Realitäts- und Fiktionsunterschiede


Hausarbeit, 2009

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

2 Die Rezeption von Medieninhalten
2.1 Funktionalistische Perspektive
2.1.1 Identitätsarbeit
2.1.2 Eskapismus
2.2 Kognitive Perspektive
2.2.1 Präsenz
2.2.2 Spiel
2.3 Emotionale Perspektive

3 Fiktion und Realität
3.1 Definitionen
3.2 Die Verschmelzung von Realität und Fiktion in den Medien
3.3 Möglichkeiten der Realitäts- und Fiktionsunterscheidung
3.3.1 Pragmatische Perspektive
3.3.2 Inhaltlich-semantische Perspektive
3.3.3 Darstellungsbezogen-formale Perspektive
3.4 Journalismus zwischen Faktizität und Fiktionalisierung
3.5 Rezipienten zwischen Realität und Fiktion
3.5.1 Voraussetzungen für die Unterscheidungskompetenz:
3.5.2 Kritische RFU-Kompetenz
3.5.3 Konstruktive RFU-Kompetenz

4 Information und Unterhaltung
4.1 Begriffsdeutungen
4.2 Journalismus zwischen Information und Unterhaltung

5 Lüge und Falschmeldung

6 Fazit

7 Literatur- und Quellenverzeichnis

8 Abbildungsverzeichnis

1 Einführung

1.1 Problemstellung

Mit dem Wandel von der Industriegesellschaft zur Informations- und Kommunikations- gesellschaft im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, begann die rasante Entwicklung solcher Medien, wie Fernsehen, Internet, die die breite Masse der Gesellschaft mit audiovisuellen Informationen versorgen. Heutzutage sind Massenmedien in allen Lebensbereichen vertreten. Der Konsum dieser Medien bestimmt längst in hohem Maße die Freizeitgestaltung und zugleich das Handeln und Denken, meist ohne dass dies dem Rezipienten bewusst ist. Nicht nur die rasante Entwicklung der Me- dien allgemein, sondern vor allem das Entstehen immer neuer Medienkategorien und -formate, fördern ein immer stärkeres Verwischen von Realität und Fiktion.

1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, ein Gesamtbild des Phänomens der Verschmelzung von Realität und Fiktion zu schaffen und dies in den Kontext der Medienwirkung zu stellen. Zunächst werden verschiedene Forschungsansätze zur Rezeption von Medieninhalten und zur Unterscheidung von Realität und Fiktion vorgestellt. Anschließend wird die Bedeutung dieser fehlenden Trennschärfe für die Rezipienten, den Journalismus und die Medien untersucht. Herausgestellt werden sollen Strategien zum kompetenten Umgang mit der Fülle der Medien.

2 Die Rezeption von Medieninhalten

Wenn es um Rezeption von Medieninhalten geht, stellen wir uns also die Frage, wie Medien auf den Rezipienten ein wirken. Es gibt zwei Forschungsrichtungen, die sich mit der Medienwirkung beschäftigen, zum einen die Medienpsychologie und zum anderen die Kommunikationswissenschaften. Im Folgenden werden drei Perspekti- ven vorgestellt, die diesen Forschungsansätzen zugeordnet werden können.1

2.1 Funktionalistische Perspektive

2.1.1 Identitätsarbeit

Der Mensch hat von Natur aus das Bedürfnis zu lernen; dieser Vorgang wird in der Medienforschung als „Funktion der Identitätsbildung“ bezeichnet. Im Gegenteil zu der verbreiteten Vorstellung, dass man Wissen von den Medien hauptsächlich über Fakten sammeln möchte, stellen Untersuchungen fest, dass eine Verhaltenskompe- tenz für die Rezipienten von größerer Bedeutung ist. „Alle Bemühungen des Indivi- duums, die der Identitätsbildung dienen und die die aktive Suche nach der Antwort auf die Frage ‚Wer bin ich? zum Ausdruck bringen, werden mit dem Begriff der Identitätsarbeit erfasst.“2

In dieser Hinsicht muss ein Medium an erster Stelle soziale Orientierung und Ver- haltensmuster im Umgang mit anderen Personen vermitteln, damit es die Erwartun- gen und Bedürfnisse der Zuschauer einigermaßen befriedigen kann. Diese Funktion des Mediums, die Identitätsbildung, wird durch folgenden Aspekte erfüllt: Gespräche über Medieninhalte, parasoziale Interaktion, Medienselektion, soziale Vergleichs- prozesse und Eskapismus.3 Diese Faktoren werden im Folgenden näher vorgestellt.

(a) Gespräche über Medieninhalte

Die erste Möglichkeit, das Phänomen der Identitätsbildung zu beeinflussen, sind die Gespräche über Medieninhalte. Menschen stehen ständig im sozialen Austausch miteinander über relevante und aktuelle Medienereignisse wie Filme, Serien, Artikel, Talkshows usw. In diesem vielseitigen Prozess werden die Meinungen, Denkmuster, Affinitäten, Präferenzen und Interessen anderer Personen sichtbar, was zu Re- flexion der eigenen Ansichten anstößt. Bemerkenswert ist der Fakt, dass Medienfi- guren und erfundene Situationen oft wie tatsächlich existierend wahrgenommen und behandelt werden. Das ist meistens dann der Fall, wenn häufiger Kontakt mit die- sen Medienpersonen besteht, wie das zum Beispiel bei Serien der Fall ist.4

Wenn sich beispielsweise zwei Frauen über ihre Lieblingsserie „Desperate House- wifes“ und die übertriebene Reaktion der Hauptdarstellerin unterhalten, so verleiht das den Taten der Medienfiguren eine real wirkende Bedeutung. Auf diese Art und Weise sind die Medien nicht nur Lieferanten von Gesprächsstoff, sondern auch ent- scheidend für das Herausbilden von Identitäten. Allerdings betreffen die Gespräche die postkommunikative Phase, d.h. man betrachtet ihre Wirkungsweise nicht direkt während der Rezeption. Dieser Ansatz ist somit der Kommunikationswissenschaft zuzuordnen.5

(b) Parasoziale Interaktion

Die medienpsychologische Sichtweise behandelt den Begriff „parasoziale Interakti- on“, der von den beiden amerikanischen Soziologen Horton und Wohl 1956 einge- führt wurde. Darunter versteht man eine andere Art sozialer Bedürfnisse, bei denen die Rezipienten mit den Medienfiguren aktiv interagieren.6 Die parasoziale Interakti- on ist eine Art „Basis für eine soziale und persönliche Orientierung“.7 Die Zuschauer rezipieren dabei nicht nur passiv, sondern werden in die Handlung mit einbezogen, ohne dass sie selbst handeln müssen. Diese Interaktion wird durch direkte Anspra- che des Rezipienten seitens der Darsteller ermöglicht. Das Publikum bekommt das Gefühl, mit den Medienakteuren „face-to-face“ zu kommunizieren. Der Zuschauer steht somit in einer intimen Beziehung; er weiß, was die Medienfigur denkt und sie ihrerseits gibt ihr Innerstes dem Zuschauer preis. Zu beachten ist hierbei die Tatsa- che, dass trotz dieser künstlich geschafften Nähe, das Adjektiv „parasozial“ für eine Distanz zwischen den beiden interagierenden Seiten steht. Publikum und Medien- person sind sich dieser von ihnen hergestellten „Schein-Situation“ bewusst und werden insofern nicht irregeführt.8

Die Intensität der parasozialen Interaktion wird mit der „Parasocial Interaction-Scale“ gemessen. Die Ergebnisse zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen Alter und Medienkonsum und eine negative Korrelation zur Bildung. Das heißt, dass vor allem ältere Rezipienten mit relativ hohem TV-Konsum und möglichst niedriger Bil- dung die ideale Bezugsgruppe für eine hohe parasoziale Interaktion sind. Dagegen sind jüngere Menschen, die gut ausgebildet sind und wenig fernsehen, schwerer in die Handlung einzubeziehen.

Ein weiterer Faktor, der die Entstehung von parasozialer Interaktion beeinflusst, ist ein wiederholtes Auftreten des Medienakteurs. Dadurch wird eine Beziehung zu der Medienfigur aufgebaut und gepflegt. Deswegen gilt das Phänomen hauptsächlich für Serien und Talkshows und nicht für Filme, bei denen die Beziehung sich lediglich auf einen begrenzten Zeitraum bezieht, da diese im Normalfall keine Fortsetzung haben.

Jedoch zeigen sich die meisten Schauspieler in verschiedenen Filmen in ganz unterschiedlichen Rollen. Aus diesem Grund fällt es dem Publikum schwer, eine einheitliche Beziehung zu einem Darsteller aufzubauen. Jedoch versuchen die meisten Schauspieler, ein bestimmtes Image zu verfolgen, das im Bewusstsein der Zuschauer Sympathie und Einzigartigkeit hinterlassen soll. Der Rezipient sucht auf dieser Basis immer wieder Kontakt mit bestimmten Darstellern. In diesem Fall spricht man von „nicht zufälligen Begegnungen“.9

Gute Beispiele hierfür sind Heath Ledger und Jeanette Biedermann. So konnte Heath Ledger in ganz verschiedene Rollen schlüpfen, vom Sunnyboy über den schwulen Cowboy bis hin zum Bösewicht Joker. Ihm wurden alle Charaktere abge- nommen und seine Person wurde nicht auf eine Rolle festgeschrieben, es kam also zu einer geringen parasozialen Interaktion mit dem Schauspieler. Dagegen blieb an Jeanette Biedermann die Rolle der Soapfigur aus „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ haften, sodass ihre anschließenden Musik- und Filmrollen nicht glaubwürdig er- schienen.

Allerdings muss man zwischen parasozialer Interaktion und Identifikation trennen. Denn Identifikation würde bedeuten, dass teilweise die Position des Gegenübers eingenommen werden würde. Stattdessen wird die Medienfigur kritisch beurteilt und kann, muss aber nicht adaptiert werden.10

c) Medienselektion

Ein weiterer Ansatzpunkt der funktionalistischen Perspektive ist die Medienselekti- on. Hier geht man davon aus, dass Medienangebote als Lieferanten von identitäts- stiftenden Lebensentwürfen fungieren. Das bedeutet, dass man die Geschichten wählt, die zur Bewältigung der eigenen Probleme funktional erscheinen. Bei seiner Identitätsarbeit nutzt der Zuschauer solche Medieninhalte, die aktuell seine Lebens- situation diktieren. Der Rezipient ist also thematisch voreingenommen. Beispielsweise könnte ein junges Mädchen, das gegen ihre Eltern um mehr Freiheit rebelliert, den Film „Terminator“ hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt des Kampfes um mehr Handlungsfreiheit wahrnehmen.11

Ein anderer Vorgang, der als „Programm der Identitätsbildung“ bezeichnet wird, ist das Lesen. Eine Untersuchung vom Jahr 2001 zum Thema „Strategien der Leser- ezeption“ weist das Ergebnis auf, dass Zusammenhänge zwischen Lesestrategien und Lesesozialisation sowie zwischen Lesestrategien und aktuellen Lebensthemen der Leser existieren. Dabei findet eine Vielfalt von Möglichkeiten Anwendung. Als Beispiele sind hier die Strategien zur Regulation emotionaler Betroffenheit, zur Er- höhung der Lesemotivation und zur Selbstvergewisserung zu nennen. Die Letztere kann für eine differenzierte Betrachtung weiter in Lesestrategien der Vergewisse- rung eigener Werte, Einstellungen, Erfahrungen, Lesekompetenz, Lese-Bedürfnisse und Bestätigung der eigenen Geschlechtsrolle unterteilt werden.12

(d) Sozialer Vergleichsprozess

Zur Identitätsarbeit der funktionalistischen Perspektive gehören auch die sozialen Vergleichsprozesse, die durch Medien ermöglicht werden. Der Mensch hat das Bedürfnis zur Selbstbewertung; er beurteilt sich gern im Vergleich mit anderen. In diesem Sinne wird beim Fernsehkonsum das so genannte „downward comparison“ betrieben, wobei man sein Selbstwertgefühl steigert, indem man sich mit schlechter gestellten Medienfiguren vergleicht.13

Im Endeffekt geht es bei der Identitätsarbeit darum, dass ein Medienangebot für den Rezipienten inhaltlich bzw. persönlich relevant ist. Wichtig ist noch bei der Identitätsarbeit festzuhalten, dass Medienrezeption dynamisch verläuft - die Sicht auf einen Darsteller kann im Verlauf einer regelmäßigen Rezeption wechseln.14

2.1.2 Eskapismus

Ein weiterer Ansatz für das Rezeptionsmotiv im Sinne der funktionalistischen Per- spektive ist der Eskapismus. Darunter fällt das Bedürfnis, der Welt zu entfliehen, das Bedürfnis nach Geselligkeit oder nach Zeitvertreib. Es handelt sich also um ei- nen Versuch, aus der aktuellen Lebenssituation auszusteigen und sich in eine irrea- le Welt zu flüchten, die schöner, bunter und interessanter als die soziale Wahrheit ist. Anlässe für diese Flucht können unterschiedlich sein, von unbefriedigten Le- bensbeziehungen bis zum Leiden unter den realen Lebensumständen. Die Medien erleichtern das Wegrennen von der Realität dadurch, dass sie diese reizvollen Wel- ten inszenieren, in denen sich der Rezipient sicher fühlen kann. Die Vermutung, dass Eskapismus primär bei alten, weniger gebildeten und sozial schlechter gestell- ten Menschen zu beobachten ist, wurde nicht bestätigt. Das eskapistische Medien- nutzungsverhalten ist auf alle gesellschaftlichen Schichten verteilt.15

2.2 Kognitive Perspektive

2.2.1 Präsenz

Als Präsenz wird das Gefühl, in einer fiktiven und interaktiven Welt abwesend zu sein, bezeichnet. Die Stärke dieses Empfindens hängt von der technischen Umsetzung und der Gestaltung der Medieninhalte ab. Die Präsenz-Forschung beschäftigt sich mit der Optimierung von Gestaltungsmöglichkeiten, damit dieses „wahre Erleben“ erhöht werden kann. Das Phänomen der Präsenz wird in verschiedenen Medien beobachtet - Büchern, Filmen und Computerspielen.

In den textbasierten Welten wird ein niedriger Grad an Präsenz empfunden, in dem Fall „transportation“ genannt, während bei audiovisuellen Welten diese Auswirkung (die so genannte „Diegese“), viel stärker ausgeprägt ist. Hier existieren mehrere Möglichkeiten, das Erlebnis der Rezipienten in diese Richtung zu lenken. Beispiel- haft können die Verwendung einer Handkamera, Perspektive und Bewegungen der Filmfiguren, Schnitt usw. genannt werden. Computerspiele können das Präsenzge- fühl am besten dadurch auslösen, dass sie ihren Rezipienten den Eindruck vermit- teln, imaginativ in einer anderen Welt zu interagieren. Das Vergnügen entsteht in diesem Fall durch das Beweisen der eigenen Kompetenz im Umgang mit den He- rausforderungen im Spiel.

[...]


1 vgl. Suckfüll, M. (2004): Rezeptionsmodalitäten, Ein integratives Konstrukt für die Medienforschung, München, S.176

2 vgl. Misoch, S. (2007): Die eigene Homepage als Medium adoleszenter Identitätsarbeit, in: Mikos, L.: Mediennutzung, Identität und Identifikationen: Die Sozialisationsrelevanz der Medien im Selbstfindungsprozess von Jugendlichen, Weinheim S. 163

2 vgl. Suckfüll, M. (2004): Rezeptionsmodalitäten, Ein integratives Konstrukt für die Medienforschung, München, S.176

3 vgl. Suckfüll, Rezeptionsmodalitäten, S.176

4 vgl. Suckfüll, Rezeptionsmodalitäten, S.177

6 ebd., S. 177-181

7 vgl. Mikos, Mediennutzung, S. 227

8 vgl. Suckfüll, Rezeptionsmodalitäten, S.177-181

9 vgl. Suckfüll, Rezeptionsmodalitäten, S.177-181

10 vgl. Suckfüll, Rezeptionsmodalitäten, S.178 f

11 ebd., S. 181

12 vgl. Suckfüll, Rezeptionsmodalitäten, S. 181-183

13 ebd., S. 183-184

14 ebd., S. 184-185

15 vgl. Suckfüll, Rezeptionsmodalitäten, S. 185-186

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Realitäts- und Fiktionsunterschiede
Veranstaltung
Medienwirkungsforschung
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
28
Katalognummer
V200221
ISBN (eBook)
9783656266396
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Realität und Fiktion, Rezipientenforschung, Medienwirkungsforschung, Medienwirkung, Fiction, Medienforschung
Arbeit zitieren
Daniela Linz (Autor:in), 2009, Realitäts- und Fiktionsunterschiede, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200221

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