aus den drei Abschnitten nicht gewinnen.
1.2.1 Negative Definition
Frege definiert das ≫ Dritte ≪ negativ als das, . . . auf das sich die Behauptung nicht er streckt. ([2] S. 63, Z. 24). Zusammen mit der obigen Definition ([2] S. 63, Z. 1 - 16) der behauptenden Kraft als formales Mittel zum Ausdruck der Anerkennung der Wahrheit eines Gedankens folgt: Das ≫ Dritte ≪ ist der Teil einer sprachlichen Äußerung, den der Sprecher nicht als wahr behauptet.
Nach dieser kurzen und abstrakten negativen Definition gibt Frege die erste funktionale Bestimmung des ≫ Dritten ≪, das häufig . . . auf das Gefühl, die Stimmung des Hö rers wirken oder seine Einbildungskraft . . . anregen soll ([2] S. 63, Z. 25).
1.2.2 Skala
Auf einer Skala sprachlicher Äußerungen, die von ≫ strenger ≪ Wissenschaft bis zur Dich- tung reicht, bildet Frege das unterschiedlich starke Auftreten des ≫ Dritten ≪ in sprachli- chen Äußerungen ab. Die Skala beginnt bei dichterischen Texten als am meisten Anteile des ≫ Dritten ≪ enthaltende, gehtüber geisteswissenschaftliche Texte - die mehr dich- terische Anteile enthielten als streng wissenschaftliche Texte und darum von Frege als weniger wissenschaftlich bezeichnet werden - zu den Naturwissenschaften Physik und Chemie und der Mathematik, die kaum Anteile des ≫ Dritten ≪ enthielten und reicht bis zu den Texten der strengen Wissenschaften, die nur auf die Wahrheit gerichtet sei- en: . . . denn die strenge Wissenschaft ist auf die Wahrheit gerichtet und nur auf die Wahrheit. ([2] S. 63, Z. 34).
Weil die Wissenschaft ausschließlich auf die Wahrheit gerichtet sei, gehörten alle Be- standteile der Darstellung, die nicht mit behauptender Kraft und mithin in Anerkennung ihrer Wahrheit geäußert würden, nicht zur wissenschaftlichen Darstellung. Diese nega- tive Zuschreibung und die negative Definition des ≫ Dritten ≪ als das nicht mit behaup- tender Kraft Gesprochene erlauben Frege den Schluß, daß das ≫ Dritte ≪ alles nicht zur streng wissenschaftlichen Darstellung Gehörende umfaßt. Trotz seiner Unwissenschaft- lichkeit sei das ≫ Dritte ≪ selbst in wissenschaftlichen Texten aber schwer zu vermeiden und manchmal sogar unentbehrlich in seiner Funktion für den Wissenschaftler, . . . sich dem gedanklich Unfa ß baren auf dem Wege der Ahnung zu nähern. . . ([2] S. 63, Z. 39). Dies ist die zweite Funktion, die Frege dem ≫ Dritten ≪ neben der oben zitierten Funktion in der Dichtung zuweist.
In den . . . Bestandteile[n des ≫ Dritten ≪ ] der Sprache . . . unterscheiden sich die Sprachen am meisten. ([2] S. 63, Z. 44 - 49). Die Bestandteile des ≫ Dritten ≪ in einer Sprache seien darum fast unmöglich vollkommen zuübersetzen. Umgekehrt lasse sich umso leichterübersetzen, je strenger wissenschaftlich eine Darstellung sei.
1.2.3 Praktische Beispiele
Konnotationen Die Wahl unterschiedlich konnotierter Begriffe wie ≫ Roß ≪, ≫ Gaul ≪ oder ≫ Mähre ≪ zur Bezeichnung derselben Sache > Pferd < beeinflusse den Gedanken nicht ([2] S. 63, Z. 50 - 52).
Die behauptende Kraft erstreckt sich nicht auf das, wodurch sich diese Wörter unterscheiden. ([2] S. 63, Z. 51 - 53)
Die mit der unterschiedlichen Begriffswahl zur Bezeichnung derselben Sache verbundenen Konnotationen werden nach Frege nicht in Anerkennung ihrer Wahrheit ausgesprochen. Auch wenn man den pejorativen Begriff ≫ Gaul ≪ als Ausdruck der Geringschätzung des Pferdes durch den Sprecher interpretierte, stellt das nach Frege nicht die Kundgabe eines ≫ Urteils ≪ durch den Sprecher dar, das man sich verbalisiert so vorstellen könnte: ≫ Dies Pferd ist minderwertig ≪. In der wahrscheinlich bereits vor dem Aufsatz[2] erschienen und auf das Jahr 1897 datierbaren Abhandlung Logik [1] [3] führt Frege mit einem Gedan- kenexperiment die Begründung seiner zunächst kontraintuitiven Behauptung aus, daß der Gedanke zweier sich in den Konnotationen unterscheidender Sätze derselbe sei ([1] S. 152). Mit der Ablehnung des Ergebnisses dieses Gedankenexperimentes, das seiner Vgl.[1] S. 137 FN 1.
Ansicht zuwiderläuft, belegt Frege seine Zuschreibung den Konnotationen als nicht zum Gedanken gehörig. Beim Vergleich der Sätze
a) ≫ Dieser Hund hat die ganze Nacht geheult ≪ und
b) ≫ Dieser Köter hat die ganze Nacht geheult ≪
...finden wir, dass der Gedanke derselbe ist. (ebd.) Wer Satz b) spreche, ...äussert da mit allerdings eine gewisse Geringschätzung; aber diese gehö rt nicht zum ausgedrückten Gedanken. (ebd.) Nun könne man nach Frege aber
...denken, dass man doch durch den zweiten Satz mehr erführe, als durch den ersten, nämlich dass der Sprechende eine geringe Meinung von dem Hunde habe. In diesem Falle wäre in dem Worte ≫ Köter ≪ ein ganzer Gedanke enthalten. ([1] S. 152)
Daß sich das Problem nicht auf pejorative Konnotationen beschränkt, wird bei der Betrachtung zweier weiterer, eigener Beispielsätze deutlich, mit denen ich Freges Gedankenexperiment rekonstruiere. Auch mit den Sätzen
c) ≫ Diese Frau kaufte eben ein Buch bei mir ≪ und
d) ≫ Diese Dame kaufte eben ein Buch bei mir ≪
drücke ich ein und denselben Gedanken aus, der in beiden Fällen wahr ist g. d. w. die entsprechende weibliche Person eben ein Buch bei mir kaufte. Daß ich mit d) außerdem meine vorzügliche Hochachtung für die Frau zum Ausdruck bringe, berührt nach Frege nicht den in beiden Fällen identischen Gedanken. Die Prämisse, mit der sich der von Frege abgelehnte Schluß ableiten läßt, lautet für c) und d) analog zu a) und b), daß ich durch den zweiten Satz doch wesentlich mehr kundtue, nämlich daß ich eine vorzügliche Hochachtung für die Frau empfinde. In diesem Falle wäre in dem Worte . . . [ ≫ Dame ≪ ] ein ganzer Gedanke enthalten. ([1] S. 152). Die Prämissen Freges Gedankenexperimentes lauten:
1. Die Sätze c) und d) sind logisch äquivalent.
2. Der in Satz c) ausgedrückte Gedanke ist richtig.
3. Satz d) enthalte eine Verbindung zweier Gedanken, die beispielsweise als konjunk- tional beschreibbar ist, weil die Verbindung nur wahr ist, wenn alle Glieder der Verbindung wahr sind. Von der Richtigkeit dieser Prämisse ist Frege gerade nichtüberzeugt, er führt sie ein, um den anschließend abzulehnenden Schluß ziehen zu können.
4. Jemand spreche den zweiten Satz, ohne die vorzügliche Hochachtung für die Frau wirklich zu empfinden, die in dem Worte ≫ Dame ≪ zu liegen scheint.
Wenn der Einwand richtig wäre, enthielte nun der zweite Satz zwei Gedanken, von denen der eine falsch wäre; er behauptete damit also im Ganzen etwas Falsches, während der erste Satz richtig wäre. ([1] S. 152)
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