Johann Wolfgang von Goethes 'Groß-Cophta'. Scharlatanerie und Aberglaube im Ancien Regime


Essay, 2008

14 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1) Einleitung

2) Der historische Cagliostro, die Halsbandaffäre und die Französische Revolution

3) Goethes Groß-Cophta als literarische Verarbeitung einer„famosen Hexen-Epoche“
3.1) Der Zauber des Cagliostro
3.2) Cagliostro als Verneinung der Aufklärung
3.3) Dekadenz der Gesellschaft und Anfälligkeit für Scharlatanerie
3.4) Die politische Dimension der Unvernunft

4) Resümee und Ausblick

1) Einleitung

Der Groß-Cophta (1791) ist nach Das römische Karneval (1788) Goethes erste poetische Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, diesem für den Dichter äußerst erschütternden Ereignis. Für das Lustspiel Der Groß-Cophta, das in der Goethe-Forschung oft – zu unrecht – als „verfehlt“ bezeichnet wird, verband der Dichter kunstvoll zwei seiner größten Abneigungen: einerseits gegen die Revolution und andererseits gegen den Alchemisten und Hochstapler Cagliostro, der zwar an der Revolution nicht unmittelbar beteiligt war, Goethe jedoch als Symptom einer Zeit des moralischen Verfalls der Gesellschaft und als Menetekel für den Untergang des Ancien Regime, und damit der alten Welt, galt. Die Französische Revolution stellte eine derart beunruhigende Sensation für Goethe dar, dass sie von ihrem Ausbruch an immer wieder wie ein Gespenst durch die Werke des Dichters geistert. Als Beamter hervorragenden Einblick in die Getriebe des Staates habend, ahnte Goethe schon frühzeitig den Verfall des Ancien Regime voraus, was sich in den Beschreibungen des Römischen Karnevals niederschlägt. Die größte Erschütterung stellte für Goethe jedoch die so genannte „Halsbandaffäre“ dar, in der sich das Versagen und die Korruption des Ancien Regime manifestierte und an der peripher auch eine andere merkwürdige Gestalt involviert war, die von Goethe einmal als „eines der sonderbarsten Ungeheuer unseres Jahrhunderts“ bezeichnet wurde: Giuseppe Balsamo, der unter dem Namen Alessandro Cagliostro mit dubiosen Zauberstücken die Naivität, die Dummheit und den Egoismus seiner Zeitgenossen ausnutzte. Damit war Cagliostro einerseits Merkmal und Produkt einer unmündigen, unaufgeklärten Gesellschaft; andererseits trug er durch die Halsbandaffäre dazu bei, das Ansehen Marie Antoinettes und somit des Ancien Regimes zu untergraben. Es soll nun untersucht werden, wie Goethes Komödie Der Groß-Cophta verdeutlicht, dass das Phänomen Cagliostro und das Phänomen Revolution gleichermaßen Produkt des aufklärungswidrigen Zeitgeistes sind. Ferner steht zur Diskussion, wie Cagliostro als Symptom einer Zeit der Krise und des Umbruchs aufgefasst werden kann und ob uns Der Groß-Cophta auch heute noch etwas zu sagen hat.

2) Der historische Cagliostro, die Halsbandaffäre und die Französische Revolution

Goethe setzte sich von Anfang an intensiv mit Cagliostro, der ihm ein Dorn im Auge war, auseinander, und schlich sich sogar unter Pseudonym in dessen Familie ein, um Nachforschungen zu betreiben. Mit Skepsis beobachtete der Dichter das vermehrte Auftreten von Wunderheilern, Magnetiseuren und Spiritisten wie Cagliostro, die das politische und moralische System unterwanderten. In der Campagne in Frankreich heißt es: „Mit Verdruß hatte ich viele Jahre die Betrügereien kühner Phantasten und absichtlicher Schwärmer zu verwünschen Gelegenheit gehabt und mich über die unbegreifliche Verblendung vorzüglicher Menschen bei solchen frechen Zudringlichkeiten mit Widerwillen verwundert.“[1] Am 22. Juni 1781 schrieb Goethe an den von Cagliostro begeisterten Lavater (mit dem es über eben diesem Thema später auch zum Bruch kam): „Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Kloaken minieret…“[2] Auch Christoph Martin Wieland nimmt zu dem aufklärungswidrigen Phänomen des zeitgenössischen Geister- und Wunderglaubens Stellung: „Seit einigen Jahren [scheint] unsere Zeit, aller ihrer gerühmten Aufklärung zum Trotz, auf einmal in die dickste Verfinsterung der barbarischen Jahrhunderte zurück zu stürzen…“[3] Gleichzeitig war Goethe jedoch auch psychologisch von diesem Cagliostro fasziniert, der der Sohn eines bankrotten Händlers war, sich aber als Graf ausgab und sich Zugang zu den höchsten Gesellschaftsschichten verschaffte. Dabei machte er sich die persönlichen Interessen der Menschen zunutze, indem er ihnen nutzlose Liebestränke, Schönheitsmittel und ähnliches verkaufte. Auch das Bedürfnis vieler Menschen, Kontakt mit verstorbenen Verwandten aufzunehmen[4], nutzte er aus, indem er Kinder[5] abrichtete und diese in Versammlungen Geister sehen ließ.[6] Die, die „hier schon zu höhern Regionen erhoben werden“[7] wollten, bediente Cagliostro, indem er eine vermeintliche Freimaurer-Loge nach ägyptischem Ritus (auch hier bediente er die Mode!) stiftete und seinen Anhängern geheime Einsichten in die Zusammenhänge der Welt versprach, wobei die Aspiranten immer schwerere „Prüfungen“ zu bestehen hatten, da der Hochstapler Cagliostro keine geheimen Erkenntnisse hatte und daher den Zugang zu seiner fiktiven Loge möglichst schwer gestalten musste. Cagliostro verfügte stets über Handlanger und Helfershelfer, die gegen gute Bezahlung für ihn spionierten, so dass der Magier immer „durch geheime Mächte“, wie er behauptete, alles über seine „Opfer“ wusste und oft wie ein Gespenst auf dem Nichts auftauchte. Es war die Faszination des Unbekannten, Geheimnisvollen und Gefährlichen, die die Gesellschaft in Cagliostros Bann zog. Erfüllte er die Erwartungen des Publikums nicht, gab er ihnen die Schuld, dass sie ein Ritual nicht richtig ausgeführt hätten oder er verlangte Zutaten für seine Geisterbeschwörungen, die unmöglich zu beschaffen waren.[8] Wenn er seine Versprechen nicht halten konnte, tarnte er dies als Prüfung und Ritus seiner mysteriösen Loge und schaffte es so durch Scharfblick, Unverschämtheit und Raffinesse immer wieder, seine Anhänger zu überzeugen. Zwar flogen einige seiner Schwindeleien auf, so dass er immer von einem Ort zum nächsten zog; er verstand es jedoch, unterschiedliche Rollen anzunehmen und über seine Identität zu gebieten, und fand so an jedem Ort wieder neue Bewunderer.

Zu diesen Bewunderern Cagliostros gehörte auch der Kardinal Rohan[9], der in den Jahren an 1785 und 1786 in einen politischen Skandal in Frankreich verwickelt wurde, der unter dem Namen „Halsbandaffäre“ einer der Katalysatoren für die Französische Revolution war. Rohan hatte sich mit Königin Marie Antoinette überworfen, war von dieser aus dem königlichen Schloss gejagt worden und wünschte sich nichts sehnlicher, als deren Gunst wiederzugewinnen. Die Hochstaplerin Comtesse Jeanne de la Motte nutzte die Leichtgläubigkeit des Kardinals für ihre Zwecke aus, indem sie vermeintliche Briefe Marie Antoinettes fingierte, in denen diese dem Kardinal ihre Gunst versprach, sofern dieser ein sündhaft teures Collier für sie erstehen würde. Cagliostro machte sich zusammen mit seiner Verbündeten de la Motte die Naivität und den blinden Eifer Rohans zunutze, indem er ihm in mehreren geheimen Sitzungen mit Geisterbeschwörungen davon überzeugte, dass er die Gunst der Königin erlangen würde. Der naive Rohan willigte in den Handel ein und kaufte das Collier, welches er der la Motte übergab, in dem Glauben, diese würde es der Königin, mit der sie nach eigenen Angaben auf vertrautem Fuß stand, überreichen, was natürlich nicht stimmte. Stattdessen zerstückelte diese das Halsband, um die Juwelen zu Geld zu machen. Dies flog bald auf, und Rohan, de la Motte sowie Cagliostro wurden verhaftet. Da König Ludwig XVI jedoch den Fehler machte, die Gerichtsverhandlung durch ein Parlament zu vollziehen, in dem Rohan Verbündete hatte, wurden dieser und Cagliostro freigesprochen, und es hielten sich hartnäckig Gerüchte, Marie Antoinette, die beim Volk ausgesprochen unbeliebt war, sei die Schuldige. Das Volk glaubte nun einen Grund mehr zu haben, mit der ihm verhassten Monarchie kurzen Prozess zu machen.

Nicht nur in der allgemeinen Bewunderung für den Scharlatan Cagliostro, der nach seinem Freispruch von seinen Anhängern gefeiert wurde, zeigte sich des Volkes Beschränktheit und Kurzsichtigkeit; auch dass es gerne glaubte, Königin Marie Antoinette, die gar nichts mit der Affäre zu tun hatte, sei die Schuldige in diesem Fall, beweist, dass es nicht nur auf gesellschaftlicher, sondern auch auf politischer Ebene sah und glaubte, was es sehen und glauben wollte. Die Halsbandaffäre war für Goethe ein traumatisches Ereignis und Vorbote der Revolution, da er die Autorität, Unantastbarkeit und „Würde der Majestät untergraben“[10] sah. In der Campagne in Frankreich heißt es: „die durch jenen Prozeß entstandene Erschütterung ergriff die Grundfesten des Staates, vernichtete die Achtung gegen die Königin und gegen die obern Stände überhaupt: denn leider alles, was zur Sprache kam, machte nur das gräuliche Verderben deutlich, worin der Hof und die Vornehmeren befangen lagen.“[11] Es wird auch deutlich, dass Cagliostro, die Halsbandaffäre und die Revolution zusammengehören. Die allgemeine Irrationalität, Leichtgläubigkeit und Unvernunft, von der Cagliostro profitierte, ermöglichte auch die Revolution. Beide sind Produkt der gleichen Stimmung: „Nun lagen die direkten und indirekten Folgen solcher Narrheiten als Verbrechen und Halbverbrechen gegen die Majestät vor mir, alle zusammen wirksam genug, um den schönsten Thron der Welt zu erschüttern.“[12] So kann man Cagliostro, obwohl er höchstwahrscheinlich weder an der Halsbandaffäre noch an der Revolution aktiv beteiligt war, glaubwürdig in den Zusammenhang der Revolution einordnen, da er ein Symptom des allgemeinen moralischen und charakterlichen Verfalls der Gesellschaft darstellt. Den Zusammenhang zwischen Irrationalität und Revolution klingt schon im Römischen Karneval an: „Das Römische Karneval ist ein Fest,…das sich das Volk selbst gibt…Hier ist nicht ein Fest,…hier ist kein Feuerwerk,…hier ist keine Erleuchtung,…hier ist keine glänzende Prozession…; hier wird vielmehr ein Zeichen gegeben, daß jeder so töricht und so toll sein dürfe, als er wolle, und daß…fast alles erlaubt sei. Der Unterschied zwischen Hohen und Niedern scheint einen Augenblick aufgehoben…“[13]. Und später heißt es: „…daß Freiheit und Gleichheit nur in den Taumel des Wahnsinns genossen werden können…“[14]. Goethes Schilderung des Römischen Karnevals ist die symbolische Vorwegnahme der Revolution und stimmt die zentralen Themen des Lustspiels Der Groß-Cophta an: Wahn, Taumel, Negation überlieferter Werte, Rollentausch, Verschwörung, Verwirrung, Chaos. Die Welt im Groß-Cophta scheint wie der Karneval „außer den Grenzen des Glaubwürdigen zu schreiten“[15].

3) Goethes Groß-Cophta als literarische Verarbeitung einer „famosen Hexen-Epoche“

[16] Der Groß-Cophta steht zu Beginn von Goethes Revolutionsdramen und gehört wie Der Bürgergeneral in die Kategorie des Lustspiels. Die Wahl dieses Genres hat sicherlich auch mit der Aversion Goethes gegen die Revolution zu tun. Mit dem Genre der Komödie behält sich der Dichter vor, die gesellschaftlichen Zustände als Farce zu entlarven und der Lächerlichkeit preiszugeben.[17] Goethe hatte zunächst daran gedacht, die Halsbandgeschichte zu einer Oper zu verarbeiten. 1787 schrieb er an Kayser: „Ich habe nichts weniger vor: als die famose Halsbands Geschichte des Card.Rohan, zur Opera buffa zu machen, zu welchem Zweck sie eigentlich geschehen zu sein scheint. Es sind fünf Personen…und der Conte di Rostro impudente [stellt] den Unverschämtesten aller Scharlatane [vor]…“[18] Goethe entschärfte die historische Halsbandaffäre und verlegte sie um eine „Ebene“ niedriger, indem er Königin Marie Antoinette zur Prinzessin, Kardinal Rohan zum Domherrn und den Comte und die Comtesse de la Motte zu Marquis und Marquise umgestaltete und die Szene in ein fiktives deutsches Fürstentum verlegte.

[...]


[1] Campagne in Frankreich, HA 10, S. 356f.

[2] Goethe, J.W.: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Münchner Ausgabe, hrsg. von K. Richter in Zusammenarbeit mit H.G. Göpfert, N. Miller und G. Sander, Bd. 14 Autobiographische Schriften der frühen Zwanzigerjahre, hrsg. von R. Wild, München/ Wien 1986, S. 510

[3] C. M. Wieland, Sämtliche Werke VIII, Hamburg 1984, S. 89

[4] „so ist ihm [dem Menschen, Anm.] alles interessant, was einer Nachricht aus dem unbekannten Lande gleich sieht…“, Wieland, s. Anm. 3, S. 87f.

[5] „Freilich haben die Cagliostros da am ersten gewonnenes Spiel, wo schwache, sehr reizbare Nerven ihnen zur Hülfe kommen…“, Ludwig Ernst Borowsky „Cagliostro, einer der merkwürdigsten Abenteurer unsres Jahrhunderts“, in: Klaus H. Kiefer (Hrsg.), Cagliostro. Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus, Leipzig/Weimar 1991, S. 441

[6] Vgl. hierzu die aufschlussreichen Schilderungen von der Reckes, in: Kiefer (s. Anm. 5), S. 20-103

[7] Borowsky (Anm. 5), S. 438

[8] Vgl. von der Recke (Anm. 6)

[9] Über Rohan wird von Abbé Goergel berichtet, dass ihn beim Anblick Cagliostros ein religiöser Schauer überkam: „Ich erblickte auf dem Antlitz dieses unnahbaren Mannes eine solch achtunggebietende Würde, daß mich eine Art religiösen Schauers ergriff und die Ehrfurcht meine ersten Worte diktierte.“ Zit. Nach: Rahe, Cagliostro und Christus, Hamburg 1994, S. 95

[10] Campagne in Frankreich, S. 356

[11] Ebd., S. 270

[12] Ebd., S. 357

[13] Das Römische Karneval, HA 11, S. 484f.

[14] Ebd., S. 515

[15] Ebd., S. 497

[16] So nennt Goethe in einem Brief an Charlotte von Stein aus dem Jahr 1787 seine eigene Zeit, anspielend auf Geheimgesellschaften und Geisterbeschwörer wie Cagliostro. Zit. Nach Rahe

[17] „Mir aber einigen Trost und Unterhaltung zu verschaffen, suchte ich diesem Ungeheuern eine heitere Seite abzugewinnen…“, Campagne in Frankreich, S. 357

[18] Zit. Nach: Rahe, S. 11

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Johann Wolfgang von Goethes 'Groß-Cophta'. Scharlatanerie und Aberglaube im Ancien Regime
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Deutsche und Niederländische Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
14
Katalognummer
V200057
ISBN (eBook)
9783668325067
ISBN (Buch)
9783668325074
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Goethe, Ancien Regime, Groß-Cophta, Halsbandaffäre
Arbeit zitieren
Nathalie Klepper (Autor:in), 2008, Johann Wolfgang von Goethes 'Groß-Cophta'. Scharlatanerie und Aberglaube im Ancien Regime, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200057

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