Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Der linguistische Stilbegriff
2.2 Ausgewählte stilistische Analysekategorien
2.2.1 Syntax
2.2.2 Lexik
3. Sprachlicher Stil der Hip-Hop-Kultur
3.1 Stil als kulturelles Moment
3.2 Beispielanalyse eines Textes aus einem Hip-Hop-Forum
4. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Es ist erstaunlich: je häufiger ein Ausdruck im alltäglichen Sprachgebrauch Verwen- dung findet, umso unbrauchbarer scheint er für den wissenschaftlichen Gebrauch zu werden. Dies lässt sich in besonderem Maße für den Ausdruck Stil konstatieren, der im alltäglichen Sprachgebrauch zur Beschreibung der unterschiedlichsten Erschei- nungen gebraucht wird. Denkstil, Baustil, Kunststil oder Regierungsstil sind da nur einige Beispiele (vgl. GÖTTERT/JUNGEN 2004: 13). Auch die vorliegende Arbeit widmet sich dem Stilbegriff, allerdings in seiner spezifisch sprachlichen Ausprägung. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, auf welche diese Arbeit eine Antwort zu geben sucht, lautet dabei: Lässt sich in textuellen Zeugnissen der Hip- Hop-Kultur ein eigener Sprachstil nachweisen, der sich signifikant von dem Sprach- gebrauch im Alltag oder in anderen gesellschaftlichen Bereichen abhebt? Die vorlie- gende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, Indikatoren für eine positive Beantwor- tung dieser Frage aufzuzeigen. Zu diesem Zweck wird ein Text aus einem Online- Hip-Hop-Forum unter stilistischen Gesichstpunkten bzgl. der Kategorien Syntax und Lexik analysiert werden. Dabei wird sich zeigen, dass insbesondere im lexika- lischen Bereich spezifische sprachliche Mittel der Hip-Hop-Kultur existieren. Vor dieser konkreten Analyse widmet sich der theoretische Teil der Arbeit dem zu Grunde gelegten linguistischen Stilbegriff, veranschaulicht eine Skala zur stilis- tischen Bewertung sprachlicher Mittel und erläutert die stilistische Relevanz der angesprochenen sprachlichen Kategorien der Syntax und Lexik.
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Der linguistische Stilbegriff
Vor dem Hintergrund des angesprochenen Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit sowie des weiten Bedeutungsfeldes des Ausdrucks Stil (vgl. u.a. SOWINSKI 1999: 1 - 5) scheint es an dieser Stelle zunächst notwendig, den Stilbegriff ent- sprechend dem wissenschaftlichen Gebot der Explizitheit in seiner linguistischen Verwendungsweise zu klären. Dies geschieht auf der Basis eines textlinguistischen, genauer gesagt: eines transphrastisch orientierten1 Begriffsinstrumentariums, mit dessen Hilfe “der Bezugsrahmen für stilrelevante Aussagen abgesteckt wird” (EROMS 2008: 41). Der Rückgriff auf textlinguistische Analysekategorien verweist dabei bereits auf ein erstes, eminent wichtiges Charakteristikum des linguistischen Stilbegriffs: Stil ist keine Eigenschaft “einzelne[r] sprachliche[r] Phänomene” (ebd.: 13), sondern eine “irgendwie geartete Texteigenschaft” (LERCHNER 2002: 86). Als Bezugsebene für stilistische Aussagen ist damit bereits der Text2 in seiner Gesamt- heit ausgemacht, doch reicht diese Bestimmung bei weitem nicht aus, um das komplexe Phänomen des linguistischen Stilbegriffs auch nur annähernd vollständig zu beschreiben. Näher kommt man einem solchen Vorhaben, wenn man sich die alltagssprachliche Verwendung des Stilbegriffs vor Augen führt. So beschreibt der Begriff im Zusammenhang mit Lebensbereichen wie Mode, Politik oder Kunst stets etwas “positiv Bewertetes” (EROMS 2008: 13) - allgemeiner lässt sich sagen: Stil wird in diesen Zusammenhängen verwendet, um Aussagen über das Gelungensein einer bestimmten Sache zu leisten. Diese Vorstellung lässt sich auch auf den linguistischen Stilbegriff übertragen, der ganz allgemein als “das WIE” (SANDIG 2006: 1) eines Textes, als jeweils “bedeutsame funktions- und situationsbezogene Variation der Verwendung von Sprache und anderen kommunikativ relevanten Zeichentypen” (ebd.) verstanden wird. Stil im linguistischen Sinne beschreibt also - vereinfachend gesagt - die Art und Weise der Ausgestaltung von Texten, wobei Stil nicht “etwas ‘Aufgesetztes’, etwas Sekundäres, [sondern] [...] etwas in der Kommu- nikation primär Relevantes” (EROMS 2008: 15) ist. Die Kategorien zur Bewertung dieser stilistischen Ausgestaltung werden im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit ebenfalls thematisiert werden, an dieser Stelle sei zunächst jedoch ein Charakteristikum des linguistischen Stilbegriffs angesprochen, auf welches das vorangegangene Zitat SANDIGs implizit bereits verwiesen hat. Wenn diese den variablen Sprachgebrauch als zentrales Moment des linguistischen Stilbegriffs bestimmt, dann spricht sie damit zwei wichtige Aspekte aktueller Stilauffassungen an: Diese setzen zum einen voraus, dass ein Sprachsystem überhaupt sprachliche Variationsmöglichkeiten in Form von Paradigmen bietet, zum anderen - und dies ist entscheidend - wird Stil als das Ergebnis eines vom Emittenten mehr oder weniger bewusst vollzogenen Wahlaktes3 verstanden (vgl. EROMS 2008: 23). Der sprachliche Stil eines Textes ist demzufolge keine Eigenschaft, die sich quasi- natürlich von selbst einstellt, sondern das Resultat zahlreicher Auswahlprozesse “aus den Möglichkeiten des Sprachsystems” (ebd.), die einen Text “in besonderem Maße zum Gelingen führen soll[en]” (ebd.). Unter Berücksichtigung der zuvor angesprochenen transphrastischen Sichtweise, die als oberste Bezugsebene stets den Text als Ganzen im Blick hat, besitzen dabei “systematisch gesehen” (ebd.) alle sprachlichen und sonstigen relevanten Elemente4 Stil. Dies meint, dass stilistische Wahlentscheidungen nicht nur dann möglich sind bzw. angenommen werden können, wenn ‘wirkliche’ Alternativen z.B. in Form sprachlicher Synonyme vorliegen, sondern selbst dann, wenn nur ein Element zur Verfügung steht (vgl. ebd.). Dies lässt sich am Beispiel des Funktionswortes und veranschaulichen, das auf Wort- ebene ein einelementiges Paradigma5 bildet und damit variantenlos ist. Betrachtet man den Text aber in seiner Gesamtheit, dann ist es i.d.R. durchaus möglich zwei durch und verbundene Teilsätze auf der syntaktischen Ebene in zwei ab- geschlossene Sätze aufzuspalten und damit eine bewusste und stilistisch relevante Entscheidung gegen oder für die Verwendung des Funktionswortes und zu treffen.
Dieses Beispiel6 verdeutlicht, dass unter transphrastischen Gesichtspunkten jede stilistische Prozedur als Wahlakt verstanden werden kann, da alle sprachlichen Mittel in “komplexem gegenseitigen Wechselverhältnis” (ebd.) stehen und durch andere sprachliche Elemente auf niedrigeren oder - wie im angeführten Beispiel - auf höheren Ebenen ersetzt werden können. Eng verbunden mit dieser Vorstellung von sprachlichem Stil als Resultat mehr oder weniger bewusst getroffener Wahlentscheidungen ist das Prinzip der Abweichung, das in der sogenannten “‘Abweichungsstilistik’ [...] seinen prägnantesten Ausdruck” (ebd.: 30) gefunden hat und auf weitere zentrale Aspekte des linguistischen Stilbegriffs verweist: Nämlich das Verhältnis von Sprachsystem und -norm sowie das von Normerfüllung undabweichung. Transparenter werden diese Zusammenhänge mit Blick auf den Stilbe-griff der Abweichungsstilistik, der über die bewusste Wahl eines “abweichenden Sprachgebrauch[s]” (PÜSCHEL 1985: 9) konsituiert wird. Die Frage, die dabei unmittelbar aufgeworfen wird, lautet: “Wovon wird abgewichen?” (ebd.: 10). Die meisten Ausführungen zur Abweichungsstilistik geben auf diese Frage eine Antwort, die die Relevanz der eben genannten Beziehungen für die Beschreibung des linguistischen Stilbegriffs deutlich erkennen lässt. Demnach “müsse eine Norm7 definiert werden, an der die Abweichungen gemessen werden können.” (ebd.). Der Terminus der sprachlichen Norm lässt sich dabei am anschaulichsten über das Verhältnis zum Sprachsystem fassen. Mit dem Begriff des Sprachsystems wird die Gesamtheit der den Emittenten für stilistische Wahlentscheidungen zur Verfügung stehenden sprachlichen Elemente bezeichnet (vgl. EROMS 2008: 35), wohingegen “Normen immer beschränkende Maßnahmen” (ebd.: 38) sind, die jeweils zweck- gerichtet und situationsabhängig “die Auswahl paradigmatischer Varianten” (ebd.) aus dem gesamten Sprachsystem steuern. Sprachliche Normen gewinnen damit für den linguistischen Stilbegriff insofern eine zentrale Relevanz, als dass sie das zuvor beschriebene Grundprinzip der Wahl erheblich beschneiden und abhängig von Fak- toren wie Region, Alter, Funktion oder Textsorte (vgl. ebd.: 35) jeweils nur bestimmte Ausdrucksvarianten des gesamten Sprachsystems als angemessene8
[...]
1 Die Textlinguistik als sprachwissenschaftliche Disziplin, “die das Wesen und die Leistung von Texten zu erfassen versucht” (EROMS 2008: 41), lässt sich bzgl. des Zugangs zu ihren Untersuchungsobjekten differenzieren nach pragmatischen und transphrastischen Sicht- weisen. Erstere sind handlungstheoretisch motiviert und versuchen, “die textuellen Zusam- menhänge mit den jeweiligen Kommunikationszielen zu erfassen.” (ebd.) Dagegen unter- suchen transphrastische Zugänge ausgehend von der Satzebene über diese hinausgehende “sprachlich-analytisch und handlungstheoretisch relevant[e]” (ebd.) Zusammenhänge.
2 Der Textbegriff ist in der Textlinguistik dabei ähnlich umstritten wie der Stilbegriff in der Stilistik. Die von BEAUGRANDE/DRESSLER aufgestellten Textualiätskriterien (vgl. 1981: 3 - 13), die häufig zur Bestimmung von Texten in Abgrenzung zu Nicht-Texten herangezogen werden, werden so z.B. von VATER abgelehnt, der bspw. Kohäsion als “weder notwendig noch hinreichend für das Zustandekommen von Textstruktur” (2001: 54) erachtet. Für die vorliegende Arbeit ist diese Diskussion aber ohnehin nicht von zentraler Relevanz, da der später zu analysierende Beitrag aus einem Online-Forum über alle divergierenden Auffas- sungen hinweg als Text betrachtet wird.
3 Die Wahlentscheidungen der Emittenten lassen sich in dem Sinne als mehr oder weniger bewusst getroffen charakterisieren, als dass neben gänzlich individuellen Entscheidungen auch solche Kommunikationsbereiche existieren, in denen die Emittenten “fast vollständig festgelegt” (EROMS 2008: 16) sind. Beispiele wären: “Gruß-Situationen, [...] Gesprächseröffnungen und anderes formelhaftes Sprechen.” (ebd.).
4 Für die Stilanalyse neben den sprachlichen Einheiten relevante Elemente sind bspw. im Bereich typografischer oder graphischer Gestaltung zu finden (vgl. SANDIG 2006: 55).
5 Einelementige Paradigmen wie im Fall des Funktionswortes und führen zu “(virtueller) Neutralität [...] durch Systemzwang“ (EROMS 2008: 60).
6 Weitere anschauliche Beispiele lassen sich bei EROMS (2008: 23 f.) finden.
7 Die Vorstellung einer gültigen sprachlichen Norm ist in der Sprachwissenschaft bereits vor langem verworfen worden. Vielmehr unterscheiden aktuelle Stilistiken zahlreiche verschie- dene Sprachnormen, so z.B. “regionale, altersspezifische, funktionale, textsortenspezifische” (EROMS 2008: 35).
8 Das Stilgebot der Angemessenheit ist so zu verstehen, “dass jedem Verwendungsbereich von Sprache ein bestimmter ‘natürlicher’ Ausdrucksraum zur Verfügung steht” (EROMS 2008: 27), welcher im Sinne einer sprachlichen Norm zu befolgen ist, “wenn Sprache angemessen (auf den kommunikativen Zweck hin gesehen) verwendet werden soll.” (ebd.: