Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Was wird im Prolog des Johannesevangeliums mit Hilfe des Logos-Titels ausgesagt?
2. Worin unterscheiden sich die Jüngerberufungen bei Johannes von denen bei den Synoptikern (vgl. dazu Joh 1,35-51, Mk 1, 16-20 parr; Mk 2, 13-17 parr) und was kommt darin für das johanneische Jüngerverhältnis zum Ausdruck?
3. Im Johannesevangelium kommt mehrfach ein „Jünger, den Jesus lieb hatte“ vor (vgl. Joh 13,23; 19,26; 20,2; 21,7.20). Was unterscheidet ihn von den anderen Jüngern?
4. Welche Beziehungen bestehen zwischen Zeichen und Reden Jesu? Erläutern Sie das am Beispiel der Blindenheilung (Kap.9) und der Lichtrede (Kap. 8,12-20).
5. Was ist im Johannesevangelium mit der Rede von der Erhöhung Jesu gemeint (Joh 3,14; 8,28; 12,32-34)? Wie schlägt sich das in der johanneischen Passionsdarstellung nieder?
6. Welche Funktion hat der Tröster für Gemeinde nach Joh 14-16? In welcher Weise ist nach Johannes der auferstandene Christus in seiner Gemeinde gegenwärtig?
Literaturverzeichnis
1. Was wird im Prolog des Johannesevangeliums mit Hilfe des Logos-Titels ausgesagt?
„Hatte das Markus-Evangelium die Geschichte Jesu bis zum Auftreten des Täufers Johannes zurückverfolgt, setzen Matthäus- und Lukas-Evangelium mit Geschichten über die Geburt und Kindheit Jesu ein, so sieht der vierte Evangelist die Herkunft Jesu vor aller Zeit in der Ewigkeit Gottes, ja im tiefsten Wesen Gottes selbst begründet und verleiht dieser Sicht in einem bekenntnisartigen Lied feierlichen Ausdruck.“[1] und:
„Das Johannesevangelium beginnt auf kosmischer Ebene und erzählt dann im Kontrast dazu von dem irdischen Menschenleben, das Jesus an das Kreuz führt. Darin zeigt sich die Speerspitze des Evangeliums. Es folgt in seiner Darstellung dem mythischen Schema vom Abstieg des Gottessohnes und seiner Rückkehr zum Vater.“[2]
Die Übersetzung des Logos-Begriffes ist nicht einfach. Der präexistente Jesus bei Gott kann nicht einfach als „Wort Gottes“ übersetzt werden, auch wenn Luther dies zunächst so tut. Er schreibt: „das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ (Joh 1,1). Das Wort Gottes ist zugleich auch Sinn des Evangeliums (des Menschenlebens?), es bedeutet Kraft, die es im Leben eines Menschen inne hat, und außerdem beinhaltet es die Tat Gottes im Heilshandeln. Das Wirken, Leben und Sterben Jesu ist bei Johannes, mehr als bei den synoptischen Evangelien, eine bewusste Tat, ein bewusstes Handeln Gottes.
Der Prolog zeichnet bereits die Botschaft des Evangeliums vor, er beschreibt die Parabel, den Flug des Adlers, der Johannes als Zeichen zugeordnet wird: Jesus ist von Gott gekommen, mit ihm war er schon vor aller Zeit präsent, er wird wirklich Mensch und leidet echt – gegen doketische[3] Lehren – und er wird wieder erhöht zum Vater nach der Erfüllung der Passionsgeschichte. „Es ist vollbracht.“ (Joh 19,30) ist also korrespondieren zum Prolog auch so zu verstehen, dass ein bereits vorgezeichneter Weg erfüllt wird.
Im Doketismus wurde angenommen, dass Jesus nur scheinbar Mensch war. Der Logos konnte gar keinen menschlichen Leib annehmen, da dieser wie alles „Fleisch“ als unrein galt. Die Kirche hat dem deutlich widersprochen. Dass Christus von Gott zum Menschen wurde und zwar zu einem wirklichen und echten Menschen gehört zu den Grundlagen christlicher Lehre. Christus hat für uns wirklich und echt gelitten und deshalb kann Gott mit uns leiden und ist nicht ein in Notzeiten abwesender Gott.
Nach Ulrich Wilckens kann der Prolog nicht alleine verstanden werden, sondern muss zum Fürbittengebet Jesu im Kapitel 17 in Bezug gesetzt werden. „Der Prolog spricht von der Herkunft Jesu [ … ] Davon spricht zusammenfassend das Gebet Joh 17 in entsprechend dichter Sprache als von der Zukunft des inkarnierten Gottessohnes.“[4] Wo im Prolog Jesus durch seine Herkunft von Gott als vollmächtig legitimiert wird, begründet seine Rückkehr zum Vater für die Glaubenden die Teilhabe am ewigen Leben durch ihn.
Die Verse 6 bis 8 und 15 stellen jeweils Einschübe in einen der gottesdienstlichen Gemeinde wohl bekannten Hymnus, den in ähnlicher Weise auch Paulus in Phil. 2, 6-11 aufgreift. Der Hymnus wird durch diese Einschübe unterbrochen. „Zum Prolog des Joh ist dieses Lied erst durch die Einschübe geworden, die von der Hand des Johannesevangelisten stammen.“[5]
Durch den Beginn des Evangeliums mit diesem Prolog wird die Geschichte Jesu zurück bezogen auf seinen Anfang bei Gott in der Ewigkeit, d.h. „vor“ oder außerhalb der Zeit. Trotzdem sagt uns dieser Prolog auch in Vers 14: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns ...“ Vers 1 spricht also vom Beginn des Evangeliums bei Gott, Jesus ist schon von allem Anfang an bei Gott gewesen. Im Vers 14 wird von der Inkarnation Jesu als Mensch auf Erden berichtet: „Die Verse 14 und 16 sprechen von der einzigartigen letzten Initiative Gottes, der die Gemeinde der an Jesus Christus glaubenden ihr Dasein verdankt.“[6] Wilckens betont, dass hier das tatsächliche „Fleisch-Werden“ gemeint ist, nicht etwa ein Erscheinen als Fleisch oder auch das geschichtliche Erscheinen Jesu.[7]
Schlatter schreibt hierzu folgendes: „Ein Mensch entstand aus dem Wort, der ganz und gar das Werk und Gebilde des Wortes war; ein echter, rechter Mensch war er, war Fleisch und Blut wie wir und war doch ganz durch das Wort gemacht und vom Wort erfüllt und regiert, so dass er dem Worte zur Offenbarung dient.“[8]
Im Prolog wird also vom Gottessohn gesprochen. Die Verse 1 bis 13 sprechen über ihn, ab Vers 14 berichtet der Evangelist vom Gottessohn und seinem Wirken unter den Menschen auf der Erde („wir“ und „wohnte unter uns“).
Der Vorgabe des Prologs, nämlich den Gang Jesu vom Vater als echter Mensch unter die Menschen und wieder zurück zum Vater, folgt das Evangelium. Auch die Ablehnung, die Jesus unter den Menschen erleben wird, klingt schon im Vers 11 an, ebenso aber auch der Glauben einer großen Gemeinde, deren Gemeindeglieder dadurch Gottes Kinder werden. (Vers 12).
Vers 18 schließt den Prolog und unterstreicht noch einmal die Wichtigkeit der Fleischwerdung. Niemand hat Gott je gesehen außer Jesus Christus, der selbst Gott ist und Gott den Menschen verkündigt.
2. Worin unterscheiden sich die Jüngerberufungen bei Johannes von denen bei den Synoptikern (vgl. dazu Joh 1,35-51, Mk 1, 16-20 parr; Mk 2, 13-17 parr) und was kommt darin für das johanneische Jüngerverständnis zum Ausdruck?
Wir finden die Parallelstellen bei Matthäus im vierten Kapitel (18-22) sowie im neunten Kapitel (9-13). Bei Matthäus steht zwischen der Berufung der ersten Jünger und der Berufung des Levi die Bergpredigt. Danach erst nimmt Jesus den sündigen Levi an und speist mit den Zöllnern.
Markus stellt zwischen die beiden Berichte die Perikope von Jesus in Kapernaum und zwei Heilungsberichte.
Auch bei Lukas finden wir Heilungsberichte zwischen den Perikopen Lk 5,1-11 (erste Jünger) und 27-32 (Levi).
Die Synoptiker stellen also ein Heilshandeln Jesu vor die Annahme des Sünders bzw. Zöllners Levi. Die Jünger sind vorher nicht gleich, die ersten Jünger sind Fischer, also untadelige, reine Angehörige des Volkes Israel, während Levi und die Zöllner am Rande der Gesellschaft zu finden sind. Sie galten als unrein. Jesus heilt nun diesen Makel und Levi wird gleichberechtigt angenommen.
Bei Johannes werden die Jünger nicht nach ihren Berufen bzw. Lebensumständen unterschieden. Ihre Berufung wird in einem durchgängigen Bericht geschildert. Zum Schluss spricht Jesus zum ersten Mal zu seinen Jüngern: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch ...“ (Vers 51)
Die Berufungsgeschichten finden in allen vier Evangelien zu Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu in Galiläa statt. Markus und Matthäus stellen einen einführenden Absatz jeweils direkt vor die Perikope. Bei Lukas stehen zwischen Einführungsworten und Berufungsberichten noch die Erzählungen von Jesus in Nazareth und Jesus in Kapernaum, welche programmatisch einen Ausblick auf das folgende Evangelium geben. Während bei Mk und Mt die Berichte von der Berufung der Jünger recht kurz gehalten sind (Jesus ruft die Jünger zu sich, sie lassen alles stehen und liegen und folgen ihm nach), fügt Lukas noch die Geschichte vom Fischzug des Petrus ein. Hier wird die Rolle des Petrus schon betont, er wird auch schon mit „Petrus“ angesprochen. Das ist eine Parallele zu Johannes. Auch hier wird Petrus schon während der Berufung Petrus genannt (Joh 1,42).
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[1] Einleitung zum Johannesevangelium in der Stuttgarter Erklärungsbibel, Seite 1559
[2] K.-W. Niebuhr, Grundinformation Neues Testament, Seite 146
[3] Der Ausdruck Doketismus (griechisch δοκεῖν dokein „scheinen“) bezeichnet die Lehre, Jesus Christus habe nur scheinbar einen physischen Körper gehabt und am Kreuz auch keine Leiden empfunden.
[4] Das Neue Testament Deutsch, Ulrich Wilckens, Das Evangelium nach Johannes, Seite 20
[5] Ebd., Seite 22
[6] Stuttgarter Erklärungsbibel, Erklärung zu Joh 1,14-18, Seite 1562
[7] Vgl. Wilckens, Erklärung zu Joh 1,14, Seite 32
[8] Adolf Schlatter, Das Evangelium nach Johannes, Seite 11